Im Test: Ein weltmeisterliches Rallye-Erlebnis?
Ein überfälliger Neustart
Die WRC-Lizenz ist Milestone zwar mittlerweile los, aber das hält die Italiener nicht davon ab, weiter im virtuellen Rallye-Zirkus mitzumischen. Mit Sébastien Loeb konnte das auf Rennspiele spezialisierte Studio nicht nur ein prominentes Aushängeschild für sein nächstes Spiel verpflichten, sondern wagt endlich auch einen längst überfälligen Neustart. Vorbei sind die Zeiten des ewigen Strecken-Recyclings, das Milestones WRC-Ära neben der angestaubten Technik geprägt hat. Hier wurden die jeweils acht Special Stages der Schauplätze Monaco, Schweden, Finnland, Mexiko, Frankreich, Wales und Australien von Grund auf neu designt. Dabei orientierte man sich an den Wertungsprüfungen der realen WRC und nutzte GPS-Daten, um möglichst akkurate und herausfordernde Etappen zu verwirklichen. Herausgekommen sind mehr als 300 Kilometer an überwiegend holprigen Schotter-, Asphalt-, Schnee- und Matschpisten, bei denen es meist herrlich eng zugeht, während fiese Haarnadelkurven, gefährliche Abgründe und Sprünge den Puls angesichts der rasanten Geschwindigkeit der Boliden noch weiter in die Höhe treiben. Für Freunde von Bergrennen dürfte der imposante Aufstieg zum Pikes Peak zu den Höhepunkten in der Streckenauswahl zählen, der mit seiner Länge von gut 20 Kilometern quasi das Rallye-Pendant zur berühmten Nürburgring Nordschleife darstellt. Darüber hinaus erstrecken sich viele Etappen über zehn Kilometer oder mehr und dürfen neben Tageslicht auch bei Sonnenauf- und Untergang sowie in finsterer Nacht gefahren werden – toll! Weniger schön dagegen, dass man beim Wetter keine Wahl hat: Zwar wartet in Wales z.B. der typisch britische Regen, doch die jeweiligen
Karriere machen
Neben der Streckenauswahl fühlen sich auch die Spielmodi nach dem Trott der letzten Jahre endlich wieder etwas frischer an und gehen mitunter sogar vorbildliche Wege. Klar: Es gibt immer noch den Schnellmodus, in dem neben einzelnen Etappen, Rallyes und Bergrennen auch eine komplette Weltmeisterschaft ausgetragen werden kann, deren Rennkalender man individuell zusammenstellen kann. Bei der Karriere orientiert man sich jetzt dagegen stärker an Forza Motorsport, DiRT & Co und erschlägt den Spieler regelrecht mit einer gewaltigen Auswahl an Veranstaltungen, die neben klassischen Rallyes auch Variationen wie Elimination, den Kampf um Sektorenbestzeiten und sogar direkte Auseinandersetzungen beim RallyCross beinhalten. Dabei startet man zunächst klein als Anfänger in mäßig motorisierten Front-Antrieblern, um sich die ersten Brötchen zu verdienen und in einer Fahrerliste von knapp 400 Teilnehmern langsam aufzusteigen. Mit zunehmendem Erfolg und Preisgeldern kann man sich Schritt für Schritt die Rallye-Kisten leisten, die für die Teilnahme an späteren Events nötig sind. Alternativ greift man zum kostengünstigen Mietwagen, denn die meisten Veranstaltungen stehen von Anfang an offen. Hier kann man zwar sparen, hat aber im Gegenzug nur Zugriff auf eine sehr begrenzte Auswahl des stattlichen Fuhrparks.
Verspielte Sport-Doku
Dem Werdegang und den wichtigsten Stationen des neunmaligen Weltmeisters hat man mit der Sébastien Loeb Experience sogar einen eigenen Modus gewidmet. Und dieser verfolgt einen der interessantesten Ansätze, die man zuletzt im Rennspiel-Genre gesehen hat, denn hier wird eine informative Dokumentation über den Ausnahme-Fahrer mit dem Spiel verknüpft. Es macht einfach Spaß, den Erinnerungen des angenehm bodenständigen und sympathischen Rallye-Piloten zuzuhören sowie Einblicke in das Leben eines Rennfahrers zu bekommen. Klasse auch, wie man die jeweiligen Stationen in ausgewählten Veranstaltungen nachspielen und dabei sogar spezielle Herausforderungen absolvieren muss. So gilt es z.B., auf einer Etappe jeden Sektor mit der Bestzeit abzuschließen, eine Höchstgeschwindigkeitsvorgabe zu knacken oder sogar die Geschichte umzuschreiben, indem man den realen Ausfall in einen Sieg verwandelt. Eine solch erfrischende Herangehensweise würde ich mir in Rennspielen jedenfalls viel häufiger wünschen, um dadurch mehr Einblicke in den realen Motorsport zu bekommen.
Anspruchsvolle Fahrphysik, aber fehlendes Rallye-Gefühl
Hier hilft oft nur der Weg in die Garage, damit man beim Setup an den richtigen Schrauben drehen und so dem Fahrverhalten etwas entgegen wirken kann. Einstellungen für das Fahrwerk, Getriebe, Differenzial, Bremsen usw. findet man mehr als genug. Die Tiefe und Detailverliebtheit der Codemasters-Konkurrenz wird dennoch nicht erreicht. Das Gleiche kann man für die Fahrphysik im Allgemeinen behaupten. Zwar fühlt sich das Fahren deutlich besser und anspruchsvoller an als beim misslungenen WRC 5 von Kylotonn, doch DiRT Rally befindet sich dank seiner exzellenten Physik in einer ganz anderen Liga, wenn es um die Eindrücke hinter dem Steuer geht. Dabei dreht es sich nicht nur um das nachvollziehbare Verhalten der Boliden an sich, das Milestone trotz dem starken Hang zum Untersteuern tatsächlich halbwegs ordentlich einfängt. Aber was fehlt, ist das Gefühl, tatsächlich über holprige Schotterpisten zu jagen – das echte Rallye-Feeling sozusagen. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Zum einen scheint auf seltsame Weise oft der Kontakt zwischen Reifen und Oberfläche zu fehlen. Während bei DiRT Rally gefühlt ununterbrochen jede noch so kleine Bodenwelle erfasst und spürbar an den Wagen weitergeleitet wird, hat man hier nicht nur beim Ansehen der ruckelanfälligen Wiederholungen, sondern schon im Cockpit den Eindruck, als würde man einfach über die Unebenheiten hinweg gleiten. Zum anderen spiegelt sich das mangelnde Feedback auch bei der etwas zu trägen Controller-Steuerung wider: Vor allem am PS4-Controller bleiben die Rumble-Motoren ungewöhnlich ruhig und geben die Erschütterungen kaum an den Spieler weiter. Auf der Xbox One fallen die Vibrationen zwar etwas stärker aus, doch hätte man auch hier noch mehr aus dem Controller und seinen Impulse-Triggern herausholen müssen. Etwas besser sieht es beim Fahren mit einem Lenkrad aus, denn obwohl ich nach dem Rumprobieren immer
Verlässlicher Sitznachbar und Staubsauger-Motoren
Einen weiteren Immersions-Killer bilden die Soundeffekte: Vor allem in der Cockpitansicht glaubt man, dass sich unter der Motorhaube keine mehrere hunderte PS starke Aggregate, sondern eher ein Staubsauger befindet. Von den krachenden Fehlzündungen, die in den Replays fast im Sekundentakt auftauchen, bekommt man im Inneren z.B. überhaupt nichts mit. Etwas erträglicher wird es in den Außenperspektiven, doch sind die dünnen Motorenklänge insgesamt ähnlich enttäuschend wie das fehlende Rasseln beim Fahren über Kies oder die schlimmen Geräusche bei Kollisionen und Unfällen. Zusammen mit dem nervigen Soundtrack-Loop wirkt der Audiobereich auf ganzer Linie billig. Einzig der Ko-Pilot holt dank seiner guten und meist präzisen Ansagen noch die Kohlen aus dem Feuer.
Unfälle können selbstverständlich trotzdem passieren. Hat man die Rückspulfunktion deaktiviert oder die maximal neun Gelegenheiten zur Zeitreise aufgebraucht, können Abflüge unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen. Meist wird man schon nach kurzer Zeit automatisch auf die Strecke zurückgesetzt, wenn man z.B. eine Kurve verpasst hat. Doch manchmal macht sich dann doch das Schadensmodell bemerkbar, das sich in drei Stufen einstellen lässt. Allerdings sei gesagt, dass es selbst auf der höchsten Einstellung viel zu nachgiebig ist und sich überwiegend auf eine visuelle Darstellung der Schäden beschränkt. Man muss auf jeden Fall sehr viel Unsinn anstellen, bis sich die Schäden auch auf die Fahrphysik auswirken. Eine Schadensanzeige sucht man übrigens vergeblich.
Schwache Technik
Die Technik zählte nie zu den großen Stärken von Milestone. Daran ändert sich auch auf PS4 und Xbox One nichts: Zwar hat man die Engine wieder etwas weiter aufgebohrt und überzeugt mit halbwegs ansehnlichen Landschaften sowie ansprechenden Licht- und Staubeffekten, doch erreicht die Kulisse mit ihren verwaschenen Texturen, zahlreichen Pop-ups und dem groben (und kaum vorhandenen) Publikum am Streckenrand höchstens ein mittelmäßiges PS3-Niveau. Die detailarm modellierten Boliden tragen ebenfalls ihren Teil zum Eindruck bei, dass Milestone in Sachen Technik wieder mindestens eine Generation der Konkurrenz hinterher hinkt. Und dafür muss man so lange und häufige Ladezeiten in Kauf nehmen?
Es ist mittlerweile fast schon eine (traurige) Tradition, dass die Italiener auf den Konsolen nur eine Darstellung von maximal 30 Bildern pro Sekunde anstreben. Der Sprung auf PS4 und Xbox One hat daran nichts geändert. Im Fall der Microsoft-Konsole kann man sogar froh sein, wenn es überhaupt halbwegs flüssig läuft, denn genau wie man früher die Xbox 360 stiefmütterlich behandelt hat, setzt man auch diese Tradition auf der Xbox One fort. Schon auf manchen Pisten in Australien oder Mexiko macht sich die enorm schwankende Bildrate bemerkbar. Die finnische Piste „Paijala 2“ schießt aber endgültig den Vogel ab: Sind das überhaupt noch 15fps, wenn man in den Wald hinein fährt bzw. ruckelt? Da hat auch der knapp sieben Gigabyte große Day-One-Patch nichts mehr gebracht... Das ist und bleibt
Online-Lobbys? Nur auf PS4!
Einen weiteren Vorteil verbucht die PS4-Version im Mehrspielermodus, denn während man auf der Xbox One nur per automatischem Matchmaking in Lobbys vermittelt wird oder eine private Sitzung anlegen darf, wird auf der PS4 auch ein Lobby-Browser angeboten, über den man nicht nur einen Überblick an offenen Spielen bekommt, sondern auch dem Wunschkandidaten direkt beitreten kann. Sollte es sich dabei um eine laufende Partie handeln,
Viel erwarten sollte man bei den Rennen über PSN und Xbox Live nicht: Es werden lediglich einzelne Rennen angeboten – Online-Meisterschaften gibt es nicht. In den Wertungsprüfungen nerven außerdem wieder die viel zu intensiv dargestellten Geisterwagen der Gegner, welche die Sicht stark beeinträchtigen. Da es keine Abstufungen der Transparenz gibt, hilft nur eins: abschalten! Alternativ misst man sich direkt in RallyCross-Duellen und wird schnell feststellen, dass die Spieler da draußen mindestens so rabiat unterwegs sind wie die aggressiven KI-Gegner. Wer lokale Mehrspieler-Action sucht, wird enttäuscht, denn es werden weder Rennen am geteilten Bildschirm noch ein HotSeat-Modus angeboten.
Fazit
Sébastien Loeb Rally Evo hätte ein großartiger Neustart für Milestone werden können! Endlich hat man wieder Zeit und Arbeit in die Erstellung neuer Pisten investiert und liefert toll designte Etappen, die hinsichtlich Abwechslung, Umfang, Anspruch und Streckenführung überzeugen. Darüber hinaus ist die Karriere vollgestopft mit Inhalten und bietet damit eine tolle Alternative zur klassischen WM. Mein Highlight ist aber die Sébastien Loeb Experience mit ihrer erfrischenden Mischung aus Spiel und Dokumentation. Am Inhalt gibt es nicht viel zu meckern, doch die Italiener haben die Chance verpasst, das fette Paket an Veranstaltungen und dem ansprechenden Fuhrpark auch mit einer zeitgemäßen Technik sowie einer überzeugenden Fahrphysik festzuzurren. Vor allem auf der Xbox One sind die starken Schwankungen der Bildrate angesichts der gebotenen visuellen Qualität nicht hinnehmbar, während die Kulisse auf der PS4 zwar angestaubt wirkt, der Grafikmotor aber immerhin halbwegs rund läuft. Die Fahrphysik geht trotz ihres leicht übertriebenen Hangs zum Untersteuern prinzipiell in Ordnung und setzt simulativen Anspruch über Zugänglichkeit, doch schafft sie es nicht, den Kontakt zwischen Wagen und den zahlreichen Unebenheiten der Oberflächen glaubwürdig zu vermitteln. Insgesamt präsentiert sich Sébastien Loeb in Videospielform nicht unbedingt weltmeisterlich, doch können Rallye-Fans mit ihm zumindest die Wartezeit auf den potenziellen Champion überbrücken: Sollte DiRT Rally auf den Konsolen hinsichtlich der Fahrphysik annähernd an die Qualität des PC-Vorbilds heran reichen, hat sich die Frage ohnehin erledigt, zu welchem Rallye-Spiel man greifen sollte...
Pro
Kontra
Wertung
XboxOne
Extrem starke Bildraten-Probleme und der fehlende Lobby-Browser bremsen den Rallye-Weltmeister auf der Xbox One aus.
PlayStation4
Solides Rallye-Spiel mit starken Inhalten, aber Schwächen bei Fahrphysik und Technik.
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