Wie im Kino
Gegen Schluss verzettelt sich Nomura allerdings bei dem Versuch, alle Spiele erzählerisch unter einen Hut zu bringen und alle offenen Fäden miteinander zu verknüpfen. Die Lösung, die er anbietet, ist zwar im Rahmen des Spielerlebnisses plausibel, wirkt aber an einigen empfindlichen Stellen arg bemüht und gelegentlich etwas überkonstruiert, bevor er zum emotionalen Rundumschlag ausholt, der wieder versöhnlich stimmt. Dass er es auch anders kann, zeigt er über einen Großteil der Aufenthalte in den Disney-Welten. Das hier verwendete Quellmaterial wurde sinnvoll um die Motivationen von Sora, den Gegenspielern oder der Organisation XIII erweitert und nahtlos in die vorhandenen Basis-Drehbücher integriert. Ob es jetzt um das erkaltete Herz von Elsa in Frozen geht, die Frage nach der „Menschlichkeit“ von Roboter Baymax oder um das Herz von Davy Jones, das in einer Kiste pocht und das erklärte Ziel von Captain Jack Sparrow ist: Kingdom Hearts 3 stellt die Frage nach Menschlichkeit ebenso unauffällig, aber effektiv wie nach unterdrückten Emotionen, Schuldgefühlen oder dem Bedürfnis nach Gemeinschaft. Und wie sieht es mit dem Verständnis aus, wenn man bislang noch keine Bekanntschaft mit Herzlosen, Organisation XIII und den Helden gemacht hat? Nomura gibt sich Mühe, auch diese Spieler ins Boot zu holen und liefert neben einem umfangreichen und stets aktualisierten Glossar einige Basis-Erklärungen, die helfen.
Die Welten, in denen man sich herumtreiben darf, sind kaum von ihren Filmvorbildern zu unterscheiden.
Dennoch werden etwa zehn bis 15 Prozent der Anspielungen bzw. Bezüge an Kingdom-Hearts-Neulingen vorbeiziehen. Angesichts des sowohl inhaltlich als auch zeitlich komplexen Story-Gewirrs, das über fast 20 Jahre aufgebaut wurde, ist dies allerdings ein ordentliches Verhältnis, das den Spielspaß in keiner Form gefährdet. Allen besuchten Bereichen ist eines gemeinsam: Die verwendete Unreal-Engine sorgt für ein effektgeladenes und hinsichtlich der verwendeten Lizenzen sehr authentisches Erlebnis. Die Welt der mittlerweile nach Kindergelächter und nicht mehr nach Schreien jagenden Monster Sully und Mike Glotzkowski fällt zwar leicht aus dem Rahmen. Doch in Frozen (natürlich inkl. einer gelungenen Verwendung von „Let It Go“) hat man tatsächlich eher das Gefühl, den Film anzuschauen – Sora & Co wurden nahtlos integriert. Auch in der Welt des Königreichs von Corona, dem Schauplatz von Rapunzel – Neu verföhnt, der Toy Box, die natürlich zu Toy Story gehört oder der Karibik, in der man parallel zu den Geschehnissen des zweiten Films Dead Man’s Chest unterwegs ist, ist die visuelle Umsetzung extrem gelungen. Allerdings hat es mich aus dramaturgischer Sicht immer wieder gestört, dass Sora und seine Gefährten im Stile klassischer Japan-Spielekunst (als man noch nicht mit üppiger Sprachausgabe arbeiten konnte) ihre Gestik etwas zu klischeehaft einsetzen. Immerhin wurde dieses Verhalten bei den Disney-Figuren auf ein Minimum reduziert
Nicht ganz wie im Kino
Auch Rapunzel: Neu Verföhnt gehört zu den Filmen, die Vorbild für eine Welt waren. Allen Vorbildern ist übrigens eine sehr gelungene Einbindung in die Kingdom-Hearts-Geschichte gemeinsam.
Es wird allerdings auch deutlich, dass man hinsichtlich des Quellmaterials nicht immer mit den Original-Sprechern oder den –Musiken arbeiten durfte bzw. konnte. Vor allem bei Buzz Lightyear und Cowboy Woody fällt das Fehlen von Tim Allen und Tom Hanks auf – auch wenn der Ersatz seinen Job ordentlich erledigt. Gleiches gilt für Jack Sparrow, Elizabeth Swann sowie den anderen Piraten: Gut, professionell und technisch hochwertig, aber eben nicht das perfekte Original. Im Gegensatz dazu wurden für die Frozen-, Rapunzel- oder Baymax-Segmente die richtigen Sprecher verpflichtet, wodurch die ohnehin hohe Atmosphäre den Turbo zündet. Und nicht zuletzt ist Haley Joel Osmont (The Sixth Sense) wieder in die Rolle von Sora geschlüpft, die er vor fast 20 Jahren als Kind das erste Mal übernahm. Auf deutsche Sprachausgabe wird verzichtet, die optionalen Untertitel gehen in Ordnung, wirken aber (ebenfalls in Serientradition) mitunter etwas bemüht. Bei der Musik greift man in den meisten Abschnitten auch auf bekannte Kompositionen zurück. Doch ausgerechnet bei den actionlastigen Ausflügen mit Piratenschiffen samt arcadiger Seegefechte, die teils selbst die aus Assassin’s Creed Odyssey verblassen lassen, tönen nur „ähnliche“ statt der im Original treibenden Melodien aus den Lautsprechern. In solchen Fällen verlieren die häufigen Zwischensequenzen, die man sich nach Abschluss einer Welt auch nochmals im „Kino“ zu Gemüte führen kann, etwas an Reiz. Wobei man ohnehin Geduld mitbringen muss. Wie in den Vorgängern, aber auch anderen klassischen japanischen Abenteuern oder Spielen aus der Feder von Hideo Kojima kommt es immer wieder zu ausufernden Cutscenes, bevor nahtlos in die Action überblendet wird und man die Kontrolle über Sora wieder übernimmt. Wer also schon bei Metal Gear Solid das Gefühl hatte, es würde mit Zwischensequenzen übertrieben, sollte Kingdom Hearts 3 mit Vorsicht genießen. Zwar steht hier die Action mitsamt Levelerforschung klar im Vordergrund, dennoch wird ein beachtlicher Teil der Gesamtspielzeit darauf verwendet, die Geschichte anzutreiben.