Im Test:
Was jeder wissen sollte
Es ist unmöglich, eine Folge dieser fortlaufenden Geschichte zu besprechen, ohne vorherige Ereignisse vorwegzunehmen und aktuelle wenigstens anzureißen. Wer die zweite Episode ohne Vorkenntnisse genießen möchte, sollte deshalb zum Fazit springen.
Alte oder neue Freunde?
Was war ich von Teil eins begeistert! Als Clementine eigenhändig ihre Wunde nähte, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen musste – und habe beides getan. Als sie gegen alle Widerstände die Nähe zu einer neuen Gruppe suchte, erschlich sie sich mal mit verzweifelten Versprechen, mal mit bewusster Manipulation Vertrauen. "All That Remains" war ein vielversprechender Start. Und an den schließt "A House Divided" nahtlos an.
So scheint es jedenfalls. Denn Clementine muss sich dafür rechtfertigen, dass sie Nick zu Hilfe geeilt ist. Warum nicht seinem Onkel, der jetzt tot am Fluss liegt? So wird das zerbrechliche Vertrauen zu einem neuen Begleiter gleich auf eine harte Probe gestellt. Das gefällt mir an der aktuellen Folge: Das Mädchen gerät in viele zwischenmenschliche Konflikte. Selten geht es um die große Frage des Überlebens; häufig muss sie sich nur auf die Seite einer Partei stellen – und die andere zwangsläufig enttäuschen. Kinderspiel? Von wegen! Das Wiedersehen mit einem alten Freund brachte mich in eine echte Zwickmühle.
Vorsicht oder Vertrauen?
Schön, dass Telltale weiterhin die menschliche Seele im Blick hat. Zumal die junge Heldin in dieser Episode auch charakterlich wächst: Blitzte schon zum Staffelstart eine neue Bissigkeit durch, durfte ich diesmal weiter daran feilen. Oft genug hatte ich die Wahl: Soll sie sich der Stimme enthalten, den Anweisungen der Erwachsenen folgen oder forsch ihre Meinung äußern? Die Entscheidungen waren gar nicht so einfach, weil ich nie genau wusste, wem sie vertrauen kann und wem nicht.
Da ist etwa der geheimnisvolle Carver, der plötzlich an ihrer Tür klopft. Führt er etwas Böses im Schilde oder haben Luke, Alvin und Carlos etwas ausgeheckt? Die ständige Ungewissheit ist ein tiefer Nährboden für Misstrauen und Zweifel. Es gibt eine Szene, in der die aus 400 Days bekannte Bonnie um das Haus schleicht und erst um Hilfe bittet, als sie entdeckt wird. Da musste ich daran denken, wie schwer es Clementine erst vor wenigen Spieltagen fiel, das Vertrauen der misstrauischen Gruppe zu gewinnen. Ich wollte Bonnie deshalb gerne helfen – oder gehört sie etwa zu Carvers Leuten?
Und dann war ich es selbst, der die Hilfesuchende aus reiner Vorsicht eiskalt abwies. Großartig, wenn das Spiel einen solchen Spiegel in den Händen hält!
Ach ja, Zombies...
Clementines Auftreten ist aber nur eine der Entwicklungen in Episode zwei. Immerhin verlassen Luke, Nick, Alvin, Rebecca, Sarah und Carlos nach Carvers Auftauchen ihre Unterkunft in Richtung Berge. In der Hoffnung, dass sich ihre Spur dort verliert. Doch anstatt den tagelangen Marsch zum Kennenlernen der neuen Figuren, zum Vertiefen ihrer Beziehungen zu nutzen, skizziert Telltale einen hastigen Aufbruch und reißt selbst den Weg nur in Stichpunkten ab. Wo ist das Knistern zwischen den Charakteren, dass in der ersten Folge angedeutet wurde?
Wenn etwas passiert, sind meist Zombies im Spiel und falls ich eingreifen musste, dann in kurzen, diesmal spannungsarmen Reaktionsspielen. Ruhige Unterhaltungen wären mir lieber gewesen als die zum Selbstzweck eingestreute Action. Natürlich vernachlässigt Telltale die Figurenkonstellation nicht komplett. Doch über weite Strecken wirkt die Erzählung wie das schnelle Vorspulen eines Films, den man irgendwann schon mal gesehen hat.
Schema Z
Erst als Clementine und ihre Begleiter eine Unterkunft erreichen, genehmigt ihnen Telltale Zeit zum Luftholen. Ich durfte mich in Ruhe umsehen und unterhalten. Zwischen zwei Figuren entspannt sich sogar ein interessantes Drama, das ich unmittelbar
Das gilt auch für Ausbrüche der Gewalt, die einmal mehr den Schrecken des grausamen Überlebens verdeutlichen wollen. Tatsächlich zog ich Clementines Hammer aber beinahe emotionslos aus dem Kopf eines Zombies. Ernüchtert verdrehte ich fast die Augen, als ein freundlich Gesonnener versehentlich getötet wurde. Telltale muss aufpassen, dass sich bekannte Handlungselemente nicht zu häufig wiederholen - das gilt ja nicht nur für die krasse Brutalität. Denn schon wieder spielen gleich drei verschiedene Gruppen mit. Schon wieder tauchen urplötzlich laut schlurfende Zombies auf. Schon wieder sterben Figuren, die ich kaum kennengelernt hatte. Gleich mehrmals nutzten die Autoren bewährte Versatzstücke, die inzwischen Gebrauchsspuren zeigen. Ich wünschte, sie hätten länger und ausführlicher bestehende Bindungen entwickelt, anstatt schnell neue aufzubauen und wieder abzureißen.
Hoffentlich zeigt The Walking Dead neben der guten Charakterentwicklung in der kommenden Folge noch weitere frische Ideen, damit die großartige Serie nicht vom Weg abkommt!
Fazit
Das Drehbuch ist Telltale diesmal einfach nicht gelungen: Die Geschichte reiht lediglich bekannte Versatzstücke aneinander, tödliche Unglücke wirken wie eine Randnotiz und Ausbrüche drastischer Gewalt verpuffen, weil sie nur der Vollständigkeit halber vorkommen. Für eine Erzählung, die emotionale Zwickmühlen und Charakterdarstellung in den Vordergrund stellt, werden wichtige Figuren und Dialoge außerdem zu knapp angerissen. Dass die junge Heldin ständig auf dem Grat zwischen überlebenswichtiger Vorsicht und menschlicher Nähe balancieren muss, das ist die Stärke dieser Folge. Ich habe es genossen, viele Entscheidungen mit einem weinenden Auge zu treffen. Dank der routinierten Inszenierung sowie dem spannenden Finale ist "A House Divided" eine unterhaltsame Episode. Weil sie viel verschenkt, ist es aber auch die schwächste der bisherigen Serie.
Pro
Kontra
Wertung
360
In der Darstellung eines komplizierten Beziehungsgeflechts zeigt The Walking Dead eine neue Stärke, vernachlässigt aber Geschichte und Charakterentwicklung - die bisher schwächste Folge!
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