Im Test: Das stolpernde Rollenspiel
Das spazierende Rollenspiel
Was für ein angenehm bedächtig inszenierter, aber nichtsdestotrotz unterhaltsamer Einstieg. Statt einen klassischen Helden zu erstellen und große Taten zu vollbringen, geht es im Prolog erstmal rein in den scheinbar unspektakulären mittelalterlichen Alltag - und das für mehrere Stunden. In der Rolle des Schmiedesohns Heinrich fühlt man sich zunächst wie ein ungezogener Junge, wenn man nach einer durchzechten Nacht zu lange gepennt hat, die Mutter nervt und der Vater einen nach strengen Ermahnungen mit lästiger Arbeit versieht. Und weil man ja ein Mann sein will, soll man nicht nur Kohle für die Esse besorgen, sondern auch noch Schulden eintreiben. Ein Schwert? Ja, das gibt es. Aber nicht für Heinrich, sondern nur für den adligen Herren von Radzig, der es bald abholen will.
Zunächst wird man in einigen Übungen mit der Steuerung in Egosicht sowie dem Dorf und den etwas verschachtelteten, aber wunderbar illustrierten Menüs mit ihren Wappen und Malereien vertraut gemacht. Man lernt seine Familie, das nützliche Feilschen, den trägen Faustkampf sowie das störrische Reiten kennen, freut sich über die vielen
informativen Lexikoneinträge im Kodex und darüber, dass man nicht nur seine Ausdauer, sondern auch Traglast, Hunger und Müdigkeit beachten muss. Man trifft auch erste Entscheidungen mit Folgen, ob man z.B. den Kumpels hilft, einem verhassten Deutschen eine Lektion zu erteilen. Vielleicht wirkt diese Szene etwas zu modern und gerade zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz nachvollziehbar, denn auch Wenzel IV. war ja ein deutscher König, also ein Fremder aus dem Hause Luxemburg, und beide Bevölkerungsgruppen lebten bereits über eine Generation miteinander in Böhmen. Aber das Kontrastbewusstsein zwischen Tschechen und Deutschen war sowohl sprachlich als auch später vor allem religiös im 15. Jahrhundert durchaus vorhanden - der Konflikt ist also denkbar, nur gab es zwischen den beiden Völkern auch Heirat und Austausch. Nicht falsch verstehen: Die Wirkung der fiktiven Dramaturgie steht natürlich im Vordergrund, denn das Spieldesign ist der König, der angestrebte Realismus nur der Thron.
Der Feind heißt Sigismund
Und dann bricht der richtige Krieg aus: König Sigismund von Ungarn, Wenzels deutscher Halbbruder, der übrigens von selbigem auf Geheiß der böhmischen Adligen ins Land gerufen wurde (mehr dazu in diesem Video), erscheint mit seinen
kumanischen Söldnern und lässt keine Gnade walten. Jeder, der sich nicht in die Burg retten kann, wird brutal niedergemacht. So muss Heinrich mit ansehen, wie sein Vater und seine Mutter erschlagen werden. Er prägt sich das Gesicht des Mörders ein und schwört Rache. Das ist die nicht gerade einfallsreiche, aber zeitlose und überaus verständliche Motivation für die damit verknüpfte Hauptquest. Das Feindbild ist klar, besteht aus den Deutschen um Sigismund sowie aus den Kumanen, die entfernt an Mongolen erinnern und so verteufelt werden, dass man für jedes abgeschnittene Ohr gleich 100 Groschen bekommt. Das Problem ist nur, dass Heinrich weder besonders gut kämpfen noch reiten oder gar adligen Einfluss einsetzen kann. Das wird ihm schmerzlich bewusst, als man ihm nach einem sehr kurzen Schlagabtausch auch noch das von seinem Vater geschmiedete Schwert des Fürsten stiehlt. Ein Held ist er noch nicht, dazu auch noch ein Analphabet.
Aber für die Entwicklung seiner Athletik und Fähigkeiten hat man genug Zeit, zwischen 30 und 50 Stunden, zumal er nach tapferem Einsatz in die Dienste eines Fürsten aufgenommen wird. Man darf sich durch den filmisch hochwertig inszenierten Überfall nicht täuschen lassen: Während die meisten Fantasy-Abenteuer meist direkt in die Action galoppieren, spaziert dieses Rollenspiel. Man muss sich langsam hoch arbeiten, kann vielen Nebenquest und Aktivitäten nachgehen und verbessert durch Gebrauch nur schrittweise
seine Werte. Wer viel rennt bekommt mehr Vitalität; wer überzeugt entwickelt die Rhetorik; wer kämpft steigert die Stärke; wer viel säuft wird trinkfester etc. Erreicht man auf diese Weise bestimmte Stufen, kann man weitere Fähigkeiten ausführen wie z.B. spezielle Kombos im Kampf oder lautloses Töten beim Schleichen. Hinzu kommen Fertigkeitenbücher oder Ausbilder, die einen in mehreren Stufen z.B. im Schlösser knacken, Bogenschießen, Reparieren, Lesen, Reiten etc. trainieren. Manches davon hilft dann auch in den Dialogen als Mittel der Überzeugung! So entsteht das angenehme Gefühl, dass man mit tüchtiger Arbeit auch seines Glückes Schmied werden und sich in zig Richtungen frei entwickeln kann. Dieses entschleunigte Erlebnis trägt zusammen mit dem authentischen Anspruch dazu bei, dass man die natürlichen Landschaften mit ihren idyllischen Wäldern und die Figuren bewusster wahrnimmt, sowohl visuell als auch inhaltlich. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Und Letztere führen dazu, dass aus dem gemütlichen Spazieren oftmals ein frustrierendes Stolpern wird.
Aus Vorfreude wird Kaufwarnung
Schon in der Vorschau habe ich dieses ambitionierte Projekt aus Tschechien gelobt, aber war noch nicht sicher, ob man es auch nachvollziehbar einleiten würde, ob man das persönliche Schicksal glaubhaft mit den Wirren des Bürgerkriegs verknüpfen könnte - das hat man geschafft, zumal die deutschen Sprecher ebenso überzeugen wie die gut geschriebenen Dialoge. Die Rede von Burggraf Diwisch vor dem Stellvertreter König Sigismunds, der kurz vor dem Angriff steht, ist sehr überzeugend und sorgt für eine glaubwürdige außenpolitische Atmosphäre, in der es nicht um einen Kampf der Kulturen oder Nationen, sondern einzig und allein um Machtinteressen einzelner Fürsten geht. Schön auch, dass das Schisma der Kirche sowie die Schlacht von Nikopolis mit Veteranen nebenbei thematisiert wird - all das erzeugt einen glaubwürgigen Rahmen.
Ich habe mich als studierter Historiker und Rollenspieler sehr auf diesen authentischen Ansatz gefreut, der übrigens immer noch ein Abenteuer rund um Rache und keine mitelalterliche Lebenssimulation inszenieren will - dafür scheitert das Spiel auch viel zu oft am Alltäglichen, denn der Kontakt mit anderen Figuren wirkt manchmal zu künstlich und robotisch. Zwar kann man sein Schwert in einem Minispiel aktiv schleifen, Essen verdirbt und es lassen sich viele Tränke brauen, doch es geht weder um simulierte Arbeit noch wirklich reale Zustände. Das ist auch egal: Man wollte das Spätmittelalter schließlich in vielen Facetten nachahmen.
Und das gelingt den Warhorse Studios sowohl visuell als auch hinsichtlich der politischen Ausgangssituation, die die verworrene Machtsituation des Jahres 1403 recht gut widerspiegelt - mehr dazu in unserer kleinen historischen Einführung in zwei Teilen. Zum anderen gelingt dem Team um Daniel Vávra in vielen kulturellen Bereichen durchaus ein ferner Spiegel: Man fühlt sich manchmal nicht nur anhand von Architektur, Kleidung und Bewaffnung, sondern auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Hierarchien sowie Sitten und Gebräuche zurückversetzt ins alte Böhmen. Auch die von Beginn an spürbare Kritik an der Kirche passt wunderbar in diese Zeit. Zwar gibt es auch einige Abstriche, die diese historische Immersion immer wieder empfindlich stören, aber das Kampfsystem kann wichtige Akzente setzen, die einem realen Hauen und Stechen näher kommen als die üblichen Arcade-Gefechte.
An dieser Stelle würde ich sehr gerne mit Szenen beginnen, die Schwertkämpfe, kreative Aufgaben sowie das Spielgefühl beschreiben - die Liste meiner Pluspunkte ist sehr lang. Ich werde dazu auch noch einiges sagen, denn das tschechische Team hat in einzelnen Bereichen so viel richtig gemacht, dass sich so manches "moderne" Rollenspiel eine Scheibe abschneiden könnte.
Allerdings ist die Liste der Kritikpunkte fast genauso lang, so dass von gewissenhafter Qualitätssicherung keine Rede sein kann. Kingdom Come: Deliverance spielt sich trotz der fast fünf Jahre Entwicklung und trotz des über 20 Gigabyte (!) großen Patches manchmal wie eine Beta. Deshalb muss es jetzt auch in diesem Test zu einem Bruch kommen, der angesichts des Potenzials dieser Spielwelt empfindlich schmerzt. Denn es ist einfach nur frustrierend, wenn man durch Abstürze oder Fehler immer wieder aus diesem Abenteuer heraus gerissen wird. Vor allem auf Konsolen muss ich derzeit vor einem Kauf warnen.
Zu viele Defizite trotz Patch
Wurde im Einstieg aufgrund der guten Regie und gelungenen Dialoge noch viel an Vorfreude geweckt, dominierten irgendwann nach zwanzig Stunden die Flüche auf der Couch - zu wankelmütig und brüchig wurde das Spielerlebnis. Kaum erlebte ich eine harmonische Stunde zu Pferd, im Wald oder in der Schenke beim Würfeln, wurde ich in wichtigen Quests wieder von KI-Slapstick, Logikfehlern oder einem Bluescreen ernüchtert. Und an Abstürze auf der Konsole kann ich mich absolut nicht gewöhnen - das geht gar nicht! Auf dem Rechner gab es bisher keinen Absturz, weshalb wir eine ganze Schulnote höher werten. Aber auch dort sorgen viele ärgerliche Fehler dafür, dass die Tugenden überdeckt werden, die dieses Rollenspiels so potenziell glänzen lassen könnten.
Es geht nicht nur um Kleinkram, also um Rollrasen oder Clippingfehler, weil Figuren ineinander oder in Mauern stehen. Oder dass sich die Mütze des sechs Meter entfernten Müllers erst nach zwei Metern materialisiert. Hinzu kommt neben Bildratenproblemen und langen Ladezeiten auf allen Systemen eine unheimlich schlechte Tonabmischung, wenn es plötzlich so leise wird, dass man ohne aktivierte Untertitel rein gar nichts versteht. Wie kann das keinem bei der Prüfung auffallen? Manchmal wird trotz sehr gelungener Lokalisierung ins Englische gewechselt, lippensynchron ist auf Deutsch zwar nichts, aber das ist nicht schlimm. Trotz der angeblich so vielen "Makro- und Mikro-Details der CryEngine" können weder Mimik noch Gestik oder Animationen mit aktuellen Triple-A-Abenteuern der Marke Uncharted 4 oder Horizon Zero Dawn mithalten. Und die Kamera bewegt sich in Dialogen manchmal so unglücklich hinter oder gar in Köpfe oder Mauern, dass der Gesprächspartner nicht erkennbar ist. Selbst all das wäre verschmerzbar, weil Kingdom Come immer noch ansehnlich und stimmungsvoll genug ist, aber dabei bleibt es nicht.
CryEngine nicht im Griff
Auch auf dem PC werden ständig Texturen nachgeladen, selbst in kleinen Regionen. Aber vor allem auf Konsolen kommen schwere technische Defizite hinzu, die demonstrieren, dass die Warhorse Studios die CryEngine einfach nicht im Griff haben: Wenn man per Schnellreise über die sehr hübsche Karte zu einem Ort navigiert, muss man sich auch auf PlayStation 4 Pro und selbst auf Xbox One X auf die übelsten Pop-ups vorbereiten, die mir in den letzten Jahren begegnet sind. Als ich von Uschitze nach Rattay zurückreiste, sah ich trotz Ladepause zunächst weder Zugbrücke noch Burg oder Hintergrund - da war gar nix außer Boden, alles andere poppte nacheinander auf wie in einer Diashow. Bis endlich alles da und (!) scharf texturiert war, vergingen mehrere Sekunden. Selbst auf der theoretisch potenteren Xbox One X sind die plötzlich auftauchenden Objekte ein Graus, während es auf dem PC lediglich um verspätetes Nachladen von Texturen geht.
Ich bin normalerweise jemand, der selbst über diese technischen Defizite hinwegsehen kann, wenn sie irgendwann oder nur sporadisch auftauchen, aber dieses Anzeigeproblem ist vor allem auf Konsolen ein chronisches, das an nahezu jedem Ort festzustellen ist, der erst aufgebaut wird. Meine Notizen sind aber auch dermaßen voll mit inhaltlichen Bugs, dass ich mich frage, warum man das Spiel in diesem Zustand überhaupt veröffentlicht hat. Das ist hinsichtlich der Produktionsqualität eine Stufe unter dem ebenfalls störrischen Elex anzusiedeln, das trotz seiner spröden Technik und Bugs noch solide bis gut unterhalten konnte. Kingdom Come fühlt sich mitunter eher an wie die älteren Piranha-Bytes-Baustellen mit ihren tiefen Löchern. Und das ist deshalb so ärgerlich, weil es Elex hinsichtlich Weltdesign und Immersion theoretisch so klar überlegen ist! Dass der nächste Patch erst in zwei Wochen erscheinen soll, ist daher vollkommen unverständlich. Warum aus der Freude über die vielen lobenswerten Ansätze immer wieder Frust über die schlampige Entwicklung und damit eine Kaufwarnung wird, sollen die folgenden Beispiele erklären.
Fehlschützen und Fehlspeicher
Wenn ich mich mit Heinrich zum Bogenschießen-Wettbewerb anmelde und dafür meine kostbaren Groschen setze, werde ich selbst als Sieger bestraft. Wie das? Ich treffe besser als die Konkurrenz, liege nach Punkten vorne, aber einer der beiden anderen Schützen schießt einfach nicht weiter. Selbst wenn ich die Zeit um eine Stunde vorspule, steht er immer noch regungslos mit vollem Köcher da. Ich bewege mich also auf den Turnierleiter zu, der mich daraufhin disqualifiziert, weil man
sich laut Regelwerk ja nicht bewegen darf, bevor das Schießen vorbei ist - neben dem Anschiss verliere ich also auch mein Geld. Und das ist gerade im Einstieg sehr knapp bemessen. Damit nicht genug, motzen mich die jetzt rückwärts (!) laufenden Konkurrenten noch an, weil ich den Bogen noch in der Hand habe. Ich steck ihn weg, versuch es nochmal, aber obwohl etwas laut Dialog stattfinden soll, passiert gar nix. Ich versuche es später nochmal in einem anderen Ort - auch dort verschwende ich meinen kompletten Einsatz, weil derselbe Bug auftritt, aber ein anderes Mal läuft es dann plötzlich reibungslos. Und dann zeigt sich, wie schwierig, aber auch authentisch der Umgang mit dem Bogen inszeniert wird - es gibt ja kein Fadenkreuz wie in einem Shooter, man kann nicht zu lange anvisieren und muss mit Augenmaß anvisieren. Wer auf diese Art z.B. Hasen jagt, wird auch aus nächster Nähe viele Versuche brauchen; dass sich Rotwild so robotisch und dumm bewegt hilft allerdings bei der Beutejagd. Mir gefällt das trotz der hohen Lernkurve gut, aber mir macht das aufgrund der hohen Bugdichte keinen Spaß. Übrigens liegt die Qualität der animierten Fauna etwa eine Klasse unter jener der Flora; weder Pferde noch Kühe oder Rehe bewegen sich auf dem Niveau aktueller Top-Spiele. Und das Reiten selbst macht nicht so viel Spaß wie in vergleichbaren Titeln.
Apropos Glück: Auch das extrem nervige Speichersystem ist so wankelmütig. Eigentlich wird im Laufe von Aufgaben sowie nach dem Übernachten automatisch gespeichert - aber eben nicht immer. In den ersten Stunden lief noch alles problemlos, aber so nach zehn bis zwanzig Stunden häuften sich die Probleme. Darüber kann man spätestens dann nicht mehr hinwegsehen, wenn man komplette Quests nochmal angehen muss, weil das Spiel wieder abstürzt. Ich habe auf der PlayStation 4 Pro zwar nicht ständig, aber etwa fünf, sechs mal den Bluescreen gesehen, weshalb ich immer hoffen musste, dass ich wenigstens bei der letzten Schlafstätte beginnen konnte. Das manuelle Speichern ist leider nur mit dem so genannten "Retterschnaps" möglich, der mit 80 Groschen auch noch recht teuer ist. Ich will mit dem Geld meinen Charakter ausrüsten und ausbilden, aber nicht die Angst vorm Absturz bezahlen! Ich verstehe ja den hehren Ansatz, aber die Umsetzung ist nichts als Realsatire. Die Entwickler hätten lieber ihr Spiel retten und das Speichern jederzeit freigeben sollen. Aber einen Vorteil hat der Zwang zum erneuten Start einer Quest: Man kann die saubere und die fehlerhafte Variante erleben - oder einen anderen Weg ausprobieren.
Es ist wie verhext
Dass man beim Bogenschießen zu Unrecht düpiert wird, ist vielleicht noch verschmerzbar. Schließlich kann man sein Geld auch beim Würfelspiel "Farkle" einsetzen, das recht unterhaltsam ist und bugfrei läuft. Aber wenn es um Menschenleben geht, hört der Spaß auf. Als ich drei jungen Frauen in der Quest "Tanz der Teufel" heimlich folgen soll, die sich für einen Sabbat im Wald treffen, geht alles schief - leider nicht nur inhaltlich. Mal abgesehen davon, dass das Thema Hexen hier zwar amüsant, aber mit dem etwas anachronistischen Blickwinkel des 16. Jahrhunderts und überaus kitschig inszeniert wird: Die drei reiben sich mit einer Flugsalbe zwischen den Beinen ein, bekommen Halluzinationen und werden geil - als ich dazu stoße, werde ich als Satan betrachtet, den es gleich vor Ort zu befriedigen gilt. Weil ich was von der Salbe abbekomme, sehe ich statt der Frauen bald nur noch Huhn, Stute & Co, die ich begatten darf; immerhin nur per Schlossknack-Minispiel.
Der triebhafte Spuk eskaliert, als sich Gestalten aus dem Wald nähern, die aufgrund der Drogen wie Dämonen aussehen und die Frauen angreifen. Ich besiege die beiden gehörnten Kreaturen, die Frauen überleben und ich soll alles dem Pfarrer melden. Dort muss ich mir anhören, dass sie alle tot sind und ich Schuft sie auf dem Gewissen habe; auch bei der Kräuterfrau, die die Salbe herstellte, bekomm ich nochmal einen Anschiss. Als das Spiel abstürzt, muss ich dasselbe nochmal machen, aber diesmal gelten die Frauen als gerettet, nur die Holzfäller sind tot, die mir wie Dämonen vorkamen. Hier wirken auch die sonst so löblichen Reaktionen seltsam künstlich. Ob die Frauen des Dorfes tot sind oder fremde Banditen, ist scheinbar kein Unterschied, denn ich bekomme denselben Anschiss von Pfarrer und Kräuterfrau (!). Außerdem werde ich in dieser Quest immer gezwungen, beim Sabbat einzugreifen, selbst wenn ich in Deckung bin.
Entscheidungen mit Konsequenzen
Grundsätzlich sind die Aufgaben allerdings angenehm offen und mit spürbaren Konsequenzen versehen - im Kleinen sowie im Großen. Man kann schon zu Beginn auf diverse Art aus der Burg fliehen, z.B. verkleidet als Wache oder über Schleichwege, wird aber dann von den Wachen gesucht und muss ihnen ausweichen; wird man ertappt, kann man sie rhetorisch oder finanziell vielleicht doch noch überzeugen. Wer die Anfragen des Müllers nach Bezahlung ignoriert muss später genauso mit Folgen durch seine Schläger rechnen wie jemand, der in einer heiklen Situation zu viel verrät oder das Falsche macht - das kann auch zu vielen Opfern führen oder gar einer Schlacht.
Spätestens an dieser Stelle muss ich zur Ehrenrettung des Spieldesigns und des Pfarrers anmerken, dass es auch eine sehr gelungene Quest gibt, in der man nicht nur mit ihm zechen und huren, sondern schließlich eine Predigt per Multiple-Choice halten kann - eine klasse Szene, zumal die Zuhörer enstprechend reagieren. Denn hier gelingt den Entwicklern im Gegensatz zur Hexeneskapade auch wieder sehr gut der historische Bezug, indem sie die Sichtweise von Jan Hus sowie den aufkeimenden Konflikt zwischen einfachen Bauern und der katholischen Kirche schonungslos thematisieren. Apropos: Man kann sich nicht nur volllaufen lassen, sondern auch so überfressen, dass die Werte sinken. Hier werden die sechzehn Jahre später folgenden Hussitenkriege (1419 - 1436) quasi in einer Quest spürbar.
Auch als es zu einem seltsamen Gemetzel an Pferden kommt, inklusive einer blutigen Drohung (die amn nur entziffern kann, wenn man das Lesen lernt) und verstümmelter Leichen, zeigt die Regie in der anschließenden Suche nach den Urhebern ihre Muskeln. Man kann auch einfach so auf eine Leiche am Wegesrand stoßen und plötzlich zur Rede gestellt werden - der Dialog erlaubt gegenseitige Schuldzuweisungen bis hin zum Geständnis oder Flucht samt Verleumdung. Und was mir sehr gut gefällt: Die Leute warten nicht! Bekommt man eine Quest mit Zeitangabe wie etwa "Treffe mich am Morgen", dann ist der Questgeber am Mittag weg! Außerdem bekommt man bei wichtigen Leuten auch einen Anschiss dafür. Das sind die Momente, die dieses Spiel auszeichnen.
Überhaupt hat man sich beim Design der Aufgaben redlich Mühe gegeben, moderne Automatismen zu vermeiden: Zwar
bekommt man manchmal auch einen Zielpunkt z.B. von Personen auf der Karte angezeigt, wenn man genug Informationen hat, aber meist werden Gebiete abgesteckt, die man aktiv durchsuchen muss. Und da kann es angenehm kreativ zur Sache gehen, wenn man z.B. in mehreren Etappen inklusive Zeugenbefragung flüchtige Verdächtige finden muss, indem man ohne glitzernde Spur nach Blut oder durchbrochenen Zäunen sucht. Oder wenn man z.B. drei entflohene Nachtigallen über ihren Gesang lokalisieren muss - immer, wenn es lauter wird, kommt man der Stelle näher, an der man einen Käfig absetzen sollte. Danach muss man ein wenig warten und kann sie einsammeln. Auch wenn dabei manche Käfige in der Luft schweben: Das ist genauso kreativ wie etwa das Erlernen des Lesens: Heinrich bekommt nicht einfach die Fähigkeit, sondern muss sein Leseverständnis aktiv an zwei Texten beweisen, darunter ein Lateinischer. Das sind zwar letztlich auch nur Multiple-Choice-Fragen, aber das ist stimmungsvoller als lediglich etwas freizuschalten. Es gibt auch Schatzkarten, die nur eine grobe Zeichnung zeigen, die man dann selbst auf die Karte und Umgebung anwenden muss - aber es gibt hier keinen Zielpunkt. Und selbst wenn man die Landschaft frei erkundet, kann man so einige interessante Orte finden, darunter welche, auf die z.B. ein Zeichen an einem Baum hindeutet. Folgt man diesem sowie weiteren Steinhaufen tiefer in den Wald, findet man ein halb verschüttetes Anwesen. Doch auch hier zeigt sich, wie spröde Kingdom Come sein kann: Obwohl ich es über eine Holzlatte betreten konnte, kam ich kaum wieder heraus, weil das Springen bzw. Klettern nicht ausgeführt wurde.
Plumpe und lebendige Reaktionen
Aber dann kann es wieder schrecklich plump werden, so dass Kingdom Come auch komplett ohne Abstürze, Speichermurks und Grafikbugs zwar im guten Bereich landen, aber sehr schwer um einen Award kämpfen müsste. Gerade im alltäglichen Ablauf gibt es einfach zu viele Inkonsequenzen en detail. Das fängt dabei an, dass oftmals ein Erfolgssymbol angezeigt, aber der Misserfolg ausgespielt wird - oder umgekehrt. Sprich: Ich habe mein Gegenüber rhetorisch überzeugt, aber er schlägt mein Ansinnen trotzdem ab! Man spricht Leute an, muss einen Ladebildschirm abwarten, nur um dann festzuzstellen, dass sie gar nichts zu sagen haben.
Ein Händlerin bietet mir etwas an, ich will kaufen, aber sie hat gar nichts. Da komme ich mitten am Tag zu einem Dorf, in dem bis auf eine Frau keine Menschenseele zu sehen ist. Ich suche die Leute auf den Feldern, im Wald, finde niemanden. Sie sitzt da und stickt, aber ich kann sie nicht ansprechen und sie ignoriert mich komplett; überhaupt wirken die Begegnungen beim Spazieren nicht so natürlich wie etwa in Horizon Zero Dawn, wo einem Leute hinterher schauen oder sofort reagieren. Auch Tiere und Fremde reagieren manchmal nicht auf Beschuss.
Angesichts der Relevanz der Farben im Mittelalter, die ja auf den Lehnsherren schließen lassen, hätte ich mir auch Reaktionen beim Tragen eines entsprechenden Wappenrocks in der Bevölkerung gewünscht. Da miete ich in einer Schenke ein Zimmer und am Morgen tritt die Wirtin ein und blökt "Hey, pass auf!", wenn ich an ihr in den Farben ihres Fürsten vorbei gehe. Später trage ich Helm, Säbel und Rüstung eines Kumanen, die quasi als Teufel gelten, aber niemand reagiert darauf. Da weigert sich der Müller, mich auszubilden und wütet, was ich ihm angetan hätte, aber lässt mich weiter unter seinem Dach schlafen. Da werde ich angehalten, bloß nichts in einem Raum anzufassen, aber kann mir aus einem Fass sowohl wertvollen Alkohol als auch Nahrung nehmen oder aus der Rüstkammer einen Bogen. Da herrschen Hunger und Bettelei unter den Flüchtlingen, aber ich kann einfach so aus jedem Topf essen - selbst bei Fremden im Wald. Und als ich mit einem Flüchtling spreche, klagt er mir erst sein Leid, nur um dann bei der nächsten Frage über sie zu lästern; hier hat man ihm die falschen Zeilen zugewiesen.
Gerade weil man ansonsten ständig nach seiner Kleidung und Taten beurteilt wird und auf seine Nahrung achten muss, konterkarieren diese Kleinigkeiten zu oft die Immersion. Hier merkt man auch, wie wenig Erfahrung die Warhorse Studios
trotz ihrer lobenswerten Ziele im Großen mit dem Spieldesign im Kleinen haben. Trotzdem spielt Kingdom Come ganz oben in der Liga der reaktiven Rollenspiele und geht in manchen wichtigen Bereichen weiter als The Witcher 3: Es ist nicht nur so, dass man sein Gegenüber besser einschüchtern kann, wenn man in voller Rüstung mit Blutspuren oder prächtigem Wams vor ihm steht. Wer seine Waffe zückt, wird auch sofort darauf aufmerksam gemacht. Und wer einfach so in fremde Häuser eintritt, wird ebenso zurechtgewiesen und muss am falschen Ort sofort mit einem Kampf rechnen - das alles bereichert das Spielerlebnis, zumal man trotz einiger Inkonsequenzen nicht alles so stibitzen kann, weil es verschlossen in Truhen steckt. Apropos: Das Schlossknacksystem ist so sensibel, dass man selbst auf "leicht" viele Dietriche zerbrechen wird, bevor man etwas aufschließt - das hätte man balancierter lösen müssen. Immerhin kann man diese sowie andere Fähigkeiten durch Gebrauch oder bei Ausbildern trainieren, aber leider viel zu ineffizient. Schön ist auch, dass das Geräusch des Zerbrechens theoretisch die Wachen anlocken soll, aber es praktisch zu selten passiert. Immerhin kann man im Kerker landen - danach muss man erstmal mit einigen Defiziten in seinen Werten leben. Man sieht schon: Für alles Positive gibt es auch etwas Negatives anzumerken.
Die fehlende Balance
Warum reagieren die Fürsten der Stadt z.B. gar nicht darauf, dass ich in ihrem Kerker war, obwohl sie mich einstellen wollen und gerade Für und Wider abwägen? Trotzdem ist es wiederum sehr lobenswert, dass man nicht nur je nach Ort, sondern dort auch innerhalb der sozialen Ränge der Bewohner einen unterschiedlichen Ruf unter Adligen, Bauern & Co erwerben kann, wenn man ihnen hilft. Und das wirkt sich dann z.B. auf die jeweilige Begrüßung aus: Als ich genug bei Händlern gekauft hatte, stieg der Wert auf 80 und plötzlich schallte es von überall "Hey, das ist ja der Heinrich!" oder "Heinrich, schön dich zu sehen!" - allerdings nervte das Heinrichen spätestens nach wenigen Metern, weil es einfach zu übertrieben wirkte und ich beim Feilschen dann schroff abgewiesen wurde. Hier wäre es schön gewesen, wenn man auch bessere Preise bekommt. Letzteres ist aber ein gutes System, weil auch hier Kleidung bzw. Charisma wichtig sind. Und schließlich kann man so auch ein paar Groschen rausschlagen.
Auch das Schnellreisesystem auf der Karte ist grundsätzlich lobenswert: Erstens sehen die zoombaren Karten mit ihren mittelalterlichen Malereien einfach klasse aus - und zu Beginn liegen graue Nebelwolken über dem Großteil Böhmens. Zweitens gibt es optionale Zwischenfälle, darunter Banditen, Händler oder Reisende, denen man je nach Fähigkeiten als Späher besser oder schlechter ausweichen kann. Cool: Man kann auch Wildhütern begegnen, die einen nach illegalem Fleisch durchsuchen! Aber dann gibt es wiederum einen Bug, der dafür sorgt, dass man sich keine Sorgen machen muss: Sobald man in einen Kampf gezwungen wird, kann man sofort wieder die Schnellreise aufrufen und weiter ziehen - das hätte man verhindern müssen.
Es sind die Details, die die Freude über eine gelungene Szene dämpfen können - dazu gehören auch so manche aufgezwungene Dialoge, die man gerne anders ausgespielt hätte. Warum habe ich z.B. nicht die Wahl, wie ich auf die blöde Anmache des jungen Fürsten Hans reagieren will? Heinrich flippt vollkommen übertrieben aus, obwohl er angesichts seiner Stellung und Situation eher klein bei geben müsste - kein gutes Rollenspiel. Aber dann wird es plötzlich richtig gut: Als ich dem arroganten Hans später bei der Jagd helfen soll, demonstrieren die Warhorse Studios erneut ihre gute Charakterzeichnung, denn man kann den Schnösel plötzlich besser verstehen und er scheint kein ganz hoffnungloser Fall zu sein. Auch Daniel Vávra hat sich selbst sehr überzeugend im bärbeißigen Fürsten Hanusch von Leipa getroffen, der einige klasse Szenen hat, kein gutes Haar an der Doppelmoral der Kirche lässt und stellenweise an den Roten Baron aus The Witcher 3 erinnert.
Das gelungene Kampfsystem
Zu den potenziellen Stärken von Kingdom Come gehört auch das Kampfsystem, das entfernt an jenes aus For Honor erinnert, aber noch deutlich gnadenloser ist und vor allem die Überzahl realistischer einbezieht - falls die KI nicht mal wieder seltsam dämlich agiert. Erstens kann man während der Gefechte nicht einfach Heiltränke oder was anderes einschmeißen, sondern muss da durch. Zweitens hat man in der Regel kaum eine Chance, wenn man zwei, drei gut bewaffneten Feinden gegenüber steht, denn die reihen sich nicht brav ein, sondern hauen gleichzeitig drauf. Zwar wirkt es ohne Waffen, also lediglich mit Fäusten, Gerangel und Tritten etwas träge. Aber sobald es mit Klingen, Äxten & Co zur Sache geht, entfaltet es seine Potenziale, die über gewöhnliche Mechaniken hinaus gehen.
Was ist das Besondere? Es geht schon mit den Voraussetzungen los: Jeder Kämpfer hat je nach Rüstung andere verwundbare Punkte. Aber ist die auch in Schuss? Ein abgenutztes Kettenhemd schützt weniger stark. Es gibt keinen allgemeinen Defensivwert, sondern sechzehn Bereiche, darunter Kopf, Arme, Beine mit jeweils linker und rechter Seite; hinzu kommt vielleicht ein Schild. Man kann seine Kleidung zudem in mehreren Schichten anlegen, um sich je nach Material wie Leinen, Wolle, Leder, Ketten oder Platte besonders gegen die drei Schadenstypen Stich/Hieb/Wucht zu schützen - ein Dolch liegt z.B. bei 13/13/13, während ein Kurzschwert bei 50/40/2 liegt. Ärgerlich ist jedoch, dass der Wertevergleich beim Wechsel von Klingen oder Kleidung teilweise kaputt ist und man mit falschen Statistiken hantieren muss. Sehr cool ist es wiederum, wenn das Visier runter geht und die Egosicht etwas eingeschränkt wird! Schade ist vielleicht, dass die letzte physikalische Konsequenz fehlt, denn Gliedmaßen kann man nicht abtrennen - aber das ist verschmerzbar, zumal es hier auch Blutungen gibt. Sprich: Dann muss man sich bandagieren, um nicht langsam zu sterben.
Ob ich gegen jemanden mit Pike, Schwert oder Streitkolben kämpfe, ist aber genauso relevant wie seine Rüstung. Einen Banditen in Wolljacke kann man schneller besiegen als einen Raubritter in voller Montur. All das führt dazu, dass man sich gut überlegen muss, womit und wo man zuschlägt. Die Wucht der Axt eignet sich besser gegen die Plattenrüstung als der Stich eines Rapiers. Wie läuft das genau ab? In Echtzeit über ein Zielsystem, symbolisiert durch einen fünfzackigen Stern, wobei jeder Schlag auch Ausdauer verbraucht - man kann nicht wild und lange zuschlagen.
Schild, KI und Finte
Mit dem Analogstick kann ich aktiv oben, links, rechts, unten links oder unten rechts anvisieren, während ich meinen fixierten Gegner umkreise und dann zuschlage oder zustoße bzw. -steche. Mit dem Schild kann man einfacher blocken als z.B. mit einem Streitkolben, aber man muss auch in der Defensive die richtige Richtung finden, also auf die Haltungen des Gegenübers reagieren, was der KI übrigens meist gut gelingt. Aber es gibt auch eine Art Reaktionstest, der zwar etwas arcadig wirkt, aber den Spielfluss fördert: Wenn man es schafft, einen Schlag genau zur rechten Zeit zu parieren oder geduckt auszuweichen, bekommt man die Gelegenheit zu einer Riposte, dargestellt durch eine kurze Zeitlupenphase - auch das nutzt die KI! Dieser Gegenschlag ist zwar nicht wie in Dark Souls tödlich, aber sorgt für deutlich mehr Schaden. Schön ist auch, dass man mit der Finte Angriffe in eine Richtung antäuschen und diese dann schnell wechseln kann. Außerdem reichen manchmal zwei, drei Pfeile aus nächster Distanz, um einen Feind zu besiegen, zumal Kopftreffer deutlich mehr Schaden anrichten.
Wenn man sich an das Zielsystem gewöhnt hat, entwickeln sich taktische Gefechte, wobei es sehr lobenswert ist, dass es nicht bis zum Tod gehen muss: Feinde ergeben sich bei schweren Verletzungen, so dass man die Wahl hat, ob man sie frei ziehen lässt, Geld verlangt, ihre Waffen nimmt oder doch zum Todestoß ansetzt; auch selbst kann man in die Hocke gehen und um Gnade bitten - was gerade zu Beginn auch systemisch die klügere Variante sein kann; Stichwort: Speicherbug. Trotzdem
wirken die Kämpfe nicht immer authentisch, zumal es einige Brüche im Ablauf gibt, so dass selten elegante Choreografien entstehen. Peinlich wird es, wenn die KI einen tatsächlich ohne Waffe angreift oder wenn Feinde in Überzahl komplett versagen: Als ich es mit sechs Banditen zu tun habe, dürfte ich keine Chance haben, doch sie verhalten sich komplett dämlich, zücken ihre Waffe nicht, teilen sich ungeschickt auf, zwei rennen wie Roboter weg und als der Bogenschütze mich ins Visier nimmt, schießt er zwar zuerst noch, so dass ich meinen Schild hebe und mich schon zurückziehen will. Aber dann visiert er nicht mehr mich, sondern tatsächlich die Hasen (!) vor ihm an und jagt sie mal eben...autsch.
Ärgerlich ist, dass die Zielumschaltung bei mehreren Feinden sehr wankelmütig ist; so bekommt man schnell eins auf die Mütze, weil der Gegner nicht fixiert ist. Das Chaos kommt dem Hauen und Stechen des Spätmittelalters vielleicht näher, aber man darf nicht vergessen, dass es auch damals feste Rituale, Haltungen und Schritte für den Kampf Mann gegen Mann gab. Die werden immerhin in den Arenasituationen einigermaßen spürbar. Wer sich in der Charakterentwicklung auf den Kampf konzentriert, kann aber auch Kombinationen freischalten, so dass sich mehrstufige Manöver einleiten lassen. Zwar wirkt das in der Visualisierung nicht immer realistisch, wenn man mit dem Bidenhänder austeilt oder mit dem Langschwert auf einen Schild haut, aber deutlich authentischer als in den üblichen Arcade-Gefechten. Leisetreter können übrigens von hinten angreifen: Man kann seine Opfer sowohl per Stealth-Kill sofort töten als auch bewusstlos schlagen. Man hat auch die Wahl, ob man z.B. ein Lager infiltriert oder sabotiert - die sechs Banditen hätte ich auch über ihren Topf oder Wein vergiften können.
Fazit
Ich habe mich als Rollenspieler und Historiker sehr auf dieses Abenteuer im Spätmittelalter gefreut. Zum einen schätze ich den authentischen Ansatz, der mal etwas anderes inszeniert als klassische Fantasy. Zum anderen finde ich es lobenswert, dass man nicht nur hinsichtlich der Landschaft, Kleidung und Architektur, sondern auch hinsichtlich der sozialen und kulturellen Merkmale das alte Böhmen lebendig machen wollte. Deshalb ist es nach fünf Jahren Entwicklung umso ärgerlicher, dass die Warhorse Studios ein dermaßen unfertiges Spiel veröffentlichen. Dabei geht es nicht nur um die vielen, teilweise üblen Grafikfehler, die Ladezeiten und die schlechte Tonabmischung auf allen Systemen, sondern auch um ein vollkommen nerviges sowie unzuverlässiges automatisches Speichersystem, das zusammen mit den Abstürzen, die vor allem auf Konsolen auftreten, für Frust pur sorgt - das darf einfach nicht sein. Aber selbst wenn man die CryEngine in den Griff bekommen hätte, blieben noch die vielen inhaltlichen Fehler in den Quests, die KI-Aussetzer sowie die plumpen, teilweise unlogischen Szenen, die so manche toll designte Quest oder stimmungsvolle Situation konterkarieren. Auf der einen Seite kann ich so vieles loben, von der guten Regie und kreativen Aufgaben bis hin zu den vielen Konsequenzen sowie subtilen Ansätzen der Erkundung, die modernen Automatismen mit wohltuendem Anspruch begegnen - hier wäre eine richtig gute Wertung möglich gewesen! Aber auf der anderen Seite wird das immersive Erlebnis, das vor allem von den idyllischen Landschaften sowie dem tollen Artdesign getragen wird, immer wieder von Inkonsequenzen gestört, wenn Bewohner nicht reagieren, Wettbewerbe kaputt sind oder die KI dämlich agiert. Für jeden positiven Punkt musste ich einen negativen notieren, so dass auch das taktisch gelungene Kampfsystem nicht so glänzen kann wie ich es erhofft hatte. Unterm Strich ist Kingdom Come: Deliverance trotz der ernüchternden Qualität der richtige Schritt, der hoffentlich weiter verfolgt wird. Und trotz seiner Fehler kann man ja unterhaltsame Momente erleben. Aber momentan würde ich, vor allem auf PlayStation 4 Pro und Xbox One X, vom Kauf abraten und den nächsten Patch abwarten. Mit dieser unsäglichen Veröffentlichungspolitik, die Qualitätssicherung als nachträglichen Service betrachtet, schadet man allen Beteiligten.
Zweites Fazit von Eike Cramer:
Kingdom Come: Deliverance ist vermutlich das ambitionierteste Rollenspiel, welches ich seit The Witcher 3 gespielt habe. Und einiges machen die Warhorse Studios auch richtig gut: Die detailgetreuen Umgebungen und weitläufigen Landschaften Böhmens, die kleinen Ortschaften, die dreckigen Spelunken und heimeligen Burgen. Zudem sind viele der Charaktere glaubwürdig und vor allem in Anlehnung an die Historie des Landes entworfen und meist auch hervorragend synchronisiert. Doch auch auf dem PC bricht die Idylle der Landschaft und die teils grandiose Immersion: technische Fehler, wenngleich deutlich weniger drastisch und zerstörerisch als auf der PS4 Pro, reißen mich immer wieder aus meinen Wanderungen, Erkundungen und herrlich gefährlichen Kämpfen. Kurzes Einfrieren des Bildes beim Laden neuer Gebiete, merkwürdiges Hängenbleiben in Gesprächen, aufploppende Texturen und eine oftmals fehlerhafte Kollisionsabfrage lassen die tolle Kulisse immer wieder bröckeln. Und auch im Detail fehlt es dem tschechischen Mittelalter an allerletzter Konsequenz: Charaktere die ich gerade gerettet habe erkennen mich nicht, wenn ich sie anrempele. Mein Lehensherr erkennt nicht, dass einen Waffenrock seiner Bannerfarben trage. Wachen werfen mich aus privaten Gemächern, nur um sich umzudrehen, damit ich sofort wieder hineinhuschen kann. Viele Menschen leiden Hunger, aber überall stehen blubbernde Kochtöpfe, aus denen ich mich gratis bedienen kann. Und: Ein immer mal wieder fehlerhaftes Speichersystem macht den Spielfortschritt zu einem Glücksspiel. Obwohl mich Kingdom Come: Deliverance aufgrund seines rohen Charmes, der mich in den besten Momenten immer wieder an die Glanzzeit von Piranha Bytes erinnert, bereitwillig für Stunden ins Böhmen des Jahres 1403 abtauchen lässt, ist leider auch klar: Vor allem die Konsolenversionen hätten in diesem Zustand nicht erscheinen dürfen. Die Chance auf den ganz großen Wurf wurde hier vor allem auf technischer Seite vertan.
Pro
Kontra
Wertung
XboxOne
Trotz seiner Fehler kann man unterhaltsame Momente erleben. Aber momentan würde ich, vor allem auf PlayStation 4 Pro und Xbox One X, vom Kauf abraten und den nächsten Patch abwarten.
PlayStation4
Trotz seiner Fehler kann man unterhaltsame Momente erleben. Aber momentan würde ich, vor allem auf PlayStation 4 Pro und Xbox One X, vom Kauf abraten und den nächsten Patch abwarten.
PC
Auf dem Rechner gibt es nicht ganz so krasse Grafikfehler und keine Abstürze, aber auch hier stören die technischen und inhaltlichen Defizite dieses im Ansatz so stimmungsvolle Rollenspiel.
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt ein Add-On-Paket namens Treasures of the Past für 4,99 Euro mit Schatzkarten, Rüstungen etc.
- Es gibt Käufe nur für optionale Kosmetik wie Farben, Skins, Kostüme etc.
- Man kann die Spielzeit über Käufe nicht verkürzen, kein Pay-to-Shortcut.
- Man kann sich keine Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, kein Pay-to-win.
- Käufe können minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
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