Risen 3: Titan Lords18.08.2014, Jörg Luibl
Risen 3: Titan Lords

Im Test: Ein Rollenspiel wie Whisky-Cola

Risen 2: Dark Waters konnte mich vor zwei Jahren nicht begeistern. Das Rollenspiel aus dem Hause Piranha Bytes war auf Konsolen eine technische Katastrophe und trotz idyllischer Karibik vermisste ich auf dem PC spannende Kämpfe, glaubwürdiges Figurenverhalten sowie eine fesselnde Story – vom miserablen Ende ganz zu schweigen. Jetzt  soll man die Augenklappen wieder öffnen. Haben die Entwickler aus den Fehlern gelernt? Wie spielt sich der Nachfolger Risen 3: Titan Lords (ab 11,76€ bei kaufen)?

Karibische Fluchtreflexe

Kennt ihr dieses Gefühl, dass man im falschen Film sitzt? Dann will man einfach nur noch raus aus dem Kino. Genauso ging es mir im Einstieg von Risen 3: Titan Lords. Vor allem, wenn man auf PlayStation 3 oder Xbox 360 in das Abenteuer startet, wird man wie schon im Vorgänger von einer miserablen Technik begrüßt. Zwar ist es diesmal nicht ganz so katastrophal wie in Risen 2, aber permanentes Tearing (selbst in den Menüs!), dazu Ruckler, üble Matschtexturen, holprige Animationen und Fade-ins sorgen für Fluchtreflexe. Hinzu kommen sporadische Abstürze, so dass wir von den Konsolenversionen nur abraten können.

Auf der PlayStation 3 und Xbox 360 wird man technisch enttäuscht: Pop-ups, Fade-Ins, Flackern, Matschtexturen und Abstürze.

Auch in der technisch weit überlegenen PC-Version, die mit ihrer idyllischen Kulisse, der weiten Sicht und angenehm lebendiger Flora und Fauna auftrumpft, ist die erste Stunde in der Haut des namenlosen Helden ein Graus. Nicht etwa, weil die Animationen auch hier zu holprig sind und das Weichzeichnen im Vordergrund nervt, sondern weil  die Regie so peinlich ist: schwache Dialoge, billige Aufgaben, plumpe Schnitte und eine fast schon pubertäre Charakterdarstellung. Rollenspiele wie The Witcher 2 werden um Klassen besser und erwachsener eingeleitet. Man ist im ersten Kapitel mit seiner Schwester Patty unterwegs, die wie eine schlecht geschminkte Galionsfigur anmutet und mit schrecklich altkluger Stimme so viel quatscht, dass man verzweifelt nach einem Knebel sucht. Aber es gibt leider nur Mantel, Säbel & Co.

Ein Einstieg, sie zu entsetzen…

Selbst für ein Tutorial muss man sich angesichts von Sätzen wie "Ein kleiner Tempel. Was wohl passiert, wenn man an dem Hebel dort drüben zieht?" oder „Eine Schaufel! Hier hat jemand wohl etwas vergraben. Aber wo genau?“ fremdschämen. Und die Dialoge feuern ohne Gnade aus allen Rohren seichtes Geschwätz. Als man dann einen

Aber egal ob Konsole oder PC: Den schwachen Einstieg haben alle Versionen gemeinsam - Regie und Dialoge befinden sich in der ersten Stunde auf peinlichem Niveau.

Riesenbaum aus dem Boden reißt, um eine Brücke zu "bauen", wird es auch spielerisch lächerlich. Man sammelt schon beim Kisten öffnen "Ruhm", wird ständig mit Belohnungen berieselt und fühlt sich als erwachsener Spieler veräppelt. Und was haut man am Strand weg? Riesenratten. Zumindest das erinnert an so manchen Keller klassischer Fantasy, den man sich in diesem schrecklichen Einstieg fast herbeisehnt.

Dabei versucht Piranha Bytes zumindest einen interessanten erzählerischen Rahmen aufzubauen – und scheitert auch hier nicht nur bei Kleinigkeiten: Da stirbt der Held, als ihn ein Dämon aussaugt und Patty weint am Grab. Eigentlich eine wichtige emotionale Szene, aber sie wirkt wie ein dramaturgischer Fremdkörper. Man fühlt nicht mit, weil sich die Entwickler mehr auf ihr prall gefülltes Korsett als auf ihre Trauer konzentriert haben – die eigentlich tragische Szene wirkt unfreiwillig komisch. Und wie oberflächlich es die Regie mit vermeintlichen Kleinigkeiten hält, die aber für ein Rollenspiel und eine plausible Welt in der Summe immer sehr wichtig sind, zeigt sich nach der Wiederbelebung: Wo ist denn der Hut, den Patty mit ins Grab gelegt hat? Stattdessen startet man nicht mit zerfressenen Klamotten, sondern willkürlich angezogen. Und wie verhält man sich so nach drei Wochen als Toter? Als wäre nichts gewesen...

Verfluchter Held mit Pseudomoral

Eigentlich hätte die Story zu diesem Zeitpunkt trotzdem alle Möglichkeiten, um aus dem plötzlich wiederbelebten Helden, dem mysteriösen Antagonisten und dem Fluch etwas Interessantes zu machen. Denn: Wenn man nicht dem Wahnsinn verfallen will, muss man seinen Geist aus dem Schattenreich zurückholen. Hört sich geheimnisvoll an. Aber was merkt man im Spiel davon, dass man eigentlich nur einen Körper ohne Seele bewegt? Nichts! Auch wenn einen Alpträume immer wieder in die Geisterwelt führen, in der eine dämonische Stimme mit dem nahenden Ende droht: Der Verfall des Helden wird nicht wirklich spürbar - sein Schicksal lässt einen kalt.

Piranha Bytes bietet zwar eine Art Parallelwelt an, aber verschenkt auch dort das Potenzial. Über einen Tastendruck kann man die Welt in geisterhaftes Grau tauchen. Aber diese auf den ersten Blick interessante Astralsicht ist weitgehend überflüssig - selbst wenn man sie später innerhalb der Fraktionen weiter ausbaut, dient sie fast

Verschenktes Potenzial: Die Geisterwelt und die Astralsicht werden weder erzählerisch noch spielerisch gut eingesetzt.

ausschließlich zur besseren Sichtbarkeit spezieller Gegenstände und Waffen; auch durch Wände hindurch – also zur leichteren Sammelei. Warum hat man diese Parallelwelt nicht kreativer für Quests oder Rätsel genutzt?

Es ist zwar lobenswert, dass eine Art Moralsystem dafür sorgen soll, dass man „böse“ oder „gut“ spielen kann, indem man in Dialogen entsprechend antwortet. Aber die Abzüge oder Zugewinne an Seelenpunkten nach Gesprächen oder Träumen wirken sich nicht auf das Erlebnis aus. Je schlechter die Taten, desto dämonischer soll man in der Theorie des Drehbuchs werden. Warum merkt man das nicht? Warum werden in der Praxis Diebstähle und Angriffe auf Unschuldige nicht geahndet? Warum reagieren die Gefährten kaum auf fragwürdige Aktionen? So ist das Moralsystem nichts weiter als ein überflüssiges Placebo, bei dem sich lediglich eine statistische Anzeige verschiebt. Und wer aus Versehen zu viel Menschlichkeit verliert, kann sie sich tatsächlich zurückkaufen... Das ist einfach schlecht und unheimlich rückständig, zumal Rollenspiele vor einem Jahrzehnt schon weiter waren.

 

Hilfreiche Gefährten

Immerhin bekommt man Hilfe und interessante Ratschläge von Begleitern, aber auch da sollte man keine

Bones ist nicht nur der Lebensretter, sondern auch der erste Begleiter.

interessanten Beziehungskonflikte à la BioWare erwarten. Maximal einen davon darf man mitnehmen, aber man sammelt mit der Zeit eine größere Crew um sich, die auf dem Schiff wartet. Zu Beginn ist es der alte Bekannte und mittlerweile zum Voodoo  konvertierte „Bones“, der einem nicht nur den Körper rettet, sondern sowohl im Kampf als auch mit Hinweisen hilft. Er agiert wie ein allwissender Erzähler und nicht wie ein bizarrer Charakter mit Eigenleben. Er macht alles mit, er weiß alles, kommentiert manches, aber wirkliche Ecken und Kanten sind nicht zu erkennen. Zwar freut man sich über die kontextsensitiven Kommentare begleitender Charaktere, aber die Story kann keine epische Sogkraft entwickeln – man fiebert selbst in tragischen Situationen nicht mit und fühlt sich als erwachsener Abenteurer manchmal wie in einem animierten Jugendbuch.

Bones ist es auch, der vom wartenden Admiral Alvarez in Antigua erzählt und einen Schamanen der Eingeborenen empfiehlt, um die eigene Seele zu retten. Auch wenn die Hintergrundstory nie wirklich Fahrt aufnimmt, auch wenn von einer reifen Dramaturgie nichts zu spüren ist, bleiben immerhin ein paar Fragen, die durchaus neugierig machen: Was hat es mit diesem Höllenfürsten eigentlich auf sich? Steckt der Geisterkapitän Crow dahinter? Was machen all die Kristallportale auf den Inseln? Warum kollaboriert Mendoza von der Inquisition mit den Piraten? Wer sich nach Antigua wagt, wird recht schnell mit den Schattenwesen konfrontiert, die die Stadt heimsuchen – aber auch das wird sehr oberflächlich inszeniert, weil die Bewohner nicht panisch oder wenigstens alarmiert genug wirken; die Viecher streunen quasi vor offener Taverne herum.

Ein Füllhorn an Quests

Trotz all der Defizite in der Regie entwickelt sich ein Spielfluss, weil sich Risen 3 früh in alle Himmelsrichtungen öffnet. Kaum hat man sich versehen, ist das Questbuch voll mit Aufträgen, die einen vom Piratenstützpunkt Antigua ins düstere Calador der Dämonenjäger oder zur Donnerinsel der Magier, vom idyllischen Kila mit seinen Ureinwohnern nach Takarigua mit der Inquisition oder auf die Insel der Diebe und Gnome führen. Wo soll man anfangen? Egal, man hat die freie Wahl - und wer sich für alles Zeit lässt, kann gut über 30 Stunden mit dem Abenteuer verbringen; für die Hauptquest sollte man mit knapp 20 rechnen.

Abseits der Aufhebung des Fluches ist es das große politische Ziel, eine Allianz aus Piraten, Dämonenjägern, Magiern

Wohin soll die Reise gehen? Zig Inseln warten! Die große Stärke von Risen 3 ist neben der hübschen Kulisse vor allem die Offenheit.

und Inquisition zu bilden. Auf der Karte befinden sich sieben Orte bzw. Inseln, die man frei erkunden kann. Allerdings segelt man nicht aktiv, sondern klickt nur die Ziele an. Vor Ort kann man dann über recht willkürlich verteilte Steine weitere Teleporter aktivieren, so dass man auch auf den Inseln schneller vorankommt. Da man meist von A nach B und C geschickt wird, bevor man nach A zurückkehren muss, ein angenehmer Komfort.

Trotzdem lohnt sich die langsame Erkundung per pedes. Gerade auf dem Rechner kann sich die karibische Kulisse sehen lassen, zumal sie angenehm belebt wirkt: Farne wiegen sich im Wind, Papageien fliegen aus dem Unterholz auf und neben Raubtieren bewegen sich auch harmlose Tiere wie Schildkröten am Strand. Es gibt idyllische, aber auch düstere mittelalterliche und architektonisch interessante Orte. Nimmt man die weite Sicht und die verborgenen Schluchten sowie Höhlen hinzu, wird grafisch Entdeckerlust geweckt - zumal auch einige Monster mit ihrem Design punkten. Animationen und die sehr beschränkte Gestik können zwar nicht mithalten, außerdem werden einige Figuren geklont, aber unterm Strich ist dieses Risen das ansehnlichste der Reihe.

Es geht aufwärts

Man kann auch erstmals schwimmen und bis zu einem gewissen Grad klettern. So kommt sogar etwas Action-Adventure-Flair auf, das aber nicht konsequent unterstützt wird: Man kann zwar springen, z.B. über bröckelnde Abgründe oder Fallen in Höhlen, und wie gesagt in die Höhe klettern. Das wird sogar belohnt, denn selbst auf Dächern

Der namenlose Held kann zwar nicht tauchen, aber schwimmen.

liegen manchmal Münzbeutel.  Aber wenn man dann von oben auf ein Tau blickt, das sich zum Runtergleiten eignen würde, oder in der Nähe einen Sims oder ein Fenster erkennt, das man über einen Hopser erreichen könnte, kann man es nicht nutzen bzw. greifen.

Wichtiger ist, dass das Spiel nach dem peinlichen Einstieg auch inhaltlich und erzählerisch Fahrt aufnimmt. Im Gegensatz zu Patty überzeugen zudem andere, darunter auch weibliche Figuren hinsichtlich der markanten Sprachausgabe - auch wenn die Dialoge selbst sehr linear verlaufen und letztlich nur der schnellen Questaufnahme dienen. Aber Piranha Bytes gelingt trotz vieler Hol- und Bringdienste eine gute Verzahnung der Aufgaben. Die Vielfalt macht neugierig, die Charakterentwicklung ist angenehm offen.

Leider gibt es auch viele Standard-Aufgaben, ohne dass man in den Gesprächen mal intelligent mitdenken muss. Und es gibt ständig für unbedeutende Aktionen oder Entdeckungen „Ruhm“. Dieses Prinzip lässt einen irgendwann abstumpfen – man fühlt sich wie auf einer Kaffeefahrt mit seichter Dauerberieselung. So konzentriert man sich unbewusst noch weniger auf das Wesentliche, sondern wird zum „Ernten“ animiert. Warum belohnt man den Spieler nicht nur für wirklich erfolgreiche Quests?

Warum sollte man abseits der Story kleinere Aufträge erledigen? Ganz einfach: Man braucht irgendwann viel Gold, wenn man seinen Charakter optimal ausrüsten und entwickeln will. Und das ist wiederum die Voraussetzung, um bestimmte Gebiete überhaupt erkunden zu können. Dabei kann man sich im Gegensatz zu Risen 2 besser auf spezielle Angriffe von nah und fern inklusive Zauber und Flinten ausrichten. Zwar kommt einem vieles an Fähigkeiten, Voodoo & Co allzu vertraut vor, aber aufgrund der Wahl zwischen drei Fraktionen kann man sich besser spezialisieren.

Das halbgare Kampfsystem

Die Monster im Einstieg sind nichts als Kroppzeug - da werden Ungetüme in einer Zwischensequenz gefährlich präsentiert, um dann mit zwei, drei Hieben fertig gemacht zu werden. Umso schöner ist zunächst, dass der Anspruch in den Gefechten zu steigen scheint, bevor er in den letzten drei, vier Stunden wiederum gen null sinkt – man wird dann kaum noch gefordert. Es ist also ein Auf und Ab ohne eine richtige Balance. Immerhin kann man auf dem normalen Schwierigkeitsgrad nicht einfach blind über Dauergeklicke alles weghauen wie noch in Risen 2.

Das liegt nicht nur daran, dass bestimmte Gebiete einfach eine gewisse Grundstärke des eigenen Charakters voraussetzen. Man kann auch nicht alle Angriffe im Dauerblock abwehren, man muss des Öfteren aktiv über eine

Die Gefechte werden unnötig hektisch und sind später kaum noch eine Herausforderung.

Rolle ausweichen und sollte zur richtigen Zeit zuschlagen. Die eigenen Hiebe und Stiche kann man mit etwas Timing zu mehrstufigen Kombinationen ausweiten, so dass verheerende Trefferfolgen entstehen - ohne diese kann man schnell das Zeitliche segnen.

Monster weglocken kann helfen

Also muss man gerade in den ersten Gebieten auch mal die Hilfe von anderen Figuren oder Wachen nutzen, in die man die verfolgenden Feinde lockt. Das wiederum geht auch später manchmal so leicht, dass die Feind-KI mehrfach wie blöde in den Suizid rennt. Ist man in der Wildnis unterwegs, hat man meist einen Begleiter dabei, der automatisch mitkämpft oder zaubert – leider manchmal ohne Sinn und Verstand; vor allem das Heilen von Bones wirkt willkürlich. Ein Problem wird das aber nicht, weil man ohne Abkühltimer immer genug Rum einschmeißen kann, so dass man wieder volle Energie besitzt.

Sobald mehrere Feinde auftauchen, kann es schnell unübersichtlich und hektisch werden, denn das Anvisieren eines anderen Gegners ist über das Schwenken der Kamera ein Graus – hier hätte eine klare Fixierung per Tastendruck geholfen. So ärgert man sich über plötzliche Wechsel beim Anvisieren, über ungewollte Schläge auf Verbündete und allgemeine Hektik. Immerhin: Wenn man den Gegenangriff erlernt, der 1000 Gold kostet und 40 Nahkampf sowie 20 Härte voraussetzt, wird es etwas vielfältiger in den Manövern, denn man kann aktiver kontern.

Letztlich ist das Kampfsystem nichts Halbes und nichts Ganzes: Für Freunde rasanter Schnetzeleien ist es nicht

Gerade gegen mehrere Feinde geht oftmals die Übersicht flöten.

elegant genug, was Manöverauswahl, Riposten, Finisher & Co angeht - nicht nur manche Szenen mit dem finalen Hieb sehen einfach billig aus, sondern auch das albern weite Abprallen von Monstern nach Treffern oder Fehlschüsse aus einer Schrotpistole, die einen Zentimeter vor dem Feind abgefeuert wurde.

Für Taktiker, die situative Spannung à la Dark Souls in den Gefechten suchen, sind die Kämpfe wiederum viel zu seicht und durchschaubar. Mal abgesehen davon, dass man unabhängig von der Rüstung oder Waffe immer gleich schnell agiert, weil Traglast & Co keine Rolle spielen: Man kann ohne Zeitverlust zig Heiltränke einschmeißen, kann parallel Schusswaffen abfeuern oder so früh verheerende Magie einsetzen, dass selbst gefährliche Feinde in null Komma nichts umfallen. Hat man sich nach knapp fünf, sechs Stunden erstmal ordentlich ausgerüstet und auf eine arkane oder projektile Distanzattacke spezialisiert, kann man die Feind-KI immer leicht nach Schema F übertölpeln. Vor allem als Dämonenjäger, der zwei Begleiter beschwören kann, wird man gar nicht mehr in die Bredouille gebracht. Schwierig bleibt es nur, wenn zu viele Feinde da sind und unnötig Hektik angesichts fehlender Übersicht und Gegnerfixierung entsteht: Die zickige Kamera macht einem immer wieder einen Strich durch die Planung, so dass man schon mal blind zuschlagen muss.

Schlösser knacken und stehlen

Was hat sich Piranha Bytes bloß bei diesen inkonsequenten Reaktionen auf Diebstähle gedacht? Wo ist da die Linie? Die Figuren reagieren im besten Fall unberechenbar, in den meisten Fällen viel zu milde oder gar nicht. Wenn es gut läuft, wird man erst mit einem Spruch wie „Hey, das kannst du doch nicht machen!“ ermahnt, wenn man etwas mitgehen lässt. Und wenn man es übertreibt, werden sogar im Idealfall Waffen gezückt und man wird sofort umgehauen. Aber dieses lobenswerte authentische Verhalten bildet die Ausnahme – es gibt keine klare Linie und im Zweifel keinerlei Konsequenzen.  

Wer sich als Langfinger etwas dazu verdienen will, hat es viel zu leicht, denn er kann nahezu überall am hellichten Tag

An alle Langfinger: Die Fähigkeiten "Schleichen" wird sehr schnell entwertet - die Figuren reagieren manchmal gar nicht auf Diebstahl. Die Reaktionen der KI sind komplett inkonsequent.

plündern – selbst bei wichtigen Leuten. Da steht ein grummeliger Hüne von einem Schmied in Calador vor mir, der mich gerade erst kennen lernt. Ich klaue einen Silberbecher von seinem Regal und er sagt: „Verflucht, was soll das werden?“ Okay, aber warum wirft er mich nicht raus? Danach schlendere ich zur Wand und greife mir noch dreist die große Flinte der Inquisition und… es passiert nichts! Bei den Eingeborenen kann ich vor den Augen des Häuptlings in den Zelten stibitzen oder die Kiste des Wächters Baraka hinter ihm einfach so öffnen.

Unglaubwürdiges Figurenverhalten

Dieses unglaubwürdige Verhalten zerstört nicht nur das Spielgefühl, sondern entwertet auch die Schleichfähigkeit, die man extra lernen muss. Und warum bestraft man dreiste Diebe nicht wenigstens mit Seelenabzügen, damit das Moralsystem besser genutzt wird? So passiert gar nix und man kann sich sehr komfortabel bereichern. Auch in einigen Quests ist die Reaktion der Figuren ein Witz: Da soll man die Eingeborene Miamiti so aus dem Dorf hinaus begleiten, dass sie möglichst nicht von einem Wächter gesehen wird. Aber wenn man bei Tage (!) am ersten Wächter mit ihr aus dem Dorf trabt, sagt er dazu… abermals nichts.

Noch bizarrer wird es, wenn Situationen mal eskalieren: Ich ziehe mein Schwert und hau dem verrückten Piraten Hawkins in Kila aufs Maul, bis er bewusstlos da liegt. Dann bestehle ich ihn, während mein Begleiter Bones mit Piraten weiterkämpft, die zur Hilfe kamen – so weit, so gut. Ich stecke mein Schwert dann ein und schaue mit anderen

Selbst "komplexere" Schlösser sind viel zu leicht geöffnet. Und man kann sich ewig Zeit lassen, ohne entdeckt zu werden...

wie ein Unschuldiger zu, wie Bones kämpft – niemand attackiert mich. Dann beame ich mich einfach zurück auf das Schiff, bevor ich wieder mit Bones losziehe. Gibt es jetzt wenigstens bei den Piraten irgendwelche Konsequenzen, wenn ich zurückkehre? Nein. Außerdem merken sich die Figuren nicht, wenn etwas fehlt. So kann man quasi nach dem Diebstahl direkt wieder ins normale Gespräch gehen. Und das ist ganz schwach, denn ich kann mir alles erlauben.

Wer als Langfinger spielen will, kommt auch sonst nicht auf seine Kosten. Das Minispiel mit dem Dietrich, den man vorsichtig zwischen den Schließköpfen hin und her schieben muss, damit letztlich alle oben bleiben, ist viel zu leicht – oftmals reicht es, wenn man das Ganze einfach hin und her bewegt. Selbst die komplexeren Schlösser hat man zu schnell geknackt. Zudem haben Misserfolge keinerlei Auswirkung auf die Figuren in der Umgebung: Wer sich also des Nachts an eine Truhe geschlichen hat, kann neben dem Schlafenden endlos lange und laut hantieren.

Charakterentwicklung

Was macht man mit all dem Ruhm? Das sind quasi Erfahrungspunkte. Acht Attribute kann man damit steigern – von Nahkampf und Fernkampf über List bis Fingerfertigkeit, Geist und Magie. Wer dort investiert, macht entweder mehr Schaden oder steigert weitere Fähigkeiten. Nur wer in die List investiert, wird in den Gesprächen das Einschüchtern oder Überzeugen erfolgreich einsetzen können. Wer seinen Geist schult, kann Tränke brauen oder die

Acht Attribute kann man steigern; dazu zig Fähigkeiten erlernen.

Astralsicht verbessern. Wozu brauche ich Letztere? Damit ich noch besser Dinge sehen und einsacken kann, obwohl das Inventar ohnehin schnell rappelvoll ist...verschenkte Parapsychologie für Sammler.

Schön ist, dass man bestimmte Fähigkeiten über Trainer erlernen muss. Der Wirt Spencer kann einen zum „Krämer“ machen, so dass man Rabatte bekommt – man kann aber auch das Schmieden, das Stehlen und zig andere Dinge lernen. Wer sich einer Fraktion anschließt, kann sich zudem spezialisieren – sowohl, was die Fähigkeiten als auch die Ausrüstung betrifft. Warum ich bisher so wenig über die Voodoo-Piraten, Dämonenjäger und Magier gesprochen habe? Weil diese Gruppen als aktiv Handelnde ebenfalls kaum spürbar sind; das Drehbuch verschenkt auch diese politischen Konflikte als Motor für die Story.

Viel zu experimentieren

Beim Messerwerfen kann man etwas Kleingeld verdienen.

Risen 3 ist ein Spielplatz für kleine belanglose Experimente am Rande. Man kann sich à la Assassin's Creed im Schiffskampf inklusive aktiver Steuerung und Kanonenbeschuss versuchen, Talismane erstellen, temporär stärkende Tränke brauen, Gegner verfluchen, Geister im Kampf als Helfer erschaffen, sich in einen Papageien verwandeln, um in höhere oder entfernte Bereiche zu fliegen oder Äffchen zähmen, um sie in unzugängliche Höhlen zu schicken. Auch bessere Waffen lassen sich basteln: Man kann aus einer einfachen Machete mit Eisenerz und Messer z.B. ein Haumesser anfertigen.

Das Inventar ist zwar auf den ersten Blick gut strukturiert, aber man vermisst zum einen mehr Komfort wie z.B. Waffen- und Rüstungsvergleiche. Zum anderen fragt man sich, warum gerade Briefe und Bücher unter „Plunder“ abgelegt werden. Vielleicht liegt das daran, dass man alles Geschriebene lieblos über automatische Questaktualisierungen in das Spieldesign integriert, anstatt mal ein Rätsel im Text zu verstecken. All das ist symptomatisch für ein oberflächliches Spieldesign, das sich nicht an den anspruchsvollen Abenteurer, sondern eher an den Läufer und Sammler richtet. Unter der hübschen Kulisse ist Risen 3 letztlich ein sehr flaches Erlebnis.

Fazit

Nach dem peinlichen Einstieg wollte ich als Fantasyfan wegrennen. Und falls ihr euch für PS3 oder 360 entscheidet, wird euch die mangelhafte Technik direkt zum Umtausch beamen. Warum wird so eine billige Konsolenversion überhaupt produziert? Aber wenn man die Fluchtreflexe auf dem PC bekämpft und die schwache Hintergrundstory nicht so ernst nimmt, entfaltet sich ein streckenweise solides Abenteuer in offener Inselwelt. Die Vielfalt und Vernetzung der Quests ist ebenso lobenswert wie die idyllische Kulisse. Es gibt viel zu sammeln, viel zu tun, viel zu sehen - und es gibt endlich wieder drei Fraktionen. Und bis zu einem Punkt hätte dieses Abenteuer locker das beste der Reihe werden können. Aber dann kommen die vielen Dämpfer für anspruchsvolle Rollenspieler: Es gibt kaum politische Konflikte zwischen den Parteien, die Dialoge sind weitgehend belanglos und linear, das Pseudo-Moralsystem greift überhaupt nicht ins Spielerlebnis ein, die Astralsicht ist überflüssig und die Dauerberieselung mit „Ruhm“ entwertet die Freude über echte Leistungen. Hinzu kommt ein sprödes Kampfsystem, das mit einer zickigen Kamera nervt und ein viel zu starker Held, der in den wichtigen letzten Stunden alles weghauen kann. Richtig ärgerlich, weil ein Rückschritt, ist das inkonsequente Figurenverhalten nicht nur beim Diebstahl – so verliert die Welt nicht nur aufgrund des schwachen Drehbuchs zu schnell an Glaubwürdigkeit. Back to the roots? Piranha Bytes gelingt es nur sporadisch, an den schroffen Charme der Gothic-Zeiten anzuknüpfen, der von einigen guten deutschen Sprechern und typisch derben Kommentaren getragen wird. Aber düstere Dämonenfantasy und kunterbunte Piratenkaribik schmeckt letztlich so dünn wie Whisky-Cola. Man vermisst ein konsequenteres Spieldesign und den puren, unverwechselbaren Charakter in diesem für die Masse zurechtgemixten Rollenspiel.

Pro

hübsche, lebendige Kulisse
viele gut verzahnte Quests
viele geheime Bereiche
drei Fraktionen beeinflussen Fähigkeiten, Waffen
offene Spielwelt lädt zu freier Erkundung
Teleportsystem erspart lange Laufwege
individuelle Charakterentwicklung
viel zu bauen und zu mixen
sehr gute deutsche Sprecher
schroffer Gothic-Charme blitzt mitunter auf
Held kann schwimmen, klettern, sich verwandeln
Messerwerfen, Schiffkampf gegen Seemonster
viele interessante Zauber, Runen, Voodoo-Sprüche
20 bis 30 Stunden plus X Spielzeit

Kontra

peinlicher Einstieg
schwaches Drehbuch, Story fehlt es an Dramatik
streng lineare, meist uninteressante Dialoge
Patty = Piraten-Kitsch hoch drei
plumpe Kameraschnitte und Überleitungen
viele Hol
und Bringdienste
Diebstahl wird nicht konsequent bestraft
Schlösser knacken zu einfach
einige unlogische Figurenreaktionen
veraltete Animationen und Gestik
Moralsystem wirkt sich nicht spürbar aus
Astralsicht überflüssig, nur für Sammler interessant
Kampfsystem fehlt Dynamik und Tiefe
letztes Drittel viel zu einfach im Kampf
keine spürbaren Konflikte zwischen Fraktionen
immer wieder zickige Kamera in Gefechten
ständige Berieselung für nichtige Aktionen mit Ruhm
einige Klonfiguren
kein aktives Segeln
miserable Technik mit Clippings, Rucklern etc. (PS3, 360)
sporadische Abstürze (PS3, 360)
schwaches Finale

Wertung

360

Finger weg von der Konsolenversion: Technisch unheimlich schwach!

PlayStation3

Finger weg von der Konsolenversion: Technisch unheimlich schwach!

PC

Ein solides Rollenspiel mit vielen Quests für Sammler in hübscher Landschaft, das mit einer schwachen Story, hektischem Kampfsystem und fehlenden Konsequenzen ernüchtert.

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