Im Test: Schwereloser Überflieger
Der heimliche Held
Tatsächlich stehen die spielbaren Charaktere diesmal nicht im Vordergrund. Sie erleben die erzählerische Brücke zwischen dem ersten und dem zweiten Borderlands zwar aus erster Hand, im Vordergrund steht aber ein anderer.
Er ist ein sympathischer Draufgänger, aus dessen Kopf so verrückte Ideen sprudeln, dass man innehalten muss, um sie zu begreifen und dann ungläubig, aber amüsiert zu fragen: "Ernsthaft?!". Ein Draufgänger, der seine Helfer im Bauch einer Rakete buchstäblich auf den Mond schießt. Der sich opfert, um den Abschuss auszulösen, während die Station von schießwütigen Feinden überrannt wird. Ein Held. Handsome Jack.
Breaking Bad
Natürlich ist Handsome Jack der Fiesling, der in Borderlands 2 nicht mit der Wimper zuckt, bevor er über explodierte Schädel kichert. Genau das gelingt den Autoren diesmal so hervorragend: Sie zeichnen das Bild eines Mannes mit besten Absichten – den seine eigene Geschichte und die Ereignisse um ihn herum zur tragischen Figur machen. Als Handsome Jack am Ende vor mir stand,
Doch selten empfand ich so viel Mitgefühl für einen Antagonisten.
Der seltene Witz
Umso erstaunlicher, dass die Erzählung nie pathetisch gerät. Noch besser, dass The Pre-Sequel den erstklassigen Borderlands-Humor des Vorgängers versprüht. Hätte ich es nicht gewusst, mir wäre nicht aufgefallen, dass statt Borderlands-Studio Gearbox das auf dem fünften Kontinent verortete 2K Australia verantwortlich zeichnet. Selbstverständlich hat Anthony Burch, zentraler Autor von Borderlands 2, den Entwicklern unter die Arme gegriffen. In Anbetracht der großartigen Situationskomik und zahlloser absurder Bemerkungen hat das externe Studio aber wohl von sich aus schon erstklassige Arbeit geleistet. Ganz selten sind Videospiele so durchgehend witzig, ohne sich in albernen Plattitüden zu verlieren!
Flaggen, Gehirne und ein toter Zwilling
Ich habe für etliche Querköpfen kleine Gefallen erledigt, nur um mich über ihre verschrobenen Eigenheiten zu amüsieren. Da war Captain Chef, dem ich einen Besen unter den Arm stellte, während er vor der Flagge seines Königs salutierte. Dr. Spara verpflanzte ein menschliches Gehirn in den Rechenkern einer Rakete. Und damit Deirdres Mann sie weiterhin für tot hielt, sollte ich ihre Zwillingsschwester töten. Logisch.
Ja, The Pre-Sequel führt die bewährte Formel fort – nicht nur erzählerisch, sondern auch inhaltlich. Nach wie vor folgt man den Wegweisern, um die Geschichte fortzusetzen oder bewegt sich frei in voneinander getrennten, aber weitläufigen Kulissen. Man kann Symbole aufspüren, versteckte Ausrüstungskisten suchen oder einen der vielen Gefallen erledigen.
Kleinvieh
Das dritte und ausschließlich auf Konsolen der vergangenen Generation sowie PC erscheinende Borderlands ist kleiner als Teil zwei. Missionen der Handlung werden unnötig in die Länge gezogen und es gibt weniger kleine Aufgaben. Trotzdem habe ich knapp 35 Stunden gebraucht, um die Kampagne sowie längst nicht alle zusätzlichen Aufgaben ohne Eile zu erfüllen. Gearbox-Chef Pitchford hat Recht, wenn er das Spiel als "kleiner" bezeichnet. Der 2K-Präsident allerdings auch, wenn er es "ein vollwertiges AAA-Spiel" nennt. Downloadinhalte und Season Pass sind zudem längst angekündigt.
Die Art der Darstellung gleich dem Vorgänger dabei fast aufs Haar, Steuerung und Menüs ebenso. Das unbequeme Vergleichen von Ausrüstungsgegenständen hat der dritte Teil leider übernommen und noch immer laufen manche Figuren durch feste Mauern, während Geld beim darüber Laufen nicht immer eingesammelt
Ein Kinderspiel?
Nicht zuletzt kommt das Spiel etwas zäh in Gang. Trotz der guten Erzählung dauerte es etwa zehn Stunden, bis ich den Groove des Abenteuers fand. Bevor viele Waffen nämlich wichtigen Elementarschaden anrichten, sind die Gefechte recht fade Bleiwechsel mit mäßig begabten Gegnern. Die gehen zwar in Deckung oder kommen mir gefährlich nahe. Mehr als ihren wunden Punkt aus einer geschützten Position heraus zu treffen, musste ich jedoch nicht tun. Es ist ein recht starres, gewöhnliches Schießen.
Die große Neuerung – dass man auf dem Mond von Pandora sehr hoch springen und lange schweben kann – wirkte zunächst sogar hinderlich, weil die Feinde jedes offene Ziel dankbar annehmen. Aber das hat ja auch sein Gutes: Ein Kinderspiel ist The Pre-Sequel nicht. Spätestens in den Duellen mit mächtigen Bossen ist viel Geschick gefragt.
Gemeinsam sind sie stark
Irgendwann machte es dann Klick, bei mir und bei den Gegnern. Sobald die nämlich gepanzert sind oder Schilde tragen, sollte man Waffen benutzen, deren Geschosse Rüstung zerfressen bzw. elektrischen Schaden anrichten. Menschlichen oder tierischen Widersachern könnte man mit Feuerschaden den Rest geben.
Das ist alles seit Teil eins bekannt; Spaß macht es immer noch. Es fördert überlegtes Vorgehen, das gerade in einer Gruppe von zwei bis vier Spielern belohnt wird. Die bekommen es nämlich mit stärkeren Gegnern zu tun und sollten sich deshalb unter die Arme greifen. Das kooperative Spiel kann jederzeit ein Teil der Kampagne sein, am geteilten Bildschirm oder online.
Atmen oder Schweben?
Das Schweben hat zudem zwei gewaltige Vorteile. Zum einen fliegt man schneller als man laufen kann, zum anderen schmettert man auf Knopfdruck wie ein Dampfhammer zu Boden, was gehörigen Schaden anrichtet! Sobald ich den Dreh raus und meine Beweglichkeit durch einen Verstärker vergrößert hatte, entwickelten viele Gefechte deshalb eine ganz neue Dynamik: Anstatt aus der Deckung heraus auf Köpfe zu zielen, flog ich im Handumdrehen auf einen Gegner zu, schmetterte ihn über die Brüstung und widmete mich schon dem nächsten. Mit den richtigen Verstärkern richtet man in der Luft außerdem zusätzlichen Schaden an oder feuert schneller als am Boden.
Als Treibstoff dient Sauerstoff, der aus kleinen Erdspalten strömt. An vielen Stellen stehen auch Generatoren, die eine Luftblase entstehen lassen. Man muss den Vorrat also im Auge behalten – was in meiner Rolle als vorlauter Roboter zumindest deshalb kein Problem war, weil er ohne Atemluft auskommt. Die anderen Figuren stehen dank des großzügigen Zeitfensters nicht unter Zeitdruck. Aus den Augen sollten sie ihren O2-Gehalt aber nicht verlieren.
Claptrap Kicks
Claptrap... halb so hoch wie ein Mensch, doppelt so ungezogen. Und mit der besten Spezialfähigkeit jenseits von Pandora! Claptrap schießt ja nicht einfach schneller wie Cowgirl Nisha, schleudert einen mächtigen Schild wie
Ein kleiner Raketenturm nimmt dann Gegner unter Beschuss, als hüpfender "Gummiball" wehrt der Roboter Kugeln ab und zerschmettert einen Feind nach dem anderen. Zu mexikanischer Tanzmusik schleudert er wild Granaten um sich (die auch Teammitgliedern schaden) oder er hält auf einmal zwei Waffen derselben Art in den Händen und feuert eine halbe Minute lang ununterbrochen drauflos. Als Bombe mit brennender Zündschnur rollt er durch die Gegend, bis er sich mit viel Nachdruck Luft verschafft.
Oder aber er läuft mit einer Laser feuernden Diskokugel umher – falls er sich nicht in ein Kanonenboot verwandelt und zu triumphaler Musik dicke Geschosse aus großen Rohren feuert.
Zufällig und gut
Ein kompletter Fähigkeiten-Ast des Roboters ist gepflastert mit zufällig einsetzenden Verstärkungen: Richtet Claptrap mit Scharfschützengewehren z.B. größeren Schaden an, sind die anderen Waffen schwächer. Ähnliches gibt es für Schild und Gesundheit sowie Elementarschäden. Es ist ein großer Spaß, in die Rolle des kleinen Chaoten zu schlüpfen!
Die Unberechenbarkeit fehlt den anderen Figuren natürlich, trotzdem verfügen alle über interessante Eigenheiten . Das Entwickeln ihrer Fähigkeiten hilft sogar dem kooperativen Abenteuer, weil eine bestimmte Spielweise z.B. die Gesundheit der Kameraden wiederherstellt. Erfahrungspunkte für den Ausbau erhält man natürlich durch Erfolge im Kampf sowie abgeschlossene Aufträge. Schon deshalb bin ich gerne über den Mond geschwebt und habe kleine Gefallen erledigt...
Mülltrennung
... aber nicht nur deswegen. Ich habe die Umgebung auch für ihr Flair genossen, das weniger an den Wilden Westen als an klassische Science-Fiction erinnert. Dank der von Jesper Kyd, Des Shore und Justin Mullins
Außerdem waren es die zahlreichen Ausrüstungsgegenstände, die ich durch Zufall, als Belohnung oder gegen teuer verdientes Geld erhalten habe: Weil meine Figur nicht nur bis zu vier Waffen einsetzen, sondern auch verschiedene Eigenschaften auf unterschiedliche Weise stärken konnte, war ich immer auf der Suche nach besserer Ausrüstung. Der Zermalmer stellt aus drei Gegenständen desselben Typs zudem eine neue, oftmals höherwertige her. Dadurch habe ich gezielter gesammelt als auf Pandora, wo ich Gegenstände ausschließlich nach Wert getrennt habe.
The Pre-Sequel scheint zudem schneller als die Vorgänger seltene Gegenstände herauszurücken, was je nach Spielweise ein Vorteil sein kann. Ich habe es jedenfalls deutlich kürzer als Borderlands 2 gespielt, bevor ich besondere Waffen in den Händen hielt. Ein Ärgernis übernimmt das Abenteuer auf dem Trabanten allerdings: Früh angebotene Missionen sind später so einfach, dass das Abarbeiten geradezu langweilig werden kann. Die spielerische Monotonie beim Erledigen vieler Aufgaben ist nach wie vor ein Merkmal der Serie.
Fazit
Ein ausgewachsener dritter Teil ist Borderlands: The Pre-Sequel nicht. Vieles wirkt wie ein Abbild des Vorgängers, etliche kleine Fehler bestehen noch immer und viele Missionen ziehen sich eintönig in die Länge. Dabei haben sie das nicht nötig, denn der Umfang wird einem großen Spiel mehr als gerecht – wer auch nur einen Teil der zusätzlichen Aufgaben erledigt, ist lange beschäftigt. Das Schweben verleiht den altmodischen Gefechten zudem einen martialischen Schwung, von dem die taktischen Gefechte bis zum Schluss zehren. Das brachiale Chaos in Claptraps Fähigkeiten ist das Tüpfelchen auf dem i. Das Herz des dritten Borderlands ist aber die Geschichte um Handsome Jack. Denn seine Wandlung vom liebenswerten Haudrauf zum tragischen Antagonisten erzählt eine ebenso unkonventionelle wie in sich glaubhafte Geschichte – ohne Pathos, aber mit dem befreienden Humor einer hervorragenden Komödie. Eine, die nach dem Abspann sogar einen winzigen Hinweis auf den echten dritten Teil verrät.
Pro
Kontra
Wertung
360
Gute Fortsetzung zu Borderlands 2, die eine erzählerische Brücke zwischen Teil eins und zwei schlägt.
PlayStation3
Gute Fortsetzung zu Borderlands 2, die eine erzählerische Brücke zwischen Teil eins und zwei schlägt.
PC
Die PC-Version überzeugt mit einer deutlich höheren Bildrate und zahlreichen Grafikoptionen.
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