Lone Wolf18.11.2013, Jörg Luibl
Lone Wolf

Im Test:

Abenteuer-Spielbücher erleben gerade eine Renaissance auf iPad & Co. Kein Wunder, denn auf Tablets kann man die Lektüre bereichern. Aber die Art und Weise unterscheidet sich in der digitalen „Fighting Fantasy“ stark: Während  „House of Hell“ die Texte sehr klassisch abbildet, experimentiert „Sorcery!“ mit Schriftbild, Akustik und Grafik. Welche Richtung schlägt Lone Wolf ein, dessen Hintergrundwelt hierzulande als „Einsamer Wolf“ bekannt ist?

Auf den Spuren von Infinity Blade

Das sieht richtig klasse aus, wenn sich die schwarzen Schraffuren des Kai-Lords plötzlich bewegen,  langsam Farbe annehmen und er schließlich in einer dreidimensionalen Kulisse vor fauchenden Giaks sein Schwert zieht – eine klasse Überleitung. Zwar erreicht man nicht die Qualität von Infinity Blade, aber Lone Wolf ist bisher das ansehnlichste Fantasy-Spielbuch.

Und das nicht nur hinsichtlich des 3D-Renderings, sondern auch aufgrund des edlen Artdesigns: Das vergilbte Papier, die metallenen Embleme, die schönen Zeichnungen. Hier bekommt man richtig Lust auf die drei Akte, in denen man übrigens klassisch die Seiten wie in einem Buch umblättert; entweder ziehend oder als Doppeltipper.

Es sieht klasse aus, wenn die Perspektive von der Zeichnung in die...
Es sieht klasse aus, wenn die Perspektive von der Zeichnung in die...
Noch bevor man seinen Charakter entweder Richtung Stärke, Geschick oder Intelligenz ausrichtet, freut man sich auch über die wehmütig dahin gleitende Musik. Die italienischen Entwickler beweisen ein sehr gutes Händchen für stimmungsvolle Präsentation. Umso neugieriger erstellt man seine Variante des Kai-Lords, der als „Einsamer Wolf“ auch hierzulande seit 1984 in zwölf übersetzten Büchern von Joe Dever die Hauptrolle spielte, um das mittelalterliche Sommerlund vor Gefahren zu bewahren.

Interessante Charaktererstellung

Man darf sich für Axt, Schwert oder Streitkolben, Meditation, Überleben, Tierverständnis, Waffenkunde, Heimlichkeit sowie arkane Talente wie den Gedankenstrahl entscheiden. Je nach Ausrichtung seines Lords hat man später andere Mittel zur Verfügung: Nur starke Charaktere brechen Türen auf, nur geschickte knacken Schlösser und nur wer sich mit den Wölfen versteht, wird nicht nur Geheimwege um eine Lawine herum finden, sondern darf sie auch in den knackigen 3D-Kämpfen herbeirufen. Dadurch entsteht natürlich auch ein

...dreidimensionale Kulisse wechselt.
...dreidimensionale Kulisse wechselt.
gewisser Wiederspielwert.

Die Kämpfe in 3D-Arenen sind zunächst das Highlight des Abenteuers: Während die Zeit abläuft, muss man schnell agieren und aus allerlei Aktionen wählen, die mit einem Kreis auf dem Charakter markiert sind. Dazu gehören schnelle, schwere und kombinierte Hiebe mit dem normalen Schwert, Verteidigung oder Rammen mit dem Schild, einzelne oder multiple Würfe mit den kleinen Messern, arkane bzw. psionische Attacken sowie der vernichtende Spezialangriff mit dem glimmenden „Sommerswerd“ – den sollte man sich allerdings gut aufsparen. Man startet also nicht als Anfänger auf dem Weg zum, sondern besitzt als Kai-Lord schon viele martialische Fähigkeiten. Und die braucht man auch, denn es geht knackig zur Sache.

Im Kampf gegen meist drei orkähnliche Giaks muss man die richtige Wahl treffen, denn man verliert sowohl Aktionszeit als auch Ausdauer oder mentale Energie. Außerdem muss man die gewählte Aktion in einem Reaktionstest meistern: Schnelle Hiebe verursachen wenig Schaden und funktionieren automatisch. Aber hat man sich z.B. für den kombinierten Hieb entschieden, der auch wesentlich mehr Schaden verursacht, muss man erst rechtzeitig einen Halbkreis, dann eine Richtung mit dem Finger nachahmen, wenn blau leuchtende Pfeilsymbole auftauchen. Bei Wurfmessern muss man im richtigen Moment auf die drei Punkte tippen; bei Spezialangriffen oder Finishern meist ganz schnell auf einen Punkt - alles begleitet von entsprechenden Animationen.

Schön ist, dass man auch plötzlich defensive Reaktionstests ausführen muss, wenn die Feinde an der Reihe sind – so ist man während des Kampfes stets alarmiert, kann sich nicht zurücklehnen. Dieses System aus Zeitdruck, taktischer Wahl und Reaktionstest ist recht spannend und durchaus fordernd, selbst wenn man auch Heiltränke einschmeißen kann; sehr lobenswert ist nämlich: das tun auch die Feinde! So stirbt man durchaus öfter als einem lieb ist.

Schade ist allerdings, dass man sich irgendwann an die immer gleichen Giaks und ihre Taktik gewöhnt hat; es gibt lediglich noch die Drakkarim, die zwar als große Bosse und Befehlsgeber inszeniert werden, allerdings keine kreative Gefahr darstellen. Man konzentriert einfach allen Schaden auf sie und gut. So entsteht aufgrund fehlender

Mit der Zeit kann man den Kai-Lord und seine Talente entwickeln.
Mit der Zeit kann man den Kai-Lord und seine Talente entwickeln.
Variation hinsichtlich der Monster und Kulissen doch eine gewisse Routine.

Sommerlund in Gefahr

Worum geht es überhaupt? Da wären wir bei einem weiteren Schwachpunkt, zumal man hier nicht etwa die Buchreihe von Anfang an nachspielt. Diese komplett neue Story und ihre Dialoge bleiben auf einem recht gewöhnlichen Niveau voller Klischees und durchsichtiger Motive, das man wohlwollend mit klassisch oder heroisch bezeichnen kann. Man erkundet ein von Giaks überfallenes Dorf namens Starnfels, begegnet Überlebenden, wählt zwischen Routen zu diversen Gebäuden und sucht dabei natürlich nach Ursachen. Als Kai-Lord ist man quasi der Lehnsherr dieser Region Sommerlunds; die Attacke muss während der Abwesenheit aus heiterem Himmel stattgefunden haben.

Zwar wurden die Texte sehr gut ins Deutsche übersetzt, aber es liest sich teilweise steif – vor allem, wenn der Einsame Wolf dem ersten weiblichen Charakter begegnet. Im Vergleich zum kreativen Storytelling und der ebenso exotischen wie überraschenden Story in Sorcery! wirkt die Erzählung in diesem viel zu kurzen (nach einer Stunde ist Schluss!) ersten von vier Kapiteln „Blutiger Schnee“ eher bieder. Sie ist kein Reinfall, aber erinnert an zig Abenteuer-Module zu Pen&Paper-Rollenspielen.

Immerhin darf man auch moralische Entscheidungen treffen: Begleitet man die Frau oder

Man trifft Entscheidungen, die sich auf die Story auswirken.
Man trifft Entscheidungen, die sich auf die Story auswirken.
lässt man sie allein weiter kämpfen? Rettet man den Verbrecher im Verlies oder überlässt man ihn den Giaks? Je nach Wahl sind die Bewohner vielleicht empört. Es gibt natürlich noch viele andere Entscheidungen, die sich nach jedem Akt übrigens auf die Charakterentwicklung auswirken.

Karriere & Schätze

Wer eher vorwärts stürmt, wird an Stärke gewinnen; wer beobachtet und nachdenkt, wird an Intelligenz gewinnen – ein guter Mechanismus,der nicht nach schnöden Erfahrungspunkten geht, sondern die Art des Spielens berücksichtigt. Aber gerade vor wichtigen Szenen vermisst man mehr taktische Freiheit in der Entscheidung, ob man z.B. kämpfen oder schleichen will – oft wird man einfach in die Action gezwungen.

Schön ist wiederum, dass man allerlei Beute und Schätze finden kann. Nach einem Kampf darf man plündern und seine Taschen füllen. Neben Tränken und Waffen können das auch Zutaten wie Leder oder Holz sein. Und damit kann man später beim Schmied seine Rüstung oder Klingen aufwerten. Aber Vorsicht: Zu Beginn ist der Platz im Inventar sehr begrenzt. Investiert man lieber in einen weiteren Beutel oder die Armbrust? Immerhin gibt es explosive und betäubende Bolzen. Aber es gibt auch Bomben oder Tränke. Die Qual der Wahl versüßt den Einkauf.

Fazit

Die Abenteuer-Spielbücher „Einsamer Wolf“ machen mir heute noch Spaß. Ich habe letztes Jahr zu Weihnachten erst wieder mit der Neuauflage von Band 1 angefangen. Umso neugieriger war ich auf diese digitale Variante, deren erstes Kapitel „Blutiger Schnee“ für knapp fünf Euro erhältlich ist. Fest steht: Hinsichtlich Artdesign, Kulisse und Musik ist das bisher das Beste, was man an „Fighting Fantasy“ für das Tablet bekommt – Gratulation für diese hochwertige Präsentation. Auch das taktische Kampfsystem sorgt mit seinen Reaktionstests für Spannung. Und ich bin positiv überrascht vom Schlossknacksystem, das so manches ausgewachsene Rollenspiel übertrifft. Drei Dinge sind allerdings ärgerlich: Erstens ist es mit einer Stunde wirklich schrecklich kurz. Zweitens erreichen Story und Dialoge nur gewöhnliches Niveau. Und drittens wird man zu oft in die Arenen mit den immer gleichen Monstern gezwungen. Trotzdem hat dieser edle Happen durchaus Appetit auf mehr gemacht - ich bin gespannt, wie sich die weiteren Kapitel schlagen, zumal sich erst dort einige Entscheidungen auswirken dürften. Wer jetzt schon wesentlich länger, kreativer und überraschender unterhalten werden will, sollte Sorcery! spielen.

Pro

sehr edles Artdesign
durchdachte Benutzeroberfläche
tolle Überleitungen von 2D zu 3D
ansehnliche Renderkulissen
interessantes Kampfsystem mit Reaktionstests
Nah- & Fernkampf, Magie & Spezialattacken
Werte, Waffen & Rüstung verbessern
gutes Schlossknacksystem
Charakter erstellen & verbessern
taktische & moralische Entscheidungen
kleines Nachschlagewerk
sehr stimmungsvolle Musik
deutsche Texte

Kontra

gewöhnliche Fantasy-Story
teilweise steife Texte & Dialoge
Kulissen & Feinde wiederholen sich
nicht immer freie Entscheidungen vor Kämpfen
nur etwa eine Stunde Spielzeit
nur englische Sprachausgabe

Wertung

iPhone

Auf dem iPhone nicht ganz so spektakulär wie auf dem iPad.

iPad

Hinsichtlich Artdesign, Kulisse und Musik ist das bisher das Beste, was man an Fighting Fantasy für das Tablet bekommt – Story und Umfang enttäuschen allerdings.

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