Ironcast26.02.2016, Benjamin Schmädig

Im Test: Mech, ärgere dich nicht!

Wenn "Sekunde noch!" zu einer Stunde wird. Wenn aus "Ich mach' nur diesen Kampf" nachts um zwei wird. Wenn nachts um drei noch die Bilder des Spiels laufen – hinter geschlossenen Augen. Es gibt ganz wenige Spiele, die müde Augen und Glückseligkeit harmonisch vereinen. Ironcast ist so ein Spiel und in Kürze auch auf Playstation 4 und Xbox One erhältlich. Mit kleinen Einschränkungen hinterlässt es im Test dabei einen ähnlich guten Eindruck wie auf PC.

Danke für die Augenringe!

Beinahe wäre Ironcast gar nicht zustande gekommen: Mit Ach und Krach konnte Daniel Leaver etwas mehr als 600 Spieler dafür begeistern, 10.183 der benötigten 10.000 Pfund in sein Kickstarter-Projekt zu investieren. Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern und einigen Teilzeit-Entwicklern benötigte der Brite finanzielle Unterstützung, um den legitimen Nachfolger des grandiosen Puzzle Quest fertigzustellen. Ob das hehre Vorhaben sein erklärtes Ziel war? Vermutlich nicht. Meine Augenringe bezeugen trotzdem, dass ihm genau das gelungen ist.

Alternative Franzosen

Es hatte mich schon lange gewurmt: Wieso ahmt kaum ein Spiel das famose Puzzle Quest nach? Nicht einmal den Nachfolgern und Ablegern des Erfinders ist das gelungen. Dabei scheint die Formel so denkbar einfach: Man verwende das fesselnde Steineschieben eines Bejeweled (für Jüngere: Candy Crush) als Grundlage eines taktischen Rollenspiels und fertig ist das Erfolgsrezept.

Besonderheiten der Konsolen-Umsetzung

PS4- und Xbox-One-Taktiker erhalten das gleiche Spiel, müssen aber mit kleinen grafischen Einbußen leben, denn die Bewegungen der Mechs sind nicht ganz flüssig.

Die Downloadinhalte - jeweils ein Pilot sowie ein Mech - sind in den Umsetzungen zudem nicht enthalten. Auf Steam kosten die Pakete jeweils knapp vier Euro.

In Ironcast funktioniert das so. Auf einem Spielfeld aus sechs horizontalen und vertikalen Reihen kombiniert man mindestens drei Steine derselben Farbe. Sie können nebeneinander, übereinander oder quer zueinander liegen und füllen nach ihrem Abräumen Rohstofftanks derselben Farbe. Sind genügend Ressourcen vorhanden, feuert man eine Waffe, aktiviert einen Schutzschild oder repariert beschädigte Systeme.

Ziel ist die Zerstörung feindlicher Maschinen, meist sieben Meter hohe Mechs. Ironcast heißen die Gefährte, gebaut wurden sie von England und Frankreich während des viktorianischen Zeitalters – auf Leavers alternativen Zeitstrahl jedenfalls, wo die befeindeten Völker seit Jahren Krieg führen. Tatsächlich erzählt Leaver eine spannende Geschichte um die französische Invasion auf britischem Boden. Er bettet interessante Geheimnisse in ein stilvolles Artdesign und lässt es angenehm scheppern, wenn die Kolosse aufeinander treffen. Herrlich, wie befriedigend ein "Wusch" oder sattes "Rumms" von Treffern zeugen!

Wenn der Boss einen Termin vereinbart...

Man sitzt natürlich selbst in einem solchen Mech. Welcher soll es denn sein? Einer, der mehr Energie aufnehmen und damit besser defensiv agieren kann oder jener, der einen Schuss mehr pro Runde abfeuert? Die Wahl des Piloten vervollständigt die Wahl der Startbedingungen: Soll sie mehr Schaden mit Energiewaffen anrichten oder soll er feindlichen Geschossen besser ausweichen?

Die Kampagne ist übersichtlich strukturiert, denn alle zehn Runden greift ein besonders mächtiges Gefährt die Hauptstadt London an. Der Ironcast muss es dann mit dem Bossgegner aufnehmen. Zuvor hat man in jeder

Die Kampagne fordert Entscheidungen und bietet die Wahl des nächsten Einsatzes.
Runde die Wahl zwischen drei Missionen; die Belohnung (Erfahrungspunkte, Geld, Soldaten) richtet sich nach der Herausforderung.

Beinhart – immer wieder

Während das Duell mit einem oder aufeinander folgenden Mechs dabei meist im Vordergrund steht, darf man mitunter bestimmte Systeme nicht beschädigen (Waffen richten je nach Typ gezielten oder Bereichsschaden an), muss eine bestimmte Zeit überleben, spezielle Steine kombinieren oder einem Gesprächspartner einen Handel anbieten: Verzichtet man für einen guten Preis auf ein paar Dutzend Soldaten? Je mehr Soldaten man rekrutiert, umso stärker beschädigen sie den Boss immerhin vor dem Aufeinandertreffen...

Jeder Einsatz ist ein Kampf auf Leben und Tod. Sprich, fällt der einzige Ironcast auseinander, beginnt das Spiel von vorn. Rückzug gibt es nicht und jedes Duell hat es in sich! Den ersten Teil der Kampagne erledige ich inzwischen wie nebenbei und dennoch haben mich kleine Fehler immer wieder an den Rand eines Game Over gebracht. Nein, Ironcast ist kein Puzzle Quest – im besten Sinne. Denn das haben der Vorreiter und seine Nachahmer nie geschafft: dass ich nach etlichen Stunden noch verbissen um jeden Lebenspunkt kämpfe.

Es raubt der Kampagne natürlich auch einen Teil ihres Schwungs. Ironcast hätte den permanenten Tod nicht gebraucht, um spannend zu sein. Einen in Einzelteile zerlegten Mech hätte man genauso gut in kleinen zufällig erstellten Aufträgen wieder aufpeppen oder neu konfigurieren können, dabei vielleicht kleine Geschichten abseits des roten Fadens erlebt, anstatt ein und dieselbe  Kampagne mit stets denselben drei Missionen pro Runde wieder und wieder zu spielen. Die Einbahnstraßenschleife ist die größte Schwäche der fordernden Rundentaktik.

Cool bleiben!

Fordernd nicht nur, weil die Gegner mit etlichen Lebenspunkten und starken Waffen anrücken, sondern vor allem dank der vielseitigen Gefechtstaktik. Man kann ja selten alle Waffen und Schilde gleichzeitig einsetzen. Die

Farbige Steine dienen als Rohstoffe für Waffen, Schilde und zahlreiche weitere Fähigkeiten.
drei Aktionen pro Runde (Gegner und Spieler sind abwechselnd am Zug) reichen kaum aus, um ausreichend Ressourcen für alle Systeme zu sammeln. Zudem benötigen die meisten Funktionen ein Kühlmittel, das man auf die gleiche Art horten muss. Cleveres Priorisieren ist daher die wichtigste Fähigkeit eines guten Kommandanten.

Das bezieht sich allerdings nicht nur auf das Auflesen der Rohstoffe. Piloten aktivieren nämlich zu jedem Zeitpunkt so viele Systeme, wie sie möchten. Und dazu zählen nicht nur Waffen oder Schilde, sondern auch bis zu vier Spezialfähigkeiten. Erst mit einem Klick auf "Runde beenden" übergeben sie das Steuer an den Kontrahenten – bis dahin jonglieren sie mit ihren taktischen Optionen.

Tausche Schrott gegen Werte

Und es gibt so viele Möglichkeiten, das Gefährt an verschiedene Vorgehensweisen einzustellen! Mit der gewonnenen Währung (zerstörten Einzelteilen, also Schrott) kauft man etwa stärkere Waffen, bessere Schilde oder schnellere Beine, welche die Trefferwahrscheinlichkeit feindlicher Geschosse gewaltig senken. Gegen viel Geld erweitert man auch die Rohstofftanks, was einen großen Vorteil bedeuten kann.

Bei jedem Stufenaufstieg (ungefähr einer pro Mission) entscheidet man sich zudem für eine von drei zufällig bestimmten passiven oder aktiven Fähigkeiten. Dazu zählen das Stehlen der Ressourcen des Gegners, das Senken der Aktivierungskosten einer Waffe, das Umwandeln bestimmter Steine, das kurzfristige Erhöhen bestimmter Werte und viel, viel mehr. Jeder Mech ist anders, in Verbindung mit den gewählten Startbedingungen sowieso.

Im Laufe der Zeit werden aus schwachen Robotern mächtige Mechs.

Bitter, aber verträglich

Nach einem Game Over rechnet Ironcast dabei alle gesammelten Erfahrungspunkte einem übergeordnetem Rangsystem zu und jeder Stufenaufstieg erweitert das Arsenal der freigegebenen Fähigkeiten, Mechs und Piloten – so macht allein die Neugier auf neue Möglichkeiten den Klick zum Neustart oft zur Formsache.

Schade aber, dass nicht alle Mechs gleich stark sind: Nur durch viel Losglück konnte ich bisher einen Ironcast aufbauen, dessen defensive Fähigkeiten den offensiven ebenbürtig waren. Grundsätzlich sind aggressive Maschinen deutlich im Vorteil. Perfekt ausgewogen ist das Spiel leider nicht und das Auslosen verfügbarer Fähigkeiten beeinflusst die Entwicklung des Gefährts schon mal stärker als dem strategischen Tüfteln gut tut. Wenn die neu gekaufte Waffe dank einer passiven Fähigkeit drei statt zwei Schüsse abfeuert und einem dicken Brocken so den Schild zerstört, kann ich über den Wermutstropfen allerdings fast hinwegsehen.

Fazit

Mit welcher Konfiguration soll ich in ein Duell gehen, das ich noch nie gewinnen konnte? Spätestens, wenn man am stillen Örtchen die Taktik für den kommenden Bosskampf austüftelt, macht ein Spiel fast alles richtig. Und Ironcast tut genau das! Das Wiederholen der immer gleichen Kampagne nach nur einem verlorenen Kampf ist zwar eine große Schwäche, die haushohe Überlegenheit aggressiver Mechs eine andere und dass die Darstellung der Mechs auf Konsole unter kleinem grafischen Schluckauf leidet, ist ärgerlich. Dafür entschädigt jedoch auch auf Playstation 4 und Xbox One jedes der packenden Duelle. Das liegt nicht nur an beinharten Kugelschluckern, die selbst mächtig austeilen. Es liegt vor allem an den umfangreichen taktischen Entscheidungen und dem vom Zufall getriebenen, stets überraschenden Ausbau der sieben Meter hohen Stampfer. Puzzle Quest hat es vorgemacht, FTL das moderne Spieldesign inspiriert: Daniel Leavers Ironcast reiht sich nahtlos zwischen zwei Vorreiter unter den Zeitfressern ein!

Pro

clevere Verbindung von Puzzle und Rundentaktik
vielseitige, fordernde Mech-Duelle
große Freiheit beim Aktivieren von Systemen und Fähigkeiten
stets Auswahl zwischen drei Missionen
umfangreicher Ausbau des Mechs
kleine Ereignisse, teils interessante Entscheidungen, bringen Abwechslung in Einsätze
Stufenaufstieg mit neuen Fähigkeiten, Charakteren und Mechs auch nach Game Over

Kontra

Neustarts und stets vergleichbare Kampagne demotivieren
Spielsystem bevorzugt manche Mechs mehr als andere.
spielerisch unbedeutende, aber auffallend unsaubere Bewegungen der Mechs

Wertung

PlayStation4

Ebenso fordernde wie fesselnde Rundentaktik zwischen Puzzle Quest und FTL.

XboxOne

Ebenso fordernde wie fesselnde Rundentaktik zwischen Puzzle Quest und FTL.

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