We Happy Few15.08.2018, Mathias Oertel
We Happy Few

Im Test: Spaß nur mit 'Joy'?

Seit seinem Trailer-Auftritt auf Microsofts E3-Pressekonferenz aus dem Jahr 2016 ist das u.a. über Kickstarter finanzierte We Happy Few (ab 13,60€ bei kaufen) nicht nur bei uns in den Fokus gerückt. Mittlerweile hat sich sogar Gearbox Software eingeklinkt und fungiert als Publisher. Im Test klären wir, ob das dystopische England der 60er Jahre auch langfristig unterhalten kann.

Vom Survival-Abenteuer zum storylastigen Action-Adventure

Lange sah es so aus, als ob We Happy Few versuchen würde, sich als weitgehend klassisches Survivalspiel inkl. Ressourcen-Management mit Spielen wie Ark, Conan Exiles, 7 Days to Die usw. messen zu wollen. Zumindest war dies der Eindruck, den die ersten Preview- bzw. Early-Access-Versionen auf Xbox One und Steam hinterließen. Dass zusätzlich ein herrlich absurdes Bild eines alternativen England gezeichnet wurde, in dem sich die Bevölkerung hinter „fröhlichen“ Masken versteckte und sich mit der staatlich verabreichten Droge „Joy“ eine eigene Realität schuf, der man als Spieler entkommen musste, fachte die Neugier zusätzlich an. Doch egal ob von langer Hand geplant, ob es ursprünglich so konzipiert war oder ob erst mit dem Einstieg von Gearbox die Entscheidung gefällt wurde: Im momentanen Zustand ist We Happy Few ein mehr oder weniger klassisches Action-Adventure aus Ego-Sicht, das um Überlebenselemente wie Hunger und Durst sowie ein Erfahrungs- bzw. Figurenaufstiegs-System ergänzt wurde.

Das kreative Artdesign gehört zu den Höhepunkten von We Happy Few.
Ist das jetzt gut oder schlecht? Diese Frage hat mich lange beschäftigt. Dabei hat mich nur anfänglich gestört, dass der Sandbox-Modus, der sich wohl eher dem Überlebensaspekt widmen wird, erst nachgelagert veröffentlicht wird. Denn nachdem man in der nun veröffentlichten finalen Version den gleichen verstörenden Einstieg gespielt hat, der auch im Early Access und der seinerzeit veröffentlichten E3-Präsentation vorkam, findet man sich in einem alternativen England Mitte der 60er Jahre wieder und folgt einer interessant sowie mitunter verstörend konstruierten Geschichte. In der Rolle des Zeitungsartikel-Kontrolllesers und ggf. –Zensors Arthur Hastings wird man von seiner Vergangenheit eingeholt, während man nichts ahnend seinem Job nachgeht. Lange ist unklar, was es mit seinem Bruder Percy auf sich hat, der mit einem Zug nach Deutschland gebracht wird, als beide noch Kinder waren. Eigentlich hätte Arthur sich ebenfalls auf die Reise machen sollen, konnte sich aber mit einer Lüge zu seinem Alter aus der Angelegenheit winden. Deutschland? Kinder? Zugreise? Was zwangsläufig Assoziationen an Transporte in Konzentrationslager während der NS-Zeit weckt, wird hier durch die alternative Zeitlinie noch verwirrender, im Rahmen derer Deutschland einen Krieg gegen England gewonnen hat (ist es WW2?). Mit Hilfe von auffindbaren Dokumenten kann der Spieler zwar Licht ins mitunter bedrückende Dunkel bringen, doch vieles bleibt der Interpretation überlassen – was prinzipiell ein guter Gedanke ist, da sich Wellington Wells so seine eigentümliche Magie bewahrt.

Wo ist die Freude?

Auseinandersetzungen sollte man aus dem Weg gehen. Das Kampfsystem ist trotz interessanter (Selbstbau-)Waffen zu oberflächlich, um gegen mehrere Gegner effektiv eingesetzt werden zu können.
Dass zudem im Rahmen des sehr gelungenen Artdesigns, das sich irgendwo zwischen BioShock, Dishonored, dem Shooter-Klassiker No One Lives Forever von Monolith und Austin Powers einsortiert, der staatlich regulierte Drogenkonsum der an freien Spendern verfügbaren „Joy“-Pillen propagiert und als spielerisches Element eingefügt wird, macht die aus festen Versatzstücken zufällig generierte Welt hochinteressant. Doch unter dem Strich kann We Happy Few leider nicht halten, was Story und Artdesign versprechen. Dabei ist die erste Hälfte des ersten von drei Akten noch interessant und bietet viel situative Spannung, während man die Welt und die spielmechanischen Konzepte kennenlernt. Mit einem im Vergleich zu den Alpha-Versionen deutlich zurück gestuften Überlebensaspekt, konzentriert man sich auf die weitgehend lineare Geschichte, die einen durch die offenen Areale mit ihren abbaubaren Ressourcen führt. Mechanisch setzt man dabei auf einen Mix aus nicht beeinflussbaren Gesprächssequenzen, Gebietserforschung, mitunter durchaus interessanten Umgebungsrätseln, Schleichen und Kampf – alles Zutaten, die im Action-Adventure durchaus geläufig sind. Und sie werden hier auch ordentlich zusammengefügt. Doch während die Geschichte von Anfang bis Ende faszinieren kann und mit den Protagonisten der Akte 2 und 3 auch neue Facetten hinzugewinnt, nutzen sich die mechanischen Elemente zunehmend ab.

Das Schleichen in Egosicht z.B. ist in seiner Einfachheit gelungen. Geht man in die Hocke, kann man sich nicht nur hinter Kisten vor den neugierigen Blicken feindlich gesinnter Figuren schützen. Auch in Sonnenblumenfeldern ist man weitgehend sicher – es sei denn, die Gegner laufen bei ihren Patrouillen in einen hinein. Dem kann man jedoch entgehen, indem man ihre Laufwege beobachtet, wobei man in der Hocke auch durch Wände und andere Hindernisse hindurch ihre Spuren ähnlich wie bei Horizon: Zero Dawn verfolgen darf. Selbstverständlich darf man sie auch aus dem Hinterhalt ausschalten, wobei man tunlichst darauf achten sollte, die betäubten oder getöteten Opfer zu verstecken, da die Entdeckungs-KI durchaus aufmerksam ist. Doch abseits der Entdeckung reagiert die KI bei weitem nicht so überzeugend. Hat man ihre Wege einigermaßen ausbaldowert, kann man die Gegner meist einen nach dem anderen ausschalten. Und ihre Platzierung in den linearen Abschnitten der Hauptmission (z.B. in Laboratorien, Kasernen etc.) sorgt dafür, dass man tunlichst nicht an frontale Auseinandersetzungen denken sollte. Gegen einzelne Feinde hat man mit dem auf Ausdauer basierendes Kampfsystem mit Block und simplen Angriffen kein Problem. Muss man jedoch gegen drei, vier oder mehr antreten, hat man nahezu keine Chance mehr. Das wiederum vermittelt das Gefühl, dass mir die Entwickler quasi vorschreiben, wie ich mich zu verhalten habe. Für ein Spiel, das Individualität und Freiheit thematisiert, ist das eine bedauerliche Einschränkung.

Die Fassade bröckelt

Egal ob düster bedrückend oder fröhlich bunt: We Happy Few trifft beim Artdesign immer den richtigen Ton.
Zwar kann man in den spärlichen Aufwertungsmöglichkeiten für die Figur auch Verbesserungen freischalten, die Kampf oder Schleichen betreffen. Doch unter dem Strich werden für We Happy Few die Einfachheit in diesem Bereich und die eingeschränkte Wahl der Vorgehensweise zum Stolperstein. Man hat die Grenzen dieser wesentlichen Systeme zu schnell erfasst und kann sich dann darauf konzentrieren, diese Limitierungen zu seinen Zwecken auszunutzen. Dass es dennoch hin und wieder zu einem interessanten Spannungsaufbau kommt, ist einem in Einzelfällen cleveren Leveldesign zu verdanken, dass eine vorsichtige Vorgehensweise fordert, da man mit Fallen oder plötzlichen (geskripteten) Ereignissen konfrontiert wird. Und dass ich trotz der spielerischen Schwächen unbedingt weitermachen wollte, liegt an der spannenden Geschichte sowie der trotz technischer Mankos faszinierenden Spielwelt mit ihren abgedrehten Figuren. Dass diese in Dörfern und Städten meist aus Klonfiguren bestehen, ist allerdings störend. Selbst manche Auftraggeber von Nebenmissionen wurden nicht individuell gestaltet, sondern kopiert, so dass ich häufiger vor der falschen Person stand, um die Quest abzugeben, weil ich durch das identische Aussehen getäuscht wurde. Apropos Nebenmissionen: Da diese zumeist aus Hol- und Bringdiensten bestehen, habe ich diese in etwa ab der Hälfte des ersten Aktes links liegen lassen; zumal die Belohnungen zumeist zu wünschen übrig ließen.

Auch das Sammeln von Rohstoffen samt umfangreicher Crafting-Möglichkeiten für Waffen, Kleidung, Heil- oder sonstige Hilfsmittel wie Dietriche, Brechstangen, Störsender etc. wird irgendwann zu einem notwendigen Übel. Als dessen Folge läuft man irgendwann wie wild durch Räume oder Straßen und klickt alle Behältnisse im Schnellverfahren an, um evtl. dort

Mitunter werden die Bobbys und Passanten auf einen aufmerksam, wenn man die falsche Kleidung trägt.
versteckte Rohstoffe zu sammeln, die einem gefährlich schnell das durch ein Maximalgewicht eingeschränktes Inventar verstopfen. Abhilfe schaffen die Lager, die man finden und gelegentlich von Umwelteinflüssen oder Gegnern räumen muss, bevor man sie auch als Schnellreisesystem nutzen darf. Hier findet sich eine Maschine mit unendlichem Platz. Und man kann bei der Gegenstandsherstellung von überall auf sein Lager zugreifen – eine gute Idee, die allerdings inkonsequent umgesetzt wurde. Denn für Missionen gilt dieser universelle Zugriff nicht. Einer Figur musste ich Nähzeug bringen. Ich wusste, dass ich welches verstaut hatte und konnte im Rahmen des Crafting-Systems auch darauf zugreifen. Aber ich durfte es nicht der Figur geben, die es benötigt. Also zurück ins Versteck und das Nähzeug manuell ins Inventar geschaufelt. Wieder zurück beim Auftraggeber wartet der nächste Schock: Dank eines massiven Bugs hatte er sich von seiner ursprünglichen Position entfernt und war mit einer anderen Aktion beschäftigt, die es mir nicht erlaubte, mit ihm zu sprechen, geschweige denn, etwas in die Hand zu drücken. Dies hätte im Rahmen der Hauptmission zu einem fatalen „Gamebreaker“ werden können, da mein letzter manueller Speicherpunkt sehr weit zurück lag, doch da dies nur eine Nebenaufgabe war, habe ich es stillschweigend geschluckt.

Gute Ideen, biedere Umsetzung

Das Für und Wider bzw. die sich zwischen Bugs, Redundanz sowie Story-Faszination wie eine Sinuskurve auf die Motivation legende Bereitschaft,  weiterspielen zu wollen, zieht sich durch fast alle Bereiche. Die von Unreal angetriebene Kulisse ist abseits der Klone ansehnlich und schafft es trotz der Zufälligkeit in der Levelgenerierung mit stimmungsvollen Umgebungen zu punkten. Orte, die an Städte wie Stratford erinnern, sind ebenso zu finden wie Straßenzüge, die von London inspiriert scheinen. Doch auf keinem System ist man vor Fehlern gefeit. Hier ploppen simple Passanten, aber auch Figuren, mit denen man gerade noch gesprochen hat, aus dem Bild raus oder wieder rein. Dort geht aus unerfindlichen Gründen die Bildrate spürbar nach unten, nur um sich kurz darauf wieder zu fangen. Selbstverständlich gibt es auch das eine oder andere Clipping oder weitere Probelem mit Kollisionsabfragen zu sehen.  Figuren, die auf der Suche nach dem Hauptcharakter kontinuierlich gegen die Wand laufen oder ständig drei Meter von rechts nach links laufen, bis der Alarm abgeklungen ist, gehören zwar nicht direkt in den Engine-Bereich, nerven aber ebenso wie Ruckler oder die überhöht wirkenden PC-Anforderungen.

Man kann viele Räumlichkeiten betreten. Dennoch wird der Entdecker-Drang in der offenen Welt durch größtenteils schwache Belohnungen eingedämmt.
Auch mechanisch findet man bei nahezu jeder guten Idee etwas, das sie zum Stolpern bringt. Dass die Personen z.B. abhängig von ihrer sozialen Stellung und ihrem Aufenthaltsort anders auf die Kleidung reagieren, die man trägt bzw. man diese ab und an wechseln sollte, ist gut. Dass höher gestellte Bürger dabei allerdings nur auf Lumpen reagieren und nicht auf den Latexanzug, der einem in elektrisch geladenen Umgebungen Schutz bietet und den ich samt Gasmaske vergessen habe, auszuziehen, ist schade und zeigt, dass dieses Feature wie viele andere nur oberflächlich implementiert wurde. Dazu gehören z.B. auch die Drogeneinnahme oder der Erkundungsreiz innerhalb der ansehnlichen, großräumigen Spielwelt. Man kann überall etwas finden und entdecken. Doch selbst an besonderen Orten, an denen man graben kann, gibt es meist nur eine Kiste mit haufenweise Rohstoffen, die man sich auch anders hätte zusammenklauben können. Und wenn man seine Dietriche für verschlossene Schreibtische oder Schränke verpulvert, da man sie nicht alternativ mit dem Brecheisen öffnen kann und als „Belohnung“ in 99 Prozent der Fälle höchst gewöhnliche Materialien bekommt, sorgt dies für ein weiteres Gefühl der Beliebigkeit.

Fazit

We Happy Few möchte viel. Es leiht sich Elemente des Survival-Abenteuers in einer offen Welt und vermengt sie mit klassischen Mechaniken des Action-Adventures wie Kämpfen und Schleichen. Es erzählt eine interessante Geschichte in einem faszinierenden dystopischen England der 60er Jahre, in dem die Bevölkerung durch staatlich sanktionierte Drogen kontrolliert wird. Und es bietet ein fantasievolles Artdesign, das sich einerseits offen bei BioShock, No One Lives Forever oder Dishonored zu bedienen scheint, aber andererseits einen ganz eigenen Charme entwickelt. Doch We Happy Few schafft es nicht, dies alles zu einem homogenen Ganzen zu führen. Nicht, weil einen die sporadischen technischen Probleme oder Bugs, die man auf PC und Xbox One in unterschiedlicher Ausprägung, aber gleichsam störend beobachten kann, aus der Spielwelt reißen. Sondern vielmehr, weil nur die ebenso geheimnisvolle wie bedrückende Geschichte und das Artdesign keinen Bruch zeigen. Doch abseits des Storytellings fehlt das gewisse Etwas – und das nicht nur, weil der Sandbox-Modus erst nachgereicht wird oder der Entdecker-Drang durch größtenteils schwache Belohungen eingedämmt wird. Crafting, Kampf, Schleichen, Kleidungseinfluss, Umgebungsrätsel: All das funktioniert, bleibt aber oberflächlich. Dass mir von den Entwicklern zudem durch Levelaufbau und Gegner-Platzierung quasi vorgegeben wird, wie ich dieses oder jenes Problem zu lösen habe, stört zusätzlich. Und das bei einem Spiel, das sich Freiheit und Individualität auf die thematische Fahne geschrieben hat. Das Gesellschaftsbild, das über drei Akte mit jeweils eigenem Protagonisten erzählt wird, hat mich immer wieder in die Welt gezogen und allen Schwächen zum Trotz dafür gesorgt, dass ich mich bis zum Ende durchgebissen habe.

(Die PS4-Fassung stand zum Test nicht zur Verfügung. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Testupdate nachgereicht wird. Anm. d. Red.)

Pro

faszinierendes dystopisches England der 60er Jahre
offene Welt mit zufällig aneinandergereihten festen Levelstrukturen
grandioses Artdesign
reife, spannend erzählte Geschichte
einfaches Crafting-System mit zahlreichen, zumeist sinnvollen Rezepten
Kleidung hat Auswirkung auf NPC-Reaktionen
simple, aber effektive Schleichmechanik
auf Ausdauer basierender Nahkampf
Schnellreisesystem

Kontra

technische Probleme (Bildrate, Clipping, Kollisionsabfrage)
Bugs, die sich auch auf Nebenmissionen auswirken können
die simplen Mechaniken bleiben oberflächlich und lassen sich dann gezielt ausnutzen
ermüdende Rohstoffsammelei
häufig durch Leveldesign vorgegebene Problemlösung
schwache KI lässt sich reihenweise durch Schleich-Meucheln ausschalten
redundante sowie zumeist banale Nebenmissionen
Entdecker-Drang wird schnell eingedämmt, da sinnvolle Belohnungen eher spärlich ausfallen
Sandbox-Modus wird nachgereicht

Wertung

PC

Ambitioniertes Action-Adventure, das mit einem starken Artdesign und einer spannenden Geschichte punkten kann, sich aber mechanisch in Oberflächlichkeit verliert.

XboxOne

Ambitioniertes Action-Adventure, das mit einem starken Artdesign und einer spannenden Geschichte punkten kann, sich aber mechanisch aber in Oberflächlichkeit verliert.

Echtgeldtransaktionen

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Leicht
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  • Season Pass mit drei neuen Geschichten
  • Season Pass, dessen Inhalte keine bzw. nur minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
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