Yakuza 025.01.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: Zeitreise in Tokio

Wenn Kazuma Kiryu die ersten Schritte durch Kamurocho macht, ist das für mich wie eine Rückkehr nach Hause. Einwohner und Touristen schlendern dort unter greller Neonreklame durch die Fußgängerzone, während in dunklen Gassen jugendliche Draufgänger die Briefbörsen hilfloser Passanten zocken. Hostessen werben um Kunden, Bowling-Hallen um Spieler, Yakuza-Mitglieder für Schutzgeld-Abkommen. Seit mehr als zehn Jahren ist Segas Gangster-Mär ein fester Bestandteil meiner Freizeit – seit fast zehn Jahren allerdings auch ein Spiel, das sich kaum verändert hat. Dass der Blick in Kazumas Vergangenheit etwas daran ändern würde, war vor unserem Test deshalb fraglich...

Zum ersten Mal Tokio

Fast 30 Jahre Jahre reist Sega zurück, um im sechsten Spiel der zentralen Yakuza-Serie eine Geschichte zu erzählen, die sich nicht um den Dauerprotagonisten Kazuma Kiryu dreht, sondern sein jugendliches Alter Ego. Schon damals waren seine Loyalität, seine Besonnenheit und sein Einfallsreichtum gefragt, als ihn eine Intrige dazu zwang, den Clan

Das schillernde Vergnügungsviertel Kamurocho ist erneut der eigentliche Star des Milieu-Krimis.
des Ziehvaters zu verlassen und auf eigene Faust zu ermitteln. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur Kiryu, sondern auch Tokios fiktiver Stadtteil Kamurocho, dem eine große Veränderung bevorsteht.

Der zweite Hauptdarsteller

Das ergibt sich nicht nur als Notwendigkeit der Handlung; vielmehr war Kamurocho neben Kazuma stets der eigentliche Star der Milieustudie. Zum einen zeichneten die Entwickler von Beginn an ein beinahe realitätsgetreues Abbild des realen Vergnügungsviertels Kabukicho – die grauen Häuser mit ihrer farbenfrohen Reklame, den vielen Geschäften und anderen Lokalitäten ist bedeutend kleiner als jedes Grand Theft Auto, aber auch belebter und umfangreicher. Immerhin steckt hier ein ganzes Spiel auf vielleicht einem Quadratkilometer.

Zum anderen ist dieses Spiel auch in sich größer als andere offene Welten, denn Kazuma kann sich mit etlichen Beschäftigungen die Zeit vertreiben, die nicht das Geringste mit dem Aufrollen des roten Fadens zu tun haben. Dazu zählen Bowling, Billard, Dart, Baseball, Angeln, Mah-Jongg, die japanische Schachvariante Shogi, Tanzen, Karaoke, die Spielhallen-Automaten Outrun und Space Harrier sowie der Zusammenbau und die Wettrennen spezieller Modellautos.

Der wendungsreiche Plot dreht sich um neue und bekannte Figuren.

Manche Minispiele sind kaum mehr als ein netter Zeitvertreib, andere allerdings richtig fesselnd. Besonders die Rennen des Pocket Circuit haben es mir angetan: Um auf unterschiedlichen Strecken der Marke Steckbaukasten zu bestehen, müssen die Flitzer durch teure Bauteile mit verschiedenen Eigenschaften an jeden Lauf angepasst werden und das kostet nicht nur Geld, sondern auch ein gutes Gespür für das richtige Setup. Die folgenden Rennen der von selbst fahrenden Boliden sind dann aufregender, als ich erst vermutet hatte!

Wenn gestern heute ist

Nun gab es diese Vielfalt, von kleinen Neuerungen wie Pocket Circuit sowie Outrun und Space Harrier abgesehen, schon immer. Tatsächlich fühlte ich mich in Kamurocho zwar sofort Zuhause, wurde der Rückkehr aber nach wenigen Stunden schon überdrüssig. Zu vertraut wirkt hier fast jeder Tastendruck. Das war spätestens in Yakuza 4 schon so und wird mit fortlaufender Seriendauer offenbar nicht besser.

Dieses ermüdende Dé­jà-vu wird dadurch verstärkt, dass sich Kamurocho in mehr als 20 Jahren offenbar kaum verändert hat. Denn obwohl Yakuza 0 (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) im Jahr 1988 beginnt und an der späteren Stelle eines modernen Wolkenkratzers alte Häuser stehen, sehen die Mauern im Wesentlichen wie in den späteren Jahrzehnten der Vorgänger aus. Den Fassaden könnte ich das Überstehen der Zeit dabei sogar nachsehen – dass sich aber selbst die Inneneinrichtung fast aller Geschäfte praktisch nicht verändert haben soll, zerstört die Illusion einer Zeitreise.

Schade auch, dass in den englischen Untertiteln auffallend viele gegenwärtige Begriffe und Redewendungen auftauchen, die zur Zeit der Handlung nicht in dieser Form verwendet wurden. Ganz allgemein vermisse ich an vielen Stellen Anspielungen auf die Zeit. Hält man einen der Vorgänger und Yakuza 0 nebeneinander, wird kaum deutlich, dass sie in verschiedenen Dekaden verortet sind.

Mit Anspielungen verortet Sega die Schauplätze in der Vergangenheit - insgesamt gleichen die Kulissen denen der Gegenwart aber sehr.

Dabei statt mittendrin

Immerhin: Die Erzählweise ist über weite Strecken dermaßen altmodisch, dass sie der dargestellten Ära näher ist als dem modernen Videospiel. So blitzt in einigen Filmszenen zwar die Brillanz durch, mit der Yakuza anno 2005 erstmals von sich reden machte, über weite Strecken wirkt der aktuelle Krimi aber schlicht veraltet.

Ich sage das mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn so sehr ich lebensnahe Dramen liebe, so sehr mag die überzogene Dramatik der japanischen Popkultur sowie ihren naiven Blick auf eine Welt, in der Männer Freunde werden, nachdem sie sich praktisch zu Tode geprügelt haben. Dass viele Unterhaltungen als reines Klickwerk nicht eingesprochen wurden, stört mich nicht, die meist starre Kameraarbeit ebenso wenig.

Ärgerlich finde ich allerdings, dass mir die interaktive Regie fast alle Entwicklungen sowohl im Rahmen des roten Fadens als auch der zahlreichen Kurzgeschichten einfach vorliest. Viel zu oft muss ich einen Haufen Bösewichte verprügeln, weil die Action nun mal Spielinhalt Nummer eins ist, trage aber nichts zur eigentlichen Lösung eines Problems bei. Die wird im stattdessen einfach vorgesagt – weil sich alle Beteiligten plötzlich einsichtig zeigen und das

Einige der Minispiele sind auch vom Hauptmenü aus online oder offline spielbar.

Die offline spielbaren sind Darts, Poolbillard, das Tanzen-Rhythmusspiel und Bowling. Bei den online spielbaren handelt es sich um Poker, Ma-Jongg und das Würfelspiel Cee-Lo.

Erschaffen aktiver Spielinhalte vielleicht zu aufwändig gewesen wäre.

Große Probleme, alberner Quatsch

Dabei steht Kiryu ständig im Mittelpunkt eigentlich interessanter Begebenheiten, darunter der Auftritt einer Punk-Band, deren Mitglieder brave Normalos sind, oder die Begegnung mit einem Mädchen, das seine Unterwäsche verkauft. Das sind mal alberne, mal ernste Themen, die dem Gangster-Krimi Farbe verleihen, und mitunter verkündet Sega bei der Gelegenheit gut gemeinte Lebensweisheiten. Doch auch die meisten dieser Nebenmissionen sind übertrieben knapp gefasst. Binnen eines Dialogs bringt Kazuma den vermeintlichen Punkern etwa den Sprech ihrer Zielgruppe bei – schon ist der Auftrag erledigt. Nicht einmal die Tatsache, dass man den Verlauf mancher Unterhaltungen durch die Wahl verschiedener Antworten lenkt, hat auf das

Doch!
Ergebnis einen Einfluss.

Zu allem Überfluss werden die Minigeschichten viel zu hastig abgespult: Ich habe nicht gezählt, aber gefühlt werden sie häufiger an Ort und Stelle durchexerziert, wo sie in früheren Yakuza-Spielen an zeitlich und örtlich getrennten Stationen erzählt wurden.

Das Kind im Manne

Als unzeitgemäß empfinde ich außerdem die Charakterzeichnung Kiryus. Denn obwohl er ein taffer Schläger ist, verhält er sich in manchen Nebenmissionen und Minispielen wie ein vergnügtes Kind. Warum tritt er in Filmszenen meist mit einem schlecht gelaunten Stirnrunzeln auf, lässt abseits der zentralen Erzählung aber wie der Held einer Teenager-Komödie albernen Unsinn über sich ergehen? Es wäre ein Leichtes, Erzählung und Spiel zumindest so weit zusammenzuführen, dass sie wie Teile derselben Geschichte wirken. Die Spielewelt hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat – Yakuza kam in dieser Zeit jedoch kaum voran.

Drei in einem

Den klassischen Charakteraufbau eines Videospiels, also das Lernen und Verbessern unterschiedlicher Fähigkeiten, beherrscht es dafür umso besser. Immerhin bringt man Kazuma ständig neue Fähigkeiten bei, entweder durch eine Unterhaltung mit bestimmten Charakteren, das Bezahlen im Kampf verdienter Yen oder im Austausch gegen erzielte Erfolge.

Vielleicht weil Yakuza 0 nicht mehr die Geschichte von vier oder fünf Protagonisten erzählt, beherrscht Kiryu dabei drei sehr verschiedene Kampfstile, mit denen er sich schnell bewegt, härter zuschlägt oder wie ein mächtiger Koloss über Gegner walzt.

Und noch eine weitere Neuerung macht das Kämpfen eine Idee interessanter als bisher: Besondere Gegner, die zufällig durch die Straßen Kamurochos schlurfen, verlangen Kazuma alles ab, weil sie ihn im Handumdrehen um den kompletten Inhalt seiner Briefbörse erleichtern. Mr. Shakedown nennen sich die mächtigen Raufbolde, die nicht nur Kiryu, sondern auch anderen Passanten ihr Erspartes stehlen

Zimperlich ging es auch in den 80er Jahren nicht zur Sache.
und die Beute immer und überall bei sich tragen. Besiegt man einen Mr. Shakedown, erhält man deshalb eine gewaltige Summe – eine interessante Herausforderung also, falls man nicht selbst gerade eine dreistellige Millionensumme in der Tasche hat…

Ach, ja!

Habe ich etwas vergessen? Eigentlich nicht. Alles Wichtige zum Spiel steht drin. Obwohl… nicht ganz. Denn natürlich ist da noch Goro Majima, der neben Kazuma Kiryu nicht weniger als die zweite Hauptrolle spielt. Seine Geschichte beginnt unabhängig von der seines späteren Kumpels in Sotenbori, einer fiktiven Version des Stadtteils Dotonbori in Osaka. Und tatsächlich ist die Handlung um Majima ähnlich interessant wie die um Kiryu.

Allerdings – und deshalb erwähne ich ihn erst jetzt: Spielerisch unterscheidet sich sein Alltag in Osaka praktisch nicht vom Tagesgeschäft in Tokio. Ich mag Sotenbori! Weil ich gute Erinnerungen an den nach wie vor besten Teil der Serie, Yakuza 2, hege, kehre ich gerne dorthin zurück, wo Kazuma die Polizistin Kaoru getroffen hat. Doch zum einen war dies schon in Yakuza 5 möglich und zum anderen nutzt Sega den zweiten Schauplatz lediglich als Tapetenwechsel. Inhaltlich ist er im Grunde überflüssig.

Eine interessante Geschichte erlebt auch Goro Majima in Osaka.

Immerhin bewegt sich Majima aber mit seinen drei Kampfstilen ganz anders als das Gesicht der Serie und das ist eine erfrischende Abwechslung. An dieser Stelle gehen mir allerdings auch schon die Worte aus, weil mir partout keine weiteren nennenswerten Unterschiede einfallen. Majima, der in Osaka einen edlen Hostessen-Club führt, brilliert sogar in ähnlich hochwertigen Filmszenen wie Kiryu – teilt sich mit ihm aber alle erwähnten Schwächen der Charakterzeichnung und erlebt ähnlich oberflächliche Nebenmissionen.

Und so bestätigt er nur, was mir spätestens seit Teil vier der Serie Gewissheit ist: So sehr ich es liebe, alle paar Jahre in die lebendige Welt von Yakuza zurückzukehren, so verbraucht wirkt dieses Erlebnis heute.

Fazit

Kleine Neuerungen am Kampfsystem, leicht veränderte Kulissen: Yakuza ist auch fast 30 Jahre in der Vergangenheit das Spiel, das es schon immer war. Kenner fühlen sich in der vertrauten Umgebung wohl, wiederholen aber nur, was sie schon kennen. Als Kazuma Kiryu und Goro Majima erteilen sie sowohl kleinen als auch großen Schurken eine Lehre, gehen bowlen oder spielen Schach, helfen Mitmenschen aus der Misere und managen sogar ihre eigenen Clubs. Wer Yakuza 0 spielt, erlebt eine lebendige, schillernde Welt mit unterhaltsamen Nebenmissionen, zahlreichen Minispielen und einen gut geschriebenen Milieu-Thriller – zumindest so lange, wie man dem roten Faden folgt und nicht über die Textwüsten der vielen Kurzgeschichten stolpert, auf die man kaum Einfluss nimmt. Nach Belieben entwickelt man die Fähigkeiten der Protagonisten, perfektioniert verschiedene Kampfstile und besteht in knackigen Prügeleien aufregende Herausforderungen. Das über mehr als zehn Jahre gereifte Konzept funktioniert hervorragend – würde es sich nur nicht so verdammt verbraucht anfühlen!

Pro

spannende und wendungsreiche Vorgeschichte der langlebigen Serie
detailgenaue und lebendige Darstellung zweier Stadtteile
verschiedene Kampfstile erlauben unterschiedliches Vorgehen
besondere Gegner bringen Abwechslung in Erkunden der Städte
zahlreiche Nebenmissionen mit unterhaltsamen kleinen Geschichten
viele unterhaltsame Minispiele einschließlich Outrun, Space Harrier und spannenden Wettrennen mit selbst gebauten Modellautos
umfangreiche Charakterentwicklung über zwei Systeme und Nebenmissionen
einige Minispiele als separate Mehrspieler-Varianten

Kontra

nichts wesentlich Neues
Kulissen und Ausstattung wurden insgesamt kaum an 80er Jahre angepasst
großer gefühlter Widerspruch zwischen Kiyru in Haupthandlung und Nebenmissionen
viele Entwicklungen werden zerredet, anstatt sie durch Handlungen darzustellen oder den Spieler erleben zu lassen
die oft übermäßig naiv erzählt sind und albern wirken
Kamera zeigt vor allem in engen Räumen oft nicht den Gegner
viele scharfe, aber auch einige matschige Texturen, teilweise direkt nebeneinander
ausschließlich englische Sprache mit vielen nicht zeitgemäßen Redewendungen

Wertung

PlayStation4

Kleine Änderungen am Kampfsystem, leicht veränderte Kulissen: Yakuza ist auch fast 30 Jahre in der Vergangenheit das Spiel, das es schon immer war.

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Kommentare

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johndoe945852

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Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 7 Jahren