Im Test:
Märchenhafte Parallelwelt
Blaubart, Schneewittchen, Hexen und Kobolde mitten in New York? Hört sich komisch an, ist aber so: Denn Fabelwesen aus aller Welt wanderten irgendwann aus, um in Manhattan ein neues Zuhause zu finden. Seitdem gibt es neben Chinatown auch ein Fabletown voller Exilanten in Übersee. Und damit ein Beowulf’sches Ungeheuer wie Grendel zwischen den normalen Bewohnern nicht sofort auffällt, sorgt ein sehr teurer Verhüllungszauber namens „Glamour“ für ein menschliches Antlitz – es gibt also eine märchenhafte Parallelwelt in der Gegenwart. Aber die ist alles andere als schön und heile.
Allzu menschliche Übel wie Alkohol, Drogen und Prostitution verlangen nach einem Sherriff, der die Fabelwesen untereinander schützt. Und wer eignet sich da besser als Isegrim mit seinen Instinkten und seiner Kraft? In der Rolle von Bigby Wolf und seiner Assistentin Snow aka Schneewittchen bekommt man es gleich mit einem besonderen, weil überaus seltenen Verbrechen zu tun: Einem grausamen Mord innerhalb der Gemeinschaft. Wer könnte dieses Tabu brechen? Und warum würde man den Kopf einer Leiche so offensichtlich für alle platzieren?
Ermittlungsarbeit im Comiclook
Ob sich die Anzahl dieser Wutausbrüche noch auswirkt? Telltale inszeniert jedenfalls keine kitschige Superhelden-, sondern eine knallharte Krimi-Story für Erwachsene mit mal gefühlvollen, mal brutalen Szenen und düsterer Grundstimmung. Nicht nur in dieser Regie bleibt man sich und „The Walking Dead“ treu, auch die Kulisse setzt auf den bewährten Comiclook. Das Artdesign ist zwar an die Serie „Fables“ von Vertigo angelehnt, besticht aber mit einem eigenen, überaus markanten Stil. Es sorgt mit seiner dicken schwarzen Strichführung, den satten Farben sowie dem Kontrast von Schatten und Neonlichtern umgehend für dekadentes Großstadtflair – und die Story spielt übrigens vor den Ereignissen des ersten Comics.
Kleine Schauplätze, wenig Interaktion
Dabei geht es in der Ermittlung nicht um klassische Point&Click-Rätsel mit Kombinationen, sondern eher um einfaches Sammeln von Indizien. Oder kommt da in den folgenden Episoden noch mehr? Zwar kann man einige dieser Dinge später benutzen. Schade ist dennoch, dass es für diese Ringe, Streichhölzer und Stofffetzen kein Inventar mit Dreh- und Zoomfunktion für die weitere Analyse gibt. Dafür gibt es ein stetig aktualisiertes Archiv, wo alle bisher entdeckten Fabelwesen etwas ausführlicher beschrieben werden – ideal, um etwaige Lücken in der Story zu schließen.
Entscheidungen und Konsequenzen
Der Star des Spieldesigns ist nicht die anspruchsvolle Knobelei, sondern es sind die mitunter rätselhafte, charmanten oder grotesken Charaktere und vor allem die Entscheidungen, die teilweise umgehend Konsequenzen haben. Meist muss man in Dialogen bei ablaufender Zeit eine von mehreren Antwort wählen: Ist man freundlich oder schroff? Behält man ein Geheimnis oder plaudert man? Trotz des Comicdesigns entstehen sehr stimmungsvolle Situationen, in denen die lebendige Mimik und sehr gute englische Sprecher (man kann auch Untertitel einblenden) für Emotionen sorgen – man trifft auf
Die Gespräche sind manchmal wie mehrstufige Rätsel angelegt. Um einen Zeugen z.B. als Lügner zu entlarven, muss man ihn auf die unschlüssigen Stellen seiner Geschichte hinweisen. Was man in den Dialogen bewirkt, wird dann kurz in der oberen linken Bildschirmecke angezeigt: Das kann etwas wie „Mr. Toad will remember this“ oder „Caught in a lie“ oder „Snow agrees“ sein. Ab und zu wechselt die Perspektive auch in eine Zeitlupe und man muss sich für A oder B entscheiden: Ermittelt man zuerst beim Frosch oder beim Prinzen? Verfolgt man den Jäger oder den Detektiv? Je nachdem, wie man hier vorgeht, ändern sich Schauplätze und es gibt andere Folgen.
Dabei geht es in den Actionszenen hart zur Sache: In einigen Kämpfen muss man mehrere anspruchsvolle Reaktionstests meistern, bei denen neben dem rechtzeitigen Drücken von WASD auch das mehrmalige Tippen auf Q zum Einsatz kommt, wenn man z.B. treten, schlagen, ausweichen oder aus einem Würgegriff entkommen muss. Egal ob Prügelei oder wilde Verfolgung: All diese Szenen werden sehr packend, stellenweise brutal choreografiert, so dass man sich bei dem einen oder anderen „Autsch“ ertappt.
Fazit
Glückwunsch an Telltale: Das ist ein sehr guter Start! Man erlebt in etwas mehr als zwei Stunden keinen Comic-Kitsch mit Märchenfiguren, sondern eine knallharte Krimistory für Erwachsene – vor dem interessanten Hintergrund einer fantastischen Parallelwelt New Yorks, in der sich Figuren von Schneewittchen bis Grendel tummeln. Dabei hat mich die düstere Stimmung immer wieder an Vampire: Die Maskerade Bloodlines erinnert. Auch wenn die Schauplätze sehr klein und Rätselanspruch kaum vorhanden ist: Freut euch auf markante Charaktere, beeinflussbare Dialoge, mehrstufige Reaktionstests und vor allem Handlungen mit Folgen. Und weil meine Ernüchterung nach Beyond: Two Souls noch frisch ist, muss ich nochmal betonen: Telltale kann natürlich technisch nicht konkurrieren, aber macht es hinsichtlich der Regie in vielen Momenten besser. Hier geht das Prinzip des 3D-Adventures mit emotionalem Storytelling schlüssiger auf, weil Entscheidungen und Spannungsmomente spürbarer und besser verzahnt sind. Es bleibt natürlich abzuwarten, inwiefern sich die Story nach den bisherigen Situationen verzweigt. Aber schon in dieser ersten Episode kann man einiges anders machen, so dass sich ein erneutes Spielen lohnt. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil.
Pro
Kontra
Wertung
360
Markante Charaktere, tolle Story und Entscheidungen mit Konsequenzen - ein sehr guter erster Teil.
PlayStation3
Markante Charaktere, tolle Story und Entscheidungen mit Konsequenzen - ein sehr guter erster Teil.
PC
Glückwunsch an Telltale: Das ist ein verdammt guter Start! Man erlebt in etwas mehr als zwei Stunden eine knallharte Krimistory für Erwachsene.
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