Im Test: Zurück in den Untergrund?
Wie in alten Zeiten
Schon seit Jahren wünschen sich Fans von Need for Speed entweder Neuauflagen oder eine Fortsetzung der Underground-Ableger, die ab 2003 u.a. auf PS2, Xbox und dem Gamecube die Faszination illegaler Straßenrennen sowie der Tuning-Kultur zelebrierten – auch getragen vom Erfolg der Kinofilm-Reihe The Fast and the Furious. Der Reboot, der bei Ghost Games übrigens unter der Leitung des ehemaligen Criterion-Chefs Craig Sullivan entstand, bringt tatsächlich viel mit, was die Underground-Serie damals ausgezeichnet hat: Zum einen geht es ausschließich bei Nacht oder im Morgengrauen auf die Straßen der fiktiven Metropole Venture Bay. Diese ist an Los Angeles angelehnt und hat mit ihren stimmigen Lichteffekten sowie sehenswerten Spiegelungen auf dem nassen Asphalt optisch viel zu bieten.,Mit wenig Verkehr sowie fehlenden Passanten fällt sie insgesamt aber viel zu leer aus und wird nach den ersten Stunden entsprechend langweilig, zumal die Spielwelt nicht sonderlich groß ist. Und trotzdem kommt es auf der PS4 zu vereinzelten, auf der Xbox One sogar zu etwas größeren Einbrüchen der Bildrate und ein echtes Geschwindigkeitsgefühl kommt selbst bei hohem Tempo kaum auf. Und so verliert man recht schnell die Lust daran, bis zum nächsten Event durch die Gebiete der Metropole zu tuckern, die neben der Innenstadt auch Highways, Serpentinen und Gebirgsabschnitte umfasst, und nutzt stattdessen die praktische Teleport-Funktion. Denn bis auf ein paar überflüssige Fotopunkte oder kleine Donut-Herausforderungen gibt es ohnehin nicht viel zu entdecken und auch die spontanen 1:1-Duelle sind nur ein kurzer Zeitvertreib, den man nicht unbedingt braucht.
Tuning als Geduldsprobe
Die richtige Einstellung
Aber keine Sorge: Auch wenn es die Vielfalt an Einstellungen durchaus suggerieren kann, ist dieses Need for Speed keine Simulation, sondern bleibt hinsichtlich der Fahrphysik seinen Arcade-Wurzeln treu. Trotzdem kann es nicht schaden, mit den Handling-Optionen herum zu experimentieren, denn gerade auf dem Standard fiel es mir zunächst sehr schwer, ein ordentliches Gefühl für den Wagen zu entwickeln. Auch mit der anschließenden Stärkung der Bodenhaftung (Grip) wurde ich nicht wirklich glücklich, da sich die Einstellung spätestens beim ersten Drift-Wettbewerb als Griff in den Klo erwies. Erst mit dem Setup, das eine stärkere Tendenz des Wagens zum Driften aufwies, stellte sich endlich der erhoffte Fahrspaß und das gleichzeitige Gefühl einer „Kontrolle mit Stil“ ein, bei der man ähnlich lässig durch die Kurven schlittern kann wie zu besten Ridge-Racer-Zeiten, aber auch in anderen Veranstaltungen immer noch genügend Grip hat, um mithalten zu können. Trotzdem bleibt die Pad-Steuerung generell etwas schwammig und lässt Präzision vermissen. Lenkräder werden als mögliche Alternative leider nicht unterstützt – warum auch immer. Ebenso fragwürdig ist die erneute Entscheidung gegen eine Cockpitansicht – vor allem, weil der Fuhrpark mit seinen etwa 50 lizenzierten Boliden und Modellen von BMW, Nissan, Ford, Porsche, Lamborghini & Co nicht gerade üppig ausfällt, dabei aber sowohl Oldtimer wie den VW Golf Einser GTI als auch Supersportwagen vom Schlag eines McLaren 570S und sportliche Japan-Exporte wie den Nissan GT-R beinhaltet. Nach Rivals hat man hier immerhin eine größere Auswahl an Innen- und Außenperspektiven zur Verfügung, wobei in letzteren der automatische Zoom störend wirken kann.
Vorhang zu!
Hier war ich mir dagegen nicht sicher, wie ich auf die mit echten Schauspielern gedrehten Filmsequenzen reagieren soll: Lachen, weil die das einfach nicht ernst meinen können? Oder weinen, weil sie es tatsächlich ernst meinen? Panisch nach der Abbruch-Taste suchen? Oder durchhalten und mich weiter für die amateurhafte Inszenierung mit ihren peinlichen Dialogen des schlimmen, schlimmen...wirklich ganz, ganz schlimmen Drehbuchs fremdschämen? Meine Güte: Dieses bewusst auf cool getrimmte Gehabe mit „Jo“, „Bro“, „Kumpel“ und der obligatorischen Bro-Fist ist zusammen mit dem gaaaaaanz unauffälligen Product Placements eines Energy-Drinks kaum zu ertragen. Gibt es ernsthaft eine so große Zielgruppe, die solch einen Mist tatsächlich gut findet? Manchmal kann Trash ja so schlecht sein, dass er schon wieder gut oder zumindest lustig ist. Aber das, was ich mir hier notgedrungen ansehen musste, ist Trash in seiner reinsten Form: absoluter Müll! Bitte, bitte EA: Wenn ihr das Verlangen habt, einem Rennspiel unbedingt eine Story überstülpen zu müssen, dann macht es bitte anders – Hauptsache nicht so! Und um Himmels Willen: Nehmt den Figuren ihre Handys ab! Ständig klingelt im Spiel das Telefon und eine der Nervensägen muss wieder mit blöden Sprüchen rumnerven – oft und gerne auch in den unpassendsten Momenten, wenn man sich in Events gerade auf sein Rennen konzentrieren muss. Aber darauf nimmt man generell nur wenig Rücksicht, denn auch bei Tutorial-Hinweisen hält man sich nicht zurück und nimmt dem Spieler mit Einblendungen während der Fahrt mal einfach die komplette Übersicht – abgesehen davon, dass es ziemlich unpraktisch ist, bei 200 Sachen einen Text lesen zu müssen.
Immer schön zusammen bleiben
Schaut man sich die klassischen Rennen gegen bis zu sieben Kontrahenten an, ist man dagegen fast schon froh, dass sie nur so selten auftauchen, denn wie schon bei der Neuauflage Need for Speed: Hot Pursuit greift auch hier ein starkes Gummiband ins Renngeschehen ein und hält den Pulk künstlich beisammen – es sei denn, man ist so übermotorisiert, dass man die Konkurrenz regelrecht verbläst und gemütlich an der Spitze dem Sieg entgegen fahren kann. Ansonsten gilt: Als Führender wird man aggressiv mit harten Bandagen attackiert. Baut man einen Unfall, schließt man innerhalb kürzester Zeit wieder zum Feld auf, das selbst bei als schwierig bezeichneten Events mit angezogener Handbremse weiterfährt. Das gilt übrigens nicht nur für Rennen mit voller Besetzung, sondern auch in den vereinzelten 1:1-Duellen. Ausgerechnet im Spielmodus, in dem man als Team durch Kurven driften muss und nur im Pulk punkten kann, versagt aber selbst das Gummiband – und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen kommen die Kameraden gerne plötzlich von hinten angepoltert, rempeln mich von der Piste und versauen mir dadurch meinen Drift – wohlgemerkt in einem Wettbewerb, in dem es um Teamwork geht! Zum anderen halten sie es nicht für nötig, gerade hier auf mich zu warten, wenn ich nach einem Unfall zu weit zurück liege und es de facto aufgrund des zu großen Abstands für niemanden die wichtigen Punkte gibt.
Dein Freund und lahme Ente
Und was zur Hölle ist hier eigentlich mit den Cops los? Die Gesetzeshüter agieren überwiegend von dämlich bis handzahm und man muss sogar ständig auf die Verfolger warten, um die Jagd am Laufen zu halten. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich mal Verstärkung angefordert wird oder Straßensperren errichtet werden. Selten hat sich das klassische Duell zwischen Cops und Rasern so unfassbar zäh und langweilig angefühlt wie hier. Überhaupt eine Verfolgungsjagd zu starten, erfordert schon viel Geduld: Ich bin auf der Suche nach Streifenwagen teilweise knapp zehn Minuten vergeblich durch die Stadt geirrt, habe mich sogar lange vor der Polizeiwache auf die Lauer gelegt, aber einen Cop konnte ich zwischen den wenigen Taxen, Lieferwagen und Nachteulen einfach nicht entdecken. Was waren das noch für Zeiten, als ich von Hubschraubern massiv unter Druck gesetzt wurde, panisch Nagelbändern ausweichen musste oder mir die hartnäckigen Gesetzeshüter durch witzige Pursuit Breaker vom Leib halten musste. Angesichts dieser komatösen Schlaftabletten, die mir gefühlt in einem Citroen 2CV hinterher schleichen, sind diese tollen Zeiten des Katz- und Mausspiels aber leider vorbei.
Vorgeschobener Online-Zwang
Motivierend im Onlinebereich ist einzig die Speedwall in Kombination mit dem Autologsystem, bei der man seine Ergebnisse mit anderen Spielern und vor allem seinen Freunden vergleichen kann. Praktisch: Ist jemand aus der Freundesliste besser, werden entsprechende Veranstaltungen gleich mit einem entsprechenden Icon auf der Karte markiert. So kehrt man immer wieder gerne zu Events zurück, um die Ergebnisse der ärgsten Konkurrenten zu pulverisieren und ein neues Kapitel im ewigen asynchronen Schlagabtausch zu schreiben.
Fazit
Nein, dieser Reboot von Need for Speed ist Electronic Arts und Ghost Games missglückt und wirkt wie ein schicker Sportwagen mit massig Tuningteilen, der unter einem gewaltigen Motorschaden leidet. Was hat man sich nur bei dieser peinlichen Inszenierung der Geschichte gedacht? Wahrscheinlich genauso viel oder wenig wie beim überflüssigen Onlinezwang, den unglücklichen Tutorialeinblendungen, dem penetranten Handy-Terror oder der nervigen Teilesuche beim Tuning. Zwar macht das Fahren mit entsprechenden Anpassungen beim Handling durchaus Spaß, doch wird dieser schnell wieder durch Dinge wie die rempelnde Gummiband-KI, den zu starken Fokus auf Drift und Style sowie die gähnend langweiligen Verfolgungsjagden verdorben. So bleiben am Ende nur die aufwändig modellierten Boliden mit ihrer enormen Auswahl an Anpassungsmöglichkeiten und die schicke Nacht-Fassade, die aufgrund der leeren Stadt und verhältnismäßig kleinen Karte aber ebenfalls schnell an Faszination verliert.
Pro
Kontra
Wertung
XboxOne
Technisch schaltet die Frostbite-Engine auf der Xbox One nicht nur hinsichtlich der Auflösung, sondern auch der Performance einen Gang zurück.
PlayStation4
Peinliche Inszenierung, lahme Verfolgungsjagden, überflüssiger Onlinezwang: Trotz starken Anpassungs- und Tuningoptionen ist der Neustart von Need for Speed eine riesige Enttäuschung!
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