Im Test: In der Wildnis verloren
Anfang und Ende
Die menschenleere Wildnis als Anfang und als Ende: Als Henry dort ankommt, ist er auf der Flucht - nicht vor einer Person oder Institution, sondern seinem eigenen Leben, seinen Ängsten und Fehlern. Er wusste sich nicht anders zu helfen, nachdem seine Frau, Julia, an Alzheimer erkrankt und zu ihrer Familie in die Ferne gezogen war. Jetzt zieht er als einer der Feuerwächter in die Einsamkeit, die Katastrophen wie den Großbrand im Yellowstone-Nationalpark verhindern sollen. 1988 brannte mehr als ein Drittel des großen Parks. 1989 kommt Henry in Wyoming an.
Der unsichtbare Draht
Henry besitzt also weder Handy noch Internet, nicht einmal einen Fernseher gibt es in seinem Wachturm. Seine einzige Verbindung zur Zivilisation führt über Delilah, seine Chefin, die in einem anderen Turm per Walkie-Talkie mit ihm spricht. Die Ruhe der mit wenigen Strichen gezeichneten Wildnis, der Wind in hohen Wipfeln, Delilahs Stimme
Auf Konsole leidet das Spiel unter Problemen, die gerade einem Abenteuer, das auf Stimmung und Immersion setzt, nicht passieren dürfen!
So ist die Sichtweite vieler Details sehr gering; hohes Gras taucht an vielen Stellen etwa auffallend plötzlich auf. Der Ablauf wird zudem häufig von kurzen Unterbrechungen gestört.
Dem Spielgefühl schaden diese Einschränkungen so sehr, dass wir uns für eine niedrigere Wertung entschieden haben. und das Knacksen des Funkgeräts: Das kalifornische Studio Campo Santo inszeniert ein eindringliches, glaubhaftes Szenario.
Selbstverständlich ist Firewatch weder Assassin's Creed noch Shadow of the Colossus: Henry kann sich in der Natur über weite Strecken frei bewegen, folgt aber stets den Anweisungen seiner Vorgesetzten. Das Spielgebiet ist weitläufig, seine Größe aber überschaubar. Die Wege wirken allerdings nie beengend, weil oft verschiedene Pfade ans Ziel führen. Und obwohl Henry nur an markierten Stellen auf Knopfdruck klettert oder springt und nie auf unvorhergesehene Weise eine Böschung herunter purzelt oder beim Balancieren fällt, fühlt sich das Wandern angenehm frei an. Die Entwickler lockern alle Wege mit kleinen Hindernissen und Überraschungen auf, während Henry mit Karte und Kompass sein Ziel sucht und in Versorgungskisten nicht nur Hinweise auf andere Personen, sondern auch Gegenstände findet, die verwachsene oder anderweitig versperrte Wege öffnen.
Ein Musterbeispiel guter Dialogregie
Es ist aber nicht die Interaktion mit der Umgebung, die Firewatch zu einem so vereinnahmenden Erlebnis macht - es ist das Zusammenspiel von Henry und Delilah. Immerhin stehen die beiden fast ständig in Kontakt. Schon nach wenigen Minuten wird Delilah zu einem Gesprächspartner; wie ein starker Soundtrack trägt ihre Stimme das emotionale Abenteuer. Sie ist nie aufdringlich
Das Besondere ist dabei nicht nur die Qualität der Texte, sondern auch die dynamische Entwicklung der Unterhaltungen. Denn Henry kann, muss aber nicht, zahlreiche Gegenstände oder Entdeckungen per Funk kommentieren: Blickt er ein Objekt an, hält er es in der Hand oder befindet er sich an einem bestimmten Ort, erhält man entsprechende Gesprächsoptionen. Kommt ein neues Objekt ins Bild, kann man die neuen Optionen außerdem im bereits laufenden Gespräch verwenden. Und immer hat man die Möglichkeit, Delilah einfach nicht zu antworten.
Sie reagiert dann anders - viele der Übergänge sind hervorragend! Und nach manchen Aussagen kann sie so verstimmt sein, dass sie ihr Walkie-Talkie einfach abschaltet. Es ist sogar möglich, manche ihrer Anweisungen zu ignorieren und kommentarlos ein anderes Problem anzupacken. Das ändert wenig am Ausgang der Geschichte, aber Delilah reagiert darauf, kommt mitunter mehrmals darauf zurück. Mit anderen Worten: Ähnlich wie Telltale in The Walking Dead inszeniert Santo Campo einen natürlichen Erzählfluss mit glaubwürdigen, dynamischen Unterhaltungen und schafft so eine herausragende Form der Immersion!
Geheimnisvolle Fremde
Aber war denn tatsächlich von anderen Personen die Rede? Es gibt sie ja auch in der beinahe menschenleeren Wildnis: die lärmenden Mädchen, die erst die Regeln zum Verhüten eines Waldbrands missachten, und später spurlos verschwinden. Es gibt den Mann, der Henry zu beobachten scheint, und irgendjemanden, der die Wachstube
Wer Firewatch allerdings um der Auflösung des Thrillers wegen spielt, der wird enttäuscht sein. Und wer nichts zum Inhalt erfahren möchte, sollte diesen sowie die folgenden Abschnitte bis zum Fazit überspringen. Der Plot ist jedenfalls verdammt clever, er ist es aber nicht im Stil eines The Sixth Sense. Denn Campo Santo hat gar kein Interesse am Übersinnlichen, Außerirdischen oder einer Verschwörung, wie sie James Bond aufdecken würde. Die Entwickler sind allein an ihren Figuren interessiert, an den Menschen und der Art, mit der sie widrigen Umständen begegnen. Ihnen ist ein verantwortungsloser Vater wichtig, der seinen Sohn vernachlässigt, das vage romantische Knistern zwischen Delilah und Henry und natürlich Henry selbst, dessen Erinnerungen an Julia man durch Dialogoptionen während seiner einleitenden Erzählung selbst definiert. Wer ist Henry? Wie reagiert er auf Verzweiflung, wenn er wütend ist oder enttäuscht? Die Grundzüge der Figur geben die Autoren natürlich vor - Feinheiten bestimmt man von der ersten bis zur letzten Minute selbst.
Die Geschichte der anderen
Das Besondere an all diesen Bausteinen: Campo Santo ergänzt sie untereinander, spiegelt eine auf der anderen und konstruiert so ein elegantes Puzzle, wo andere Spiele nur vordergründig Spannung suchen. Wenn der verantwortungslose Vater seinen Sohn zurücklässt, macht er sich auf ähnliche Art schuldig wie Henry gegenüber Julia.
Am wichtigsten ist aber die Auflösung des großen Geheimnisses, die gerade deshalb so stark ist, weil sie nicht den überraschenden Knall sucht, sondern von einem ebenso einfachen wie tragischen und vor allem persönlichen Schicksal erzählt. Es ist nicht Henrys Geschichte. Aber eine, die stellvertretend für sein eigenes Leben steht. Dieser Blick aus unterschiedlichen Perspektiven, durch unterschiedliche Augen auf ein und dasselbe Thema, ist es, was Firewatch zu einem so vereinnahmenden und in der Spielewelt einzigartigen Erlebnis macht!
Fazit
Firewatch ist ein leiser Krimi für Spieler, die zuhören. Mit verstörenden Geheimnissen lockt es sein Publikum in den Bann eines aufregenden Mysteriums, um ihre Ohren für sein eigentliches Anliegen zu spitzen: eine ebenso vielschichtige wie lebensnahe Geschichte zu erzählen. Es umrahmt alltägliche Gefühle mit dramatischen Ereignissen und macht dadurch erst deutlich, warum selbst das Schönste der Welt kompliziert und fatal sein kann. Dabei erzählt Entwickler Campo Santo nicht nur gut, sondern erschafft auch eine eindringliche Kulisse und vermittelt vor allem die Gespräche seiner Protagonisten so lebendig und glaubhaft, wie es sonst kaum einem Spiel gelingt. Das starke Drehbuch und die hervorragende Dialogregie machen Firewatch zu einem Juwel der interaktiven Erzählkunst! Schade nur, dass dieses Urteil im gegenwärtigen Zustand ausschließlich auf die PC-Version zutrifft: Auf Playstation 4 rauben technische Schwächen dem stimmungsvollen Abenteuer leider einen wichtigen Teil seiner Faszination.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Packendes Abenteuer mit einer klugen, vielschichtigen Erzählung und lebendigen interaktiven Dialogen.
PlayStation4
Die PS4-Version leidet zum Zeitpunkt des Tests unter großen grafischen Problemen, die das Erlebnis empfindlich stören.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.