Mordheim: City of the Damned26.10.2016, Benjamin Schmädig

Im Test: Spannende Krankengeschichten

Es hatte eine Weile gedauert, bevor ich mit dem PC-Original Ende letzten Jahres warm geworden bin, denn in den ersten Stunden wehrt sich die Rundentaktik mit Händen und Füßen dagegen, dass ihr wertvoller Kern zum Vorschein kommt. Um den zu finden, muss man sich durch einen humorlos trockenen Einstieg, KI-Schwächen sowie eine anstrengende Kameraführung boxen. Und das kann ich auch auf PlayStation 4 und Xbox One nur empfehlen!

Vom Tisch auf den Bildschirm

Mordheim verdankt seine Existenz, so viel Historie muss sein, dem Warhammer-Universum von Games Workshop. Letztere betreiben das Spiel zwar längst nicht mehr, dennoch hat der düstere Fantasy-Ableger noch seine Fans – einige davon sitzen in Montreal, haben ein Studio namens Rogue Factor gegründet und aus dem Tabletop, für das neben Kämpferfiguren auch Häuser mit unterschiedlichen Stockwerken aufgebaut werden, ein Videospiel gemacht. In diesem treffen genau wie im Vorbild zwei Banden in den engen Gassen der namengebenden Stadt aufeinander, wo sie im Rundentakt Beute erobern und sich gegenseitig attackieren.

Mehr Teamgeist als die XCOM

Das Besondere an Mortheim, wie das Original und der Schauplatz im Deutschen heißen: Seine Figuren lernen wie in einem Rollenspiel nach jeder Schlacht dazu – das Videospiel übernimmt dieses Regelwerk im Wesentlichen. So verleiht man den Kämpfern neue Fähigkeiten und steigert ihre Werte, von erspieltem Gold kauft man Waffen, Zauber sowie zusätzliche Kameraden. Vor allem aber tragen sie dauerhafte Verletzungen, mitunter gar verlorene Gliedmaßen davon, wenn sie nach einem Niederschlag Pech haben. Dann können sie vielleicht schlechter zielen, keine

Folgeschäden können die überschaubare Kriegerbande stark schwächen.
zweihändigen Waffen mehr tragen oder sind nach einer Schädelverletzung so "dumm", dass sie vor jedem Zug erfolgreich gegen ihren Intelligenzwert würfeln müssen, um überhaupt eine Aktion auszuführen. Das Würfeln übernimmt natürlich das Spiel – dass solche Aktionen stets anzeigt werden, macht das hinter den Kulissen arbeitende System aber verständlich.

Zu allem Überfluss verringern Folgeschäden häufig mit dem entsprechenden Körperteil verbundene Charakterwerte; eine schwere Brustverletzung führt vielleicht zu einer Schwächung der maximal erreichbaren Widerstandsfähigkeit. Die Wunden können auch so verheerend sein, dass ein Kämpfer die Verletzung nicht überlebt. Ach, und es gibt die Möglichkeit, dass ein Verwundeter gestärkt aus der Nahtodeserfahrung hervorgeht. Er oder sie freut sich dann über einen zusätzlichen Erfahrungspunkt.

Diese Leidensgeschichten sind klasse! Sie erzählen die Geschichten geschlagener Schlachten, man versteht, warum ein Charakter unter ganz bestimmten Einschränkungen leidet. Man wächst in die Figuren hinein, obwohl sie sich äußerlich viel zu stark ähneln. Dank der hervorragenden Charakterentwicklung habe

Entsprechend ihrer Fähigkeiten erfüllen Anführer, Helden und Krieger verschiedene Aufgaben.
ich die Gnadenvollen Schwestern des Sigmar – eine der vier spielbaren Parteien – jedenfalls fest ins Herz geschlossen, vielleicht sogar ein Stück fester als die Soldaten der aktuellen XCOM-Truppe.

"Frau Holzmann an die Front, Frau Holzmann bitte!"

Dabei halfen auch die unterschiedlichen Aufgaben der martialischen Priesterinnen: Ihre Anführerin Cecelia von Kaas ist etwa eine der stärksten und ich sollte sie stets schützen, weil ihr K.O. die Moral der Truppe erheblich schwächen würde. Sinkt die Stimmung zu tief, legen die Kriegerinnen ja glatt ihre Waffen nieder. Dorothea Holzmann (ich denke mir die Namen nicht aus!) verfügt als eine von maximal fünf Heldinnen ebenfalls über große Kräfte und kann wie Cecelia magische Verstärker und Angriffe auslösen, während bis zu sechs einfache Kämpferinnen weniger mächtig sind, aber ähnlich wichtig.

Letztere schicke ich nämlich meist feindlichen Angreifern entgegen, damit sie die Gegner an für mich taktisch vorteilhafte Positionen binden. Dafür trainiere ich sie zu agilen Experten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit feindlichen Schlägen ausweichen – so können sie ihre Positionen lange genug halten, bis eine Heldin, Cececlia oder andere Helfer eintreffen.

Durch Erfolge im Kampf erhalten die Priesterinnen Erfahrungspunkte, mit denen ich neben ihrer Agilität u.a. Treffsicherheit, Stärke und Widerstandsfähigkeit verbessere. Es dauert lange, bis aus Anfängern mächtige Kämpfer werden, doch auf diesem Weg erschafft man Alleskönner oder besser: wertvolle Spezialisten. Je mehr sie dabei am Gefecht teilnehmen, desto besser werden sie. Und umso schmerzvoller war der Verlust einer Kriegerin, die in vielen Schlachten aufopferungsvoll gekämpft hatte.

Ein Rahmen, keine Handlung

Warum sie das gemacht hat? Wieso kämpfen die Schwestern des Sigmar, ein Klan von Rattenmenschen, gewöhnliche Söldner sowie die Besessenen des Chaos' überhaupt in den Straßen Mortheims bis aufs Blut? Es ist die

Es gibt zwar Rahmenhandlungen für alle vier Fraktionen, eine spannende Geschichte erlebt man in Mortheim allerdings nicht.
Suche nach den wertvollen Bruchstücken eines Kometen, dem so genannten Morrstein, der ihre Kriegerbanden aus unterschiedlichen Motiven heraus Splitter und Fragmente des Materials suchen lässt.

So beschrieben es jedenfalls die anfänglichen Comicbilder – dann war's das. Denn genau wie die Vorlage gibt es auch im Videospiel keine nennenswerte Geschichte. Über gesprochene Texte vor und nach ganz bestimmten Gefechten erzählt Rogue Factor zwar eine Handlung innerhalb des starren Szenarios und in den dazugehörigen Missionen müssen spezielle Aufgaben erfüllt werden. Die Illusion einem roten Faden zu folgen entsteht anders als in XCOM aber kaum. Mordheim: City of the Damned (ab 1,75€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist zu offensichtlich die Aneinanderreihung vom Zufall erstellter Einsätze an wenigen, immer gleichen Orten. Es wechselt eine Reihe an Startbedingungen, aber ob die eigenen Kämpfer alle vom selben Fleck aus starten, im ganzen Viertel verteilt oder schon zu Beginn eingekreist sind: Es geht im Grunde stets um das Ausradieren der anwesenden Gegner, zu denen mitunter gar Figuren der eigenen Fraktion gehören.

In Mortheim fehlt der Durchblick

Dabei erschwert das Spiel trotz der überschaubaren Prämisse ausgerechnet den wichtigen Einstieg, weil es zunächst viele Fragen offen lässt. An manchen Stellen fehlen Erklärungen und die knappen Tutorials gehen auf manche Feinheit der komplexen Rundentaktik gar nicht ein. Kurze Beschreibungen, z.B. beim Zeigen mit der Maus, wären eine große Hilfe, sind aber nicht überall vorhanden. Ich habe mich trotz einiger sinnvoller Hinweise anfangs verloren gefühlt und die erste Kampagne nur gespielt, um auf die harte Tour die Grundlagen zu lernen – so macht ein modernes Videospiel doch keinen Spaß!

Wäre es nur die Einführung... aber Mordheim hat weitere Probleme, die ihm auch dauerhaft zu schaffen machen. Erschreckend unbrauchbar ist z.B. die Kameraführung während des Aufstellens der Kämpfer kurz vor dem Einsatz. Man kann diesen Schritt zwar überspringen, das eigenhändige Postieren geschlossener Gruppen ist dem automatischen Verteilen aber weit überlegen. Und so klicke ich immer wieder auf die Übersichtskarte, um überhaupt zu verstehen, wo die aktuelle Figur gerade steht, weil die Kamera beim Auswahl einer anderen Position dermaßen schnell und wild mitten durch die eng stehenden Gebäude fährt, dass ich jedes Mal den Überblick verliere. Mit Auswahl der "nächsten" Stellung wechselt die Figur ja selten auf die daneben liegende Position! Viel lieber rutscht sie dann erneut durch die halbe Stadt.

Dass die Kamera im Gefecht häufig in die Köpfe der Figuren hinein fährt, ist dagegen fast geschenkt. Mir fehlt allerdings das freie Bewegen der Ansicht oder zumindest das beliebige Umschalten zwischen meinen Kämpfern – und sei es nur, um während der langen Züge feindlicher Truppen etwas zu tun zu haben – sowie die Möglichkeit, meine Priesterinnen auch aus einer Vogelperspektive heraus zu setzen. Weder technisch noch spielerisch sollte etwas

Nicht immer zeigt die Kamera, was sie zeigen soll. Während der Aufstellung ist sie sogar nahezu unbrauchbar.
dagegen sprechen und trotzdem bietet Rogue Factor ausschließlich das aktive Ziehen über den Schulterblick an, dessen Übersicht vor manchen Wänden kapituliert.

Wer bekommt es mit der Angst zu tun?

Immerhin: Das Hantieren mit zahlreichen Aktionsmöglichkeiten öffnet eine große taktische Freiheit. Anders als in XCOM kleben die Kämpfer zwar nicht hinter Deckungen, Sichtlinien spielen aber auch hier eine wichtige Rolle, wenn man sich heran schleicht oder eine Figur so postiert, dass sie einen anrückenden Gegner sofort automatisch attackiert. Entweder stellt man einen Kämpfer mit dieser Option ab oder man versetzt ihn in eine Haltung, aus der er gut ausweichen kann. Man kann ihn auch zum Parieren eintreffender Schläge anweisen oder in der Zugreihenfolge (die Kämpfer beider Seiten ziehen entsprechend ihrer Initiativewerte) einige Plätze nach hinten schieben.

Clever sind die getrennten Bewegungs- und Angriffspunkte, wobei auch Aktionen wie das Erklimmen eines Stockwerks einen Bewegungspunkt plus das automatische Würfeln gegen den entsprechenden Wert erfordern, der wiederum von Faktoren wie dem Gewicht der Rüstung beeinflusst wird. Dank der Trennung von Mobilität und Offensivaktionen sowie des Verzichts auf unbedingte Handlungsfolgen ist man dabei sehr flexibel beim Aneinanderreihen unterschiedlicher Aktionen. Es spielt ja keine Rolle, wann ein Kämpfer angreift und sich bewegt: Er

Das taktische Geschehen wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst.
hat immer alle noch nicht verbrauchten Punkte beider Leisten zur Verfügung – falls ihn nicht die Angst vor einem besonders mächtigen Gegner lähmt oder die Furcht, wenn er von mehreren Gegnern eingekreist wurde. Auch darüber entscheiden Würfelglück und mentale Stärke.

Dieses Einkreisen ist eine wirkungsvolle Taktik, denn es kann einen Feind nicht nur einschüchtern, es verhindert auch das problemlose Davonlaufen. Flieht ein umstellte Figur, dürfen nämlich sämtliche daneben stehenden Gegner zuschlagen – was man nur umgehen kann, indem man eine spezielle Aktion ausführt. Diese kostet aber Angriffspunkte, senkt also die Offensivmöglichkeiten in derselben Runde. Weil alle Kämpfer dabei einen Radius haben, innerhalb dem andere Figuren keine eigenen Aktionen auslösen dürfen, lässt sich das System nicht im Übermaß missbrauchen. Mit solchen Feinheiten vereint Rogue Factor geschickt die Besonderheiten des Tisch- und eines Videospiels in einer anspruchsvollen Rundentaktik.

Gefährliche Neugier

Schade nur, dass das Vorgehen als Gruppe so viel effektiver ist als das Durchkämmen Mortheims mit Einzelkämpfern. In anderen Gassen postierte Mitstreiter erreichen plötzlich eingekreiste Kameraden meist viel zu spät, als dass sie ihnen helfen könnten und den Kampf eins gegen zwei verliert fast immer der Einzelne. Dabei ist das Erkunden der engen Straßen durchaus spannend, weil zahlreiche Fallen selbst aufmerksame Spieler überraschen können. Mehr noch: Es ist ausgenommen wichtig, denn die in allen Gebieten verstreuten Morrsteinsplitter sind für den erfolgreichen Verlauf einer Kampagne von entscheidender Bedeutung.

Gold und Gefallen

Schließlich sind die Splitter die wichtigste Einnahmequelle. Eine bestimmte Menge Morrstein muss innerhalb eines engen Zeitrahmens sogar den Hafen verlassen – das Sammeln der Steine ist immerhin das Hauptziel aller Kriegerbanden. Schicken sie genügend weitere Splitter an eine von drei Fraktionen, erhalten sie von diesen nicht zuletzt Vorteile wie das schnellere Erlernen verschiedener Fähigkeiten.

Mordheim: City of the Damned stellt die finstere Fantasywelt überzeugend, aber weniger eindringlich dar als z.B. Warhammer: End Times - Vermintide.

Morrstein dient außerdem als Haupteinnahmequelle für Gold. Von dem man bezahlt ja nicht nur die Kämpfer vor jedem Einsatz, weil sie sonst gar nicht erst zur Verfügung stehen und irgendwann sogar die Bande verlassen. Auch das Behandeln von Verletzungen kostet Geld, Waffen und die teuren Zauber sowieso. Fällt ein Verwundeter mehrere Tage lang aus, muss man zudem Ersatz engagieren: Einfache Rekruten erhält man für einen Spottpreis, Veteranen kosten allerdings kleine Vermögen!

Einsam oder gemeinsam?

Sehr gelungen ist zu guter Letzt das Verknüpfen der Onlinegefechte, denn die in der Kampagne trainierte Kriegerbande darf jederzeit an Scharmützeln teilnehmen, die dem reinen Vergnügen dienen und keinerlei Konsequenzen haben. Oder aber man schickt sie in Kämpfe, die wie alle Offline-Einsätze einen Tag der Kampagne in Anspruch nehmen und dieselben Konsequenzen haben wie erfolgreiche oder verlustreiche Solomissionen.

Für beide Varianten stehen zahlreiche Einstellungen zur Auswahl: Will man gegen bedeutend erfahrenere Spieler  antreten oder sucht man Gegner ähnlicher Stärke? Welche besonderen Bedingungen sollen im Einsatzviertel herrschen und wie werden die Teams aufgestellt? Schade, dass man ohne das Einladen eines Steam-Freundes nur selten einen Partner findet. An der Einbindung der Mehrspieler-Variante liegt das allerdings nicht!

Fazit

Erst war ich mächtig enttäuscht: Die lückenhafte Einführung in den Ableger des Warhammer-Universums erfordert einen Sprung ins kalte Wasser, die miserable Kameraführung während des Aufstellens der Kämpfer ist eine Zumutung und Schwächen im Verhalten der Gegner sorgen für Stirnfalten. Ich vermisse zudem eine straffe Erzählung. Die wenigen von einer Geschichte umrahmten Einsätze sind jedenfalls kein Ersatz für eine spannende Handlung. Immer wieder in den immer gleichen Stadtvierteln zu starten, um irgendwelche Gegner zu beseitigen, ist im Grunde reizlos – wären da nicht die taktisch vielseitigen Gefechte und die hervorragende Figurenentwicklung! So genieße ich in den Gefechten die vielschichtige Verzahnung zahlreicher Aktionsmöglichkeiten, Charakterwerte und Würfelglück, während ich ähnlich wie in XCOM alles dafür gebe, dass meine Kämpfer nicht niedergeschlagen werden. Dann würden sie nämlich nicht "nur" sterben, sondern fallen womöglich lange aus. Ich müsste außerdem ihre Behandlung bezahlen und mit bleibenden Schäden wie dauerhaft gesunkenen Werten, einem verlorenen Arm oder psychischen Einbußen rechnen. Über die einzigartigen Krankengeschichten und das vielseitige Training der Kämpfer schreibe ich mit jeder Kampagne quasi meine eigene packende Fantasy. Zu einem sehr guten Spiel fehlt Mordheim: City of the Damned genau wie auf PC ein wichtiges Stück technische Präzision. Dennoch inszeniert Rogue Factory auch auf PS4 und Xbox One fesselnde Rundentaktik!

Pro

vielseitige Rundentaktik mit zahlreichen Finessen
Moral und psychische Stärke beeinflussen Kampfgeschehen
Trennung von Bewegungs- und Angriffspunkten
Kämpfer können einige Aktionen lang aussetzen
wichtige zusätzliche Ziele erschweren taktische Entscheidungen
Erspielen von Vorteilen durch geschicktes Haushalten mit begrenzten finanziellen und anderen Ressourcen
umfangreiche Charakterentwicklung
Verwundete tragen eventuell bleibende Schäden oder Werteveränderungen davon
optionales Einbinden der Online-Duelle in Entwicklung der Kriegerbande
zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten für Mehrspieler-Gefechte

Kontra

Kamera fährt durch Gebäude und andere Schönheitsfehler
umständliches manuelles Aufstellen
unsinnige KI-Entscheidungen und kleine Fehler
gelegentliche Missionen mit erzählerischem Hintergrund statt durchgehender Handlung
umständliche, z.T. undurchschaubare Steuerung
weder visuelle noch erzählerische Personalisierung; etliche Figuren sehen gleich aus
wenig gelungener Soundtrack mit anstrengend vielen Wiederholungen
lange Ladezeiten

Wertung

PlayStation4

Technisch schwache, spielerisch überzeugende Rundentaktik mit einer hervorragenden Charakterentwicklung.

XboxOne

Technisch schwache, spielerisch überzeugende Rundentaktik mit einer hervorragenden Charakterentwicklung.

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