Alone With You24.08.2016, Jörg Luibl
Alone With You

Im Test: Im Bann der Hologramme

Benjamin Rivers hat vor vier Jahren mit Home nicht nur demonstriert, welche atmosphärische Kraft im kleinen Pixel steckt, sondern vor allem, dass man dem klassischen Adventure noch erzählerische Facetten abgewinnen kann. Damals ging es um Horror mit knarzenden Türen, bei „Alone With You (ab 74,98€ bei kaufen)“ handelt es sich offiziell um ein „Sci-Fi Romance Adventure“, das schon im August 2016 komplett auf Englisch für knapp zehn Euro auf PlayStation 4 und Vita erschien. Was hat die PC-Version zu bieten?

Rosen, Herzschmerz und Gedichte…

Erst einmal durchatmen: Ich hatte beim Begriff „Sci-Fi Romance“ schon eine Art Rosamunde Pilcher im Weltraum befürchtet. Aber von Herzschmerz und kitschiger Romantik ist dieses Spiel weit entfernt – im Gegenteil: es beginnt wie ein knallhartes Survival-Abenteuer. Im Jahr 2064 ist man der einzige Überlebende auf einem dem Untergang geweihten Planeten, auf dem ein groß angelegtes Terraforming-Projekt scheinbar scheiterte. Vom Himmel regnet es Säure, die Erde bebt und es bleiben nur noch knapp vier Wochen bis zur Katastrophe. Wie soll man bloß entkommen?

Irgendwo auf einem Planeten vor dem Exodus: In der Rolle des letzten Überlebenden einer Kolonie muss man mit Hilfe der KI seine Flucht vorbereiten.
Alleine hätte man angesichts all der Zerstörung keine Chance, aber das ist ja noch die KI der Kolonie: Sie hat überlebt und gibt einem als freundlicher Mentor nützliche Tipps, damit man das Rettungsraumschiff fit machen kann. Man soll vier Stationen reparieren, dort Material und Hinweise zur Ursache des Unglücks sammeln. Also bewegt man seinen Raumfahrer mit dem flatternden roten Schal durch Labore, Funktürme & Co, immer auf der Suche nach brauchbarer Technik und Antworten. Die spartanische, aber stilvoll inszenierte Pixelkulisse sorgt mit ihren Pastellfarben für futuristisches Flair im Stil der 80er Jahre, das von einem stimmungsvollen Soundtrack unterstützt wird.

Puristisches Adventure

Man erkundet in klassischer Adventure-Manier die Pixelumgebungen. Sobald man interagieren kann, wird das angezeigt; es gibt kein Inventar. Auf dem PC kann man parallel mit der Tastatur oder dem Gamepad spielen.
Benjamin Rivers bleibt seiner Reduktion auf das Wesentliche mit allen Vor- und Nachteilen treu. Es gibt weder ein Inventar noch eine Benutzeroberfläche – sobald man an eine Stelle mit möglicher Interaktion wie ein lesbares Schild oder eine untersuchbare Leiche kommt, wird das angezeigt und man kann kurz nach Gegenständen scannen; auf dem PC auch parallel mit Tastatur oder Gamepad.

Das ist kein Adventure für Knobelveteranen: Die Rätsel sind zunächst schrecklich einfach, weil man lediglich sammelt, aber entwickeln später zumindest etwas Anspruch, weil man etwas mehr suchen, auch mal kombinieren oder Codewörter finden muss. Mehr als „Use 3D-Photo with Terminal“ ist allerdings nicht drin und vor allem in den späteren Phasen hätte ich mir mehr Kreativität gewünscht als dass ich tatsächlich zwei- oder dreimal einfach die Gegend absuchen muss. Oder dass ich ein dreiteiliges Passwort so offensichtlich finden muss. Trotzdem sorgen die überraschenden und teilweise morbiden Entdeckungen in den Fluren für angenehmes detektivisches, in Ansätzen auch etwas gruseliges Abenteuerflair, zumal es auch mal versteckte Gänge gibt. Findet man diese nicht, kann auch schonmal etwas Leerlauf entstehen - einblendbare Hilfen gibt es nicht.

Hier muss man die Leitungen im Signalturm aktivieren.
Das klingt nach einem klassischen Mystery-Adventure, wo ist also die Romantik? Die schleicht sich langsam über ein komplexes Geflecht von Beziehungen ein, das sich über Notizen und vor allem Dialoge ergibt. Und hier liegt die große Stärke des Adventures: Denn obwohl man der einzige Überlebende ist, verschafft einem die KI auch Zugang zu einer Simulation mit Hologrammen, in der man mit den vier ehemaligen Kolonisten Pierre, Winnie, Jean und Leslie sprechen kann – deren Erinnerungen beschränken sich natürlich auf die Zeit vor dem Unglück. Während man also tagsüber an verschiedenen Stationen recherchiert, kann man nur nachts mit den Hologrammen sprechen.

Gespräche mit Hologrammen

Es ist nicht nur ein cleverer Kniff der Regie, dass jeder dieser Charaktere auch ein Experte für einen Bereich war, den man unbedingt reparieren muss – so lernt man sie und ihre Arbeit schrittweise kennen. Man erfährt etwas über die Moral, die Machtverhältnisse sowie die Beziehungen innerhalb der Kolonie, in der es auch Eifersucht und Romanzen gab.

Hinzu kommt, dass man die Hologramme über die Gespräche nicht nur auf den neuesten Stand seiner Ermittlungen bringen, sondern auch Beziehungen zu ihnen aufbauen kann. Man hat es mit komplett unterschiedlichen Persönlichkeiten

Man kann den Hologramm-Persönlichkeiten auch misstrauen...
zu tun, die man mit seinen Antworten loben, aufbauen, umschmeicheln oder brüskieren kann. Man kann sich bemühen, ihre Andenken in den Stationen zu finden und sie zu zeigen. Man kann es aber auch lassen und sich desinteressiert geben. All das kann zu anderen Gesprächsoptionen als auch einem anderen Ende führen.

Hier zeigt sich allerdings auch ein Nachteil der Reduktion: Es gibt keine Übersicht oder ein Tagebuch, das die vielen Gespräche aufzeichnen würde, obwohl man angesichts der vielen Indizien und vor allem Charaktere gerne etwas nachlesen würde - denn neben den vier Hologramm-Persönlichkeiten entdeckt man unter den Toten noch viel mehr wichtige Akteure. Die Dialoge sind recht kurz, aber mit subtilen Untertönen versehen und gut geschrieben. Sie sind nicht sehr verschachtelt, aber bieten des Öfteren die Wahl einer Antwort inklusive Konsequenzen.

Rätselhafte KI

Was haben die vier Kolonisten vor der Zerstörung der Station erlebt? In welcher Beziehung standen sie zueinander?
Zwar nerven irgendwann die immer gleichen Abläufe: Das Öffnen der Türen, das Fahren mit dem Shuttle zum Ziel etc. Aber je länger man spielt, desto enger scheint die Zerstörung der Kolonie mit den Konflikten innerhalb der Menschen verwoben zu sein. Und das Beste ist, dass die alles überwachende KI diese Entwicklungen nicht nur kommentiert, sondern mir direkt Fragen stellt. Als ich z.B. eine Kurzgeschichte von Winnie in einer Station finde, in der sie eine fiktive Paula M. mit einer mysteriösen Dunkelheit sprechen lässt, fragt mich die KI nach einiger Lektüre, auf wessen Seite ich stehen würde. Moment mal: Warum interessiert sich eine KI überhaupt für diese Storyfetzen? Warum ist sie überhaupt so neugierig?

Manchmal muss man auch in der Landschaft nach Technik und Indizien suchen.
Ein zentraler Aspekt der Dramaturgie ist das sich entwickelnde Verhältnis des Helden zu dieser sprechenden KI, die nur zu Beginn wie ein gut programmierter Sprachroboter anmutet. Auf der einen Seite nervt sie einen mit ihrer ständigen Gängelei, denn sie bestimmt weitgehend, was man  wann machen darf und welche Bereiche der Kolonie zugänglich sind – man fühlt sich nicht frei. Auf der anderen Seite entwickelt sich auch eine ambivalente Beziehung zu ihr, denn ihr seltsam menschliches Verhalten macht neugierig und misstrauisch zugleich. Alles, was man in den Stationen sammelt, wird von ihr synchronisiert. Alles, was man mit den Hologrammen bespricht, aktualisiert ihre Persönlichkeiten. Will sie einem wirklich nur helfen?

Fazit

Nach Home gelingt Benjamin Rivers auch mit Alone With You eine richtig gute Adventure-Novelle! Ich wähle bewusst den literarischen Begriff, weil dieses Spiel vor allem von seiner Erzählung lebt. Lasst euch von der Beschreibung „Sci-Fi Romance“ nicht abschrecken, denn hier geht es nicht schnulzig um Rosamunde Pilcher im Weltraum, sondern vordergründig um die Flucht von einem tödlichen Planeten und hintergründig um ein mysteriöses Geflecht aus Beziehungen. Die Rätsel sind leider nicht der Rede wert, ich habe über die etwa sechs Stunden mehr Anspruch sowie ein Tagebuch vermisst, außerdem kann die Wiederholung von Abläufen nerven. Aber die Regie hat es in sich: Sie verknüpft die Erkundung der Stationen clever mit den Biographien von vier Hologramm-Persönlichkeiten, die man in Dialogen immer besser kennenlernt, die man mögen oder ablehnen kann. Mir gefallen zudem die dezente Musik als auch der Stil - auch wenn es "nur" Pixel sind, entsteht eine emotionale Anbindung zu den Charakteren. Und während man dem Schicksal der Kolonie immer näher kommt, entwickelt sich auch eine ambivalente Beziehung zur KI. Ist man mit einem der beiden Enden nicht zufrieden, lohnt sich vielleicht ein weiterer Versuch mit anderen Entscheidungen.

Pro

Story macht bis zum Schluss neugierig
interessante Charakte und Entwicklungen
SciFi-Flair im Stile der 80er-Jahre
auf das Wesentliche reduzierte Benutzeroberfläche
sehr gute Regie von Erkundung & Erzählführung
stimmungsvolle Pixelkulisse
gut geschriebene Dialoge mit Antwortauswahl
guter Soundtrack
präzise Steuerung
zwei Enden

Kontra

nur sehr leichte Rätsel, viel sammeln
recht nervige Gängelei der KI
einige stets wiederholte Abläufe
kein Tagebuch oder Dialogübersicht
bisher keine deutsche Übersetzung

Wertung

PlayStation4

Nach Home gelingt Benjamin Rivers auch mit Alone With You eine richtig gute Adventure-Novelle!

PS_Vita

Nach Home gelingt Benjamin Rivers auch mit Alone With You eine richtig gute Adventure-Novelle!

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