Trotzdem trifft man natürlich auch diesmal große Entscheidungen, deren Konsequenzen dauerhaft und schmerzhaft sein können. Genau deshalb ist Javiers Familie so wichtig: Blut ist dicker als Wasser, Verwandtschaft wichtiger als Freunde. Selten fiel es mir z.B. leichter, einen Charakter zu erschießen, in diesem Fall, weil er Javiers Neffen Gabe bedrohte – eine bemerkenswert unangenehme Erfahrung.
Technik und Regie
Schön, dass sämtliche Aktionssymbole übrigens wie Elemente eines Comics in die Spielwelt eingebettet sind. Das ist zwar nur eine Kleinigkeit, sorgt aber für einen angenehm harmonischen Eindruck. Überhaupt steht der etwas aufgefrischte grafische Stil The Walking Dead gewohnt gut – auch wenn die Animationen nach wie vor weit von den aufwändigen Filmsequenzen eines
The Last of Us entfernt sind. Die Möglichkeiten der Regie sind damit vor allem in Sachen Nahaufnahmen und Zusammenspiel mehrerer Figuren beschränkt.
Dennoch inszeniert Telltale mit dem Finale der ersten Episode einen vielleicht vorhersehbaren, in dieser Form aber überraschend brutalen Höhepunkt. Die letzten Minuten dieser Folge markieren einen gelungenen Wiedereinstieg in ein Drama, das einmal mehr in die Abgründe der menschlichen Seele blickt. Die Entwickler treffen den Kern ihres
Konflikte mit anderen Gruppen und natürlich den Zombies treiben die Handlung voran.
Anliegens in den gesamten zwei Folgen dabei so gut, dass mir der Slogan ihrer dritten Staffel in den Sinn kam, bevor ich ihn zum ersten Mal gelesen hatte: „Wie weit würdest du gehen, um deine Familie zu beschützen?“
Das Leben ist interaktiv!
Der spielerische Anspruch hält sich allerdings weiterhin in Grenzen. Rätsel löst Javier keine, das gelegentliche freie Erkunden kleiner Schauplätze dient nicht dem Entdecken der Umgebung, sondern als Bühne für wenige optionale Wortwechsel. The Walking Dead setzt auch diesmal auf eine straffe Inszenierung, von daher ist die Einschränkung verständlich. Trotzdem ist mir das ruhige Entdecken der plastischen Kulissen in
Life Is Strange lieber. Warum nutzt Telltale die Unterhaltungen beim freien Herumlaufen nicht zum Erzählen kleiner Nebengeschichten, um dem spielerischen interaktiven Erlebnis Farbe zu verleihen?
Sinnvoll fände ich außerdem das Anzeigen der Tonlage, in dem Javier seine verschiedenen Antwortmöglichkeiten aussprechen würde. Denn wie gehabt kann man den reinen Text vieler Antworten auslegen, weshalb ich mich in manchen Gesprächen über ungewollt wütende oder sanftmütige Reaktionen geärgert habe. Zu allem Überfluss gibt es ab Staffel drei nur noch einen Spielstand, der offenbar komplett überschrieben wird, sollte man die aktuelle Episode wiederholen wollen. Das Ausmerzen kleiner Fehlentscheidungen ist also nicht mehr möglich.