Proteus04.11.2013, Benjamin Schmädig
Proteus

Im Test:

Ich kann mich sogar auf den Hosenboden setzen und nichts tun. Nur dem Zwitschern und Knarzen lauschen. Schildkröten beobachten oder Sternschnuppen hinterher schauen. Ich habe keine Aufgabe, die Zeit drängelt nicht, kein Pfeil weist den Weg. Ich weiß nicht, was ich auf dieser Insel entdecken soll. Vielleicht mich selbst?

Die Kunst hinzuschauen

Proteus nimmt sich Zeit. Es ist eine geheimnisvolle Komposition aus Ton und Bild. Eine, die man wie ein Gemälde erschließen muss . Ein Gemälde der Künstler Ed Key und David Kanaga in eckigen 8Bit. Seine Schönheit liegt allein im Auge des Betrachters.

Wem sich schon jetzt der Magen umdreht, der muss Proteus meiden. Wer sich in Dear Esther gelangweilt hat und die Faszination Journey nicht greifen konnte, der sollte auch um dieses Kunstwerk einen Bogen machen.

Richtig ist, wer sich darauf einlassen will, Schneeflocken nachzuschauen. Wer es genießt, skurrile Statuen auf dem Gipfel eines Berges zu entdecken. Und darin einen Sinn zu sehen.

Pixel statt Pinsel

Meine Reise beginnt im Frühjahr, wenn rosafarbene Blüten aus dicken Wipfeln auf saftige Wiesen herab schweben. Sind es wirklich Blüten? Ein wenig Fantasie brauche ich schon, denn es gibt auf der gesamten Insel keinen einzigen Pinselstrich. Sie besteht aus dicken

Besonderheiten der PSN-Version

Ein Kauf, zwei Spiele: Wer Proteus kauft, erhält sowohl die PS3- als auch die Vitafassung. Spielstände können lokal oder in der Cloud gespeichert werden.

Spielerisch und grafisch gleichen die Umsetzungen dem PC-Original. Die Bildrate der Handheldversion sowie einige relativ spät auftauchende Objekte zeigen zwar, dass die Vita am Limit ist. Dem Spielgefühl kommt das allerdings nicht in die Quere.

Vitaspieler dürfen sich wahlweise durch Drehen des Handhelds umsehen und neue Inseln anhand der Daten ihres Aufenthaltsortes berechnen lassen - auf PS3 mithilfe des Datums. Das Erstellen neuer Inseln wird nach dem ersten Durchspielen freigeschaltet, ebenso wie das Ändern der Dauer eines Spieltages. Kästchen, als wäre sie einer Zeit entsprungen, zu der zweidimensionale Pappaufsteller und piepsende Laute den Begriff "virtuelle Welt" definierten – bezaubernder Impressionismus, mit Pixeln statt Pinseln gezeichnet.

Mit Fantasie deute ich kleine Wesen als Frösche oder Kröten, weil sie davon hopsen, wenn ich auf sie zu laufe. Helle Pünktchen, die bei Nacht geheimnisvoll leuchten, könnten Glühwürmchen sein. Manchmal verschwindet eine Gruppe kleiner Tiere im Erdboden, sobald ich ihnen nahe komme. Oder sind es Pflanzen? Proteus ist ein Bild, das sich dem erschließt, der sich bewusst hineindenkt.

Das Orchester lebt

Proteus ist auch Musik. Musik nicht im Sinne eines gleichförmigen Soundtracks, sondern als Zusammenspiel digitalen Rauschens, Klimperns, Klackens und Surrens, das meine Reise begleitet. Manchmal höre ich den Regen prasseln, manchmal löse ich selbst ein Brummen aus, wenn ich einen seltsam geformten Stein passiere. Manchmal höre ich auf einem schneebedeckten Wipfel nur einsam den leisen Wind. Die Insel bewegt sich, sie lebt, sie reagiert, sie komponiert ihre eigene, meine eigene Melodie.

Leben ist Veränderung

Und sie verändert sich. Denn so lange ich auch neugierig umher streifen darf: Schon in der ersten Nacht sammeln sich "Glühwürmchen" in einem Kreis krummer Steine. Sie warten

Die Pixelkunst verliert auf Vita nichts von ihrem Reiz.
Die Pixelkunst verliert auf Vita nichts von ihrem Reiz.
auf mich. Sie lassen mich nicht mehr los, sobald ich in ihre Mitte trete. Dann ziehen Tag und Nacht plötzlich im Zeitraffer voran. Dicke Regenwolken rauschen binnen Sekunden vorbei…

Und dann ist Sommer. Die Sonne brennt, Bienen tragen mich eine Zeitlang im Eiltempo über die Insel. Tausend Kleinigkeiten haben sich verändert. Wieder sehe ich mich um, erforsche, entdecke und finde den leuchtenden Kreis…

Im Herbst verblüht das Leben. Schmetterlinge klappen erschöpft und auf dem Boden mit den Flügeln. Die Nacht vor dem Winter ist leiser und geheimnisvoller…

Und dann liegt dichter Nebel über stillen, verdorrten Ästen…

Fazit

Dear Esther begleitet den Spieler wie ein düsteres Hörbuch, Journey entführt in ein märchenhaftes Abenteuer – Proteus ist das Betrachten eines interaktiven Gemäldes. Es ist erzählerisch nicht so stark wie Dear Esther, spielerisch weniger ergreifend als Journey, doch das Erlebnis trotzdem ein besonderes. Aus den Pixeln seiner 8Bit-Hommage entstehen Berge, Täler, Wälder, Tiere und eine mythische Erzählung über den Lauf der Dinge. Zahllose Kleinigkeiten fügen sich zu einer lebendigen Welt zusammen, begleitet von einer berauschenden Melodie des Zwitscherns und Quakens. Genau wie ein Bild drängt sich das Spiel von Ed Key und David Kanaga nicht auf. Es stellt einfach dar. Es kann, muss aber nicht entdeckt werden. Und wer an ihm vorüber bzw. mittendurch stolziert, versteht sogar seinen Sinn. Aber nur wer es wirken lässt, begreift die emotionale Kraft, mit der Bild und Ton ein poetisches Kunstwerk erschaffen können.

Pro

bezaubernde, geheimnisvolle Bild- und Klangwelt
faszinierend und inhaltlich interessant
sehr ruhiges Entdecken zahlreicher Kleinigkeiten

Kontra

sehr kurzes Erlebnis

Wertung

PS_Vita

Aus den Pixeln einer 8Bit-Hommage entsteht ein faszinierendes Gemälde - ein poetisches Kunstwerk.

PlayStation3

Aus den Pixeln einer 8Bit-Hommage entsteht ein faszinierendes Gemälde - ein poetisches Kunstwerk.

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