Im Test: Zurück in die Vergangenheit
Zurück ins alte London
Obwohl Frogwares versprochen hat, sich bei seinem Spiel an modernen Interpretationen des Meisterdetektivs zu orientieren, wird sofort klar, dass ich wieder den klassischen Holmes vor mir habe. Zu Beginn des Spiels ballert er zwar ähnlich eigenwillig mit der Pistole in der Wohnung herum wie in der modernen BBC-Serie, davon abgesehen erinnern sein ruhiges Auftreten und die knorrige Stimme der gelungenen Synchro sofort an Sir Arthur Conan Doyles Romanfigur, die um die Jahrhundertwende in London ermittelte. Auch die etwas hölzerne Steuerung erinnert sofort an die Vorgänger: Anders als in Point-and-Klick-Titeln laufe ich aus der Schulter-Perspektive durch die Welt. Immer wieder bleibe ich kurz an Tischen oder Türrahmen hängen. Mein nicht besonders clever durch die Welt spazierender Assistent Holmes steht mir sogar häufig im Weg herum.
Gemütliche Ermittlungen
Schon die ersten Fälle haben mich sofort in die typische gemütliche Knobelstimmung versetzt, welche auch die Vorgänger auszeichnete. Durch das Episodenformat gefiel mir diesmal aber der Rhythmus noch etwas besser, weil es in überschaubaren Häppchen vorangeht und das Spiel weniger ermüdend wirkt. Der erste Mordfall lässt es klassisch angehen: Scotland-Yard-Inspektor Lestrade bittet mich, ihn auf einen Landsitz zu begleiten, auf dem ein unglücklich verheirateter, aber relativ wohlhabender ehemaliger Walfänger mit einer Harpune an die Wand seines Schuppens genagelt wurde.
Fade Minispielchen
Bei fehlenden Informationen hilft zur Not das Archiv in seinem Wohnzimmer oder das mobile Gegenstück im Kofferraum der Kutsche weiter – was durch ein entsprechendes Symbol signalisiert wird. Auch Bruder Mycroft hilft dank internationaler Verbindungen bei Hintergrundinfos über internationale Verbrechersyndikate weiter. Später ist man auch in finsteren Katakomben und Gärten unterwegs. Als ich in einem anderen Fall in der Pampa zwischen Nottingham und London nach einem verschwundenen Zug suche, nehme ich in den Bahnhöfen per Telegraph Verbindung mit Mycroft auf. Am meisten Spaß macht aber die klassische Untersuchung der überschaubaren Tatorte und das Austricksen der zunächst oft zugeknöpften Zeugen im Verhör. Um Holmes‘ übermenschliche Auffassungsgabe zu simulieren wird die Zeit kurz vorm Verhör kurz angehalten. Der Zeuge wird mit der Kamera langsam mit einem Cursor nach verdächtigen Hinweisen abgetastet.
Auffassungsgabe und Menschenkenntnis
Später hilft einfache Menschenkenntnis weiter, um zu erkennen, dass der Bahnhofsvorsteher noch reichlich grün hinter den Ohren ist und sich daher krampfhaft an die Vorschriften klammert. Sobald ich ihm mit Watsons Unterstützung meine Autorität signalisiere und ihm zu verstehen gebe, dass seine Verschwiegenheit der Lösung eines wichtigen Kriminalfalls im Wege steht, bricht sein Widerstand erstaunlich schnell und ich bekomme schließlich Einsicht in seine Unterlagen.
Kombiniere, kombiniere!
Danach ergeben sich neue Schlüsse und Ermittlungen. Die Stärke des Systems ist, dass sich in jedem Fall zahlreiche Möglichkeiten entwickeln, den Fall zu deuten und zu Ende zu bringen. Wollte jemand den Zug beiseiteschaffen, um eine teure Erfindung zu entwenden? Wollte der aufgebrachte Australier nur die Versicherung betrügen? Oder stecken ausländische Investorengruppen und ihre Männer fürs Grobe hinter dem mysteriösen Plan, einen ganzen Zug verschwinden zu lassen? Je nach Deutung ist jemand anderes der Schuldige – eine Wertung verrät zum Schluss, wie viele Hinweise man aufgedeckt und wie plausibel man geschlussfolgert hat.
Technisch schwache Umsetzung
Ein Nachteil am System ist aber, dass es mich gelegentlich ratlos zurückgelassen hat. Ich hätte den Fall zwar abschließen können, doch die Indizien schienen mir nicht schlüssig genug. Habe ich lediglich einen Hinweis übersehen? Das Umdrehen eines Pferdewetten-Tickets eröffnet z.B. völlig neue Möglichkeiten bei der Befragung eines spielsüchtigen Bahnhofsvorstehers. Oder hat wieder einmal die etwas sperrige Benutzerführung dazwischengefunkt? An einer Weiche z.B. hatte ich auf Anhieb die richtige Idee, kam aber trotzdem ans Ziel. Weiter half mir schließlich Holmes bildliche Vorstellungskraft, welche sich per Knopfdruck aktivieren lässt: Erst als Holmes den Zug schemenhaft auf den Schienen entlang fahren sah, entstand meine Idee auch in seinem Kopf und eröffnete mir einen weiteren Schauplatz.
Fazit
Die Entscheidung für das Episodenformat hat Sherlock Holmes gut getan: Die sechs gut portionierten Krimi-Häppchen machen das Ermitteln weniger ermüdend als bisher. Meist hatte ich Spaß an den interessanten, teils übersinnlich angehauchten Fällen. Die hübsch gestalteten Schauplätze sowie zahlreichen Ermittlungsmethoden fangen das Flair des Vorbilds gut ein und die alternativen Deutungsmöglichkeiten machen das Spiel deutlich vielseitiger als klassische Point-and-Klick-Adventures. In der Umsetzung hapert es allerdings: Irgendwie wirkt alles etwas zu steif und sperrig. Die etwas hölzerne Handhabung, fade Minispielchen und die schlecht erklärte Vielzahl an Ermittlungs- und Deutungs-Möglichkeiten sorgten gelegentlich dafür, dass ich auf der Suche nach einem wichtigen Hinweis im Dunkeln tappte. Auf der PS4 kommen noch kleine technische Probleme dazu, welche den Spaß aber weit weniger ausbremsen als in früheren Konsolenumsetzungen. Trotz einiger Mankos bietet der Titel also eine unterhaltsame und variantenreiche Sammlung aus spielbaren Krimi-Kurzgeschichten.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Etwas sperrige, aber interessante Kriminalabenteuer mit vielen alternativen Entscheidungen.
PlayStation4
Technisch schwache Umsetzung - inhaltlich ähnlich unterhaltsam wie die PC-Fassung.
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