Madden NFL 1627.08.2015, Mathias Oertel

Im Test: Mit neuer Dynamik zum Super Bowl

Auch wenn Rory McIlroy bereits auf der Jagd nach Birdies und Eagles ist - der virtuelle Sportherbst beginnt jetzt mit EAs Madden-Serie. Nachdem man in den letzten Jahren vor allem auf den aktuellen Konsolen auf einem viel versprechenden Weg war, soll Madden NFL 16 (ab 7,94€ bei kaufen) diesen Pfad weitergehen. Schafft Tiburon nach jahrelangen Minischritten endlich wieder den goldenen Touchdown?

Unverhofft kommt… bei Madden nicht so oft

Ich gebe es offen zu: Als EA auf der gamescom während der Präsentation zu FIFA 16 einen ominösen Modus namens "Ultimate Draft" aus dem Hut zauberte, war ich skeptisch. Alles wirkte wie ein abgespecktes und stark zufallsabhängiges Ultimate Team. Und auch wenn ich mich sowohl bei FIFA als auch bei Madden in den letzten Jahren viel mit dem "Sammelkarten"-Modus und dem dortigen Motivationsstrudel beschäftigt habe, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt, dass "Draft Champions", wie es hier heißt, für Spaß sorgen könnte.

Dank frischer Steuerungsoptionen sind die Duelle um den Ball dynamischer als in den letzten Jahren.
Doch genau das ist der Fall. Ich habe in der neuesten Auflage der hinsichtlich ihrer Spielmodi leicht schal gewordenen Madden-Serie so viel Zeit mit Draft Champions verbracht wie schon lange nicht mehr mit irgendeiner Spielvariante der älteren Ausgaben. Kein Ultimate Team, keine "Connected Franchise", die beide auch in Madden NFL 16 mit leichten sowie motivierenden Verbesserungen wieder mit von der Partie sind, konnten mich kontinuierlich so stark ans Pad binden wie dieser kurzweilige Modus in den letzten Tagen und Nächten. Und das, obwohl man nicht der ständigen kontinuierlichen Verbesserung der Mannschaft hinterher hechelt wie im Ultimate Team, das hier mit haufenweise kurzweiligen Herausforderungen für Solisten glänzt, oder nach der besten Symbiose aus sportlichen und finanziellen Erfolgen sucht wie im Franchise-Modus - deren Reize natürlich jeweils nach wir vor Bestand haben und langfristig binden.

Planbare Zufälligkeit

Kulisse, Physik und KI haben auf PS4 und One einen Schritt nach vorn gemacht.
Draft Champions spricht vor allem auch diejenigen Spieler an, die nicht nur über eine oder mehrere ausufernde Saisons spannende American-Football-Unterhaltung wollen, sondern immer wieder frische Herausforderungen ohne saisonalen Zwang suchen. Das Geheimnis liegt in der Komprimiertheit und der Zufälligkeit, die einen zu Beginn jeder neuen Spielrunde erwartet. Über 15 Etappen darf man sich aus drei Spielern stets einen heraussuchen, der das Basisteam ergänzt und im besten Fall aufwertet. Na ja, eigentlich sind es nur 14 - die erste Runde entscheidet man sich für einen Trainer, der den Offensiv- bzw. Defensiv-Fokus der Mannschaft bestimmt, die man schließlich übernimmt. Bei den darauf folgenden Spieler-Ziehungen sollte man nun nicht nur darauf achten, welcher Spieler die bessere Gesamtwertung hat, sondern vielmehr, auf welchen Positionen man noch Bedarf hat. Zusätzlich muss man beachten, dass man idealerweise mit der angezeigten präferierten Spielweise des Profis auf einer Wellenlinie mit dem Coach liegt, da dann die Spezialisierungen verstärkt werden.

Da die Saisons hier nur kurz sind und man sich nur wenige bis gar keine Niederlagen leisten darf, kommt der leicht glücksabhängigen Spielerwahl (in meinem ersten Anlauf hatte ich tatsächlich Fortuna auf meiner Seite und durfte mir Tom Brady als Quarterback angeln) eine enorme taktische Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Franchise oder Ultimate Team hat man nicht die Zeit, um Fehler durch cleveres Taktieren auszubügeln. Ebenfalls schön: Man muss nicht alle Spiele erfolgreich beenden, um Belohnungen (z.B. Packs für den Ultimate-Team-Modus) zu bekommen. Auch wenn man die Saison nach zwei Siegen mit einer Niederlage beendet, springt eine Belohnung raus. Zudem sind hier die einzelnen Viertel auf drei Minuten Spielzeit festgelegt, so dass American Football als flotter sowie durchweg unterhaltsamer Zeitvertreib inszeniert wird.

Alles unter Kontrolle

Das Ziel "First Down" ist gelb markiert.
Doch es ist nicht nur die Ergänzung der Spielmodi um Draft Champions, das man natürlich auch gegen einen anderen Spieler in Angriff nehmen darf, die für mich aus Madden NFL 16 den besten Vertreter der Serie seit langem machen. Es sind vor allem die Erweiterungen der Mechanik und die Verbesserungen der Physik sowie in wichtigen KI-Bereichen, die dafür sorgen, dass sich Madden endlich mal wieder frisch anfühlt. Sicher: Wie in den letzten Jahren hat EAs Tiburon-Studio vorrangig an Kleinigkeiten gearbeitet. Doch endlich einmal habe ich das Gefühl, dass es wichtige Kleinigkeiten sind, die nicht nur in der zweiten, dritten oder vierten Ebene greifen und so sämtliche Modi aufwerten - inklusive des ebenfalls wiederkehrenden Gauntlet, einer Aneinanderreihung von kurzen, immer schwerer werdenden Aufgaben.

Da man sowohl in der Offensive beim Passspiel und dem Annehmen des Balles als auch in der Verteidigung weniger auf Automatismen setzt, sondern dem Spieler noch mehr Kontrollmöglichkeiten in die Hand legt, ist man so aktiv wie noch nie dabei. Der Quarterback hat jetzt fünf Optionen, seine Pässe zu spielen, wobei sogar Modifikationen wie extrem flache oder hohe Anspiele möglich sind. Diese Möglichkeiten gewinnen jedoch erst mit den frischen Fähigkeiten der Receiver an Reiz. So lange der Ball in der Luft ist, kann der Spieler per Tastendruck festlegen, ob das Fangen auf Sicherheit, Risiko oder das schnelle Weiterlaufen konzentriert wird. Dabei ist immer wieder Timing gefragt. Denn wer einen flachen Pass z.B. mit RAC (run-after-catch) annimmt und in der falschen Position ist, riskiert im schlimmsten Fall ein "Fumble" beim sicheren Tackle, muss aber im Bestfall zumindest mit dem Laufen in die falsche Richtung fertig werden, bis sich der Receiver wieder gefangen hat. Auf der anderen Seite können die Risiko-Annahmen allerdings zu enormen Glücksgefühlen führen, wenn ein Hail-Mary-Pass in der Endzone mit einem waghalsigen Sprung einhändig gefangen wird und man durch diesen Touchdown in letzter Sekunde das Spiel gewinnt. Dass zusätzlich die Schiedsrichter den Videobeweis suchen und dadurch das Nervenspiel noch spannender machen, sorgt für weitere Atmosphäre.

Merkwürdige Verrenkungen

Auch das Laufspiel wurde angepasst und mit einigen kleinen Ergänzungen versehen, die zusammen mit den bekannten Funktionen wie Spielanpassungen in letzter Sekunde sowohl für taktische Vielfalt als auch spannende Dynamik auf dem Spielfeld sorgen. Unter dem Strich bleibt zwar das Gefühl zurück, dass die Offensive in diesem Jahr wieder einmal mehr Verbesserungen abbekommen hat als die Defensivabteilungen. Doch dies wird durch eine in vielen Punkten optimierte KI, die besser auf Laufwegänderungen etc. reagiert, einigermaßen wettgemacht. Mitunter kann es zwar vorkommen, dass ein bestimmtes Laufspiel drei oder viermal hintereinander erfolgreich beendet werden kann, bevor die KI sich darauf einstellt. Doch Madden NFL 16 fühlt sich trotzdem auch in dieser Hinsicht deutlich reifer an als die Versionen der letzten Jahre.

American Football ist Emotion - und die vermittelt auch Madden NFL 16 immer wieder.
Und im Duell gegen menschliche Spieler arbeiten die Sportler auf dem Feld ordentlich gegen Mann und Football. Es kommt zu krachenden Tackles, spannenden Versuchen der Laufspieler, sich von den an ihnen hängenden "Kletten" der anderen Mannschaft loszureißen und beeindruckenden Gruppen-Tackles, wenn sich vier Verteidiger auf den Läufer stürzen, der durchgebrochen ist. Wenn der Spielzug beendet ist, kommt es zwar immer wieder zu Clipping-Problemen und mitunter auch zu merkwürdigen Verrenkungen, wenn sich die Spieler wieder erheben. Doch im Großen und Ganzen haben Präsentation, Kulisse, Figuren- sowie die Ballphysik einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht. Das macht auch vor den Kommentaren und der musikalischen Untermalung nicht halt, die dieses Jahr so treibend und abwechslungsreich ist wie selten. Die Probleme der Kommentar-Wiederholungen hat man immer noch nicht im Griff, doch es macht Spaß, den Analysen zuzuhören, die sich dieses Jahr auch öfter auf einzelne Spieler beziehen und nicht in Allgemeinheiten gipfeln. Weniger schön sind dagegen die Ladezeiten, die auf beiden Systemen an den Nerven zehren können.

Spielzug-Chaos?

Bei der Auswahl der Spielzüge hat man wie immer mehrere Basis-Einstellungen zur Auswahl, die vom Durchforsten der übersichtlichen Menüs bis hin zu Vorschlägen reichen, die basierend auf vorherigen Matches, den Playbooks der Gegner oder Empfehlungen der Community reichen. Und wem die Spielzug-Bücher der jeweiligen Teams bzw. Coaches nicht reichen, kann sich sowohl defensiv als auch offensiv individuelle Bücher zusammenstellen und dort sogar die Beliebtheit bestimmter Züge festlegen. Leider gibt es aber immer noch nicht die Möglichkeit, komplett eigene Taktiken auszutüfteln - eine Tafel, auf der man Positionen und Laufwege bestimmen und abspeichern kann, fehlt nach wie vor.

Alte Systeme nur altes Eisen?

Auch in der Verteidigung gibt es spürbare Verbesserungen.
Schade, dass nicht alle Ergänzungen, welche die PS4- und One-Versionen aufwerten, auch auf den alten Systemen Einzug gefunden haben, die der Madden-Serie seit 2005 (sprich Madden NFL 06) ein Zuhause bieten. Zwar darf man auch hier in Draft Champions auf spannende und stets aufs neue motivierende Touchdown-Jagd gehen. Doch bei der Steuerung hat man im Wesentlichen nur die erweiterten Quarterback-Wurfoptionen zur Verfügung. Sowohl die Modifikationen beim Fangen das Balls als auch die darauf abgestimmten Verteidigungsaktionen kommen hier nicht gebührend zu Geltung und hinterlassen entsprechend wenig Eindruck. Ebenfalls kaum Fortschritte gibt es auf visueller Seite oder im Hinblick auf KI. Hier erledigt Tiburon nur das Nötigste - der Fokus lag eindeutig auf den Fassungen für die aktuelle Konsolen-Generation. Auf PS3 und 360 bekommt man NFL 15.5 plus Draft Champions. Aber das reicht, um sich auch hier vor dem letztjährigen Vertreter zu platzieren.

Fazit

EAs Tiburon-Studio hat etwas Anlaufzeit gebraucht, um auf PS4 und One in die Gänge zu kommen, doch mit dem dritten Versuch starten die American Footballer durch. Auf den ersten Blick sind die Veränderungen so klein wie in den letzten Jahren, doch die Auswirkungen sind umso spürbarer. Man hat deutlich mehr Möglichkeiten in Offensive und Defensive zur Verfügung, so dass es zu taktisch fordernden, spannenden sowie dynamischen Duellen im Kampf um Yards und First Downs kommt. Die Verbesserungen an der Connected Franchise und dem Ultimate-Team-Modus sind ebenso sinnvoll wie die mechanischen Erweiterungen, verblassen aber neben dem ebenso kurzweiligen wie langfristig motivierenden Draft Champions, der in einer ähnlichen Form auch in FIFA 16 auftauchen wird. Verbesserte KI und Physik, die aber trotz Optimierung gelegentlich Aussetzer zeigen, runden ein gelungenes Spielerlebnis ab. Wer bislang mit Madden auf den aktuellen Systemen gezögert hat, hat alles richtig gemacht und bekommt dieses Jahr die bislang ausgereifteste virtuelle Variante des amerikanischen Publikumsmagneten. Die Versionen für PS3 und 360 werden ebenso stiefmütterlich behandelt wie letztes Jahr und bekommen lange nicht alle Verbesserungen ihrer großen Geschwister spendiert. Aber sie können sich dank Draft Champions von den letztjährigen Versionen absetzen.

Pro

Ultimate Draft eine sehr gute Modus-Ergänzung
gute Kommentare...
neue Steuerungsmechanik verleiht den Spielen mehr Dynamik
klasse Soundtrack
sehr schicke Präsentation
ordentliche Spielzug-Vorschläge (bei Bedarf auch mit Community-Tipps, nicht auf PS3/360)
Ultimate Team und Franchise mit leichten Verbesserungen
sauberer Netzcode
haufenweise Spielzüge zur Verfügung
Anfänger bekommen viele Hinweise und Anmerkungen
verbesserte KI
gelungenes Maß an angefochtenen Schiedsrichterentscheidungen

Kontra

Laufspiel leicht übervorteilt
... die sich leider immer noch zu schnell wiederholen
PS3
und 360-Versionen nicht mit allen Neuerungen versehen
alte Versionen stagnieren technisch weitgehend
keine eigenen Spielzüge erstellbar, nur Playbooks veränderbar
Ladezeiten

Wertung

360

Die alten Systeme profitieren von einigen Verbesserungen sowie dem Draft-Champions-Modus, stagnieren aber in vielerlei Hinsicht.

PlayStation4

Sinnvolle Verbesserungen in nahezu allen Bereichen und vor allem der Modus Draft Champion machen aus Madden NFL 16 einen Meisterschafts-Anwärter.

PlayStation3

Die alten Systeme profitieren von einigen Verbesserungen sowie dem Draft-Champions-Modus, stagnieren aber in vielerlei Hinsicht.

XboxOne

Sinnvolle Verbesserungen in nahezu allen Bereichen und vor allem der Modus Draft Champion machen aus Madden NFL 16 einen Meisterschafts-Anwärter.

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