Kholat11.12.2015, Michael Krosta

Im Test: Atmosphärische Schneewanderung

1959 starben neun Ski-Wanderer unter mysteriösen Umständen während ihrer Tour durch das schneebedeckte Ural-Gebirge. Dieses Ereignis, das als Vorfall am Djatlow-Pass bekannt wurde und bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, greifen Headup Games und IMGN.PRO für ihr Erkundungsabenteuer Kholat (ab 1,76€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) auf. Wartet eine spannende und dramatische Suche nach der Wahrheit?

Akte X im Eis

Es liest sich tatsächlich ein bisschen wie das Drehbuch für eine Episode von  Akte X: Leichen, die äußerlich keine Kampfspuren aufweisen, aber deren innere Verletzungen auf Kräfte hindeuten, deren Intensität mit denen eines Autounfalls vergleichbar sind. Abseits der Fußabdrücke der Opfer keine weiteren Spuren im Schnee. Und wovor sind die Wanderer so panisch und nur knapp bekleidet aus ihren Zelten in die Kälte geflüchtet? Was hat es mit der Strahlung auf sich, die in späteren Untersuchungsberichten zum Vorfall erwähnt wurden? Aliens, geheime Regierungsexperimente, das Tor zur Hölle: Das mysteriöse Ereignis bildet auch heute noch genug Stoff für Verschwörungstheoretiker und Wahrheitssuchende. Selbst Hollywood hat den Vorfall mit dem auf Pseudo-Doku getrimmten Horrorstreifen Devil's Pass erst im Jahr 2013 verwurstet. Und seit Juli 2015 dürfen wir auch als Spieler

Kholat bietet zumindest zu Beginn eine atmosphärische Kulisse.
Mulder und Scully zuvor kommen, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Ohne viel zu verraten: Besonders kreativ oder umwerfend fällt die Theorie nicht unbedingt aus, die das Entwicklerteam in den versteckten Tagebuchseiten und anderen Dokumenten präsentiert.

Der Kompass als bester Freund

Doch die gilt es in dem weitläufigen Areal überhaupt erstmal zu finden. Gar nicht so einfach, denn ihr seid lediglich mit einer Taschenlampe, einer Karte und einem Kompass ausgestattet. Man sieht sich bzw. die eigene Position weder auf der Karte, noch darf man irgendwelche Zielpunkte setzen oder sich bequem an die gewünschte Stelle navigieren lassen. Und genau das macht in Zeiten von übertriebenen Komfortfunktionen im Stil von Dragon Age 3 den größten Reiz des Spiels aus. Man stapft durch den Schnee und versucht, ein Gefühl für zurückgelegte Entfernungen und den Maßstab zu entwickeln. Man hält die Augen offen, um sich in dieser Schneewüste an markanten Objekten, Formationen, Bauten und sogar dem Mond zu orientieren. Zusätzlich zückt man den Kompass, der sich bei all den verwinkelten Pfaden schnell als neuer bester Freund in dieser eisigen Einsamkeit entpuppt. Gewissermaßen wird man gefühlt selbst zu einem der Wanderer, deren Schicksal man eigentlich aufklären möchte. Die ersten übernatürlichen Ereignisse lassen nach dem kurzen Einführungskapitel ebenfalls nicht lange auf sich warten: Wer ist diese seltsame Lichtgestalt, die hin und wieder auftaucht? Und wo will sie mich hinführen? Was hat es mit der schwarzen Kreatur auf sich, die sich mit flammenden Fußspuren im Schnee ankündigt und aus dem Nichts erscheinen kann, um mich zu jagen?

Bei der Ankunft in einem verschafenen Nest wirkt alles noch friedlich und idyllisch. Die fehlenden Bewohner geben schon einen Vorgeschmack auf die Einsamkeit, die im Gebirge wartet.
Am Anfang gibt es viele Fragen und wenig Antworten. Die liefern neben verstreuten Zusatz-Dokumenten vor allem neun zentrale Schriftstücke, die an besonderen Stellen platziert wurden. Hinweise auf die Verstecke entdeckt man auf der Karte, wo die Koordinaten dieser wichtigen Fundstücke mit Längen- und Breitengraden in einer Ecke aufgelistet werden. Dadurch lässt sich der Suchradius zwar im Zusammenspiel mit der Zoom-Funktion und dem Koordinaten-Cursor recht schnell eingrenzen, doch den Weg zum Ziel muss man immer noch selbst austüfteln. Um die Orientierung etwas zu erleichtern, werden nicht nur die neun Fundstellen nach ihrer Entdeckung auf der Karte markiert, sondern auch weitere Dokumente und Basislager, auf die man während der Erkundung stößt. Zwar spielt der Zufall dabei durchaus eine Rolle, doch wer die Augen offen hält, entdeckt manchmal auch schimmernde Hinweise in der Umgebung, die weitere Koordinaten enthalten. Anspruchsvollere Rätsel oder ein Inventar sucht man abseits der rudimentär gestalteten Jagd nach Hinweisen allerdings vergeblich.   

Bedrohliche Einsamkeit

Atmosphärisch kann die Schnee-Wanderung vor allem am Anfang überzeugen: Zwar ist die Spielwelt erschrecken leer und etwas eintönig gestaltet, doch sorgen Wettereffekte wie mitunter heftiger Schneefall oder das Wiegen der Bäume im Wind immerhin für etwas Bewegung und Leben auf dem Bildschirm. Mit zugefrorenen Seen, verwinkelten Höhlen, engen Felsvorsprüngen und finsteren Wäldern holt man sogar noch relativ viel Abwechslung aus dem Szenario heraus, auch wenn man sich irgendwann an der weißen Pracht sattgesehen hat, die von der Unreal Engine 4 angetrieben wird.

Enttäuschender präsentiert sich der übernatürliche Gegner, der manchmal aus dem Nichts erscheint und mich schon bei der kleinsten Berührung tötet. Nicht nur das dämonische Design wirkt billig, auch Bedrohung und Gruselfaktor kommen viel zu kurz. Zum einen deutet sich das Erscheinen meist schon durch leuchtende Fußspuren im Schnee an

Mit Wetterkapriolen muss man immer rechnen.
und zum anderen ist das seltsame Wesen ziemlich lahm unterwegs. Spannung oder gar Panik kommt da nur selten auf. Stattdessen nervt die Kreatur mit ihrem kleinen Aktionsradius an engen Stellen, so dass man sich nicht länger an diesem Wachhund vorbei schleichen kann und notgedrungen einen Umweg gehen muss. Umgekehrt fehlt im offenen Gelände die Herausforderung und Bedrohung, weil man den Verfolger kinderleicht abschütteln kann. Nur kurz vor dem Ende wird es etwas kniffeliger und mitunter frustrierend, weil man von dem Vieh regelrecht eingekesselt wird und es sehr schnell sowie häufiger aus dem düsteren Nichts erscheint. In manchen geskripteten Momenten muss man auch einfach nur davonlaufen und wird schon mal erwischt, bevor man überhaupt realisiert, was genau zu tun ist.

In der Ruhe liegt die Kraft

Bedrohung? Angst? Panik? Der Horror kommt bei der Schnee-Wanderung leider kaum zum Vorschein.
Trotz vieler inhaltlicher Gemeinsamkeiten mit dem Indie-Schocker Slender bzw. Slender: The Arrival geht es hier deutlich ruhiger und weniger hektisch zu. Zwar gibt es die besagten Horroransätze durch die Kreatur und die eher mäßigen Versuche, den Spieler durch gezielte Schockmomente zu erschrecken. Aber die Erkundung der schneebedeckten und abgelegenen Bergregion bestimmt einen Großteil des Spielverlaufs. Da das Gehtempo nicht gerade hoch ist und einem nach Sprints schnell die Puste ausgeht, kann sich dieser „Wandersimulator im Schnee“ manchmal etwas zäh anfühlen. Zumal auch das Aktionsrepertoire eingeschränkt ist: Zwar kann man sich ducken und dadurch auch schleichen, doch Springen oder selbst einfaches Klettern sind nicht möglich. Entsprechend merkwürdig mutet es an, wenn selbst kleine Hindernisse den Weg versperren und damit die Bewegungsfreiheit überzogen künstlich eingeschränkt wird. Die Zoom-Funktion ist für die Suche nach Hinweisen ein nützliches Gimmick. Gleiches gilt für die Taschenlampe mit unbegrenzer Energie, die man aber nur selten wirklich benötigt, da der Vollmond die Umgebung meist ausreichend erhellt.  

Auch zugunsten der Immersion war es eine gute Entscheidung, den Bildschirm nicht mit irgendwelchen Anzeigen vollzustopfen. Stattdessen beschränkt man sich abseits eines dezenten Hinweis-Blinkens und kontextsensitiven Tasteneinblendungen nur darauf, was die Figur des Spiels  mit ihren eigenen Augen sieht. Deshalb würde sich Kholat auch exzellent für die Verwendung von Oculus Rift & Co anbieten, doch gibt es aktuell leider immer noch keine offizielle VR-Unterstützung. Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden...

Fazit

Kholat mag es zwar an Horror und Schrecken mangeln, doch trotzdem hat die Schnee-Wanderung durch das Ural-Gebirge durchaus einige atmosphärische Momente zu bieten. Vor allem die etwas anspruchsvollere Orientierung mit Karte und Kompass und damit ohne die üblichen Komfortfunktionen hat mir richtig gut gefallen. Hier wird nicht nur das Gefühl von Einsamkeit prima eingefangen, sondern auch eine angenehme Freiheit suggeriert, um diese abgelegene Bergregion mit rudimentärer Ausrüstung auf eigene Faust zu erkunden. Leider schränken die begrenzen Aktions- und Bewegungsmöglichkeiten den Forscherdrang oft künstlich ein oder es kommt zu einem langweiligen Leerlauf, weil insgesamt zu wenig passiert. Echte Spannung will sich angesichts der schwachen Einbindung der Bedrohung nur selten entfalten und die anfängliche Faszination für den eisigen Schauplatz schwindet mit jedem weiteren Fund, der mich der Wahrheit rund um die mysteriösen Ereignisse aus dem Jahr 1959 ein Stück näher bringen soll. Und so war ich trotz der geringen Spielzeit von nur knapp fünf Stunden am Ende froh, nicht noch länger in dieser Einöde festzusitzen, deren Erkundung anfänglich zwar von einem schönen Soundtrack und der stimmungsvollen Landschaft profitiert, sich aber zu schnell totläuft und nur eine recht uninspirierte Erklärung für das findet, was sich am Djatlow-Pass zugetragen haben könnte.

Pro

ansprechende Atmosphäre
großes Areal zum freien Erkunden
ansehnliche Schneekulisse...
Orientierung nur mit Karte und Kompass
basiert auf wahren Begebenheiten
stimmungsvoller Soundtrack

Kontra

künstlich eingeschränktes Bewegungsrepertoire
geringer Umfang
...der es an Leben und Abwechslung mangelt
uninspirierte Story und Auflösung
einfallslose, billig designte "Spawn-Bedrohung"
viel langweiliger Leerlauf
nur englische Sprachausgabe

Wertung

PC

Kholat überzeugt mit atmosphärischer Einsamkeit in weiten Arealen, die Orientierungs-Talent verlangen. Horror und Spannung können sich bei dem kurzen Trip aber kaum entfalten.

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