Im Test: Ronja Maschinentochter
Eine Frau macht Sony nervös...
Ich erinnere mich, dass ich im Sommer 2015 verwundert den Kopf schüttelte, als sich der Präsident der Sony Interactive Entertainment Worldwide Studios nach der Ankündigung von Horizon Zero Dawn nicht nur um die thematische Verknüpfung von Steinzeit und Hightech, sondern vor allem um die Akzeptanz der weiblichen Heldin Aloy sorgte. Shuhei Yoshida sagte damals:
"Sie ist ein weiblicher Hauptcharakter. Das war schon immer die Vision des Teams, aber wir hatten eine Diskussion darüber. Ist es riskant, einen weiblichen Charakter zu haben? (...) Die Bedenken kamen, nachdem das Spiel bereits in Entwicklung war. Wir haben es intern vielen Leuten gezeigt und sie hatten Fragen dazu."
Warum diese Bedenken? Scheiterte denn eine neue Marke schon mal am Geschlecht des Helden? Und gab es abseits von Tomb Raider nicht bereits so viele markante und erfolgreiche Beispiele für Frauen in Videospielen - ob in Hauptrollen wie in Mirror's Edge, Bayonetta, Life Is Strange oder in Nebenrollen wie in BioShock Infinite, The Walking Dead oder The Last of Us. Zu viel Nervosität im Umfeld, vor allem jene, die auf Seiten der Publisher zu Eingriffen in den kreativen Bereich führt, kann zu schlimmen Fehlentscheidungen im Spieldesign führen. Deshalb ist es gut, dass Sony der Vision der Entwickler auch in diesem Bereich folgte und Yoshida san diese weibliche Perspektive letztlich ausdrücklich begrüßte.
Kann Guerilla Games erzählen?
Ob Mann oder Frau virtuell bewegt werden ist natürlich vollkommen egal, wenn es an den wichtigen Aspekten der Identifikation hapert. Mich interessiert nicht das
Geschlecht, sondern nur die Charakterzeichnung. Hier hatte ich viel größere Bedenken, denn Guerrilla Games zeigte in Killzone eher stereotype Helden oder faschistoide Zerrbilder der Marke Goebbels 2.0. Wie wollten sie gerade angesichts der in den letzten Jahren immer reiferen und emotional facettenreicheren Erzählweise mithalten? Vor allem, wenn man intern mit Naughty Dog auch hinsichtlich der Regie ein Vorzeigestudio vor der Nase hat? So etwas kann die qualitativen Unterschiede innerhalb der eigenen exklusiven Produktionen schonungslos offenbaren. Meine Bedenken betrafen auch generell das Erlebnis in der offenen Welt, denn Far Cry Primal hatte mich z.B. komplett gelangweilt. Aber obwohl dieses Horizon auf den ersten Blick thematisch und strukturell vergleichbar ist, unterhält es mich drei Klassen besser. Woran liegt das?
Das fängt damit an, dass Aloy überraschend gut charakterisiert wird. Die Regie lässt sich im Einstieg angenehm viel Zeit, eine interessante Biografie rund um die rothaarige Waise aufzubauen. Es trägt sehr viel zur Identifikation bei, dass man die Kindheit des Mädchens bis zur jungen Erwachsenen spielt und damit selbst erleben kann, auf welche Konflikte sie als Ausgestoßene in der archaischen Stammeswelt stößt. Sie wird gehänselt, gemieden und gedemütigt. Dieses Schicksal teilt sie mit ihrem ebenfalls verstoßenen Erzieher Rost, der sie wie eine eigene Tochter mit viel Verständnis, aber auch strenger Sorge behandelt - selbst wenn die emotionale Beziehungstiefe nicht erreicht wird, fühlte ich mich mitunter an Ellie und Joel aus The Last of Us erinnert. Und das wird nicht das einzige hochkarätige Déjà-vu bleiben, denn Guerrilla Games hat sich auch in anderen Bereichen von erfolgreichen Spielen inspirieren lassen.
Rollenspiel in der Luft
Es ist erstaunlich, dass schon sehr früh ein charmantes Rollenspielflair spürbar wird: Wenn sich die Leute z.B. nach Aloy umdrehen, wenn man ihre Kommentare hört oder selbst einfache Nebencharaktere ansprechen kann. In den gut geschriebenen Dialogen kann man nicht nur nachfragen und so mehr über die Spielwelt erfahren, sondern muss sich auch manchmal entscheiden, ob man eher rational, verständnisvoll oder wütend reagiert. Meist dient das nur der eigenen situativen Interpretation von Aloys Charakter, und nicht etwa einer permanenten Entwicklung hin zu einer eher milden oder rachsüchtigen Heldin. Aber das wird später dramatischer, wenn man am Ende einer Mission mit viel Verrat und Opfern z.B. über Leben und Tod entscheiden muss.
Das geht hinsichtlich der Haupt- und Nebenqueststrukturen sowie Konsequenzen zwar nicht ganz, aber fast so weit, dass man sich an The Witcher 3 erinnert fühlt. Man gerät in laufende Überfälle oder kleine Schlachten, wenn Wachen auf einer Brücke aggressive Maschinenwesen zurückschlagen oder wenn in ein befreites Banditenager die Händler und damit der Frieden einkehrt - all das sorgt für Dynamik und Glaubwürdigkeit. Hinzu kommen die wie Dungeons aufgebauten Brutstätten, deren labyrinthartige Düsternis für ein atmosphärisches Gegengewicht zur freien Natur sorgt und die ähnlich wie in The Legend of Zelda meist einen Bosskampf im Zentrum sowie neue Fähigkeiten zur Manipulation von Maschinenwesen bereithalten.
Glaubwürdige Spielwelt
Die Spielwelt ist nicht frei von Widersprüchen, denn dass man mit Pfeil und Bogen oder Stabschlägen sichtbar gepanzerte Maschinen ausschalten oder auf Knopfdruck mitten im Kampf mal eben Pfeile herstellen kann, fühlt sich
einfach seltsam an. Außerdem darf man in jedem Lager auch als Fremde die dortigen Kisten plündern. Und bei allem Lob für das Rollenspielflair, muss man natürlich festhalten, dass man hier weder Fraktionen beeinflussen noch den Charakter von Aloy außerhalb ihrer Kampf-, Jagd- und Sammelfähigkeiten etwa rhetorisch oder moralisch entwickeln kann. Trotzdem liegt hier eine gehaltvolle Würze in der Luft, weil Guerrilla Games scheinbar mehr wollte als lediglich Action in hervorragender Kulisse zu inszenieren. Vor allem, wenn man der etwa 25 bis 30-stündigen Hauptquest folgt, bemerkt an allen Ecken und Enden den erzählerischen Ehrgeiz, eine glaubwürdige Welt zu erschaffen. Und das Fundament dafür lieferte ein sehr gutes Drehbuch, das auch die sozialen Aspekte thematisiert.
Die matriarchalische Gesellschaft rund um die Verehrung an eine Urmutter,
strenge Rituale sowie Initiationen wird in vielen Facetten dargestellt. In dieser fernen Zukunft der Erde haben die Frauen das Sagen - zumindest im Stamm der Nora. Aber das hilft Aloy als "mutterloses" Mädchen überhaupt nicht: Wer war ihre Mutter überhaupt? Woher kommt sie? Zumal sie sich noch weiter entfremdet, als sie nach dem Sturz in eine Höhle zwei Dinge findet, die ihr Leben und die Suche nach Antworten entscheidend verändern: Zum einen Spuren einer untergegangenen Zivilisation, die sich trotz Hightech vor irgendetwas fürchtete. Zum anderen einen kleinen Chip, den so genannten "Fokus", der Aloy digitale Einsichten in ihre Umwelt ermöglicht, die andere nicht gewinnen. Sie bekommt plötzlich holografische Informationen, kann leuchtenden Spuren folgen, Indizien und Feinde aus der Distanz analysieren. Daraus ergeben sich ähnlich wie über Geralts Hexersinn viele detektivische, teilweise über mehrere Etappen laufende Quests, die sie z.B. von einem Tatort zum Täter führen. Und es ist auch für den Spielrhythmus eine gute Entscheidung, dass Aloy während der Nutzung des Fokus' stark verlangsamt ist und nicht kämpfen kann. So gibt es neben der Action während der Jagd auch genug investigative Ruhephasen.
Auf der Jagd nach Antworten
Die Story weckt auf zwei Ebenen, einer biografischen und historisch-politischen, die Neugier: Man will mehr über Aloys Eltern und ihre Gründe erfahren, das Kind diesem Schicksal auszusetzen. Und man will natürlich mehr über diese Welt erfahren, in der die ganz unterschiedlichen Stämme auf dem mysteriösen Fundament einer uralten Hightech-Zivilisation sowohl untereinander als auch gegen die Maschinenwesen Krieg führen. Wer ist dafür verantwortlich, dass sie immer aggressiver werden? Dass die prophezeite "Verderbnis" droht? Wer in den Gesprächen aufmerksam zuhört und dazu die Notizen, Datenpakete, Audiologs sowie Spuren beachtet, wird so langsam das Bild einer Welt mit gewachsener Geschichte erkennen, in der die "Roten Raubzüge" mit ihrer Vertreibung, Sklaverei und Menschenopfern für tiefes
Misstrauen gesorgt haben, in der es Tyrannen und Rebellen gab. Und ähnlich wie in allen guten Abenteuern in offener Welt gibt es angesichts der Weite natürlich auch ein geografisches Ziel, eine Art zivilisatorische Mitte, auf die man aus der primitiven Peripherie heraus zusteuert - in diesem Fall ist es die Stadt Meridian, wo einst der Sonnenkönig thronte.
Guerrilla Games verleiht der Story also eine historische Tiefe und eine nachvollziehbare persönliche Perspektive. Aber wie sieht es mit der Dramaturgie aus? Es gelingt ihnen nicht nur an der richtigen Stelle des Einstiegs für einen unerwarteten Wendepunkt zu sorgen, der in seiner brutalen Inszenierung fast wie ein Stilbruch wirkt und der aus der immer noch lernenden Jägerin plötzlich eine Gejagte gemacht - an dieser Stelle lässt tatsächlich Killzone grüßen. Es gelingt ihnen aber auch noch viel später, die Story um frische Komponenten zu bereichern, die auch einem SciFi-Thriller gut zu Gesicht stehen würden. All das ist erwähnenswert, weil diese Action in offener Welt erzählerisch so positiv überrascht. Und wenn Aloy draußen unterwegs ist, zeigt Horizon: Zero Dawn auch seine technischen und spielerischen Stärken.
Die ferne Schönheit
Dass auch Landschaften etwas über die Vergangenheit erzählen können, wenn man sie mit subtiler architektonischer Sprache füllt, hat u.a. Bethesda nicht erst mit The Elder Scrolls 5: Skyrim sowie Fallout 4 immer wieder demonstriert.
Wenn man mit Aloy durch die Wälder, Steppen, Dschungel und Schneefelder pirscht, vorbei an grasenden Herden, entdeckt man nicht nur ganz unterschiedliche Zivilisationen und Baustile innerhalb der Stammeswelt, die von primitiv bis imperial reichen. Abseits der eigentlichen Aufgaben erkennt man immer wieder Überreste alter Maschinen, verfallene windschiefe Türme, halb im Wasser dahin rostende Fahrzeuge, unter dichter Vegetation begrabene Höhlen oder riesige Stahlgerippe, die sich wie Rampen hin zu Berghängen strecken und durch deren Bauch man so weit hinauf gelangt, bis man den Panoramablick genießen kann - manchmal kann Aloy dort tatsächlich über ihren Fokus ein Fenster in die Vergangenheit öffnen und einen kurzen Blick auf ein Stadion oder ein anderes Bauwerk werfen, bevor es unterging. Ein schöner Kniff.
Aloy hinterlässt Spuren im Schnee, Gräser biegen sich im Wind oder bei Kontakt, jedes einzelne Haar ist erkennbar und alles an Ausrüstung von der Ledertasche bis zum Mützenzipfel bewegt sich. Aber nicht diese Feinheiten oder die imposanten Wetter- und Klimawechsel sind es, die von peitschendem Regen bis hin zu Schneefall und Sandstürmen alles an partikelreichen Veränderungen anbieten. Sondern es ist diese malerische Hingabe zu Kleinigkeiten und Landmarken, die das Erkunden dieser Welt so stimmungsvoll gestaltet. Wenn man in alpiner Kulisse mit Aloy an Felswänden hinauf klettert, über Abgründen auf Seilen balanciert und nach dem Gipfelsturm an einer Winde hinunter ins Tal rast, fühlt man sich an Uncharted 4: A Thief's End erinnert. Und spätestens wenn man an einem der riesenhaften Langhälse hinauf kraxelt,
während er weiter wie ein Maschinenturm durch die Landschaft stampft, wird auch Shadow of the Colossus zitiert. Ein Wermutstropfen bleibt jedoch das Wasser: Zwar kann Aloy schwimmen und auch getarnt direkt unter der Wasseroberfläche tauchen, aber sie kann nicht in die Tiefe hinab und Seen oder Flüsse wirklich bis zum Grund erkunden.
Aber dieses prächtige Spiel bestätigt die technische Kernkompetenz von Guerrilla Games auf beeindruckende Art. Es ist ganz einfach eines der schönsten Erlebnisse in offener Welt. Daran können auch kleine Schwächen nichts ändern: Zum einen wirken die Gesichter meist zu klar und sauber - selbst nach Kämpfen oder Klettereinsätzen verschmutzt da zu wenig bis gar nichts Zum anderen ähneln sich gerade im Startgebiet viele Figuren stark, zumal man hinsichtlich der Mimik und Gestik sowie Lippensynchronität nicht an die Perfektion von Uncharted herankommt. Dafür muss man die deutsche Lokalisierung ausdrücklich loben, denn die Sprecher überzeugen auch bei weniger relevanten Charakteren. Übrigens: Wir habenhauptsächlich auf der PlayStation 4 Pro getestet. Da es auf PlayStation 4 keine gravierenden Unterschiede gibt, sondern technisch eine nahezu gleichwertige Präsentation, gibt es auch nur eine Wertung.
Ronja Maschinentochter
Wenn Aloy durch den Wald pirscht, erinnert sie ein wenig an Ronja Räubertochter - nur dass sie es nicht mit märchenhaften Fabelwesen, sondern vor allem mit mysteriösen Maschinen zu tun hat. Guerilla Games lässt diese an technologisch mutierte Saurier erinnernden Wesen unheimlich lebendig wirken. Das liegt nicht nur am ausgezeichneten Artdesign, sondern auch am herrlich animierten sowie erkennbar unterschiedlichen Verhalten. Aus dem Dickicht heraus kann man Varianten von kleinen Raptoren über den mächtigen Tyrannosaurus Rex bis zum langhalsigen Brontosaurus beobachten. Es gibt auch Herdenmaschinen, die an Pferde oder Elche erinnern, dazu übergroße Krokodile in Seen oder Flüssen und riesige Raubvögel, die in Schwärmen umher fliegen.
Erst wenn man sie über den Fokus scannt, kann man ihre Stärken und Schwächen erkennen sowie im Bestiarium nachlesen. Das ist wichtig für die Jagd, denn der frontale Angriff mit Pfeil und Bogen oder Stab ist lediglich im Einstieg gegen die schwächeren Wächter eine Option, die man auch wunderbar mit einem Kopfschuss erledigen kann - eine Analyse des Kampfsystems findet ihr auch in diesem Video.
Für etwas Chaos in Gefechten gegen mehrere Feinde sorgt die fehlende Zielfixierung. Generell muss man aber festhalten, dass dieses Horizon auf dem normalen Schwierigkeitsgrad viel zu einfach für einigermaßen geübte Spieler ist, zumal man beim weitgehend sicheren Springen oder Klettern nicht aufpassen muss und es nach dem Ableben keine negativen Folgen gibt. Damit es auf der Jagd spannend bleibt, empfehle ich mindestens "schwer" oder sogar "sehr schwer" für eine Herausforderung. Es ist nicht so, dass es keine packenden Kämpfe geben würde. Aber man verliert in Gefechten z.B. keine Ausdauer, kann also endlos sprinten und sich immer zurückziehen. Hinzu kommt, dass man aufgrund der üppigen Beute eigentlich immer genug Spezialpfeile oder explosive Argumente besitzt, um Fallen oder Bomben zu bauen - hier hätte Guerilla Games gegen besondere Maschinenwesen auch noch speziellere Waffen sowie Munition verlangen müssen, die kostbarer ist. Oder man hätte fortgeschrittene Jagdfähigkeiten über die Charakterentwicklung einbauen können.
Feuer, Eis, Schock und Verderben
Nicht falsch verstehen: Einfaches Draufhauen im Nahkampf reicht nicht aus. Und viele größere Kreaturen machen einen ratzfatz fertig. Auch der sehr effiziente und vielleicht zu früh erlernte Schlag aus dem Hinterhalt,
der sowohl kleinere Maschinen als auch Menschen sofort ausschaltet, wenn man sie geduckt aus dem Tiefgras oder mit einem Sprung von oben überrascht, reicht irgendwann nicht mehr. Vor allem nicht gegen zunächst unsichtbare Tarnjäger oder größere und aggressivere Kaliber von der Marke eines Verwüsters, die einen in wenigen Sekunden töten können oder das Gebiet selbst so scannen, dass man enttarnt wird. Viele von diesen verfügen zudem über elementare Angriffe aus der Distanz von Feuer bis Eis, gegen die man sich durch entsprechende Kleidung mit hohen Widerständen schützen kann. Und wenn diese Raubmaschinen auch noch zu zweit oder zu dritt in ihrem Areal umhertigern, muss man sich eine clevere Vorgehensweise überlegen, muss sowohl auf das meist erfolgreiche Hit & Run als auch Stealth-Kills sowie Fallen setzen. Schließlich wird man auch in Bosskämpfen gefordert, in denen man nicht wie im freien Gelände einfach fliehen oder eine Anhöhe erklimmen kann. Dieses Spielen mit der richtigen Taktik macht das Kämpfen in Horizon gerade im Vergleich zu Far Cry Primal so unterhaltsam.
Zum einen zeigen die Maschinenwesen nach einem Scan nicht nur einfach einen tödlichen Schwachpunkt, sondern zunächst mehrere fragile gelb markierte Stellen, die wiederum unterschiedlich auf direkten Beschuss oder Elemente wie Eis, Feuer oder Schock reagieren: Man kann z.B. gezielt die Ortungsorgane, die Hörner oder andere Waffen einer Maschine wegsprengen, um sie zu schwächen - oder im Fall einer montierten Kanone diese selbst aufnehmen und gegen sie einsetzen. Man kann entflammbare oder gegen Kälte ungeschützte Bereiche attackieren. Man kann sich auch nur auf den Abschuss wertvoller Beute oder Behälter konzentrieren, ohne die Maschinen zu töten. Schön ist auch, dass sich der eigentliche wunde Punkt in Lila bei größeren Maschinen sowie in Bosskämpfen erst zeigt, wenn man diese stärker geschwächt hat.
Neben zig Arten von Pfeilen, Schleudern und Bögen, die mal auf die Distanz, mal auf die Durchschlagskraft oder Elemente hin gebaut sind, kann man aus einem reichhaltigen Repertoire an Waffen und Hilfsmitteln wählen. Einzelne Maschinen können über Steinwürfe oder Pfiffe aus der Herde gelockt werden. Und wenn man den Fokus einsetzt, kann man auch ihre Laufwege markieren. So kann man das betreffende Gebiet vorher mit Fallen oder Bomben präparieren: Ganz vorne eine Sprengfalle, dahinter vielleicht eine Schockfalle, so dass man schnell aus der Deckung huschen und zu einem kritischen Treffer ansetzen kann. Man kann die Bewegung einer Maschine auch mit Seilwerfern kurzfristig einschränken, indem man sie quasi auf dem Boden festzurrt, um dann ihre Schwachpunkte anzuvisieren. Man kann sie in Schluchten locken und dann von oben angreifen. Noch cooler: Man kann sie irgendwann nicht nur als Reittiere zähmen und so ihre Angriffe aus dem Sattel heraus nutzen, sondern sie auch so "verderben", dass sie wild werden und ihre eigene Herde oder das nächste Maschinenwesen angreifen. In der Regel kann man viele Maschinenwesen irgendwann sehr gut einschätzen und sich in unzugängliche Bereiche oder hinter Gebäude zurückziehen, um sie aus der Distanz sicher zu beharken, da sie sich irgendwann verwundet zurückziehen. Die Möglichkeiten für die Jagd sind aber sehr vielfältig und gehen weit über einfaches Anvisieren und Schießen hinaus. Selbst wenn der situative Duellcharakter irgendwann fehlen mag, sorgt auch dieses Experimentieren gerade gegen unbekannte Spezies immer wieder für Spaß.
Schwache KI und magerer Talentbaum
Besonders schwach wirkt aber die KI der menschlichen Feinde, wenn man mehrstöckige Lager von ihnen befreien muss. Einerseits ist es zwar lobenswert, dass sie bei all zu plumpen Angriffen einen Alarm aktivieren, den man vorher ausschalten sollte. Außerdem wundern sie sich auch kurz über Tote. Andererseits sind die Wach- und Suchroutinen deutlich schwächer als in Uncharted oder Killzone, so dass die Lage viel zu selten eskaliert und man vor allem mit dem Scharfschützenbogen ein Dutzend oder mehr Banditen mit Kopfschüssen ausschalten kann, ohne überhaupt in den
Nahkampf gehen zu müssen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber hier vermisst man mehr Anspruch. Den gibt es wiederum in den so genannten Jäger-Herausforderungen, die z.B. beim Erlegen von Maschinen den gezielten Einsatz einer Waffe oder der Umgebung gegen die Zeit verlangen.
Zu den Schwächen von Horizon gehört auch die Entwicklung der Fähigkeiten. Über Quests und Kämpfe gewinnt Aloy Erfahrung, steigt irgendwann im Level auf und kann die Punkte in die drei Bereiche Jäger, Krieger oder Sammler investieren, um spezielle Fertigkeiten wie das Schießen aus dem Balancieren heraus, das stärkere Zuschlagen mit dem Stab oder die effizientere Heilung freizuschalten. Leider ist vor allem das Entwickeln des Sammelns kaum sinnvoll, denn man findet ohnehin genug Beute und kann ja auch sofort ganz normale Tiere von Hasen, Füchsen, Waschbären bis hin zu Wildschweinen oder Truthähnen jagen, um deren Knochen und Fleisch für die Herstellung von Gegenständen oder Heiltränken zu nutzen. In diesem Zusammenhang muss man auch kritisieren, dass Horizon etwas zu viel an Beute ausschüttet.
Modifikationen und Benutzeroberfläche
Also konzentriert man sich auf den Bereich Jäger, der ganz einfach die besten Zusatzfähigkeiten freischaltet. Hier hat man dann recht früh nach etwa zwanzig Stunden alle zwölf Aktionen zur Verfügung und arbeitet sich dann durch die beiden anderen Bereiche Krieger und Sammler, aber vermisst dort wirklich coole Ergänzungen, auf die man sich freut oder die das Spielgefühl nochmal bereichern würden - es entsteht also keine angenehme Grübelei, sondern eher der Zwang zur Vollständigkeit. Wie eine künstliche Streckung wirkt auch, dass das Austauschen der Modifikationen sowie das Deaktivieren von Fallen so spät verfügbar ist, obwohl man damit gerade zu Beginn gut experimentieren könnte. Nahezu alle Waffen und Rüstungen verfügen über einen bis drei freie Plätze, in die man Modifikationen in drei Seltenheitsstufen einfügen kann, um ihre Handhabung, den Schaden oder einzige Elementkräfte hinzuzufügen. So kann man seinen Bogen z.B. sehr gut auf eine Funktion wie das Wegsprengen von Rüstungen trimmen.
Auch die eigene Perspektive lässt sich in nahezu allen Bereichen anpassen, so dass nicht zu viele offensichtliche Hinweise oder gar Wege zum Ziel schon aus der Ferne oder auf der Karte sichtbar sind. Man kann die Benutzeroberfläche nicht nur dynamisch einstellen, sondern sie komplett manuell verändern - selbst den Kompass darf man komplett abschalten. All das ist lobenswert, weil man das Spiel so sehr gut an seine Bedürfnisse anpassen kann.
Guerrilla Games hätte aber innerhalb des Spieldesigns noch restriktiver bzw. fordernder sein können. Horizon bietet sowohl hinsichtlich des mächtigen Scans über die Langhälse, aufgrund der viel zu günstigen Karten für Sammelobjekte als auch der vielen optischen Hilfen sowie der günstigen Schnellreise an bekannte Lagerfeuer oder Dörfer so viel modernen Komfort, dass aus der Terra incognita etwas zu früh eine Weltkarte mit abgrasbaren Aufgaben und Symbolen wird. Diesen entzaubernden Spoilerfluch der digitalen Moderne teilt Horizon mit vielen anderen Abenteuern in offener Welt. Immerhin ist das Sammeln kein Selbstzweck für Trophäen, sondern wird innerhalb des Spiels belohnt: Wer ganze Sets aus Metallblumen oder Banuk-Artefakten ergattert, bekommt in der Hauptstadt Meridian besondere Belohnungen. Und wer die kniffligeren Jäger-Herausforderungen meistert, wird in deren Loge ebenfalls mit speziellen Waffen belohnt. So schließen sich über das Sammeln zumindest kleinere Kreise und es verkommt nicht zum Selbstzweck.
Fazit
Glückwunsch an Guerrilla Games! Ich bin überrascht, dass mich dieses Horizon Zero Dawn so gut unterhalten konnte, weil mich Far Cry Primal letztes Jahr so schnell langweilte. Dass die Niederländer grafisch begeistern würden, war fast zu erwarten. Dieses Abenteuer demonstriert sowohl hinsichtlich der Kulisse als auch Animationen die technische Kompetenz dieses Studios - es gehört ganz einfach zum Ansehnlichsten, was man aktuell erleben kann. Aber dass man hinsichtlich der Story, der Regie sowie des Quest- und Weltdesigns teilweise ein Niveau erreicht, das an The Witcher 3 erinnert, hatte ich nicht erwartet. Aloy wird überzeugend charakterisiert und von der ersten bis zur letzten Stunde weht auch aufgrund der natürlich wirkenden Dialoge sowie Reaktionen ein angenehmes Rollenspielflair. Neben dieser erzählerischen Klasse und der glaubwürdig inszenierten apokalyptischen Welt gibt es auch Schwachpunkte, denn aus der Entwicklung der Fähigkeiten ist zu schnell die Luft raus und vor allem die menschlichen Feinde verhalten sich zu dämlich. Generell gibt es zu viel Beute und Komfort, so dass einigermaßen geübte Spieler auf "schwer" oder "sehr schwer" spielen und die vielen abschaltbaren Optionen für die Benutzeroberfläche nutzen sollten. In den Gefechten gegen die wunderbar designten Maschinenwesen unterhält das Kampfsystems allerdings sehr gut mit seinen reaktiven Trefferzonen sowie der Vielfalt an Aktionen von der präparierten Falle über die Vereisung bis zur Seilfixierung. Es macht einfach Spaß, damit zu experimentieren. Und Guerrilla Games gelingt es auch durch mysteriöse Labyrinthe, einige Bosskämpfe sowie böse Überraschungen immer wieder, die Spannung in dieser wunderbar inszenierten Endzeit über 25 bis 50 Stunden aufrecht zu halten.
[Wir haben Horizon Zero Dawn hauptsächlich auf der PlayStation 4 Pro getestet. Da es auf PlayStation 4 keine gravierenden technischen Unterschiede gibt, sondern eine bis auf wenige Details nahezu gleichwertige Präsentation, gibt es auch nur eine Wertung. Anm.d.Red.]
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Horizon inszeniert ein unheimlich prächtiges und erzählerisch sehr starkes Abenteuer in offener Welt. Auch wenn Fähigkeiten und KI zu wünschen übrig lassen, überzeugt das Kampfsystem mit seiner Vielfalt und die Spielwelt mit ihrer Abwechslung.
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