Sea of Thieves27.03.2018, Mathias Oertel
Sea of Thieves

Im Test: Lustig ist das Piratenleben?

Schwerter, Holzbeine, Augenklappen, Totenkopfflaggen und ne Buddel voll Rum: Microsoft und Rare rufen mit Sea of Thieves (ab 39,99€ bei kaufen) alle Piraten mit Xbox One oder Windows-10-PC auf, eine fiktive Karibik unsicher zu machen. Ob es sich lohnt, Störtebeker, Blackbeard, Mary Read, Anne Bonny oder Jack Sparrow nachzueifern, verraten wir im Test.

Stimmungsvoller Einstieg

Man wacht in einer dunklen Kaschemme auf, ohne Gold, aber immerhin mit einer Steinschloss-Pistole und einem Säbel ausgerüstet. Das Leben könnte schlimmer sein – zumal am Pier auch ein Schiff anliegt, mit dem man zu den Inseln des weitläufigen Areals schippern kann, um ein legendärer Pirat zu werden. Doch die Anfänge sind eher bescheiden: Man kann für eine von drei Fraktionen Aufträge annehmen, die einen quer über den Ozean zu verschiedenen Gebieten lenken. Mal sucht man Schatztruhen, dann wiederum muss man skelettierten Piratencrews den Garaus machen. Und wer sein Piratenleben eher pazifistisch interpretiert, kann versuchen, für das Handelskontor Tiere zu fangen. Schließlich wartet auch noch ein geheimnisvoller Fremder, der erst mit einem spricht,  wenn man bei den drei Fraktionen bestimmte Reputationsstufen erreicht hat. Der Aufstieg ist natürlich eng mit den verteilten Missionen verknüpft.

Die ansehnliche Kulisse mit ihren stimmungsvollen Panoramen sowie beeindruckenden Wellenbergen ist der Höhepunkt von Sea of Thieves.
Und man ist nicht allein: In dieser so genannten „Shared World“ (gemeinsam genutzten Welt) tummeln sich auch andere Piraten, die entweder solo, zu zweit oder als Teil einer vier Mann starken Crew Ruhm und Gold hinterherjagen. Das ist ein gelungenes Fundament für ein spannendes sowie unterhaltsames Freibeuter-Abenteuer. Man fühlt sich von Beginn an wohl in dieser Welt. Es fehlen zwar Anleitungen, wie man sich orientiert oder wie man die zwar arcadige, aber letztlich doch verhältnismäßig komplexe Kontrolle über die Schiffe perfektioniert. Doch man hat die einfachen Mechaniken schnell verinnerlicht und kann sich auf die großteils sehr ansehnliche Welt einlassen. Und ehe man sich versieht, schippert man von Insel zu Insel, löst Rätsel, hebt Schatztruhen, bekämpft Skelette und fängt Hühner, Schweine oder Schlangen, als ob man niemals etwas anderes gemacht hatte. Man erfährt einen Freudentaumel, wenn man die mitunter kryptischen Hinweise löst, die das Versteck von Schatzkisten verraten oder ein vergleichsweise seltenes Vieh findet. Natürlich kann man auch versuchen, andere Crews zu „entlasten“ und ihnen ihre möglicherweise schwer verdiente Beute abzunehmen. Immerhin ist man hier als Pirat unterwegs und nicht als Pfadfinder.   

Ehrloses Gesindel

Doch der Spaß, den man anfangs hat, kann schnell verfliegen und ist letztlich von mehreren Faktoren abhängig. Zum einen spielt natürlich die Größe der Crew und ihre Eingespieltheit eine Rolle. Bis zu vier Spieler können eines der größeren Schiffe in See stechen lassen. Wenn die Aufgaben klar verteilt sind und kompetent bearbeitet werden, entsteht nicht nur eine interessante Kommunikationsdynamik, sondern entfaltet Sea of Thieves seinen ganzen Reiz: Mit einem Steuermann, einem Ausguck, einem Navigator mit einem Auge auf der Karte sowie einem Seemann, der sich um die Takelage kümmert, fühlt man sich als Teil eines Teams. Jeder ist wichtig und wenn in Krisensituationen nur einer die Nerven verliert oder anfängt, Mist zu machen, wird man spätestens in Kanonenschlachten gegen andere Crews den Kürzeren ziehen. Das Problem hier: Meist ist man nur mit Kumpels konkurrenzfähig. Wenn in einem Viererteam ein oder mehrere Chaoten, Inkommunikative oder

Man muss sich nicht nur vor anderen Piraten in Acht nehmen, sondern sich in bestimmten Bereichen auch gegen NPC-Beschuss wappnen.
vielleicht im Zweifelsfall des Englischen bzw. der Crew-Primärsprache nicht mächtige  Spieler dabei sind, sinkt der Spaß für alle auf den Meeresgrund.

Um dies einzugrenzen, kann man auch mit einer Zweiercrew oder solo auf einer entsprechend kleineren Schaluppe die See bewältigen. Dann wiederum ist entscheidend, mit welchem Spielertyp man auf dem Server gelandet ist. Es gibt diejenigen, die Sea of Thieves als Piratenrollenspiel verstehen und zwar Jagd auf andere, vermeintlich schwächere Spieler machen, aber sich damit zufrieden geben, ihnen die Beute zu nehmen, sie vielleicht sogar zu töten und ihr Schiff zu versenken. Mitunter geben sie sich auch zufrieden, wenn man ihnen die Aufgabe signalisiert. Quasi eine Leben-und-leben-lassen-Mentalität. Und mit solchen Spielern habe ich auch kein Problem damit, dass die gesamte Spielwelt eine PvP-Zone ist, in der man theoretisch nie sicher sein kann. Das Piratenleben ist ja kein Ponyhof. Doch wenn Spieler oder Crews nur darauf aus sind, Chaos zu stiften und (meist numerisch unterlegene) Spieler nicht nur besiegen, sondern demütigen wollen, indem sie nahe des Schiffs-Spawnpunktes campen, bei dem man nach einem kurzen Ausflug in die „Unterwelt“ landet, und einen abschießen, bevor man überhaupt eine Möglichkeit zur Verteidigung hat, ist das nervig, frustrierend und absolut demotivierend. Insbesondere, wenn die Crew danach Jagd auf einen macht, obwohl sie weiß, dass man eigentlich nichts auf seinem Schiff hat. Gegenwärtig gibt es keinerlei Schutz gegen Chaos-Piraten. Allerdings wird man nach häufigem Ableben in kurzer Zeit zum Aufwachen mit einem frischen Schiff vor Anker auf eine vom ursprünglichen multiplen Tod weit entfernte Insel versetzt. Ob diese evtl. sogar auf einem anderen Server ist, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen.

Verschenktes Potenzial

Dabei hätte Rare sich mit etwas mehr Feingefühl eine noch größere Spielerschaft sichern können, die  vielleicht von dem permanenten, sich nicht regulierenden sowie bei Kämpfen 4-gegen-2 sowie 4-gegen-1 unfair wirkenden PvP abgeschreckt wird. So hätte man z.B. Server anbieten können, auf denen nur kleine Schaluppen unterwegs sind und Vierercrews unter sich bleiben. Oder man hätte ähnlich wie bei Ubisofts „The Division“ ein dezidiertes PvP-Gebiet gestalten können. Einige der Aufträge und natürlich die kürzesten Wege über die Karte liegen weiterhin in diesem Areal. Es gäbe sicherlich noch andere mögliche Regulierungsmöglichkeiten. Dann hätten wenigstens die Spieler die Wahl, wie sie vorgehen und vor allem, ob sie das Risiko eingehen sollen. Denn dass die Duelle mit anderen Spielern das Salz in der Piratensuppe sind, stellt man spätestens dann fest, wenn man sich über zehn oder 20 Minuten mit einem gegnerischen Kapitän seiner Schiffsgröße die Kanonenkugeln um die Ohren jagt, dann wieder eine oder zwei Minuten Pause benötigt, um die Löcher im Rumpf behelfsmäßig zu flicken und schließlich beide zugestehen, dass man gleichwertig ist und dann seine Wege geht – nur, um dann im nächsten Außenposten wieder aufeinanderzutreffen und vielleicht in der Kneipe einen Grog zusammen zu trinken. In diesen Momenten zeigt Sea of Thieves, wieviel Spaß in ihm stecken kann.

Auch Unterwasser gibt es einiges zu entdecken.
Doch nicht nur bei den Spielerkämpfen zeigt Sea of Thieves Nachholbedarf. Bei allen Inhalten stellt man fest, dass unter der schillernden sowie interessant scheinenden Oberfläche nichts Langlebiges schlummert. Bei den weitgehend zufällig generierten Aufträgen gerät man zunehmend in eine Tretmühle. Man muss zwar irgendwann auf mehr Inseln nach Schätzen suchen, während man teils gehörig nachdenken muss, um die Hinweise zu entschlüsseln. Doch im Kern wird die Mechanik schnell vorhersehbar. Das gilt übrigens auch für die Skelettjagden, die unter dem Strich nur gegen mehr und mehr Crews auf mehr und mehr Eilanden stattfinden. Und natürlich auch für die Lebendtier-Akquise, die irgendwann nach Schema F stattfindet und nur ihren Reiz daraus gewinnt, die Insel(n) zu finden, auf denen die goldfarbenen Hühner, die roten Giftschlangen oder die schwarzgefleckten Schweine zu finden sind. Selbst die mitunter angeschwemmten Schatztruhen sind nur ein weiteres Beutestück, das gegen Gold abgegeben werden kann. Und die angeschwemmte Flaschenpost hat auch nur irgendwelche Karten, die die bekannten Missionstypen wiederkäuen. Das alles könnte aber dennoch motivierend sein, wenn man das Gefühl hätte, dass es sich lohnt und dass man einen Fortschritt machen würde. Doch egal, ob man erst eine Stunde hinter sich hat oder schon über 20 im Kampf mit der See zugebracht hat – es fühlt sich alles irgendwie gleich an. Das ist bedenklich und lässt die Motivation spätestens nach fünf Stunden abflauen.

Nur fürs Ego

Mitunter findet man bei seinen Schatzsuchen auch angespültes Treibgut, das sich gewinnbringend verkaufen lässt.
Zwar kann man über erledigte Missionen und abgegebene Kisten, Tiere etc. bei den Fraktionen im Level aufsteigen. Doch abgesehen von ein paar schick aussehenden Gegenständen wie z.B. ein vergoldeter Spaten oder ein güldener Kompass hat man auch hier nicht das Gefühl, irgendetwas erreicht zu haben. Man kann zwar einen ganzen Haufen kosmetischer Verbesserungen für seine Figur oder sein Schiff erstehen. Doch das gibt nur dem eigenen Ego Auftrieb. Weder die Mitglieder der Crew (schon gar nicht, wenn es sich um Fremde handelt) und insbesondere die Gegner scheren sich einen feuchten Pagageien-Dreck, wie gut oder schlecht man gekleidet ist oder ob der Säbel nun verziert ist oder nicht. Daher wäre es ungleich interessanter gewesen, wenn man neben kosmetischen Veränderungen auch spielerisch beeinflussende Verbesserungen kaufen könnte. Sei es nun größere Beutel für die Munition, bessere Kanonen oder stärkeres Holz. Dann nämlich hätte man auch als Solo- oder Duospieler, deren Beuteanteil naturgemäß höher ausfällt als bei einer Vierercrew sowohl die Chance als auch die Motivation ggf. gegen Großschiffe zu bestehen. Oder man könnte vielleicht sogar im Vorfeld dafür sorgen, dass sich eine Galleonenbesatzung mehrmals überlegt, einen anzugreifen, wenn sie sieht, dass man mächtige Ballermänner auf Deck oder einen dreifach verstärkten Bug hat.  

Die Missionen bieten bereits mittelfristig zu wenig Abwechslung - es gibt lediglich Schatzsuchen, Tierfang oder Skelettjagden.
Wo sind die Missionen, in denen man vielleicht mit anderen Crews zusammenarbeiten muss, wobei man nie sicher sein kann, ob man kurzfristig verraten wird? Wo sind die Missionen, mit denen man auch anderen Spielern signalisieren kann, dass es ihnen nicht zum Vorteil reicht, sich mit dieser oder jener Crew oder einem bestimmten Kapitän anzulegen? Wo sind Aufgaben, die die ohnehin simpel geratenen Kämpfe aufwerten und bis zum letzten ausreizen? In dieser Form bleibt das spielerisch mehr als solide Piraten-Fundament weitgehend ungenutzt und in jeder Hinsicht oberflächlich. Apropos: Die visuelle Seite von Sea of Thieves ist größtenteils grandios. Zwar werde ich mit dem comichaften Figurendesign auch nach zig Stunden einfach nicht warm. Dafür jedoch liebe ich es, manchmal sogar einfach nur zur Entspannung durchs Meer zu pflügen und die Umgebung in mich aufzusaugen. Die Wellen, die man im tosenden Sturm durchbrechen muss, während um einen herum Blitze einschlagen und sogar Löcher in den Rumpf schlagen können, sind zwar ab und zu einen Tick zu „gebirgig“. Dennoch hinterlassen die mal idyllisch-stillen, dann wieder unruhigen und sich schließlich meterhoch auftürmenden Wassermassen einen sehr stimmungsvollen sowie einladenden Eindruck. Dabei spielen auch das dynamische Wetter sowie der Tageszeitenwechsel eine große Rolle. Zusammen mit den zig Inseln unterschiedlicher Größe ist die Kulisse über die meiste Zeit ein Genuss. Schade, dass dies nicht für die Kerninhalte gilt.

Fazit

Sea of Thieves beginnt stark. Die Welt mit ihrem Karibikflair sieht mit Ausnahme der Figuren im Comicdesign nicht nur teils verteufelt gut aus. Sie zieht einen auch mit ihren geheimnisvollen Inseln und den Missionen, die man bei den drei Fraktionen bekommen kann, in ihren Bann. Und über allem schwebt der PvP-Geist, der dafür sorgt, dass man sich theoretisch nie sicher fühlen kann, wenn man einer gegnerischen Crew begegnet. Doch je länger man spielt, desto mehr fallen einem die Defizite auf, die zeigen, dass das Fundament zwar durchweg gelungen ist, die Inhalte aber nur an der Hochglanz-Oberfläche bleiben. Das beginnt bei den unregulierten Gefechten, bei denen man der Server-Willkür ausgeliefert ist, ob man evtl. mit Chaoten zu tun hat, die nur darauf aus sind, das Spiel der anderen kaputt zu machen. Das geht weiter bei den rein kosmetischen Upgrades, die einem vielleicht einen Boost für das Ego, aber nicht das Gefühl geben, etwas erreicht zu haben. Selbst, wenn man mehr als 20 Stunden investiert hat, besitzt man eigentlich nichts, was sich zu zeigen lohnt oder was einem die Überlebenschance erleichtert. Und das endet bei dem Endloskreislauf aus immer gleichen Missionen, die in höheren „Stufen“ nur auf mehr Zielgebiete ausgedehnt werden. Ich hatte mich auf das Piratenleben gefreut. Und auch wenn ich immer wieder gerne in See steche, um die Kulisse zu genießen und den einen oder anderen Auftrag zu erledigen, bleibt das Gefühl zurück, dass mit nur wenigen Mitteln so viel mehr möglich gewesen wäre.

Pro

größtenteils sehr ansehnliche Kulisse
Dauer-PvP sorgt für Spannung...
dynamisches Wetter
Tageszeitenwechsel
spannende Seekämpfe bei gleichwertigen Crews
starkes Teamgefühl bei einer eingespielten Crew
auch solo oder zu zweit spielbar

Kontra

generisches Comic-Design der Figuren
... aber auch für viel Frust, da nicht reguliert
keinerlei Fortschrittsgefühl
Spielspaß von zu vielen Faktoren abhängig, die man nicht beeinflussen kann
generisches und zu schnell redundantes Missionsdesign

Wertung

PC

Das spielerische Fundament stimmt, doch unter der schicken Oberfläche findet sich viel Missions-Redundanz sowie ein interessantes, aber noch unausgereiftes Online-Konzept.

XboxOne

Das spielerische Fundament stimmt, doch unter der schicken Oberfläche findet sich viel Missions-Redundanz sowie ein interessantes, aber noch unausgereiftes Online-Konzept.

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