Grey Goo23.01.2015, Eike Cramer
Grey Goo

Im Test: Nanitenschwärme außer Kontrolle

Nach der Einstellung der Free-to-Play-Strategie End of Nations versucht sich Petroglyph mit Grey Goo (ab 35,95€ bei kaufen) erneut an klassischer Echtzeit-Strategie. Ob der Kampf zwischen Naniten, Menschen und Beta überzeugen kann, klärt der Test.

Angriff der Nanobots

Nanotechnologie ist eine schwer zu beherrschende Waffe. Das muss auch die Rasse der Beta schmerzhaft erkennen, als Schwärme von intelligenten Maschinen aus dem Weltraum auftauchen und ihre Heimatwelt vernichten. Jahre der Flucht und des Wiederaufbaus später wird auch die kleine Exilkolonie der Überlebenden auf dem abgelegenen Planeten „Ecosystem Nine“ von unbekannten Invasoren angegriffen. Aber gehören die filigranen, technologisch hoch überlegenen Schwebepanzer und merkwürdig rosafarbenen Kreaturen in schlanken Exoskeletten wirklich zu dem alten Feind?

Ohne zu viel zu verraten: Während der durch ansehnliche Rendersequenzen erzählten Handlung erkennen die hochtechnisierten Menschen, dass es ihre eigene Kreation ist, die das Leben aller intelligenten Rassen der Galaxie bedroht. Eigentlich als interstellare Erkunder für das Projekt Pfadfinder entworfen, haben sich die

Kulisse und Artdesign sind stimmig und überzeugen mit vielen Details.
Naniten aber über Jahrzehnte weiterentwickelt und zerstören nun alles, was ihnen in die Quere kommt, während Beta und Menschen erbitterten Widerstand leisten.

In der strikt linearen Kampagne kämpft der Spieler auf Seiten aller Fraktionen um die Vorherrschaft auf Ecosystem Nine. Das Missionsdesign ist während der rund zehn bis zwölf Stunden angenehm abwechslungsreich und bietet mehr als das typische „Vernichte-alles“-Einerlei. So müssen z.B. spezielle Ressourcenknoten geschützt, Rückzüge gesichert oder Vorposten gehalten werden, um den Vormarsch des Goo zu stoppen. Obwohl man trotzdem große Experimente im Missionsdesign scheut und sich die Einsätze recht konservativ anfühlen, sorgen Nebenaufgaben und die aggressive Feind-KI für Spannung auf dem Schlachtfeld.

Grey Goo and Conquer

Spielerisch orientiert sich Grey Goo stark an Klassikern wie Command & Conquer. Der Basisbau wird über ein externes Fenster abgewickelt und auf fummeliges Mikro-Management von Sammlern und eine komplexe Ökonomie à la Starcraft wird verzichtet. Stattdessen platziert man in der Basis eine Raffinierie, setzt einen

Die Handlung wird in hochwertigen Rendersequenzen erzählt.
Extraktor auf die Katalyst-Quellen und sieht zu, wie automatisierte Sammler den einzigen Rohstoff im Spiel gemütlich nach Hause karren.

Ist genug Katalyst vorhanden, können Produktionsstätten errichtet, Techgebäude gebaut und Einheiten produziert werden. Der Clou bei Menschen und Beta: Artillerie- oder Panzergebäude werden ähnlich wie bei den Terranern in StarCraft 2 an die Fabrik selbst angeschlossen. Da es mehr Technologie-Kombinationen als Plätze an den Werkstätten gibt, können nur bestimmte Fabriken spezielle Einheitentypen wie schwere Artillerie oder Schwebepanzer produzieren. So muss man sich genau überlegen, welche Einheit man zuerst nutzen will und wo welcher Truppentyp produziert werden soll. In den Laboren kann zudem eine von je drei Technologien erforscht werden – etwa um Flakgeschütze auch gegen Bodenziele einzusetzen, oder die Artillerie im Fahren feuern zu lassen.

Zudem gibt es drei Super-Einheiten, deren Herstellung eine kleine Ewigkeit dauert und die meist eine aufwändige, teure und zeitraubende Basis-Konstruktion voraussetzen. Schwebt dann allerdings die voll ausgerüstete Luftfestung „Hand von Ruk“ über dem feindlichen Stützpunkt oder zieht ein marodierender Alpha-Gundam mit Laserblick über die Karte, ist das Spiel meist recht schnell vorbei.

Hotkeys zum verlieben

Die Produktion von Gebäuden und Einheiten kann jederzeit komfortabel über ein mit exzellenten Hotkeys belegtes Menü bedient werden. Die durchdachte Anordnung der Buchstaben und Untermenüs macht Klicken schnell völlig obsolet und gehört definitiv zum Besten was ich seit Langem gesehen habe – einzig StarCraft 2 mit seiner Raster-Einstellung ist hier noch einen kleinen Tick intuitiver, benötigt aber trotzdem mehr Einarbeitungszeit als dieses genial einfach Konzept.

Einigeln oder Guerilla-Taktik?

Die drei Rassen unterscheiden sich in Spielgefühl und Konzeptionierung deutlich voneinander. Obwohl jede Fraktion ungefähr die gleichen Einheiten in anderer Form ins Feld führt, die sich nach dem klassischen Schere-Stein-Papier-Prinzip neutralisieren, variiert die Mobilität der Stützpunkte erheblich. Während die Beta auf viele kleine Verteiler-Basen setzen, die an jedem Ort der Karte errichtet werden können, müssen die Menschen jedes

Die Basen der Menschen sind ausgedehnte Leitungslabyrinthe
ihrer Gebäude mit Stromverbindungen an ihr Hauptquartier anschließen. Das Goo hingegen besteht aus mobilen „Mutter-Goo“-Amöben, die sich jederzeit  bewegen und dem Feind ausweichen können.

Dank dieser Unterschiede ermöglichen die Rassen grundlegend verschiedene Spielstile: Die Beta können sich schnell über die Karte ausbreiten, und besitzen dank ihrer mit Einheiten bestückbaren Mauern leichte und äußerst variable Verteidigungsanlagen, die sich perfekt zur Kontrolle über kleinere Gebiete eignen. Die Menschen haben es aufgrund der Stromleisten im Vergleich deutlich schwerer schnell neue Ressourcenlager zu erschließen – diese können aber im Anschluss dank starker Verteidigungsanlangen, die zudem noch jederzeit per Teleport von einem Ende der Basis ans andere verlegt werden können, optimal geschützt werden.

Kämpft man mit den formlosen Amöben der Goo ist Guerilla-Kampf das Mittel der Wahl. Da man keinerlei Möglichkeit hat, Gebiete mit installierten Waffen zu verteidigen, befindet man sich mitsamt Basis fast immer in Bewegung. Die Mutter-Klumpen saugen auf den Katalyst-Geysiren Ressourcen auf, die sie im Anschluss zur Teilung in kleinere oder größere Amöben nutzen, aus denen sich wiederum Aufklärer, Artillerie-  oder Panzerläufer formen lassen. Zudem können die Goo durch „Zellteilung“ bis zu zwölf Mutter-Goos entstehen lassen, die jede für sich als Basis fungiert und sich sogar über Gebirge bewegen können. Jeder dieser mobilen Stützpunkte kann Einheiten und Gebäude angreifen und richtet im Nahkampf verheerende Schäden an.

Taktische Gefechte?

Leider verpasst es Petroglyph, die Unterschiede auf dem Schlachtfeld in taktische Gefechte zu verpacken. Wie beim Westwood-Klassiker Command & Conquer reicht es meist, eine gut gemischte Armee zu erstellen und in Richtung der Feindbasis zu schicken. Da eine Formations-Funktion fehlt, die Wegfindung oft herumzickt und die Einheiten teilweise recht verzögert auf Befehle reagieren, gewinnt meist die Seite mit mehr und vor allem schwereren Einheiten.

Ja, man kann aus dem Verstecken im Wald einen Vorteil ziehen und mit geschickten Flankierungsmanövern die Feindarmee durchaus aushebeln – von der situativen Mikro-Taktik eines StarCraft 2 oder den taktischen Gefechten eines Company of Heroes ist man aber weit entfernt. Dennoch: die Feind-KI leistet sowohl in der Kampagne als auch im Skirmish vergleichbar gute Arbeit, attackiert aggressiv und setzt den Spieler früh unter

Die Beta setzen auf Luftkräne und schwer bewaffnete Mechs.
Druck.

Aber es mangelt insgesamt an Tiefe: viel mehr als eine Hand voll Einheitentypen gibt es nicht und auch die Super-Einheiten sind in ihrer Anwendung (in die Feindbasis schicken und abwarten) eher simpel gehalten. Warum hat man nicht den Wert einzelner Einheiten z.B. durch Veteranenränge erhöht oder ermöglicht mehr taktischen Freiraum durch Lufttransporte oder zusätzliche Sonderfähigkeiten? So klebt man oftmals am Boden und schickt Welle um Welle gegen den Feind.

Ein lauschiges Plätzchen für die Schlacht

Immerhin ist Ecosystem Nine ein lauschiges Plätzchen für einen interstellaren Vernichtungskrieg. Dank der ansehnlichen Kulisse und dem überzeugenden Artdesign wirken die Wälder, Sümpfe und Ebenen des Planeten

Masse statt Klasse. In den Gefechten spielt Taktik meist nur eine untergeordnete Rolle.
durchweg idyllisch. Hier huscht ein Tier durchs Unterholz, da fliegt ein Schwarm Vögel über den Dschungel. Trotz der ordentlichen Technik überrascht der Hardwarehunger: Auf den Testrechnern war ein flüssiges Spielen bei maximaler Detailstufe und vielen Einheiten nicht möglich, oftmals rutschte die Bildrate bei großen Schlachten in einen niedrigen zweistelligen Bereich.

Natürlich bietet Grey Goo alle gängigen Varianten für ausgedehnte Mehrspieler-Sitzungen, verzichtet aber auf frische Modi jenseits von Free- for-all und Team-Vernichtung. Dank vieler mitgelieferter Schlachtfelder und einem LAN-Modus kann auch im Offline-Netzwerk gekämpft werden. Die Online-Verbindung funktionierte im Test zudem tadellos und es kam während der Schlachten nie zu Aussetzern oder spürbarem Lag.

Fazit

Endlich wieder eine eigene Basis! Grey Goo überzeugt mit klassischer Echtzeit-Strategie im Stil von Command & Conquer, deren Kampagne dank abwechslungsreicher Missionen, schicker Rendersequenzen und fordernder KI gut unterhält. Trotz drei cooler Fraktionen, stimmigem Artdesign und überzeugender Kulisse will sich ist die ganz große Begeisterung aber nicht einstellen. Es ist für einen Sieg in den Gefechten einfach zu wenig Taktik nötig, da die grobe Kelle meist zum gewünschten Ergebnis führt. Zudem ist die Wegfindung störrisch und dank fehlender Veteranenränge, Lufttransporte, oder Formationseinstellungen ist man strategisch oft etwas zu eingeschränkt, um den Feind mit neuen Taktiken zu überraschen. Dennoch: Grey Goo macht dank einiger frischer Ideen deutlich mehr richtig als falsch und dürfte Freunde futuristischer Gefechte gut unterhalten.

Pro

gut inszenierte Kampagne
sehr unterschiedliche Fraktionen
frische Ideen im Basenbau
futuristisches Artdesign
ansehnliches Kulisse
tolles Hotkey-Konzept
coole Super-Einheiten
deutsche Lokalisierung inkl. Sprachausgabe

Kontra

nur oberflächliche strategische Möglichkeiten
etwas zu konservatives Missionsdesign
keine Formationen oder Veteranenränge
ähnliche Einheitentypen der Fraktionen
zickige Wegfindung
wenig Taktik-Variation möglich

Wertung

PC

Auf strategischer Ebene etwas zu flach, dafür aber mit vielen frischen Ideen: Grey Goo inszeniert klassische Echtzeit-Strategie mit coolem Basenbau und guter Kampagne.

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