Sherlock Holmes: Crimes & Punishments08.10.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Zurück in die Vergangenheit

Nachdem die BBC-Serie Sherlock den englischen Krimi in die heutige Zeit versetzt hat, kommt auch der klassische Holmes zurück. Frogwares schickt den eigenwilligen Meisterdetektiv in sechs geheimnisvolle Fälle in London und der englischen Pampa – inklusive neuer Ermittlungsmethoden sowie alternativer Handlungsverläufe. Überzeugt das etwas steife Original nach wie vor?

Zurück ins alte London

Obwohl Frogwares versprochen hat, sich bei seinem Spiel an modernen Interpretationen des Meisterdetektivs zu orientieren, wird sofort klar, dass ich wieder den klassischen Holmes vor mir habe. Zu Beginn des Spiels ballert er zwar ähnlich eigenwillig mit der Pistole in der Wohnung herum wie in der modernen BBC-Serie, davon abgesehen erinnern sein ruhiges Auftreten und die knorrige Stimme der gelungenen Synchro sofort an Sir Arthur Conan Doyles Romanfigur, die um die Jahrhundertwende in London ermittelte. Auch die etwas hölzerne Steuerung erinnert sofort an die Vorgänger: Anders als in Point-and-Klick-Titeln laufe ich aus der Schulter-Perspektive durch die Welt. Immer wieder bleibe ich kurz an Tischen oder Türrahmen hängen. Mein nicht besonders clever durch die Welt spazierender Assistent Holmes steht mir sogar häufig im Weg herum.

Welche Verbindung zum Mordopfer hat der junge Einbrecher?
All zu wild ist das alles aber nicht – schaltet am besten zu Beginn in die Ego-Sicht und drückt dauerhaft die Lauftaste, damit die Handhabung etwas flüssiger flutscht. Auch die etwas umständlichen Menüs und Holmes zahlreiche Fähigkeiten wirken zunächst verwirrend, zumal es weder ein vernünftiges Tutorial noch eine ausführliche Anleitung gibt. Das Wirrwarr hat aber auch seine guten Seiten, schließlich bringt Holmes diesmal eine ganze Reihe neuer Ermittlungsmöglichkeiten mit, welche viel Entscheidungsfreiheit bieten. Je nachdem, wie viele Hinweise ich finde und wie geschickt ich die Fakten in Diagrammen kombiniere, verlaufen auch die Deutung und das Stellen von Verdächtigen anders. Jeder Fall besitzt gleich mehrere mögliche Enden - einer davon ist natürlich der plausibelste, welcher allerdings auch die meisten Indizien benötigt.

Gemütliche Ermittlungen

Schon die ersten Fälle haben mich sofort in die typische gemütliche Knobelstimmung versetzt, welche auch die Vorgänger auszeichnete. Durch das Episodenformat gefiel mir diesmal aber der Rhythmus noch etwas besser, weil es in überschaubaren Häppchen vorangeht und das Spiel weniger ermüdend wirkt. Der erste Mordfall lässt es klassisch angehen: Scotland-Yard-Inspektor Lestrade bittet mich, ihn auf einen Landsitz zu begleiten, auf dem ein unglücklich verheirateter, aber relativ wohlhabender ehemaliger Walfänger mit einer Harpune an die Wand seines Schuppens genagelt wurde.

Und welche Rolle spielte die Witwe - all zu glücklich schien die Ehe nicht verlaufen zu sein.
Coolerweise besorgen Holmes und Watson sich zügig ein paar Schweinehälften, um sie selbst experimentell aufzuspießen und auszutüfteln, wie viel Kraft eine Person für solch einen Akt benötigt. Kann der schmächtige Verdächtige überhaupt stark genug gewesen sein? Waren mehrere Personen beteiligt? Die Durchführung des Experiments ist leider weniger spannend als angenommen: Einfach auf das aufgezeichnete X zielen und schon durchbohrt die Harpune den Kadaver. Auch die übrigen (zum Glück überspringbaren) Minispiele haben mir nur selten Spaß bereitet: Nachdem Sherlock z.B. einen an Pfefferminz erinnernden Duft gerochen hat, muss man ein dreidimensionales Drahtgitterbild zurecht drehen und schieben, bis sein durchs Schaubild visualisierter Gedanke komplett ist und einen weiteren Hinweis einbringt: Zigarren mit solchem Duft werden nur in Mexico hergestellt. Auch das Schlösserknacken ist leidlich unterhaltsam.

Fade Minispielchen

Bei fehlenden Informationen hilft zur Not das Archiv in seinem Wohnzimmer oder das mobile Gegenstück im Kofferraum der Kutsche weiter – was durch ein entsprechendes Symbol signalisiert wird. Auch Bruder Mycroft hilft dank internationaler Verbindungen bei Hintergrundinfos über internationale Verbrechersyndikate weiter. Später ist man auch in finsteren Katakomben und Gärten unterwegs. Als ich in einem anderen Fall in der Pampa zwischen Nottingham und London nach einem verschwundenen Zug suche, nehme ich in den Bahnhöfen per Telegraph Verbindung mit Mycroft auf. Am meisten Spaß macht aber die klassische Untersuchung der überschaubaren Tatorte und das Austricksen der zunächst oft zugeknöpften Zeugen im Verhör. Um Holmes‘ übermenschliche Auffassungsgabe zu simulieren wird die Zeit kurz vorm Verhör kurz angehalten. Der Zeuge wird mit der Kamera langsam mit einem Cursor nach verdächtigen Hinweisen abgetastet.

Die Minispiele gestalten sich nicht besonders spannend, können aber übersprungen werden.
Die Witwe besitzt z.B. ein Kreuz sowie einen Buchumschlag und weitere Details, die auf eine Pilgerfahrt in jungen Jahren schließen lassen. Kurz danach muss ich sie aus mehreren Optionen auf die passende Deutung ansprechen: Wähle ich die richtige Option, erklärt Holmes ihr messerscharf, dass sie ihren Mann auf der Reise kennengelernt hat – und die Ehe in jungen Jahren offenbar deutlich angenehmer war als in letzter Zeit, seitdem sich der Mann regelmäßig zum Frustsaufen in die Gartenhütte verzog.

Auffassungsgabe und Menschenkenntnis

Später hilft einfache Menschenkenntnis weiter, um zu erkennen, dass der Bahnhofsvorsteher noch reichlich grün hinter den Ohren ist und sich daher krampfhaft an die Vorschriften klammert. Sobald ich ihm mit Watsons Unterstützung meine Autorität signalisiere und ihm zu verstehen gebe, dass seine Verschwiegenheit der Lösung eines wichtigen Kriminalfalls im Wege steht, bricht sein Widerstand erstaunlich schnell und ich bekomme schließlich Einsicht in seine Unterlagen.

Die Symbole in den Notizen geben Hinweise auf die nächsten Schritte.
Zu Beginn ist es gar nicht so einfach, sich in den kaum erklärten Symbolen des Menüs zurechtzufinden – doch nach einem Blick auf die Notizen sehe ich oft relativ schnell, was als nächstes zu tun ist: Eine neue Spur sollte ich z.B. bei Lestrade auf ihre Hintergründe abklopfen, ein gefundenes Beweisstück in meinem Labor näher untersuchen, usw. Zwischendurch wechsle ich immer wieder in Holmes Denkorgan: Seine leuchtenden Gehirnzellen dienen diesmal als Deduktionsinstrument: Ich klicke bestimmte Deutungen an, woraufhin sich unterschiedliche Gehirnzellen miteinander verbinden.

Kombiniere, kombiniere!

Danach ergeben sich neue Schlüsse und Ermittlungen. Die Stärke des Systems ist, dass sich in jedem Fall zahlreiche Möglichkeiten entwickeln, den Fall zu deuten und zu Ende zu bringen. Wollte jemand den Zug beiseiteschaffen, um eine teure Erfindung zu entwenden? Wollte der aufgebrachte Australier nur die Versicherung betrügen? Oder stecken ausländische Investorengruppen und ihre Männer fürs Grobe hinter dem mysteriösen Plan, einen ganzen Zug verschwinden zu lassen? Je nach Deutung ist jemand anderes der Schuldige – eine Wertung verrät zum Schluss, wie viele Hinweise man aufgedeckt und wie plausibel man geschlussfolgert hat.

Danach folgt eine Deutung in Sherlocks grauen Zellen.
Danach steht sogar eine moralische Entscheidung an: Decke ich den durch unglückliche Umstände in die Situation geratenen Schuldigen und bastle ihm ein cleveres Alibi für Inspektor Lestrade oder lasse ich die volle Härte des Gesetzes walten? Oder ist gar das Vertuschen durch die Einbindung von Mycrofts internationalen Beziehungen sinnvoll, um keinen internationalen Eklat heraufzubeschwören?

Technisch schwache Umsetzung

Ein Nachteil am System ist aber, dass es mich gelegentlich ratlos zurückgelassen hat. Ich hätte den Fall zwar abschließen können, doch die Indizien schienen mir nicht schlüssig genug. Habe ich lediglich einen Hinweis übersehen? Das Umdrehen eines Pferdewetten-Tickets eröffnet z.B. völlig neue Möglichkeiten bei der Befragung eines spielsüchtigen Bahnhofsvorstehers. Oder hat wieder einmal die etwas sperrige Benutzerführung dazwischengefunkt? An einer Weiche z.B. hatte ich auf Anhieb die richtige Idee, kam aber trotzdem ans Ziel. Weiter half mir schließlich Holmes bildliche Vorstellungskraft, welche sich per Knopfdruck aktivieren lässt: Erst als Holmes den Zug schemenhaft auf den Schienen entlang fahren sah, entstand meine Idee auch in seinem Kopf und eröffnete mir einen weiteren Schauplatz.

Auch ein Vorfahre von Angela Merkel hat seinen Auftritt.
Bei der Konsolen-Umsetzung hat sich das Team leider wieder kaum Mühe gegeben: Auf der PS4 sehen Personen und Kulissen eine ganze Ecke hässlicher aus. Die Details und Texturen sind nur marginal schlechter – deutlich unangenehmer fallen aber die flackernden Schattenkanten in Gesichtern auf. Auch deutlich längere Ladezeiten und weitere kleine Mankos trüben das Bild. Insgesamt bleibt es diesmal zum Glück aber bei solchen Kleinigkeiten - davon abgesehen läuft das Spiel immerhin um einiges besser als die technisch sehr schwachen Konsolen-Fassungen des Vorgängers. Die Steuerung funktioniert übrigens auch auf dem PC besser mit dem Controller – die leicht schwammige Navigation per Maus und Tastatur wirkt eher wie nachträglich behelfsmäßig umgesetzt.

Fazit

Die Entscheidung für das Episodenformat hat Sherlock Holmes gut getan: Die sechs gut portionierten Krimi-Häppchen machen das Ermitteln weniger ermüdend als bisher. Meist hatte ich Spaß an den interessanten, teils übersinnlich angehauchten Fällen. Die hübsch gestalteten Schauplätze sowie zahlreichen Ermittlungsmethoden fangen das Flair des Vorbilds gut ein und die alternativen Deutungsmöglichkeiten machen das Spiel deutlich vielseitiger als klassische Point-and-Klick-Adventures. In der Umsetzung hapert es allerdings: Irgendwie wirkt alles etwas zu steif und sperrig. Die etwas hölzerne Handhabung, fade Minispielchen und die schlecht erklärte Vielzahl an Ermittlungs- und Deutungs-Möglichkeiten sorgten gelegentlich dafür, dass ich auf der Suche nach einem wichtigen Hinweis im Dunkeln tappte. Auf der PS4 kommen noch kleine technische Probleme dazu, welche den Spaß aber weit weniger ausbremsen als in früheren Konsolenumsetzungen. Trotz einiger Mankos bietet der Titel also eine unterhaltsame und variantenreiche Sammlung aus spielbaren Krimi-Kurzgeschichten.

Pro

interessante, teil übersinnlich angehauchte Verbrechen
viele alternative Deutungsmöglichkeiten und Enden
detailverliebte Kulissen
urige englische Schauplätze
gemütliche Knobelstimmung
professionelle Vertonung...
feine Gesichtsanimationen
klassischer Holmes wird gut getroffen
sechs gut portionierte kleine Fälle
einige lustige Ideen und Experimente
trockener Humor

Kontra

zahlreiche Fähigkeiten und Deutungsmethoden stiften gelegentlich Verwirrung
Mechanismen und alternative Möglichkeiten werden kaum erklärt
etwas steife, hölzerne Handhabung
Dr. Watson versperrt häufig den Weg
hohe Hardware-Anforderungen (PC)
...einige Dialogzeilen wiederholen sich aber zu oft
fade Minispiele
lange Ladezeiten (vor allem auf PS4)
flackernde Schatten (PS4)
nur deutsche Untertitel und englische Synchro

Wertung

PC

Etwas sperrige, aber interessante Kriminalabenteuer mit vielen alternativen Entscheidungen.

PlayStation4

Technisch schwache Umsetzung - inhaltlich ähnlich unterhaltsam wie die PC-Fassung.

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