Im Test: Das Gran Turismo für Motorräder?
Forza Zweiradsport
Erinnert sich noch jemand an Tourist Trophy? Richtig: Das war das PS2-exklusive Motorrad-Rennspiel von Polyphony Digital, bei dem die Macher von Gran Turismo das Konzept ihres Real Driving Simulators einfach von Vier- auf Zweiräder übertragen haben, wenn auch in sehr abgespeckter Form. Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt Milestone bei Ride, denn auch hier startet man zunächst auf den handelsüblichen Straßen-Bikes und füllt sich die eigene Garage erst Schritt für Schritt, bis man sich nach vielen Siegen innerhalb der umfangreichen Karriere schließlich auch die teuren Rennmaschinen leisten kann.
Dabei prescht man in der überschaubaren Auswahl nicht nur über lizenzierte Kurse wie etwa Imola, Donington oder die Road America, sondern dreht auch in Städten wie Mailand oder Miami seine Runden oder genießt mit Abstechern in den Stelvio National Park, die Sierra Nevada oder zu den japanischen Kanto-Tempeln die wunderschönen Naturlandschaften. Wobei „wunderschön“ hier relativ ist, denn was Technik und grafische Detailfreude angeht, bleibt sich Milestone leider treu: Auf der PS4 gibt es bis auf den erfreulich scharfen Asphalt nichts, was man mit etwas
Die Suche nach der Balance
Okay, es gibt ja noch Tuning. Aber selbst mein verzweifelter Abstecher in die Werkstatt brachte nur mäßige Erfolge: Zum einen ließ der leere Geldbeutel kaum Spielraum für große Leistungs-Upgrades wie Renn-Luftfilter, ein Renngetriebe, eine Zylinderkopf-Bearbeitung oder einen fetten Auspuff. Zum anderen zeigte sich später, dass ich selbst mit der maximal aufgepimpten Yamaha-Maschine nicht den Hauch einer Chance auf den Sieg im Duell gegen die Standard-KI (oder höhere Stufen) hätte. Was für eine frustrierende Erkenntnis! Also entschied ich mich für einen kompletten Neustart, stellte mir zu Beginn anstatt der Yamaha aber die Street Triple von Triumph in die Garage. Und siehe da: Plötzlich wendete sich das Blatt und raste ich aus dem Stegreif in die vorderen Ränge, verbuchte sogar erste Siege. Nachdem ich kurze Zeit später ins Tuning investierte, fuhr ich sogar ganz gemütlich mit einem riesigen Vorsprung über die Ziellinie und ließ später mit voll getunten Maschinen in manchen Veranstaltungen sogar die KI-Piloten der höchsten Stufe hilflos zurück.
Keine Spannung
Wie kann das sein? Ganz einfach: Milestone hat es völlig verbockt, die Veranstaltungen sinnvolle auszubalancieren! Zwar ist der Zugang oft auf bestimmte Klassen wie Naked Bikes, historische und moderne Superbikes sowie Hubraum und Gewicht beschränkt, doch bleiben die Leistungsunterschiede zwischen den Modellen meist zu groß, um ein homogenes sowie ausgeglichenes Starterfeld zu realisieren. Folglich wird man oft Zeuge, wie sich ein Duo oder ein einzelner Fahrer innerhalb kürzester Zeit vom Rest des Feldes uneinholbar absetzt und schon nach drei mickrigen Runden ein zeitlicher Abstand von über einer Minute (!) zwischen dem Führenden und dem Letztplatzierten zustande kommen kann. Im Mittelfeld-Gerangel hat man darüber hinaus oft schlechte Karten, weil die Konkurrenz starr ihrer Linie folgt und mich dabei mehr als einmal rücksichtslos über den Haufen gefahren hat. Dabei sorgt die fragwürdige Kollisionsabfrage meist dafür, dass die Rüpel unbehelligt weiterfahren können, während man selbst schon bei kleinen Berührungen vom Sattel fliegt, auf der anderen Seite aber auch manch andere heftige Rempelei unbeschadet übersteht. Und wie reagiert man auf diese eklatanten Nachteile? Man rüstet sein Gefährt auf, was der Geldbeutel und die Teilefabrik hergeben! Gleichzeitig nimmt man sich damit aber den Nervenkitzel, weil aus den engen
Wenn man sich hinsichtlich der Aufmachung beim Tuning schon so offensichtlich an Forza Motorsport bedient, hätte man besser auch die Idee des Leistungs-Index übernehmen und auf die Veranstaltungen anwenden sollen. Zwar gibt es auch beim Rennspiel von Turn 10 deutliche Unterschiede zwischen den Boliden innerhalb einer Klasse, doch liefert der Index dort zumindest Anhaltspunkte, wie das Starterfeld aufgestellt ist. Bei Ride sieht man zwar im Vorfeld, welche Fahrer und Modelle am Rennen teilnehmen, bekommt aber keine Information über ihre Leistung. Entsprechend schwer fällt es, das Tuning nach Gefühl so zu gestalten, dass spannende Rennen garantiert sind. Milestone wäre für die Balance sicher besser damit gefahren, die Veranstaltungen mehr hinsichtlich der PS oder eben eines gewissen Leistungs-Index einzuschränken, anstatt vor allem Hubraum oder Herstellungsland als Referenz zu nehmen. Dies geschieht hier allerdings nur in sehr wenigen Ausnahmen und man findet zu oft ein völlig unausgeglichenes Starterfeld vor. Ich kann zwar kaum glauben, dass ich das jetzt sage, aber in diesem Fall wäre ein leichtes Gummiband vielleicht sogar angebracht gewesen, um die Rennen spannender und fairer zu gestalten.
Leistungsgerechte Bezahlung?
Wenig Anpassungsmöglichkeiten
Etwas kurz kommen außerdem die Setup-Möglichkeiten, was aber in der Natur der Sache liegt, denn an einem Motorrad lässt sich eben nicht ganz so viel herumschrauben wie an einem Rennwagen. So kümmert man sich hier lediglich um die Federung mit Anpassungen an der Vorspannung, Federhärte sowie Druck- und Zugstufendämpfung jeweils vorne und hinten. Außerdem darf man das Getriebe nach eigenen Wünschen (und in Bezug auf die Streckencharakteristika) einstellen – das war's. Visuelle „Upgrades“ sind ebenfalls möglich, doch beschränkt man sich hier lediglich auf eine überschaubare Auswahl Griffen, (übrigens nicht funktionierenden) Spiegeln sowie Brems- und Kupplungshebeln. Wer sich unter dem Menüpunkt Beschriftung kreative Freiheit erhofft hat, wird ebenfalls enttäuscht, stehen doch meistens nur drei feste Variationen zur Auswahl. Ein ähnlich trauriges Bild gibt übrigens der Fahrer-Editor mit vorgefertigten Gesichtern, Haarfarben und Frisuren ab, die man miteinander kombinieren kann. Immerhin lässt sich separat das Equipment von Kopf bis Fuß wählen, darunter Helm, Visier, Schuhwerk und sogar die Knieschleifer. Neben männlichen „Ridern“ sind darüber hinaus auch „Biker-Bräute“ erlaubt.
Kaum Alternativen
Zwar gibt es keine authentischen Flaggenregeln, aber immerhin wurde ein halbwegs brauchbares Strafsystem integriert. Verlässt man die Strecke oder kürzt ab, wird automatisch eine Strafzeit addiert. Dadurch kann es bei einem knappen Ziellauf durchaus passieren, dass man im Ergebnis weiter nach hinten rutscht, obwohl man die Linie als Erster überquert hat. Eigentlich eine gute Sache, doch leider zeigt sich die Umsetzung etwas inkonsequent in der Auslegung, was eine Abkürzung ist und was nicht.
Fazit
Ride hätte das Potenzial gehabt, das Gran Turismo für Motorräder zu werden - ein geistiger Nachfolger des PS2-Rennspiels Tourist Trophy aus dem Hause Polyphony Digital. In der Karriere warten zahlreiche Veranstaltungen und auch die Auswahl an topaktuellen sowie klassischen Modellen verschiedener Klassen und Hersteller kann sich sehen lassen. Abseits der angestaubten Technik, die bei Milestone mittlerweile zum Standard gehört und vor allem auf den Konsolen mit häufigen Ladeunterbrechungen und karger Kulisse enttäuscht, leidet Ride in erster Linie an einem gewaltigen Balance-Problem: Hier entscheidet weniger das fahrerische Können, sondern viel mehr die Wahl des richtigen (bzw. leistungsfähigsten) Modells und Tuning über Sieg oder Niederlage. Stärkere Beschränkungen innerhalb der Veranstaltungen und ein ersichtlicher Leistungs-Index für die Bikes der Konkurrenz hätten hier sicher Wunder gewirkt, um spannendere Rennen zu bieten! Aber in dieser Form pendelt sich das Erlebnis trotz der gelungenen (Arcade-)Fahrphysik schnell zwischen den beiden Extremen Frust und Langeweile ein, weil man meist hoffnungslos unterlegen ist oder konkurrenzlos dominiert. Außerdem wird schnell deutlich, dass die Streckenauswahl zwar breit gefächert ist, man sich an den 14 Schauplätzen (mit diversen Variationen) aber schnell satt gesehen hat, zumal auch keine Variationen beim Wetter oder der Tageszeit geboten werden. Obwohl mir dieser Ansatz von Ride als Alternative zu Moto GP & Co eigentlich gefällt, hat Milestone auf technischer und inhaltlicher Seite leider zu viele Fehler gemacht, um mich auf dem Sattel zu halten.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation3
Ride hätte das Gran Turismo für Motorräder werden können, aber die technischen und inhaltlichen Schwächen lassen Motorrad-Freunde ernüchtert zurück.
PlayStation4
Ride hätte das Gran Turismo für Motorräder werden können, aber die technischen und inhaltlichen Schwächen lassen Motorrad-Freunde ernüchtert zurück.
PC
Die PC-Version profitiert von der höheren Bildrate und deutlich kürzeren Ladezeiten, leidet aber ebenfalls an der angestaubten Präsentation und Balance-Problemen.
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