Im Test: Mixed Crystal Fantasy
Die Bestie von Xarcor
So schnell kann es gehen: Gerade ist man noch ein eiskalter Massenmörder und militärischer Kommandant, dann ein vogelfreier Gejagter. Es ist ein Absturz im wahrsten Sinne des Wortes, denn man wird im eigenen Raumgleiter abgeschossen. Was da aus den Trümmern kriecht ist jedenfalls kein Namenloser à la Gothic, sondern Jax, die berüchtigte "Bestie von Xarcor", die im Krieg mit ihren Befehlen tausende Menschen getötet hat. Hört sich nach einem Monster an, aber der kahle Protagonist ist so holzschnittartig nach bekannten Mustern designt, dass er auch in Mass Effect anheuern könnte. Man gehört zum skrupellosen Volk der Albs, das die anderen freien Völker vernichten will. Und diese Eroberer schlucken schon als Babys dermaßen viel kristallblaues Elex, dass sie jegliche Emotion verlieren und zu weißgesichtigen Killermaschinen mutieren.
Aber weil die mächtige Ausrüstung gestohlen und die übernatürlichen Fähigkeiten aufgrund des Entzugs geschrumpft sind, ist man in großer Gefahr - schon nach wenigen Metern in der gefährlichen Wildnis kann man zur Beute von Schakalen, Raptoren
Eiskalte Killermaschine?
Das ist die recht plump wirkende Ausgangslage, die aus einem Kommandeur etwas zu schnell ein Opfer ohne Skills macht. All das wirft natürlich Fragen auf: Wer ist man überhaupt? Wieso gilt man als "Bestie"? Welche Rolle spielt Kallax? Warum sollte man sterben? Wer hat das Raumschiff abgeschossen? Müsste man auf Entzug nicht mit Folgewirkungen kämpfen? Fällt man als dermaßen berüchtigter Alb nicht überall sofort auf, zumal man doch zu einer gefühlskalten Killermaschine erzogen wurde - wie soll man da glaubhaft mit Menschen kommunizieren? Warum sollte sich ein Kommandant als Laufbursche bei seinen Feinden hoch arbeiten? Und wo ist die verdammte Ausrüstung? Dass man sich überhaupt so viel fragt, ist aber auch eine Stärke dieses Spiels, das erzählerisch reifer und thematisch interessanter inszeniert wird als etwa Risen 3.
Unglaubwürdiger Entzug
Für einen Alb, der Elex quasi mit der Muttermilch aufnahm, erkennt man viel zu wenig körperliche oder geistige Folgen. Ja, die Werte für Stärke, Geschicklichkeit, Intelligenz etc. sind so stark dezimiert, dass man quasi mit Level 0 beginnt. Aber abgesehen von dieser Statistik passiert zu wenig Dramatisches. Es wäre klasse gewesen, auch mal den inneren Kampf zu zeigen, den "alten" eiskalten Alb zu hören. Man kann die blaue Droge ja auch einfach so konsumieren, um auf Knopfdruck z.B. Erfahrungs- oder Attributspunkte zu gewinnen - immer wieder darf man sich vollpumpen. Umso seltsamer ist, dass dieser künstliche Boost scheinbar keinerlei Folgen hat wie etwa einen Rückfall oder eine wachsende Gier. Der Held geht letztlich viel zu cool mit seiner extremen Situation um. Hier verschenkt man einiges an dramaturgischem Potenzial, um seine von Drogen beherrschte Vergangenheit glaubwürdiger in die Gegenwart zu transportieren. Dabei gibt es ja Ansätze: Besser wird das z.B. mit einer späteren Gefährtin namens Caja dargestellt, die regelmäßig Mana braucht, um nach dem Elexkonsum nicht ihre Menschlichkeit zu verlieren.
Und immerhin hat die Regie einige Joker parat: Weil man kein Elex mehr konsumiert, melden sich auch die Emotionen so
Grade an Menschlichkeit
Was bringt einem so eine Stufe der Kälte? Es gibt Situationen, in denen sie relevant ist - das kann z.B. eine zusätzliche Option in Gesprächen sein, in denen man jemanden über seine Menschlichkeit überzeugen kann. Vor allem in den Hauptquests wird
Und obwohl die Kälte als Gradmesser der Menschlichkeit so interessant für die psychologische Metaebene ist, wird sie unheimlich karg im ohnehin sehr sterilen Menü dargestellt; nicht mal als numerische Leiste, sondern einfach als ein Wort wie "neutral", so dass man den eigenen Status zwischen null und hundert nie ablesen kann. Zudem spürt man ihre Auswirkung zu wenig in Quests oder der Interaktion mit Gefährten. Und wenn ich Elex konsumiere, wie oben beschrieben, sinkt sie scheinbar auch nicht. Hier hat man einiges an Wechselwirkungen und Potenzial liegenlassen.
Kann man auch alleine spielen, ohne sich irgendwo anzuschließen? Ja, für eine gewisse Zeit, aber das ist kniffliger und man verpasst natürlich viele der für die Völker exklusiven Questreihen, zumal man im Kampf viel zu wenig Erfahrungspunkte gewinnt, um als wirklich einsamer Wolf die für die Rache benötigte Stärke zu gewinnen. Selbst wenn man sich sofort und naheliegender Weise den Separatisten der Albs zuwenden will, eine Art vierte alternative Fraktion, die auch gegen Kallax kämpft, bleibt die Aufnahme bei einem der drei freien Völker das Ziel der Hauptquest. Nicht nur hier lässt Gothic grüßen, denn man muss sich irgendwann zu einer Fraktion bekennen, um in der dortigen Hierarchie in Rängen, z.B. vom Krieger ab Level 15 zum Erz-Berserker ab Level 25, aufzusteigen, um erst dann Rüstungen sowie weitere Aufgaben zu bekommen.
Mein Problem war lange Zeit: Ich wollte mich nicht bekennen, denn überall gab es Arschlöcher. Weder die konservativen Beserker mit ihrer Technikphobie noch die abgefuckten Outlaws mit ihren Sadisten oder die religiösen Kleriker mit ihrem Bekehrungsgefasel sagten mir wirklich zu - letztlich habe ich mich wohl oder übel den Berserkern angeschlossen.
Questkreise schließen sich
Piranha Bytes zitiert mit dieser hierarchischen Struktur nicht nur die bekannten Routinen früherer Spiele, man erkennt sogar ähnliche Questreihen. Schon der erste Kontakt mit einem Berserker und potenziellen Gefährten namens Duras ist wie ein Déjà-vu für alle, die Gothic kennen: Der grobschlächtige, aber sympathische Kerl bietet dem hilflosen Fremden aus dem Wald an, ihn in seine Heimatstadt zu begleiten - und so trottet man, von kleineren Kämpfen sowie Erkundungen unterbrochen, nach Goliet, wo man auf einen skeptischen Torwächter trifft, der einem gleich mal die Leviten liest.
Im Gegensatz zum stellenweise kitischigen bis öden Risen entsteht hier von Beginn an ein anderes Flair, das angenehm an die ersten Gothic-Teile erinnert. Piranha Bytes hat hinsichtlich des Spieldesigns aber einiges dazugelernt: Es ist schön, dass man irgendwann eine eigene Siedlung zumindest ansatzweise über die Ansiedlung von Händlern und Gefährten managen kann; selbst der eigene Wohnturm bietet kleine Aufgaben und es war ein schöner Moment, als man die bis dato gefundenen Kartenstücke dort an einer Wand arrangieren konnte, um das große Ganze zu sehen und vielleicht irgendwann den damit verknüpften Safe zu öffnen. Zumal man in der offenen Wildnis viel öfter unbeteiligt in Situationen gerät - sei es, dass man ein laufendes Gespräch belauscht oder dass man Zeuge eines Kampfes wird. Auch wenn man nicht immer sofort durchschauen kann, um was es geht: Manchmal ist es wichtig, dass man schnell eingreift, um eine Partei zu retten, denn ihr Tod würde laut Anzeige die Geschichte beeinflussen - und sofort ist man neugierig.
Spürbare Konsequenzen
Man soll z.B. für ein Außenlager die Nahrung besorgen, weil die Wächter dort hungern. Eigentlich soll man dafür 50 Setzerbrote sammeln, was natürlich mühselig ist. Aber man könnte ihnen, auf Rat einer mies gelaunten Händlerin, auch vergammeltes altes Brot bringen. Wenn man das macht, wird die Quest gelöst, man bekommt Erfahrung und den Dank der Lagerwächter. Aber etwas später passiert Folgendes: Sie werden krank, bekommen Durchfall und sind natürlich ziemlich sauer. Außerdem bekommt der Anführer der Berserker Wind davon und rügt einen dafür, was einem in der finalen Einschätzung bei der Aufnahme wertvolle Punkte kosten kann.
Wer es übertreibt, wird allerdings aktiv verfolgt: Diebstahl oder Mord sprechen sich rum, so dass man erstmal von den örtlichen Wachen ermahnt und meist zu einem Anführer geschickt wird. Wer sich weigert oder flieht, kann auch per Steckbrief gesucht und gejagt werden.
Gut verzahnte Quests
Sehr gelungen sind zudem die Mord- und Schmuggelfälle mit der Indiziensuche und Täterbefragung, die teilweise überraschende Wendungen mit sich bringen, an deren Ende man als Richter auch mit seiner Moral kämpfen muss. Was macht man, wenn man jemandem einen Gefallen schuldet und er will, dass man jemanden als Täter beschuldigt? Ach, da trifft es sich ja gut, wenn die Indizien tatsächlich gegen ihn sprechen! Oder wäre das nicht zu einfach?
Immer wieder gibt es auch Quests, in denen der Konflikt der drei Fraktionen eine Rolle spielt - alle misstrauen sich, niemand gönnt dem anderen etwas. Außerdem sind die Fraktionen nicht auf eine Ideologie beschränkt, sondern zeigen innerhalb ihrer Weltanschauung unterschiedliche Strömungen, meist geht es um Realos und Fundis, und damit auch angenehme moralische Graustufen abseits von Gut und Böse. Man gerät innen- und außenpolitisch köstlich zwischen die Fronten: Da soll man für die Outlaws irgendwo in der Wüste recherchieren, warum der Schrotthandel versiegt und diesen wieder reaktivieren. Nur findet man vor Ort bewaffnete Kleriker,
Zu den besten Quests gehören ohnehin jene mit politischer Auswirkung: In der neutralen Stadt Abessa kann man dafür sorgen, dass es quasi einen Ausgleich zwischen den freien Völkern und der Administrative der Kleriker gibt oder dass z.B. die Rassisten gewinnen, die die verhassten Separatisten der Albs über Verleumdungen böse diskreditieren. Wem hilft man? Je nachdem kann man übrigens beobachten, wie die Wachen die Opfer vertreiben. Hier wird so ganz nebenbei auch die aktuelle Flüchtlingskrise thematisiert. Ach so: Lässt man die Outlaws weiter Waffen in die Stadt schmuggeln, damit sie irgendwann einen Aufstand anzetteln können?
Unlogische und gestreckte Quests
Bei allem Lob für die Quests: Es gibt auch einige schlimme Inkonsequenzen. Als ich mit Magierin Caya eines ihrer gesuchten Elex-Heiligtümer betrete, passiert gar nichts - sie sagt nichts, es sind auch keine Monster da, ich kann dort alles einsammeln. Später aktiviert sie die Quests und will genau diesen Ort suchen, plötzlich sind Monster da und sie meditiert dort. Das passiert mehrmals, weil sie nicht von alleine beim Betreten dieser für sie wichtigen Orte die Quests auslöst.
Gerade die Phase ab Level 18 bis 25 zieht sich zudem sehr stark, weil man kaum noch relevante Aufgaben innerhalb der eigenen Fraktion bekommt und die wenigen sind zumindest bei den Berserkern viel zu schnell gelöst - sehr einfallslos wirkt, dass man bei seinem eigenen Anführer dann für lange Zeit nur noch eine aktive Aufgabe hat: Erreiche Level 25, um Erz-Berserker zu werden.
Das Menüdesign ist leider sehr steril und lädt nicht gerade zum Wühlen oder gar Experimentieren im Inventar ein, weil es lediglich nicht sortierbare Listen und keinerlei 3D-Gegenstände oder gar interaktive Objekte gibt, die man näher untersuchen könnte. Findet man eine "wertvolle Schatulle", kann man sie nicht im Inventar öffnen, sondern einfach nur verkaufen. Immerhin findet man ab und zu mal eine Zeichnung oder ein Foto von einer Landschaft, die mit einem X einen Fundort markiert - und sofort wird man neugierig, weil sich dadurch eine neue Aufgabe im Stile einer Schnitzeljagd ergibt.
Allerdings setzt die Regie abseits der freien Völker irgendwann auf mehrere externe Auftraggeber, darunter zunächst die Separatisten, für die man erneut spezielle Dingen erledigen soll, die auch die allgemeine Charakterentwicklung bzw. Kampfstärke betreffen. Das ist auch okay, aber danach wird man noch mindestens zwei mal in ähnliche Situationen mit einer Art Deus ex machina gebracht, die erneut ihre Forderungen stellen, so dass man sich irgendwann wie ein Laufbursche fühlt - hier wirkt das wie eine künstliche Streckung. Trotzdem sorgt auch die Inszenierung der vielen Dialoge dafür, dass man interessiert bleibt.
Natürliche Dialoge
Elex ist fast ein Hörbuch: Für die Sprachaufnahmen wurden laut Entwickler etwa 300.000 Wörter aufgenommen. Aber das Erfrischende an den Gesprächen ist nicht die Masse, sondern die Klasse - gar nicht was die Tiefgründigkeit oder Verschachtelung betrifft wie etwa in Tyranny oder Torment: Tides of Numenera, sondern eher hinsichtlich der Tonalität und Spontanität. Damit meine ich zum einen die teilweise derbe Sprache, das Raue und Bärbeißige einiger Charaktere, die vom Kumpel bis zum Arschloch, vom Tyrannen bis zum Kriecher viele Typen darstellen. Zum anderen, dass man immer wieder situativ überrascht werden kann, weil es abseits der erwarteten Antwort vielleicht eine ganz andere Reaktion gibt.
Es gibt zudem köstliche Situationen, in denen Bewohner auf die Gefährten reagieren: Als ich Karsten, den falsche Kleriker, enttarne und er mir ein Angebot macht, empfiehlt mir Begleiterin Caya, dass ich mich nicht auf "sein Spiel einlassen" soll - er erwidert empört "Mach mal halblang, Puppe!". Weniger glaubwürdig wirkt es, wenn ein Soldat am Tor erst devot salutiert und grüßt, weil er mich als Vorgesetzten sieht, aber mich dann bei der ersten Frage beschimpft. Oder wenn Gespräche einfach weiterlaufen, obwohl man gerade angegriffen wird.
Lebendige Reaktionen
Überhaupt achtet man in Elex mehr auf seine Aktionen und agiert mit mehr Bedacht: Man wird nämlich aus einer fremden Hütte hinaus geworfen, wenn man einfach so hinein stolziert. Und wer seine Waffe zieht, muss nach einer deftigen Warnung ebenso mit einem Kampf rechnen wie sofort nach einem Diebstahl. Apropos: Seltsam ist, dass teilweise so inkonsequent innerhalb eines Gebietes gekennzeichnet wird, was man einfach mitnehmen darf und was nicht. Aber trägt es zur Glaubwürdigkeit der Spielwelt bei, dass die Benutzung von Technik bei den Barbaren missbilligend kommentiert wird - wer seine digitale Karte öffnet oder das Jetpack einsetzt, bekommt einen Spruch.
All das erinnert natürlich an Fallout 4, aber es gibt auch einige Widersprüche und Defizite: Wer mit dem Kleriker als Gefährten bei den Outlaws unterwegs ist, sieht z.B. keinerlei Reaktion, wenn sie seinen Gott beleidigen. Und wer mit dem Alb als Gefährten bei den Berserkern unterwegs ist, was ohnehin schon ein Affront sein müsste, sieht keinerlei Reaktion, wenn man mit ihm auch noch zu dem Rassisten geht, der sie wie die Pest hasst und laut laufender (!) Quest tot sehen will. Außerdem vermisst man schmerzlich den Einsatz der Fähigkeiten der Gefährten: Sie knacken oder hacken weder Schlösser, auch wenn mit Ray ein idealer Schurke dabei ist, noch entschärfen sie Minen oder setzen Suggestion ein - dabei hätte man damit die eigenen Defizite in der Charakterentwicklung sehr gut abfedern und das Spielerlebnis bereichern können.
Rhetorik und Fähigkeiten
Schade ist auch, dass einige Antworten so statisch an Fähigkeiten gebunden sind. Manches kann man nur anwählen, wenn man etwa Handwerk 3, Persönlichkeit 3 oder Überleben 2 hat - also wenn man seinen Charakter entsprechend oft in diesen Bereichen aufgewertet hat. Mal abgesehen davon, dass das plumper wirkt als klare rhetorische Fähigkeiten wie Überzeugung, Bedrohung etc. einzusetzen - lediglich die Kleriker besitzen mit der "Suggestion" so etwas: Gerade in den ersten Stunden fallen viele dieser interessanten Dialogoptionen weg, weil man seinen Helden natürlich zunächst kämpferisch verbessern muss.
Denn man bekommt auch immer einen Lernpunkt. Den kann man bei Trainern in einen von vier allgemeinen Bereichen wie Kampf, Überleben, Handwerk und Persönlichkeit investieren, indem man eine von etwa zehn bis sechzehn Fähigkeiten freischaltet - falls man die benötigten Attribute sowie Elexit dafür hat. Zu diesen gehören u.a. Wuchtschlag, Fernkampf oder Granaten im Kampf, Tiertrophäen, Widerstände oder mehr Ausdauer im Überleben, Schlösser knacken, Waffen aufrüsten oder Chemie im Handwerk, Feilschen, Gruppenboni oder Tierfreund in der Persönlichkeit. Das ist schon zu Beginn eine lobenswerte Vielfalt, die zum Grübeln animiert.
Hinzu kommen nochmal drei exklusive Bereiche für die jeweilige Fraktion, deren Fähigkeiten man erst erlernen kann, wenn man in der Gemeinschaft aufgenommen wird. Und erst dann spezialisiert man seinen Charakter richtig: Als Outlaw bekommt man Zugriff auf Sprengstoff, Projektilwaffen und Stims, als Kleriker auf Hightechwaffen und Psi, als Berserker auf Magie von Gift über Eis bis Feuer, Tarnung & Co. Egal wem man sich anschließt: Alle können Waffen auf irgendeine Art aufrüsten, verzaubern oder über ihre Sockel mit Steinen bestücken; alle können über Rezepte eigene Tränke, Mahlzeiten oder Stims zusammen brauen, so dass man mit all der Beute von Fleisch über zig Kräuter bis hin zu Knochen oder Krallen sehr viel anstellen kann. Traglast spielt übrigens keine Rolle.
Krampfiges Kampfsystem
Es gab in den letzten Jahren einige gute Kampfsysteme, die auf ganz unterschiedliche Art mit Klingen, Zaubern oder Schusswaffen sowie Konter- und Kombotechniken umgingen. Von Demon's Souls über Castlevania: Lords of Shadow bis hin zu Bloodborne, Nioh oder For Honor. Piranha Bytes hat sich ja nach eigenen Aussagen von Dark Souls inspirieren lassen. Das klingt im PR-Vorfeld natürlich klasse. Und Deck13 hat mit The Surge bewiesen, dass man das Vorbild z.B. innovativ um Trefferzonen bereichern kann - das war eklektisch im besten Sinne, da haben die Gefechte richtig Spaß gemacht.
Wenn man in Elex kämpft hat man allerdings das Gefühl, als hätte es all diese Spiele nicht gegeben - das fühlt sich an wie hölzernes Geknüppel. Letztlich erkennt man nur eine soulsähnliche Struktur an der Steuerungsoberfläche: Für jede Aktion verbraucht man Ausdauer, kann leichte und schwere Hiebe ausführen, blocken und wegrollen. Aber es entsteht praktisch kein actionreicher Flow, von eleganten Riposten oder ansehnlichen Animationen ganz zu schweigen. Je nach Waffe unterscheiden sich zwar die Bewegungsabläufe, manchmal sieht das auch ganz solide aus, wenn die schwere Klinge über den Kopf rauscht.
Harte Gegner, schnelle Tode
Aber in den ersten zehn bis fünfzehn Stunden sind die meisten Feinde so stark, dass man nicht einfach alles weghauen kann, sondern selbst nach ein, zwei Schlägen das Zeitliche segnet. Manchmal wird man regelrecht überrollt oder zerhackt, so dass man sehr genau auf seine Umgebung und patrouillierende Rudel achtet. So entsteht zumindest ein stückweises Abtasten sowie Zuschlagen und kein billiges Hack & Slay. Trifft man den Feind oft genug, lädt sich eine Anzeige bis hin zu einer möglichen Zusatzattacke auf, die dann auf Knopfdruck ausgelöst wird. Während des Kampfes kann man noch Magie wie etwa "Machtstöße" einsetzen. Was nach Star Wars klingt, aber schrecklich fade inszeniert wird. Auch wenn man später die Feuer- und Eiszauber der Berserker anwendet, wirkt das alles andere als magisch. Trotzdem entscheiden die Spezialkräfte der Albs nahezu jeden Kampf, weil sie zu Beginn deutlich mehr Schaden verursachen als das einfache Hauen und Stechen.
Es ist komplett frustrierend, wenn Feinde manchmal von unten durch Decken und Etagen schießen können, während die eigenen Gefährten dauernd wie blöde auf Felsen oder Dachkanten ballern, anstatt den klar sichtbaren Feind ins Visier zu nehmen, indem sie ein, zwei Schritte vorwärts machen - die KI ist manchmal absolut nicht zu gebrauchen! Noch schlimmer wird es vor einem Kontakt: Manchmal sieht man
Es ist nicht so, dass es gar keinen Spaß macht, zumal man manche Defizite auch zu seinen Gunsten ausnutzen kann. Und wer den Jetpackangriff freischaltet, kann zumindest elegant aus der Höhe ballern. Außerdem ist es ja schön, dass die Gefährten an Kampfkraft gewinnen, wenn man ihre Questreihen komplett abschließt - letztlich sind sie auch in ihrer Dämlichkeit recht nützlich, weil sie auch mal Feinde aufhalten und immer wieder aufstehen. Aber das Kampfsystem ist zusammen mit der KI der Gefährten der größte Schwachpunkt dieses Rollenspiels.
Erkundungsreize in der Vertikalen
Auch wenn der Erhalt schlecht begründet wird: Das Jetpack tut Elex richtig gut und ist unterm Strich die beste spielmechanische Designentscheidung. Denn es eröffnet zum einen Erkundungsreize in der Vertikalen, die viel zum Spaß beitragen. So kann man ein Dach in einer Ruine erklimmen, erkennt von oben ein weiteres Gebäude oder irgendwo in einer Felswand eine Höhle und schwebt hinüber. Aber das geht nicht endlos: Man kann damit hoch in die Lüfte steigen, mehrmals Schub geben und damit Abgründe oder Flüsse überwinden. Das Ganze muss man sowohl hinsichtlich der begrenzten Reichweite als auch der gefährlichen Landung gut dosieren und man stirbt beim Fall aus zu großer Höhe. Sehr schön: Die technikfeindlichen Berserker ärgern sich und fluchen, wenn man es in ihrer Nähe benutzt.
Jetpack in offener Welt
Manchmal lässt sich das Jetpack auch nützlich in Quests einsetzen: Als ich eine verlorene Waffe besorgen soll, die in einem Tal bei einem Kampfkoloss liegt, habe ich frontal keine Chance - ich werde gnadenlos zusammen geschossen. Allerdings kann ich ihn umgehen, hinten rum auf die hohe Kante des Kraters steigen, dort per Jetpack langsam runter schweben und dann in den Rücken des Mechs schleichen, um leise die Beute aufzuheben. Cool ist auch, dass man später aus der Luft schießen kann. Schade ist, dass man dieses zentrale Gadget hinsichtlich seiner Energie, Manövierbarkeit oder Reichweite nicht weiter entwickeln kann und dass es auch im Nahkampf nicht für Schläge von oben eingesetzt werden kann.
Zusammen mit den alten Fördertürmen, Grubenaufzügen und dahin rostenden Fabriken entsteht in manchen Gebieten eine Industrieromantik, die in mir als Kind des Ruhrgebiet fast heimatliche Gefühle weckt. Nur gibt es ein Manko: die unbelebten Siedlungen. Die erste Stadt der Berserker, Goliet, ist noch einigermaßen befüllt und man kann auch mal den Alltag
Brüche im Artdesign
Manchmal gelingt Künstlern der Spagat zwischen zwei Welten, die eigentlich nicht zusammen gehören - man denke an Horizon Zero Dawn, in dem steinzeitliche und futuristische Elemente so verschmelzen, dass eine visuelle Glaubwürdigkeit entsteht. Das gelang Bloodborne hinsichtlich der Übergänge von grotesker Fantasy hin zu gotischem Horror mit Lovecraft'schem Wahnsinn. Und vor allem gelang es Dishonored mit seiner unglaublich starken Ausdruckskraft, die das Spektakuläre des Steampunk und das Abscheuliche der Industrialisierung in viktorianischer Fülle aufblühen ließ. Das stilistisch Fremde wird zum Vertrauten - so ein Artdesign kann ein ganzes Spiel tragen.
Elex gelingt das nicht, denn es gibt immer wieder Brüche. Hier trifft Fantasy auf Science-Fiction und Endzeit - das ist schon sehr mutig, aber in der Ausführung manchmal zu plump, wenn z.B. sowohl Wikinger-Berserker als auch Star-
In ihren besten Momenten erinnert diese Spielwelt ein wenig an Fallout oder Horizon, wenn man vor einer riesigen, von Sträuchern überwucherten Industrieruine steht, die mit ihren dunklen Gängen lockt. Oder wenn man in der Ferne einen Krater voller Eis entdeckt, in dem ein Raumschiffwrack wie ein Koloss zu schlafen scheint. Teilweise werden geschickt Erkundungsreize über Landschaft und Architektur ausgestreut, so dass auch die Kulisse neugierig machen kann. Aber in ihren schlechtesten Momenten, vor allem in den Städten, kann diese Welt schrecklich öde und zusammen gebastelt wirken. Unterm Strich entsteht künstlerisch ein Mischmasch aus Motiven. Letztlich erkennt man mehr Fremdkörper als kreative Symbiosen, mehr zusammen geschweißtes Gerüst als harmonische Vision.
Technische Defizite auf Konsolen
Etwas ganz anderes ist die technische Seite - und auch da muss man große Abstriche im Vergleich zu aktuellen Spielen in offener Welt machen, vor allem auf Konsolen. Weil die Texturen teilweise so schlecht aufgelöst sind, die Vegetation von
Fazit
In seinen besten Momenten erzeugt dieses Elex eine Sogwirkung wie Fallout: Man kann sich in der Spielwelt verlieren, die mit kleinen Geschichten sowie toller Topographie neugierig macht, und die Zeit verfliegt angesichts clever verzahnter Quests, die wunderbare Konsequenzen nach sich ziehen. Es gibt natürlich wirkende Dialoge, eine gute Charakterentwicklung und das Jetpack sorgt immer wieder für vertikale Erkundungsreize. In seinen schlechtesten Momenten wirkt Elex wie ein veraltetes Relikt: Es ist öde in den Städten, die schwache Technik auf Konsolen stottert, die Soundeffekte sind ein Graus, es gibt viele gleiche Figuren, einige ärgerliche Bugs und man ist auf allen Systemen frustriert angesichts des hölzernen Kampfsystems, das sowohl im direkten Schlagabtausch als auch über die Distanz mehr Krampf als Tanz inszeniert - vor allem, wenn die Gefährten mal wieder zu blöd zum Zielen sind. Die KI der Begleiter ist ein mangelhafter Witz! Mal zieht einen die Kulisse mit wunderbaren Landschaften in ihren Bann, mal versinkt sie im Mischmasch, weil das Artdesign zu viel Fremdes verbinden muss. Hier prallen Boromir, Mr. Spock und Mad Max immer wieder aufeinander. Man erlebt ein ständiges Auf und Ab - selten waren meine Notizen so voll von gleichzeitig notierten Pros und Kontras. Immer wieder gibt es punktuelle Highlights innerhalb des Konfliktes der drei Fraktionen, den man aktiv beeinflussen kann, aber dann gibt es auch sehr zähe Phasen und man fühlt sich im letzten Drittel etwas zu oft wie ein Laufbursche. Die Story kämpft von Beginn an mit einigen Widersprüchen, kann später vieles erklären, aber gerade die Rolle des abtrünnigen Helden ist nicht immer glaubwürdig. Nahezu jedes Element des Spieldesigns zeigt neben guten Fundamenten immer wieder gefährliche Risse, so dass man sich während des Abenteuers wie auf einer verwitterten morschen Brücke vorkommt, die gleich einzustürzen droht. Trotzdem will man sie überqueren, trotzdem will man das andere Ufer sehen, weil man auf dem Weg so viel mit entschieden hat und angesichts der politischen Auswirkungen stets neugierig bleibt. Das ist das größte Kompliment, dass ich diesem spröden, aber ideenreichen und im Vergleich zum biederen Risen deutlich kreativeren Epos machen kann. Können sich Piranha Bytes und Deck13 jetzt bitte für ein Projekt zusammenschließen? Die Essener machen die Spielwelt, die Frankfurter das Kampfsystem - dann entsteht vielleicht mal ein "deutsches" Rollenspiel auf höchstem Niveau.
Zweites Fazit von Eike Cramer:
Mit Elex zeigt Piranha Bytes, vielleicht das erste Mal seit dem legendären Gothic 2, welche Klasse nach wie vor in dem typischen Mix aus offener Welt, rivalisierenden Fraktionen, harter Typen und freier Entscheidung steckt. Die gut vertonten Gespräche, die zahlreichen Wahlmöglichkeiten in der moralischen Grauzone sowie die spannende Welt, die mit toller Gestaltung, vielen kleinen Verstecken, Geheimnissen, Figuren, Aufgaben und Belohnungen lockt, machen aus Elex ein wirklich gutes Rollenspiel. Dennoch fehlt es auch, ebenfalls typisch Piranha Bytes, an allen Ecken und Enden an Feinschliff. Die Technik ist, auch wenn ein Bug-Desaster ausbleibt, auf der Konsole bestenfalls angestaubt und schlimmstenfalls am Rand der Spielbarkeit. Das Kampfsystem ist ein unübersichtlicher, hektischer Krampf, den man nach einigen Stunden einfach nur noch auf seine Fehler hin ausnutzt und die Menügestaltung wäre schon vor zehn Jahren unbefriedigend gewesen. Zudem bleibt in der Hauptgeschichte gerade im Einstieg viel Atmosphäre auf der Strecke und der Hauptcharakter Jax, immerhin die fiese Bestie von Xacor, erschreckend blass. Dennoch bleibt festzuhalten: Elex ist für mich das beste Spiel von Piranha Bytes seit Gothic 2.
Pro
Kontra
Wertung
XboxOne
Auch auf Xbox One sind die technischen Defizite gegenüber der PC-Version spürbar; zudem gibt es hier deutlich mehr Tearing.
PlayStation4
Elex wurde nicht so schlecht für Konsolen portiert wie Risen 3, aber auch auf PlayStation 4 Pro bricht die Bildrate immer wieder ein.
PC
In seinen besten Momenten erinnert Elex an Fallout: Man kann sich in der Spielwelt verlieren, die mit kleinen Geschichten, lebendigen Reaktionen sowie toller Topographie neugierig macht. Aber das Kampfsystem und die KI sind schwach und das Artdesign versinkt im Mischmasch der Themen.
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