Im Test: Zeitreise in Tokio
Zum ersten Mal Tokio
Fast 30 Jahre Jahre reist Sega zurück, um im sechsten Spiel der zentralen Yakuza-Serie eine Geschichte zu erzählen, die sich nicht um den Dauerprotagonisten Kazuma Kiryu dreht, sondern sein jugendliches Alter Ego. Schon damals waren seine Loyalität, seine Besonnenheit und sein Einfallsreichtum gefragt, als ihn eine Intrige dazu zwang, den Clan
Der zweite Hauptdarsteller
Das ergibt sich nicht nur als Notwendigkeit der Handlung; vielmehr war Kamurocho neben Kazuma stets der eigentliche Star der Milieustudie. Zum einen zeichneten die Entwickler von Beginn an ein beinahe realitätsgetreues Abbild des realen Vergnügungsviertels Kabukicho – die grauen Häuser mit ihrer farbenfrohen Reklame, den vielen Geschäften und anderen Lokalitäten ist bedeutend kleiner als jedes Grand Theft Auto, aber auch belebter und umfangreicher. Immerhin steckt hier ein ganzes Spiel auf vielleicht einem Quadratkilometer.
Zum anderen ist dieses Spiel auch in sich größer als andere offene Welten, denn Kazuma kann sich mit etlichen Beschäftigungen die Zeit vertreiben, die nicht das Geringste mit dem Aufrollen des roten Fadens zu tun haben. Dazu zählen Bowling, Billard, Dart, Baseball, Angeln, Mah-Jongg, die japanische Schachvariante Shogi, Tanzen, Karaoke, die Spielhallen-Automaten Outrun und Space Harrier sowie der Zusammenbau und die Wettrennen spezieller Modellautos.
Manche Minispiele sind kaum mehr als ein netter Zeitvertreib, andere allerdings richtig fesselnd. Besonders die Rennen des Pocket Circuit haben es mir angetan: Um auf unterschiedlichen Strecken der Marke Steckbaukasten zu bestehen, müssen die Flitzer durch teure Bauteile mit verschiedenen Eigenschaften an jeden Lauf angepasst werden und das kostet nicht nur Geld, sondern auch ein gutes Gespür für das richtige Setup. Die folgenden Rennen der von selbst fahrenden Boliden sind dann aufregender, als ich erst vermutet hatte!
Wenn gestern heute ist
Nun gab es diese Vielfalt, von kleinen Neuerungen wie Pocket Circuit sowie Outrun und Space Harrier abgesehen, schon immer. Tatsächlich fühlte ich mich in Kamurocho zwar sofort Zuhause, wurde der Rückkehr aber nach wenigen Stunden schon überdrüssig. Zu vertraut wirkt hier fast jeder Tastendruck. Das war spätestens in Yakuza 4 schon so und wird mit fortlaufender Seriendauer offenbar nicht besser.
Dieses ermüdende Déjà-vu wird dadurch verstärkt, dass sich Kamurocho in mehr als 20 Jahren offenbar kaum verändert hat. Denn obwohl Yakuza 0 (ab 17,99€ bei kaufen) im Jahr 1988 beginnt und an der späteren Stelle eines modernen Wolkenkratzers alte Häuser stehen, sehen die Mauern im Wesentlichen wie in den späteren Jahrzehnten der Vorgänger aus. Den Fassaden könnte ich das Überstehen der Zeit dabei sogar nachsehen – dass sich aber selbst die Inneneinrichtung fast aller Geschäfte praktisch nicht verändert haben soll, zerstört die Illusion einer Zeitreise.
Schade auch, dass in den englischen Untertiteln auffallend viele gegenwärtige Begriffe und Redewendungen auftauchen, die zur Zeit der Handlung nicht in dieser Form verwendet wurden. Ganz allgemein vermisse ich an vielen Stellen Anspielungen auf die Zeit. Hält man einen der Vorgänger und Yakuza 0 nebeneinander, wird kaum deutlich, dass sie in verschiedenen Dekaden verortet sind.
Dabei statt mittendrin
Immerhin: Die Erzählweise ist über weite Strecken dermaßen altmodisch, dass sie der dargestellten Ära näher ist als dem modernen Videospiel. So blitzt in einigen Filmszenen zwar die Brillanz durch, mit der Yakuza anno 2005 erstmals von sich reden machte, über weite Strecken wirkt der aktuelle Krimi aber schlicht veraltet.
Ich sage das mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn so sehr ich lebensnahe Dramen liebe, so sehr mag die überzogene Dramatik der japanischen Popkultur sowie ihren naiven Blick auf eine Welt, in der Männer Freunde werden, nachdem sie sich praktisch zu Tode geprügelt haben. Dass viele Unterhaltungen als reines Klickwerk nicht eingesprochen wurden, stört mich nicht, die meist starre Kameraarbeit ebenso wenig.
Ärgerlich finde ich allerdings, dass mir die interaktive Regie fast alle Entwicklungen sowohl im Rahmen des roten Fadens als auch der zahlreichen Kurzgeschichten einfach vorliest. Viel zu oft muss ich einen Haufen Bösewichte verprügeln, weil die Action nun mal Spielinhalt Nummer eins ist, trage aber nichts zur eigentlichen Lösung eines Problems bei. Die wird im stattdessen einfach vorgesagt – weil sich alle Beteiligten plötzlich einsichtig zeigen und das
Die offline spielbaren sind Darts, Poolbillard, das Tanzen-Rhythmusspiel und Bowling. Bei den online spielbaren handelt es sich um Poker, Ma-Jongg und das Würfelspiel Cee-Lo.
Erschaffen aktiver Spielinhalte vielleicht zu aufwändig gewesen wäre.
Große Probleme, alberner Quatsch
Dabei steht Kiryu ständig im Mittelpunkt eigentlich interessanter Begebenheiten, darunter der Auftritt einer Punk-Band, deren Mitglieder brave Normalos sind, oder die Begegnung mit einem Mädchen, das seine Unterwäsche verkauft. Das sind mal alberne, mal ernste Themen, die dem Gangster-Krimi Farbe verleihen, und mitunter verkündet Sega bei der Gelegenheit gut gemeinte Lebensweisheiten. Doch auch die meisten dieser Nebenmissionen sind übertrieben knapp gefasst. Binnen eines Dialogs bringt Kazuma den vermeintlichen Punkern etwa den Sprech ihrer Zielgruppe bei – schon ist der Auftrag erledigt. Nicht einmal die Tatsache, dass man den Verlauf mancher Unterhaltungen durch die Wahl verschiedener Antworten lenkt, hat auf das
Zu allem Überfluss werden die Minigeschichten viel zu hastig abgespult: Ich habe nicht gezählt, aber gefühlt werden sie häufiger an Ort und Stelle durchexerziert, wo sie in früheren Yakuza-Spielen an zeitlich und örtlich getrennten Stationen erzählt wurden.
Das Kind im Manne
Als unzeitgemäß empfinde ich außerdem die Charakterzeichnung Kiryus. Denn obwohl er ein taffer Schläger ist, verhält er sich in manchen Nebenmissionen und Minispielen wie ein vergnügtes Kind. Warum tritt er in Filmszenen meist mit einem schlecht gelaunten Stirnrunzeln auf, lässt abseits der zentralen Erzählung aber wie der Held einer Teenager-Komödie albernen Unsinn über sich ergehen? Es wäre ein Leichtes, Erzählung und Spiel zumindest so weit zusammenzuführen, dass sie wie Teile derselben Geschichte wirken. Die Spielewelt hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat – Yakuza kam in dieser Zeit jedoch kaum voran.
Drei in einem
Den klassischen Charakteraufbau eines Videospiels, also das Lernen und Verbessern unterschiedlicher Fähigkeiten, beherrscht es dafür umso besser. Immerhin bringt man Kazuma ständig neue Fähigkeiten bei, entweder durch eine Unterhaltung mit bestimmten Charakteren, das Bezahlen im Kampf verdienter Yen oder im Austausch gegen erzielte Erfolge.
Vielleicht weil Yakuza 0 nicht mehr die Geschichte von vier oder fünf Protagonisten erzählt, beherrscht Kiryu dabei drei sehr verschiedene Kampfstile, mit denen er sich schnell bewegt, härter zuschlägt oder wie ein mächtiger Koloss über Gegner walzt.
Und noch eine weitere Neuerung macht das Kämpfen eine Idee interessanter als bisher: Besondere Gegner, die zufällig durch die Straßen Kamurochos schlurfen, verlangen Kazuma alles ab, weil sie ihn im Handumdrehen um den kompletten Inhalt seiner Briefbörse erleichtern. Mr. Shakedown nennen sich die mächtigen Raufbolde, die nicht nur Kiryu, sondern auch anderen Passanten ihr Erspartes stehlen
Ach, ja!
Habe ich etwas vergessen? Eigentlich nicht. Alles Wichtige zum Spiel steht drin. Obwohl… nicht ganz. Denn natürlich ist da noch Goro Majima, der neben Kazuma Kiryu nicht weniger als die zweite Hauptrolle spielt. Seine Geschichte beginnt unabhängig von der seines späteren Kumpels in Sotenbori, einer fiktiven Version des Stadtteils Dotonbori in Osaka. Und tatsächlich ist die Handlung um Majima ähnlich interessant wie die um Kiryu.
Allerdings – und deshalb erwähne ich ihn erst jetzt: Spielerisch unterscheidet sich sein Alltag in Osaka praktisch nicht vom Tagesgeschäft in Tokio. Ich mag Sotenbori! Weil ich gute Erinnerungen an den nach wie vor besten Teil der Serie, Yakuza 2, hege, kehre ich gerne dorthin zurück, wo Kazuma die Polizistin Kaoru getroffen hat. Doch zum einen war dies schon in Yakuza 5 möglich und zum anderen nutzt Sega den zweiten Schauplatz lediglich als Tapetenwechsel. Inhaltlich ist er im Grunde überflüssig.
Immerhin bewegt sich Majima aber mit seinen drei Kampfstilen ganz anders als das Gesicht der Serie und das ist eine erfrischende Abwechslung. An dieser Stelle gehen mir allerdings auch schon die Worte aus, weil mir partout keine weiteren nennenswerten Unterschiede einfallen. Majima, der in Osaka einen edlen Hostessen-Club führt, brilliert sogar in ähnlich hochwertigen Filmszenen wie Kiryu – teilt sich mit ihm aber alle erwähnten Schwächen der Charakterzeichnung und erlebt ähnlich oberflächliche Nebenmissionen.
Und so bestätigt er nur, was mir spätestens seit Teil vier der Serie Gewissheit ist: So sehr ich es liebe, alle paar Jahre in die lebendige Welt von Yakuza zurückzukehren, so verbraucht wirkt dieses Erlebnis heute.
Fazit
Kleine Neuerungen am Kampfsystem, leicht veränderte Kulissen: Yakuza ist auch fast 30 Jahre in der Vergangenheit das Spiel, das es schon immer war. Kenner fühlen sich in der vertrauten Umgebung wohl, wiederholen aber nur, was sie schon kennen. Als Kazuma Kiryu und Goro Majima erteilen sie sowohl kleinen als auch großen Schurken eine Lehre, gehen bowlen oder spielen Schach, helfen Mitmenschen aus der Misere und managen sogar ihre eigenen Clubs. Wer Yakuza 0 spielt, erlebt eine lebendige, schillernde Welt mit unterhaltsamen Nebenmissionen, zahlreichen Minispielen und einen gut geschriebenen Milieu-Thriller – zumindest so lange, wie man dem roten Faden folgt und nicht über die Textwüsten der vielen Kurzgeschichten stolpert, auf die man kaum Einfluss nimmt. Nach Belieben entwickelt man die Fähigkeiten der Protagonisten, perfektioniert verschiedene Kampfstile und besteht in knackigen Prügeleien aufregende Herausforderungen. Das über mehr als zehn Jahre gereifte Konzept funktioniert hervorragend – würde es sich nur nicht so verdammt verbraucht anfühlen!
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Kleine Änderungen am Kampfsystem, leicht veränderte Kulissen: Yakuza ist auch fast 30 Jahre in der Vergangenheit das Spiel, das es schon immer war.
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