Die Zwerge09.12.2016, Marcel Kleffmann
Die Zwerge

Im Test: Interaktives Hörspiel mit Kampfkrampf

Zwerge, Elben, Orks, Oger und Oink Oink! Mit Die Zwerge (ab 14,99€ bei kaufen) haben sich King Art Games und THQ Nordic an die spielerische Umsetzung des gleichnamigen Buchs von Markus Heitz gewagt. Ein Taktik-Rollenspiel aus Deutschland, das auf einem deutschen Fantasy-Bestseller basiert? Das klingt nach einem ziemlich ambitionierten Vorhaben! Das Ergebnis ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn ein elementares Spielelement will nicht wirklich zünden. Mehr dazu im Test.

Unterwegs im Geborgenen Land

Grundlegend kann man sich Die Zwerge als ein Taktik-Rollenspiel vorstellen. Man bewegt die Heldentruppe zugweise über die große Weltkarte, die vom Design und den verbundenen Wegpunkten schwer an ein Brettspiel wie Die Legenden von Andor erinnert. Unterwegs von Wegpunkt zu Wegpunkt können dann Ereignisse stattfinden - entweder in Form von Texttafeln plus Sprachausgabe, Dialogen mit Auswahlmöglichkeiten oder auf separaten 3D-Karten. Auf diesen eigenständigen Karten darf man mit der Heldentruppe einerseits auf Erkundung gehen (Gegenstände suchen, mit Leuten reden etc.) und andererseits die taktischen Echtzeit-Schlachten mit maximal vier steuerbaren Charakteren ausfechten.

Tungdil und seine Gefährten bewegen sich zugweise über eine schön gestaltete Weltkarte, die etwas mehr Leben versprühen könnte.
So richtig überzeugen können aber nicht alle Spielbestandteile. Während die Präsentation der Fantasy-Welt und die Erzählung der Geschichte auf der Weltkarte außerordentlich gut funktioniert und mit Detailverliebtheit sowie interessanten Figuren punktet, nagen die unberechenbaren und ungelenken Kämpfe, eine gewisse Hektik bei der Erzählung (Zwischensequenzen) und wenig Optionen bei der Charakter-Entwicklung an der Spielfreude. Doch der Reihe nach …

Hastiger Einstieg

Schon zu Beginn, mit der ersten Schlacht gegen eine angreifende Ork-Armee und die Verteidigung des „Geborgenen Landes“ gegen das Böse von außerhalb, wird klar, dass sich die Versoftung eher an diejenigen richtet, die mit dem (ersten) Buch von Markus Heitz vertraut sind. Der Einstieg ist ziemlich ruppig und bisweilen überstürzt, dazu kommt, dass einige der Spielmechaniken (z.B. Nahrungsverbrauch auf der Weltkarte, Symbole auf der Weltkarte) abseits der Kämpfe gar nicht oder nur schlecht vorgestellt werden. Gerade für Neulinge geht das Ganze ein bisschen zu schnell und schwupps ist Zwerg Tungdil, der bei Menschen aufwuchs und eigentlich keine Ahnung von seinesgleichen hat, mit einem Rucksack voller mysteriöser Artefakte auf dem Weg durch das Geborgene Land. Bis dahin geht alles rasant und mit der Entwicklung von Tungdil zum Kämpfer oder der Nachfolge-Versammlung des Großkönigs Gundrabur geht es ähnlich zügig weiter. Das führt dazu , dass die Geschichte in etwa neun bis zwölf Stunden (je nach Erkundungsdrang und Kampfglück) durchgespielt ist. Gleiches Tempo gilt bei der Inszenierung und beim Schnitt der gelegentlichen Zwischensequenzen. Apropos Zwischensequenzen:

Ausschnitt aus einer Zwischensequenz: Schicke und aufwändige Rüstungen vs. bretthartes Haar und eher starre Mimik.
Das gebotene Niveau ist ordentlich. Die Zwerge sehen mit ihren Rüstungen gut aus, können es in Sachen Mimik, Gestik und Haardarstellung (wichtig bei Zwergenbärten) jedoch nicht mit anderen Rollenspiel-Schwergewichten aufnehmen.

Erstklassiger Erzähler

Dass sich mit vergleichbar einfachen Mitteln packende Geschichten mit viel Atmosphäre erzeugen lassen, beweisen die Entwickler von King Art Games genau dann, wenn auf der Weltkarte kleine Ereignisse stattfinden. Wenn Tungdil und seine Gefährten von A nach B laufen, werden manchmal Gespräche zwischen den Charakteren über die Situation, Beschreibungen der Gefühlslage oder kleine Text-Quests mit Entscheidungsmöglichkeiten (ohne großen Einfluss auf den Story) in Form von Multiple-Choice-Dialogen ausgelöst. So gelangt man zum Beispiel zu einem von Orks bedrohten Bauernhof oder trifft auf eine aufgebrachte Bürgermeute, die einen Saatgut-Dieb jagt und erst durch die Dialogoptionen (Nachfragen, Erkundung der Umgebung, weitere Fragen etc.) wird klar, was dort vor sich ging - besonders interessant wird es, wenn man die andere Sichtweise kennenlernt. Diese Ereignisse finden vollends auf der Weltkarte in einem Textfenster statt, aber sobald der Erzähler loslegt und den Text mit seiner Stimme zum Leben erweckt, fühlt man sich fast wie in einem interaktiven Hörbuch - zumal der Erzähler von anderen Sprechern und Sprecherinnen der Charaktere unterstützt wird.

Tungdil trifft auf eine Zwergenkönigin. Auf der Texttafel kann man erkennen, welche Passagen der Sprecher von Tungdil übernimmt und was der Erzähler übernimmt. Den imposanten Schauplatz darf man danach erkunden.
Überraschend gelungen sind die Beschreibungen von Tungdils Gefühlen und Gedanken sowie die szenischen Elemente, die allesamt der Erzähler vorträgt. Manche Passagen wirken wie 1:1 aus dem Buch übernommen und all die kleinen Geschichten, die nicht zwangsweise chronologisch nach dem Buchvorbild ablaufen, bringen Leben in die Welt und bauen die Tiefe der Charaktere aus. Toll!

Schauplätze zum Erkunden und Kämpfen

Jedoch verbringt man nur einen Bruchteil der Spielzeit auf der Weltkarte. Meistens ist man mit den Zwergen und der Gefolgschaft auf separaten 3D-Karten an Schlüsselorten unterwegs. Oft wird dort gekämpft, aber manchmal dürfen die Areale frei erkundet werden. Allen voran darf man sich die großen Heimatorte der Zwerge ausführlich in Echtzeit anschauen, in Abgründe blicken, Aufzüge bestaunen, Gegenstände anklicken (wieder realisiert und kommentiert durch den Erzähler) oder mit anderen Leuten reden. Allzu weitläufig sind die Gebiete nicht und die Rätsel sind auch eher seicht. Dafür trägt die freie Erkundung zur allgemeinen Fantasy-Atmosphäre bei. Etwas mehr Raum für Aktionen hätte trotzdem nicht geschadet.

Kämpfe und Abgründe

Die meiste Zeit verbringt man auf dem Schlachtfeld - und hier tun sich Abgründe auf. Selten habe ich so viel über Macken und Probleme in einem Kampfsystem geflucht wie hier, obgleich die grundlegende Prämisse gar nicht verkehrt ist und der Kampf gegen eine Übermacht stellenweise (Betonung auf stellenweise) richtig Spaß macht.

Vor Kampfbeginn darf man sich vier Kämpfer und Kämpferinnen aussuchen, die das Match bestreiten sollen. Nahezu alle Charaktere, die sich im Laufe der Geschichte der Gefolgschaft angeschlossen haben, darf man auswählen. Insgesamt sind 15 Figuren spielbar, dazu zählen Djerun, Boindil, Boendal, Rodario und Narmora. Sie verfügen jeweils über bestimmte Kampfähigkeiten, wie Sprungangriff, wuchtige Schläge, schwere Schwinger, Giftpfeil, gruseliges Erschrecken etc. Die Zwerge und ihre Mitstreiter gewinnen an Erfahrung und erhalten alle zwei Stufen (bis 10) eine neue Fähigkeit. Darüber hinaus kann jeder Charakter einen Gegenstand ausrüsten. Weitere Anpassungsmöglichkeiten für die Truppe gibt es nicht. Schade! Hier lassen die Entwickler allerlei Chancen liegen, um die Helden verbessern und ausbauen zu können. Zumindest beim Hauptcharakter Tungdil hätte man mehr Personalisierung erlauben können.

Selbst der umwerfendste Schwinger von Boendal hilft nicht, wenn von überall Pfeile auf die Zwerge niederprasseln.

Chaotisches Gerangel

Entbrennen letztendlich die Schlachten, muss man zunächst auf eine Kleinigkeit achten, da sich alles um physikalische Kollisionen dreht: „Friendly Fire“. Die Charaktere können sich untereinander bei großflächigen Schwingern verletzen und zum Glück setzen die Recken ihre Spezialaktionen nicht selbstständig ein. Sie nutzen automatisch nur den Standardangriff, sofern sie sich entscheiden zu kämpfen. Manchmal stehen sie vier Meter vor dem Gegner und wollen nicht selbstständig angreifen. Dann wollen sie partout den nächsten Feind attackieren, der über einen Bildschirm entfernt steht. Jede Spezialaktion muss manuell ausgelöst und ggf. die Richtung platziert werden. Zur Koordination hilft da die Pausefunktion (am PC Leertaste), mit der man in Ruhe die Fertigkeiten so aufeinander abstimmen kann, dass eigene Verletzungen minimiert werden. Seltsam ist hingegen die Balance, da die automatischen Angriffe so gut wie gar keinen Schaden anrichten und die Spezialattacken gleich manche Gegner mit einer Aktion aus den Latschen hauen. Dadurch ist man ständig am Pausieren und Platzieren der Attacken. Es fühlt sich so an, als würde man keine mächtige Helden-Truppen anführen, sondern Mikro-Management-Babysitting betreiben.

Narmora zeigt ihre Kampffertigkeiten. Gegner, die am Boden liegen, können meist schneller ausgeschaltet werden. Der Nachtmahr, der Djerun angestürmt hat, steckt derweil zwischen Gebüsch und einer Anhöhe fest.

Schubsen, Drängeln und Hauen

Zwar ist ein schön anzusehen, wenn einer der Zwerge mitten in eine Orkmeute reinspringt und, die Gegner umgestoßen und weggedrängt werden oder wenn ein Oger mit einem mächtigen Schlag seine eigenen Leute wegstößt, wenn es da nicht viele Macken geben würde. Auf einer Karte wurde Djerun (eine laufende Panzer-Rüstung) beispielsweise von einem Nachtmahr angestürmt, ist über die halbe Karte gepfeffert worden und landete mit viel Glück vor einem Abhang. Der Nachtmahr steckte danach zwischen Bäumen und Hügel fest. Des Weiteren lassen sich Gegner seltsam in der Gegend herumschieben, während Pfeile gerne durch Berge hindurch fliegen - wobei die Kamera so sehr an den Zwergen klebt, dass man manchmal gar nicht sehen kann, woher die Geschosse kommen. Alles wirkt eher hakelig und dazu gesellt sich eine überfordert wirkende Kollisionsabfrage, die es gelegentlich nicht schafft, dass zwei Zwerge aneinander vorbeilaufen können. Dieses Hin- und Hergeschiebe mag teilweise ganz witzig sein, führt hingegen des Öfteren dazu, dass Zwerge in den Abgrund gedrängt werden (Mission gescheitert) oder sie irgendwo hängenbleiben. Nett sind die Kämpfe allerdings, wenn man Engstellen in "300"-Manier zu seinem Vorteil nutzen kann. Dann tun einem die Orks, die drei Reihen weiter hinten stehen und nichts machen können, schon fast leid.

Nach manchen Level-Ups darf man sich für eine von zwei Fähigkeiten entscheiden.
Darüber hinaus ist das Trefferfeedback mau und mit der Zeit werden die Kämpfe trotz wechselnder Missionsziele (Leitern zerstören, Gegner töten, Zielpunkt erreichen) eher nervig, da sie zu wenig Abwechslung bieten. Die Herausforderung bzw. der Schwierigkeitsgrad der Gefechte ist auf Normal knackig, aber wenn man die Positionierung seiner Leute im Auge behält und zwischendurch den Rückzug zum Heilen erteilt, sollte es gehen. Komisch ist allerdings, dass der schwerste Kampf in der Mitte des Spiels stattfindet.

Technische Macken auf PC und Konsolen

Beim Test der PC-Version stießen wir nur auf kleinere Bugs (Gegner standen in Bäumen außerhalb der Karte, Gegenstände mussten mehrfach angeklickt werden etc.) und hatten keine Abstürze zu verzeichnen. Der Zustand der Konsolen-Versionen ist nicht so rosig, weswegen passend zum Verkaufsstart ein großer Day-One-Patch nachgeschoben wurde. Unsere Xbox-One-Version mit installiertem Day-One-Patch war keineswegs unspielbar, litt jedoch unter einer instabilen Bildrate und Tearing. Auf der Übersichtskarte "zitterte" zudem das gesamte Bild, wenn man die Zielmarkierung auf den nächsten Punkt gesetzt hat (in etwa 40 bis 50 Prozent aller Fälle). Auf längere Ladezeiten bei verhältnismäßig kleinen Arealen muss man sich bei jeder Version gefasst machen.

Fazit

Als interaktives Hörbuch funktioniert Die Zwerge überraschend gut. Sowohl der allwissende Erzähler als auch die atmosphärische Umsetzung der Welt sind gelungen, obgleich ich das Gefühl nicht loswerde, dass gerade in den Zwischensequenzen alles gehetzt wurde. Neben dem herausragenden Erzähler sind die charismatischen Charaktere als Pluspunkt zu nennen, die getreu der Buchvorlage umgesetzt wurden. Als Taktik-Rollenspiel überzeugt das Spiel von King Art Games hingegen weniger. Die Rollenspiel-Aspekte sind aufgrund der zwanghaften Treue zur Vorlage eher seicht und das Kampfsystem bzw. das Babysitting der heldenhaften Charaktere ist trotz netter Ansätze hakelig, fehlerbehaftet und chaotisch. Es wirkt so, als wäre Die Zwerge ein wesentlich besseres Spiel geworden, wenn das Nachspielen der Geschichte als Adventure im Vordergrund gestanden hätte und die Kämpfe eher wie in einem klassischen Echtzeit-Taktikspiel oder im Rundenmodus funktioniert hätten - ohne physikbasiertes Crowd-System, ohne Friendly Fire und ohne Chaos. Unter dem Strich bleibt eine unausgegorene Mischung aus guter Geschichte und durchwachsenen Kämpfen, die mit ungefähr zehn bis zwölf Stunden Spielzeit nicht wirklich lang ausfällt.

Pro

gelungene und liebevolle Buch-Umsetzung
hervorragender Erzähler und gut geschriebene Texte
toll gezeichnete Charaktere
interessante Fantasywelt
Neben-Missionen mit Entscheidungen
imposante Massenschlachten
fordernde Kämpfe (stellenweise ziemlich schwer)
Schwierigkeitsgrad kann jederzeit geändert werden
schöner Soundtrack
schicke Weltkarte
Steuerung gut adaptiert (Konsolen)

Kontra

chaotisches, hektisches und fehleranfälliges Kampfsystem
seltsame Balance zwischen Standardangriffen und Spezialattacken
schwacher und ziemlich direkter Einstieg
Inszenierung und Regie: Zwischensequenzen wirken gehetzt
Schwächen im Detail bei Mimik und Gestik
Entscheidungen spielen kaum eine Rolle
starre Kamera in den Kämpfen (PC)
wenig Leben auf der Weltkarte
nur ein Gegenstand pro Held lässt sich ausrüsten
rudimentäre Charakter-Entwicklung
Spielmechaniken und Icons (Weltkarte) werden nicht erklärt
nahezu keine Anpassungsmöglichkeiten auf PC
lange Ladezeiten
keine kooperativen Gefechte
technische Probleme auf Konsolen (Tearing, instabile Bildrate)

Wertung

XboxOne

Die Konsolen-Versionen leiden stärker unter technischen Problemen als die PC-Fassung.

PlayStation4

Die Konsolen-Versionen leiden stärker unter technischen Problemen als die PC-Fassung.

PC

Geschichte, Erzählung, Charaktere und Weltkarte sind gelungen, wenn nur die chaotischen und fehleranfälligen Kämpfe nicht wären ...

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