Zero Time Dilemma05.07.2016, Jörg Luibl
Zero Time Dilemma

Im Test: Das existenzielle Finale

Das Puzzle-Adventure Zero Time Dilemma (ab 74,98€ bei kaufen) ist für 3DS sowie für PS Vita und für PC erschienen. Der Nachfolger zu 999: Nine Hours, Nine Persons, Nine Doors und Virtue's Last Reward inszeniert das finale Drama um Leben und Tod, bei dem es vordergründig um das perfide Spiel eines Irren geht. Ein maskierter Fremder hält neun Charaktere als Geiseln und zwingt sie, an seinen tödlichen Aufgaben teilzunehmen. Ob das komplett auf Englisch oder Japanisch spielbare Abenteuer unterhalten kann, klärt der Test.

Das Leben ist unfair...

...mit dieser Begründung müssen sich alle zufrieden geben, wenn der maskierte "Zero" mal wieder per Fernseher spricht und wie ein Märchenonkel eine seiner Anekdoten aus dem wahren Leben zum Besten gibt - meist sterben Menschen darin aufgrund eines blöden Zufalls. Da es einige Sprüche, Metaphern und philosophische Andeutungen gibt, sollte man sehr gut Englisch lesen können, um wirklich ohne Brüche in dieses Mystery-Adventure abzutauchen. Was will der Unbekannte damit sagen? Hat das Ganze einen tieferen Sinn? Ist es Zufall, dass diese Geiselnahme vor dem Jahreswechsel stattfindet? Geht es um mehr als seinen Wahnsinn, sondern um den der ganzen Welt?

Tja, wie kommt man hier aus? Was will der maskierte Irre? Zero Time Dilemma stürzt neun Charaktere in ein tödliches Spiel. Dieser dritte Teil bildet das Finale der Serie. (3DS)
Wer Antworten finden will, muss mitspielen. Und Zero diktiert als gnadenloser Spielleiter alle Regeln für die neun Charaktere, die er im Atomschutzbunker gefangen hält. Keiner weiß, warum sie hier sind und wer hinter der Maske steckt. Manch einer reagiert stinksauer oder sarkastisch, andere sind einfach nur verzweifelt oder verängstigt. Aber egal wie oft sie sich fragen, was das alles soll: Sie müssen an diesem perfiden Spiel teilnehmen - oder alle sterben. Tja, was für ein existenzielles Dilemma!

Sechs Tote für die Freiheit

Wie kann man entkommen? Nur wenn die Teilnehmer sechs Codes finden, lässt sich die X-Tür in der zentralen Lounge öffnen und der Aufzug in die Freiheit aktivieren.

Diese Uhren sind fest an den Handgelenken der Geiseln arretiert. Nach einer bestimmten Zeit injizieren sie eine Schlaf- und Gedächtnisdroge. An alle Neueinsteiger: Fangt unbedingt mit 999 an, spielt dann das grandiose Virtue's Last Reward und erst zum Schluss dieses Finale. (3DS)
Das erste Problem ist, dass es immer nur dann einen Code gibt, wenn eine Person stirbt - zwei Drittel der Geiseln sind also schon todgeweiht. Das zweite Problem ist, dass sie in drei räumlich getrennten Gruppen unterwegs sind, die nicht offen miteinander kommunizieren können: C-Team, Q-Team und D-Team. Das dritte Problem ist, dass jede Gruppe nur jeweils 90 Minuten ihr Umfeld recherchieren kann, bevor eine Schlaf- und Gedächtnisdroge über die fest arretierten Armbänder injiziert wird.

Die fehlenden Erinnerungen sind strukturell verständlich, aber erzählerisch kontraproduktiv: Jedesmal, wenn man in einem Raum aufwacht, wissen die Beteiligten nichts von früheren Lösungen, Erkenntnissen oder Konflikten - so kann sich natürlich keine Beziehung oder Geschichte fließend entwickeln, weil alle immer neu starten.

Eine Übersicht namens "Global Flowchart" zeigt die bisher freigeschalteten sowie noch verschlossenen Episoden an, die alle anders ausgehen können. Das Schöne ist: Man kann jederzeit zurück, um sich anders zu entscheiden und vielleicht ein alternatives Ende zu sehen. Das lohnt sich, weil es teilweise überraschende und schonungslose Auflösungen gibt. Trotzdem entsteht ein sehr fragmentiertes Storytelling, bei dem der Unterhaltungswert stark von den Dialogen sowie Rätseln im gewählten Abschnitt abhängt - und beides kann qualitativ schwanken.

Mehr als Point & Click

Zero Time Dilemma ist wie seine beiden Vorgänger im Kern ein Puzzle-Adventure: Eine Gruppe wacht in einem Raum auf und muss dort Rätsel aller Art lösen, um die entsprechende Tür zu öffnen. Die Knobelvielfalt ist eine große Stärke dieses Spiels: Mal gilt es ein Serum gegen Gift herzustellen oder einfach nur Codes zu suchen. Man kann sich in Egosicht dreidimensional umschauen, das Interieur genauer studieren (was mit dem Analogstick des 3DS leider nicht sehr präzise ist), vielleicht Kisten oder Schränke öffnen sowie Gegenstände aufnehmen und diese im Inventar untersuchen oder mit anderen Fundstücken bzw. der Umgebung kombinieren.

Ab und zu geben die Charaktere auch Hinweise zu den Rätseln. (3DS)
Meist gilt es auch kryptisch anmutende Hinweise zu deuten. Es gibt klassische Zahlen-, Symbol- oder Worträtsel, aber auch Schiebe- und Denkaufgaben. Mal muss man Verborgenes über Spray sichtbar machen, mathematische Gleichungen berechnen oder Apparate von der Slot-Machine bis zur Musikbox in Gang bringen. Schön ist, dass all diese Elemente zwar manchmal sehr willkürlich wirken, worüber auch die Charaktere sprechen, aber letztlich kreativ miteinander kombiniert werden. Schade ist, dass es rein spielmechanisch einige Wiederholungen gibt.

Fetter Filzer und einblendbare Hilfen

Sehr angenehm sind die automatisch eingestreuten Hinweise der Anwesenden, wenn man mal nicht weiterkommt. Trotzdem sind einige Räume so knifflig, dass ein

Wie kommen wir aus diesem Raum raus? Erstmal alles durchsuchen... (3DS)
Sackgassengefühl entstehen kann - hier kann man dann keine weiteren Tipps aktivieren und sollte vielleicht ein anderes Fragment spielen. Weniger angenehm ist die fade Präsentation auf dem 3DS: Mal abgesehen davon, dass der 3D-Effekt hier überhaupt nicht unterstützt wird, gibt es einige extrem schwach aufgelöste Texturen beim näheren Betrachten und der Stylus malt beim Texten wie ein fetter Filzstift an. Und als man mal im Inventar einen Würfel zusammensetzen muss, drehen sich die Einzelteile unendlich träge - Leute, dieser Handheld wirkt in solchen Situationen wie ein veraltetets Relikt. Falls ihr die Wahl habt, solltet ihr auf PS Vita oder PC spielen.

Übrigens kann man über "Memo" Notizen per Stylus auf dem Touchscreen machen, die man auch einblenden kann - gute Idee! Aber dieser Service ist - abgesehen von der nervig breiten Schrift - unnötig eingeschränkt: Man kann nur zwei Bildschirme betexten, außerdem ist irgendwann tatsächlich die Tinte aufgebraucht, so dass man Notizen löschen muss. Und schließlich gibt es Menüpunkte wie "File", in denen sich zwar hilfreiche Dokumente und Hinweise befinden, in die man aber kein "Memo" einblenden kann und die man ebenfalls nicht in der Spielwelt anzeigen lassen kann. Ich habe mich dabei ertappt, ein Foto auf meinem Smartphone zu machen, damit ich ein komplexe Buchstabengerüst direkt während des Grübelns sehen konnte...

Mysteriöse Beziehungen und Ahnungen

Es gibt eine zweite narrative Rätselebene, die das Abenteuer erst richtig interessant macht: Denn auch die Persönlichkeiten der Charaktere sowie ihre Beziehungen sind ein Puzzle. Warum trägt das Kind diesen komischen runden Helm? Wieso kennen sich einige der angeblich zufällig anwesenden Gefangenen? Sind tatsächlich welche schon zum zweiten Mal Opfer dieses Typen? Kann es sein, dass der maskierte Geiselnehmer selbst unter ihnen ist? Schließlich ist er nie persönlich anwesend, sondern nur über TV-Botschaften. All diese offenen Fragen sorgen schon zu Beginn für Misstrauen und Neugier.

Die Qualität der Dialoge kann stark schwanken. (3DS)
Auch hier kann die Präsentation allerdings nicht punkten: In den vielen Gesprächssituationen, die leider nicht mehr im ansehnlichen Animestil, sondern komplett in 3D inszeniert werden, vermisst man bessere Mimik und Gestik.Der Regie gelingt es jedoch, die Biografien und Beziehungen der Charaktere über jede Rätselepisode verständlicher zu machen. Und Serienkenner werden sich freuen, dass es nicht nur über bekannte Figuren, sondern auch inhaltlich direkte Bezüge zum Vorgänger gibt. Die Dialoge sind nicht immer besonders interessant, manchmal sehr langatmig, einige Figuren schnell durchschaut, aber nichtsdestotrotz erfährt man auch mal Unerwartetes und erlebt Unheimliches. Außerdem dürfte aufgrund der vielen Persönlichkeiten jeder seinen Lieblingscharakter finden, der natürlich möglichst überleben soll...

Sprung zwischen Fragmenten und frühes Ende

Dabei folgt man wie erwähnt keinem roten Faden in der Story, sondern wählt nach

Jede der drei Gruppen ist in einem anderen Teil des Atomschutzbunkers unterwegs. (3DS)
dem Laden frei aus, welche Gruppe jetzt welches Fragment spielen soll - da es auch keine chronologische Reihenfolge gibt, springt man also wild zwischen den Zeitlinien und kann manche offenen Fragen oder Widersprüche erst später klären. Gerade in den ersten Stunden entsteht ein verwirrendes Chaos. Nur wer möglichst viele Mosaiksteine spielt, wird sich ein komplettes Bild machen können. Je weiter man spielt, desto klarer wird, dass hier nicht nur unterschiedliche Lebensläufe, sondern auch Ansichten und Motalvorstellungen aufeinander treffen. Fünfzehn bis zwanzig Stunden kann man in diesem Abenteuer verbringen.

Ein Abspann kann übrigens schon nach zehn Minuten laufen, wenn man das erste Spiel für sich entscheidet: Der maskierte Mann bietet der Gruppe im Einstieg sofort die Freiheit an, wenn sie bei einem Münzwurf auf Rot oder Blau tippt und richtig liegt. Schafft man es, sind zwar alle in "Freiheit" oberhalb des Atombunkers, aber man weiß natürlich weder etwas über die beteiligten Charaktere noch über den Geiselnehmer. Daher währt die Freude über den schnellen Sieg nicht lange und man kehr wieder zurück ins Spiel. Dass der Maskierte es mit allem ernst meint, merkt man spätestens, wenn man nach einem Rätselmarathon plötzlich mit Gatling-Gewehren konfrontiert wird, die alle Anwesenden niedermähen. Wieso, weshalb, warum - ich hab doch die Rätsel gelöst?

Fazit

Ich mag Spiele, die mit mir spielen. Abenteuer, die ich nicht nach fünf Minuten durchschaue, sondern die mich nach ein paar Stunden noch überraschen und tiefer hineinziehen. Nur vordergründig geht es in Zero Time Dilemma um das morbide Spiel eines Irren, denn im Hintergrund murmeln wie aus einem tiefen Brunnen bei jeder fatalen Szene und Entscheidung immer wieder existenzielle Fragen der Menschlichkeit. Gerade diese philosophische Ebene ist das Salz in der Suppe. Allerdings zeigen sich auch Abnutzungserscheinungen: Dass es schon wieder um neun Opfer und einen maskierten Geiselnehmer geht, ist nicht das Problem. Aber die extreme Fragmentierung der Geschichte kann zu Qualitätsschwankungen führen, denn es gibt keinen roten Faden. Manchmal nervt dann die schwammige Steuerung genauso wie der fette Filzstift - in diesen Situationen wirkt gerade der 3DS wie ein veraltetes Relikt. Außerdem enttäuscht die biedere Präsentation, die statt der ansehnlichen Anime-Passagen der Vorgänger zwar auf voll vertonte, aber recht hölzerne 3D-Szenen setzt. Hinzu kommen einige schwache Dialoge und willkürlich anmutende Situationen.  Aber selbst wenn die Anziehungskraft der ersten beiden Teile nicht mehr erreicht wird: Dieses tödliche Spiel unterhält immer noch auf einem richtig guten Niveau, denn man erlebt ein stimmungsvolles Mystery-Adventure mit einer Vielzahl an klassischen Rätselmechaniken und zig möglichen Enden, das mal unheimlich, mal brutal oder einfach nur verrückt sein kann. Wer offene Spielstrukturen und böse Überraschungen mag, wird also nicht enttäuscht - Serienkenner müssen dieses Finale ja ohnehin erleben. Falls ihr die Wahl habt: Spielt es auf der PS Vita, denn auf dem 3DS gibt es nicht mal 3D-Effekte und die klar schwächste Inszenierung; auch eine technisch bessere PC-Version ist erhältlich. An alle Neueinsteiger: Fangt unbedingt mit 999 an, spielt dann das grandiose Virtue's Last Reward und erst zum Schluss das hier.

Pro

stimmungsvolles Mystery-Adventure
fatale Ausgangslage macht neugierig
einige interessante Charaktere & Beziehungen
unheimliche und böse Überraschungen
Vielzahl an Rätseln aller Art
einige anspruchsvolle Denkaufgaben
subtile Hinweise der Charaktere
jederzeit andere Fragmente spielbar
offene Erzählstruktur, zig mögliche Enden
Anspielungen und Bezügezur Vorgängern
auf Englisch oder Japanisch spielbar inkl. Untertitel

Kontra

biedere Präsentation
Qualität der Rätsel und Dialoge schwankt
nicht alle offenen Fragen werden geklärt
chaotische Erzählstruktur sorgt für Verwirrung
teilweise schwammige, unpräzise Steuerung (3DS)
grobe Texturen, niedrige Auflösung (3DS)
schwache Mimik und Gestik in Dialogszenen
fette Filzschrift, nur zwei Memos
hallo, keine 3D-Effekte? (3DS)
keine deutsche Lokalisierung

Wertung

3DS

Nicht mal 3D-Effekte? Dann diese träge bis schwammige Steuerung? Leider ist das Spiel nicht für Nintendos Handheld optimiert.

PS_Vita

Auch wenn die Anziehungskraft der ersten beiden Teile vielleicht nicht mehr da ist: Dieses Mystery-Adventure unterhält immer noch auf gutem Niveau.

PC

Auch wenn die Anziehungskraft der ersten beiden Teile vielleicht nicht mehr da ist: Dieses Mystery-Adventure unterhält immer noch auf gutem Niveau.

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