Im Test: Zurück in die Zukunft
Klick. Klick. Klick. Klick.
Wie bitte? Oh, achso, was ich hier gerade mache? Ich „klicke“ reihenweise Feinde in ihren Tod. Nordkoreaner, Tschetschenen, Söldner. Alle gleichermaßen zahlreich wie dämlich. Sie kleben in ihrer Deckung, während ich mit meinem neuen Exoskelett um sie herum springe, in der Luft ausweiche und sie einen nach dem anderen von ihrem jämmerlichen digitalen Dasein befreie. Ausweichen? Flankieren? Rückzug? Nach wie vor ein Fremdwort für die Moorhuhn-Armeen, die sich mir in Advanced Warfare in den Weg stellen. Intensität oder Spannung? Fehlanzeige. Stattdessen klicke ich mich völlig emotionslos durch die Feindeshorden und hoffe, dass es bald vorbei ist. Klick. Klick. Klick.
Mich packen diese immer gleichen Gefechte nicht mehr. Dummes Kanonenfutter wird mir in Massen vor die
Ein Spacey macht noch keinen Thriller
Dabei sind Prämisse und Einstieg der Handlung durchaus interessant: In den 2050er Jahren kämpfen neben den staatlichen Streitkräften vermehrt private Militärfirmen auf den Schlachtfeldern der Zukunft. Diese agieren meist effektiver als die schwerfälligen Einsatzkräfte, die an lästige Einsatzbeschränkungen und politische Entscheidungen gebunden sind. Kein Wunder, dass Protagonist Jack Mitchell nach einer schweren Verwundung während der Verteidigung von Seoul zum größten Anbieter privater Schlagkraft wechselt. Atlas unter der Führung von Jonathan Irons (Kevin Spacey), zudem der Vater von Mitchells in Korea gefallenem bestem Freund,
Die Handlung ist vorhersehbar und flach, allerdings auch weit von der letztjährigen Ghosts-Katastrophe entfernt. Zwar kann auch ein Charakterdarsteller wie Spacey einer eindimensional geschriebenen Figur wie Irons nur bedingt Tiefe verleihen, Inszenierung und Drehbuch sind aber insgesamt solide. Man weiß jederzeit, warum man sich in welchem Einsatz befindet, ist hautnah bei wichtigen Wendungen dabei und versteht die Motivation und technischen Mittel des Antagonisten. Dennoch gewinnt die Handlung ganz gewiss keinen Oscar für Originalität, auch wenn man sich sogarkritische Zwischentöne über den Verlust des staatlichen Gewaltmonopols erlaubt und eine russischstämmige Frau (!) Mitchells wichtigster Bezugspunkt im Einsatzteam ist.
Inszenierung? Passt schon.
Gewohnt routiniert wird in fünfzehn Missionen die Bombast-Inszenierung abgespult, an die man sich nach elf Jahren Call of Duty schon so sehr gewöhnt hat, dass kaum noch etwas überraschen kann. Ah, ein Kirchturm explodiert? Oh, ein Atomkraftwerk fliegt in die Luft? Aha, die Golden Gate Bridge fällt in sich zusammen? Das alles sieht toll aus, ist gekonnt ins Szene gesetzt und langweilt auf ganz hohem Niveau. Immerhin: Als über der Antarktis einem Flugzeug in der Luft lässig die Flügel abgesprengt werden, um dann im Schlepptau einer Drohne in einer „kontrollierten Landung“ zu Boden zu gleiten, war sogar ich überrascht.
Auch bei den Schauplätzen gibt man sich keine Blöße und arbeitet die alljährliche Checkliste gewissenhaft ab. Schnee, Dschungel, Nacht, Tag, Gebäude – USA, Europa, Antarktis, Afrika. Man kommt rum als Soldat der Zukunft, zumal man ja auch alles kann: Schwebepanzer fahren und Jets fliegen zum Beispiel. Oder Mechs steuern, Schleicheinsätze koordinieren, großangelegte Angriffe führen sowie Schiffskanonen bedienen. Zum Glück schränkt die enge Levelarchitektur mir ihren unsichtbaren „Kehren-sie-zur Mission-zurück“-Schranken jegliche freie Bewegung dermaßen ein, dass man sich nicht auch noch um die Route zum Ziel kümmern muss.
Einzig der Schleicheinsatz in einem Anwesen lässt mir etwas mehr Handlungsspielraum – ungesehen kann ich dank des Greifhakens durch die Schatten huschen, muss Wachen umgehen und ohne Feuergefecht das Missionsziel erreichen. Dabei stehen mir mehrere Wege und Vorgehensweisen offen; im Kontext der Formel Call of Duty ist das fast schon revolutionär. Trotzdem bleibt man mit der Schleichmechanik Welten hinter Titeln wie Sniper Elite 3 oder Styx: Master of Shadows zurück. Immerhin hat Sledgehammer Games aber erkannt, dass sieben Stunden Dauerfeuer genauso viel Spaß machen wie sieben Stunden RTL.
„Drücken sie X um zu kondolieren“
Willkommen in der Gegenwart
Während die Spielmechanik der Serie weiter stagniert, ist die Kulisse endlich in der Gegenwart angekommen. Die cineastischen Effekte müssen nicht länger an jeder Ecke matschige Oberflächen und kantige Modelle überdecken – auf PS4 und Xbox One sieht Advanced Warfare bei flüssigen 60 Bildern pro Sekunde dank vieler Partikel, überzeugender Charaktermodelle und durchgestylter Schauplätze mit wenigen Ausnahmen wirklich gut aus. Zwar erreicht man nach wie vor nicht das bombastische Niveau von Klassenprimus Battlefield 4, lässt aber mit Panoramen wie dem Sonnenuntergang über der Antarktis oder dem umkämpften Seoul Titel wie
Auch das Artdesign überzeugt: Zukunftstechnologien wie Drohnenschwärme, Schwebepanzer und Hoverbikes sehen durchweg verdammt cool aus und erinnern dezent an die Hochglanz-Science-Fiction von Killzone Shadow Fall. Zudem merkt man, dass die Entwickler mehr Freiraum bei dem Entwurf von Waffenmodellen und -Effekten hatten – Lasergewehre, Schock-Schrotflinten und Railgun-Scharfschützengewehre sind eine willkommene Abwechslung gegenüber den ansonsten immer gleichen Sturm- und Maschinengewehren.
Auf dem PC gibt man sich diesesmal keine Blöße: Zwar gibt es keine Besonderheiten, man ist aber spielend auf Augenhöhe mit den aktuellen Konsolen. Anders sieht es da schon bei 360 und PS3 aus. Die dafür zuständigen Studios Raven und High Moon liefern auf der 360 bewährte und jederzeit flüssige Qualität ab, hinsichtlich der Beleuchtung, Partikeleffekte, Oberflächen sowie Geometrie erkennt man allerdings klare Defizite: Insbesondere die Markierungsgranate ist hier ein visueller Graus. Besonders deutlich wird dies bei der PS3-Umsetzung, die aufgrund der leicht niedrigeren Auflösung, sowie einer im Vergleich etwas instabileren Bildrate das technische Schlusslicht bildet. Dennoch reichen die minimalen Unterschiede nicht für eine Abwertung.
Begrenzt einsatzfähig
Apropos Abwechslung: die Exoskelette besitzen je nach Mission und Typ unterschiedliche Fähigkeiten. So kann
Zwischen den Missionen kann man seine metallenen Helferlein mit freigeschalteten Punkten verbessern. So erhält man auch in der Kampagne Boni wie schnelleres Nachladen, mehr Panzerung oder weniger Rückstoß. Der Effekt: Advanced Warfare ist zu Beginn anspruchsvoller, da sich die Fähigkeiten drastisch auf das Spielgefühl auswirken. So klickt man sich nach knapp sieben Stunden durch eine Gegnerwelle nach der anderen dem ersehnten Ende entgegen. Klick. Klick. Klick.
Rettungsanker Multiplayer?
Der Mehrspieler-Modus ist spätestens seit Modern Warfare das Herzstück von Call of Duty. Allerdings stagnierte man auch hier in den vergangenen Jahren auf hohem Niveau – Ghosts machte nur wenig anders als seine Vorgänger Black Ops 2 und Modern Warfare 3. Sledgehammer Games setzt bei Advanced Warfare auf ein grundlegend verändertes Bewegungskonzept in den nach wie vor rasend schnellen und in 60 Bildern dargestellten Schusswechseln. Dank der Exoskelette können die Spieler nun Doppelsprünge vollführen und in der Luft mit einem „Dash“ schnell ausweichen und navigieren. Das verändert das typische Spielgefühl radikal, denn wer hier lange am Boden klebt, verliert.
Umfangreich und voller Abwechslung
Auch der Umfang stimmt: Elf Spielmodi auf dreizehn Karten stehen zur Verfügung, darunter die üblichen Klassiker wie Team Deathmatch, Capture The Flag, Search & Destroy oder Kill Confirmed. Es finden sich aber auch Neuzugänge wie Uplink oder der Rückkehrer Momentum, die den Gefechten eine frische Note verleihen.
So muss in Uplink, ähnlich wie beim American Football, eine ballförmige Sonde in die Endzone des Gegners
Auch Momentum hat sich schnell einen Platz in meiner Top-10 der Mehrspielermodi gesichert. Im Rückkehrer aus World at War müssen, ähnlich wie bei Conquest Assault aus Battlefield 3, nacheinander mehrere Flaggen erobert werden. Das Team, das nacheinander die meisten Abschüsse erzielt, gewinnt zusätzlich „Momentum“, was eine schnellere Einnahme der Punkte erlaubt. Die verbissenen Kämpfe um einzelne Knotenpunkte erinnern angenehm an Rush und sorgen für Spannung. Ebenfalls cool: Ist das Zeitlimit erreicht, wird die Zahl der Flaggen in der „Verlängerung“ auf den Karten reduziert, was noch intensivere Gefechte zur Folge hat.
Für Hardcore-Liebhaber stehen allerdings nur vier der Spielmodi (Team Deathmatch, Search and Destroy, Domination und Kill Confirmed) in separaten Listen zur Verfügung. Auch der witzige Infection-Modus kann nur über die Bonusliste ausgewählt werden. Zudem fehlt auf den alten Konsolen die Variante Bodenangriff, eine rundenweise wechselnde Mischung aus Domination, Kill Confirmed sowie Team Deathmatch, bei der 18 Spieler gegeneinander antreten.
Altbewährtes aufpoliert
In anderer Hinsicht hat man mit Änderungen eher gespart. So liefert man zwar bewährte Kartenqualität ab, doch trotz dynamischer Events wie einem Tsunami am Strand von San Francisco oder aktivierbaren Geschützen an der Bodenstation eines Weltraumfahrstuhls, hinterlassen die kleinen bis mittelgroßen Areale „nur“ einen guten Eindruck. Warum? Weil man die Level zwar etwas an die neue Bewegungsfreiheit angepasst und viele Dächer, Durchgänge sowie Plattformen geschaffen hat, aber zu oft auf störende unsichtbare Levelgrenzen trifft.
Fette Beute
Neu ist das Beute-System, das der klassischen linearen Freischaltung von Waffen über den Rangaufstieg oder dem Absolvieren von Herausforderungen eine Zufallskomponente hinzufügt. In Versorgungskisten finden sich zig
Dies fügt dem Freischaltungssystem eine individuelle Note hinzu, die dank der farbigen Markierung der Seltenheit etwas an den Beute-Overkill von Borderlands erinnert. Allerdings wird die Freischaltung der Beutekisten kryptisch über Spielzeit und abgeschlossene Herausforderungen berechnet, was den Inhalt der Waffenkammer leider zufällig macht, so dass man nicht wie z.B. bei Battlefield 4 gezielt auf ein bestimmtes Modell hinarbeiten kann.
Uniformierte Individualisten
In den Beutekisten findet sich ebenfalls spezielle Kleidung, mit der man seinen Charakter ausstatten kann. Zwar kann man so keine Panzerungs – oder Bewegungswerte anpassen, aber durchaus modische Zeichen setzen. Die
Ebenfalls schön sind online sowie im Splitscreen nutzbare Bots sowie der Lan-Modus, bei dem man sich mit PS4 und Xbox One im Netzwerk zu Spielsitzungen zusammenfinden kann. Vollkommen unverständlich ist, dass man diesen Modus auf dem PC entfernt hat: lokales Spielen ist hier nicht möglich, stattdessen muss unter Direct-X immer der Umweg über den Online-Modus genommen werden.
Keine Zombies?
Zudem wurde der Zombie- bzw. Extinction-Modus aus Black Ops und Ghosts gestrichen. Auch meine Hoffnung auf die Rückkehr der von mir sehr geschätzten Spec-Ops Missionen aus Modern Warfare 2 wurde enttäuscht. Stattdessen kann man sich jetzt fünfzig Wellen lang kooperativ durch eine lahme Horde-Variante auf den bereits bekannten Mehrspieler-Karten ballern. Allerdings sind diese Klon-Gegner und stupiden Spielabläufe kein adäquater Ersatz für Horden aus Zombie-Nazis oder Aliens in separaten Szenarien.
Fazit
Neues Studio, neue Faszination? Leider nein. Trotz des Zukunfts-Szenarios und frischer Elemente wie dem Exoskelett und glänzendem Sci-Fi-Spielzeug bleibt der Shooter so bieder wie belanglos. Man ballert sich durch dümmliche Feindeshorden, vollführt zum X-ten Mal eine Weltreise in gewohnter Bombast-Inszenierung und rettet mal wieder die Welt mit Panzer, Flugzeug und Railgun. Die Erzählung wird solide inszeniert und Kevin Spacey gibt sich redliche Mühe, dem eindimensionalen Bösewicht Jonathan Irons so etwas wie Tiefgang zu verleihen. Das Drehbuch bleibt aber auf durchweg mäßigem Popcorn-Niveau. Ja, die Kulisse ist endlich zeitgemäß und mit einem gelungenen Schleicheinsatz sowie Fahrzeugsequenzen kommt auch die Abwechslung nicht zu kurz. Unterm Strich können die öden Hochglanzschießereien der Kampagne aber keine Begeisterung auslösen. Nur dank der inhaltlichen Steigerung zum Vorgänger Ghosts schneidet Advanced Warfare gerade noch befriedigend ab. Aber halt! Da ist ja noch der Multiplayer - und der rockt auch in diesem Jahr. Die Exoskelette ermöglichen coole neue Sprünge und vertikale Akrobatik in den Feuergefechten. Kreative Spielmodi wie Uplink oder Momentum sind tolle Ergänzungen zu Team Deathmatch & Co. Auch wenn die Karten mitunter mehr Bewegungsspielraum vermissen lassen, sind sie angenehm durchdacht. Zudem überzeugt sowohl das neue Beute-System als auch das erweiterte Waffenarsenal. Ebenfalls schön: Die vielfältige Individualisierung führt zu einem regelrechten Schaulaufen auf dem Schlachtfeld, während man sich durch die zehn Prestige-Stufen der 50 Ränge ballert. Ärgerlich ist lediglich, dass man auf dem PC den LAN-Modus entfernt und den spaßigen Zombie-Modus durch eine unheimlich lahme Horde-Variante ersetzt hat. Aber Advanced Warfare macht in den Online-Gefechten dank frischer Impulse richtig Laune. Unterm Strich - erneut - ein Shooter mit schwacher Kampagne, aber sehr gutem Multiplayer.
Pro
Kontra
Wertung
360
Inhaltlich weitestgehen identisch, technisch spürbar schwächer. Die alte Generation kann nicht mit Xbox One und Co. mithalten.
PlayStation4
Schwache Kampagne, sehr guter Multiplayer: Advanced Warfare setzt den Call-of-Duty-Trend der letzten Jahre fort.
PlayStation3
Inhaltlich weitestgehen identisch, technisch spürbar schwächer. Die alte Generation kann nicht mit PS4 und Co. mithalten.
XboxOne
Schwache Kampagne, sehr guter Multiplayer: Advanced Warfare setzt den Call-of-Duty-Trend der letzten Jahre fort.
PC
Schwache Kampagne, sehr guter Multiplayer: Advanced Warfare setzt den Call-of-Duty-Trend der letzten Jahre fort.
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