Chronos11.07.2016, Dieter Schmidt
Chronos

Im Test: Action-Rollenspiel in VR

Exklusiv hat sich Oculus das VR-Rollenspiel Chronos unter den Nagel gerissen. Gunfire Games vermischt gängige Ansätze aus Action-Rollenspielen mit einem VR-Konzept: Das Geschehen verfolgt der Spieler durch den Wechsel fester Kamerapositionen.

Zwischen Postapokalypse und Fantasy

Eine alte Frau erzählt von alten Zeiten, als die Menschheit noch so etwas wie eine Zivilisation besaß. Im Hintergrund ragen Reste von Wolkenkratzern empor. Aber dann kamen die Monster. Etliche Helden wetzten ihre Klingen. Erfolglos. Nun ist es am Spieler, dem Bösen entgegen zu treten. Mit Schwert und Schild also durch die Postapokalypse? Mitnichten. Nach einem Rundgang durch die Ruinen eines Forschungslabors aktiviert man einen Teleportationsstein, der den Helden in eine klassische Fantasiewelt katapultiert. Und auch wenn es hier um Drachen, Zyklopen und Prinzessinnen geht: Sie werden zumindest durch die moderne Ebene in einen frischen Kontext gesetzt, was ich aus Spoilergründen nicht weiter erklären kann.  Allerdings nimmt man die Geschichte, die durch Tagebucheinträge und kurze Zwischensequenzen geprägt ist, eher als Hintergrundplätschern wahr.

Dark Souls light

Ähnlich wie in der Dark-Souls-Reihe kann man den Gegner fixieren und Angriffe abblocken.
Zentraler Bestandteil ist das Kampfsystem: Per L2-Taste kann der Gegner fixiert werden. Als defensive Taktik kann man die Riposte oder das Wegrollen nutzen. Fünf aufrüstbare Waffen mit unterschiedlichen Angriffsarten lassen Gegner das Zeitliche segnen und Drachensäfte füllen den Lebensenergiebalken wieder auf. Stirbt man, so kehrt man über die Teleportationssteine wieder in die Welt – nur ist man dann ein Jahr älter und die Gegner sind alle wieder da. Dahinter verbirgt sich eigentlich eine pfiffige Idee: Von den vier Grundwerten Stärke, Geschicklichkeit, Gesundheit und Magie kann ich in jungen Jahren die ersten drei Werte nach oben schrauben. Magische Steine mit unterschiedlichen Fähigkeiten können den Angriff verstärken oder dem Gegner Lebenspunkte entziehen. Und  ist man alt und weise genug, darf man erst seinen Arkanwert erhöhen und somit die Wirkung dieser magischen Steine verstärken. Wer zu oft stirbt, erhält also einen Bonus. Das wäre insofern ein durchdachtes Prinzip, wenn im hohen Alter auch die anderen Werte wieder runtergehen würden. Zwar braucht man irgendwann mehr Aufstiegspunkte, um z.B. die Stärke zu erhöhen und auch optisch sieht man den Charakter vor seinen Augen altern, aber als siebzigjähriger Greis bin ich fit wie eh und je. Und warum sagt man dem Spieler nicht vorher, dass man zum Beispiel nur 80 Jahre lebt? Jedes Ableben und zusätzliche graue Haar würde die Anspannung zum Ende des Spiels nicht abreißen lassen.

Was ein wenig wie Dark Souls klingt, spielt sich leider nicht ganz so: Einerseits fehlt dem Kampfsystem die so wichtige Ausdauerleiste. Hier kann ich ununterbrochen ab der Mitte des Spiels den übermächtigen Speer nutzen und piesacke meine Feinde durchs bloße Knöpfchendrücken schnöde nieder. Der schwere Kampfhammer eignet sich zwar für stark gepanzerte Gegner und das leichte Schwert kann als Allroundwaffe eingesetzt werden, dennoch wirken sie austauschbar. 

Die Angriffsvariationen der Gegner sind leider schnell durchschaut.
Auch hat man die gegnerischen Angriffsvariationen schnell durchschaut. Während Monster in der Soulsreihe immer mal wieder unvorhersehbare Angriffe starten, schnetzelt man sich eher seicht durch die Widersacher. Zudem können Erfahrungspunkte nicht verloren werden, was die situative Spannung schmälert. Versteht mich nicht falsch: Das Kampfsystem ist stimmig und ich habe bis zum Spielende die 60 Lenze überschritten (bin also über 40 Mal gestorben).  Auch schafft man es oftmals nicht, bis zum nächsten Stein oder zur Abkürzung zu gelangen. Und auch mein Kardiologe würde mir eher von Chronos abraten. Dennoch muss man hier gegenüber der angesagten Kampfvorlage einige Abstriche machen.

Gewaltige Bauten und stilvolle Welt

Dafür schaut man immer wieder staunend in die Höhe und ergötzt sich an dem sehr markanten Stil, wenn man durch die vom kubischen Design geprägten nordischen Hallen schreitet und den mit Stein gepanzerten einäugigen Wächtern begegnet. Wo Wälder, in denen man Elfen vermutet, dann doch einen Tempel beherbergen, in dem gehörnte Dämonenkrieger hausen. Die Welt wirkt durch die VR-Brille einfach pompöser und mächtiger, wenn sich das Labyrinth über eine gähnende Leere erstreckt, die von einer hundert Meter hohen Steinfigur bewacht wird. Hier entfaltet Chronos seine Stärken, weil der Spieler in diese Welt komplett hineingezogen wird. Grafisch zählt das VR-Rollenspiel sicherlich zu den besseren Spielen, was derzeit mit doppelter Berechnung möglich ist. Dabei wechselt der Spieler je nach Figurenposition die feste Kameraposition und kann sich dort in Ruhe umschauen. Nicht selten muss man den Helden in Kampfsituationen aus Ecken oder blöden Positionen hinausmanövrieren, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu bekommen, aber im Großen und Ganzen hat man kaum Probleme und kann sich fernab von Simulationskrankheit auf die Gefechte konzentrieren.  

Dank der Brille wirkt die Umwelt einfach pompöser.
Die Struktur des Schlosses, die Wege des Waldes und der Aufbau des Labyrinths sind dabei so gewählt, dass man immer wieder Fortschritte durch Abkürzungen erreicht, was den Frust beim Ableben und dem erneuten Durchwandern  verringert. Auch die Gegnertypen sind fantastisch designt und unterscheiden sich ständig durch ihre Art oder ihre Waffenwahl.

Natürlich wäre Chronos auch ohne VR-Brille ein gutes Spiel, da man das Spielprinzip auch auf einem Fernseher laufen lassen könnte. Dennoch kann man hier den Einsatz der Oculus-Brille begrüßen. Das immersive Erlebnis will ich nicht missen, wenn der gigantische Zyklop direkt vor der Kamera zu einem mächtigen Schlag ausholt und man die Größe und Bedrohlichkeit wirklich hautnah spüren kann.

Neben kleineren Bossen gibt es von derlei Bosskämpfen insgesamt vier. Die bereiten allesamt Spaß, aber spätestens bei dem zweiten Versuch liegen sie matt auf dem Boden. Und so schön Chronos auch wirken mag, so sehr hat man auch Potenzial verschenkt: Warum kann man nicht Truhen kaputtschlagen und wertvolle Dinge finden? Warum hat man nicht kleinere Umgebungsrätsel eingebaut, wo doch gerade VR neue Wege beschreiten kann? Ohne Schätze und Geheimgänge wird der harte Kampf in keiner Weise entlohnt. Der Blick durch die festen Kamerapositionen dient somit lediglich der Orientierung, aber nicht der Erkundung. Auch bezüglich der wenigen Aufgaben erfüllt man hier nur Mittelmaß und krönt die Knobelei am Ende mit einem nervigen Schieberätsel. Hier hätte man kreativere Wege gehen können, die aber auch seitens der Hardware limitiert waren: Ohne die erst kommenden Oculus-Controller ist man natürlich extrem eingeschränkt.

Fazit

Chronos überzeugt durch ein gutes Kampfsystem, das mit kleineren Abweichungen der Souls-Reihe ähnelt. Aber in den Punkten Angriffsvariationen der Gegner, Unterschiedlichkeit der Waffen oder situative Spannung bleibt es eine ganze Klasse hinter dem Vorbild. Dafür punktet das VR-Rollenspiel durch die Wahrnehmung der Umgebung, wenn man z.B.durch ein Dimensionstor schreitet und als geschrumpftes Etwas durch die Glasscheibe eines riesigen Bücherschranks blickt. Dank Oculus wirken die pompösen Bauten und riesigen Bäume einfach eindrucksvoller - und genau hier liegt die Stärke von Chronos: Wundervolles Artdesign paart sich mit VR. Leider lässt man bezüglich der Rätsel, der Geschichtenerzählung und der Erkundung  viel Potenzial liegen. Dennoch werde ich diesen zwölfstündigen Ausflug in eine andere Welt nicht so schnell vergessen.

Pro

interessante Spielwelt
gutes Kampfsystem
abwechslungsreiche Gegner
wundervoll designte Kulissen
fordernde Passagen
schöne Bossgegner

Kontra

Geschichte wird fade erzählt
nerviges Schieberätsel
fehlende Ausdauerleiste
kaum Erkundungsreize
Gegnern fehlt Angriffsvariabilität
Kaum wertvolle Beute und Geheimgänge
Speer ist zu mächtig
Alterung nicht konsequent genug

Wertung

OculusRift

Chronos überzeugt durch ein gutes Kampfsystem und immersive Welten. Dennoch hat man viel Potenzial liegen lassen.

VirtualReality

Chronos überzeugt durch ein gutes Kampfsystem und immersive Welten. Dennoch hat man viel Potenzial liegen lassen.

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