Kona20.03.2017, Jörg Luibl
Kona

Im Test: Mystery-Thriller in Kanada

Im Februar 2016 konnte man bereits den ersten Akt von Kona (ab 14,99€ bei kaufen) auf dem PC spielen und sich als Privatdetektiv an mysteriösen Ermittlungen im eisigen Kanada der 70er-Jahre versuchen. Mittlerweile ist das ehemals auf vier Akte ausgelegte episodische Adventure von Parabole komplett für knapp 20 Euro auch für PlayStation 4 und Xbox One erschienen. Warum sich die investigative Zeitreise nach Québec lohnt, verrät der Test.

Atâmipêk bedeutet in...

...der Sprache der Cree-Indianer so viel wie "tiefes Wasser". Und in der Rolle des Privatdetektivs Carl Faubert wird man für knapp fünf stimmungsvolle Stunden in einem düsteren See aus Intrigen, Mord und Mythen versinken. Denn was sich für den Korea-Veteranen zunächst nach einem Routinefall anhört, zieht ihn nach dem ersten Leichenfund in einen mitunter surrealen Strudel voller rätselhafter Gewalt. Dazu gehört auch die Natur, die ihn mit ihren Schneestürmen nicht nur dazu zwingt, sich mit der lokalen Geschichte und ihren Geheimnissen zu beschäftigen - sie kann ihn auch töten.

Kona spielt im kanadischen Québec, wo man auch mal auf Wölfe trifft: Nach einem Schneesturm sitzt ein Privatdetektiv in einer kleinen Siedlung fest.
Das klingt vielleicht nach Blut, Schock und Gänsehaut, aber man erlebt keinen Horror à la Outlast, sondern ein investigatives Abenteuer, das von einem ruhigen Sprecher getragen wird, der Carls Gedanken fast schon bedächtig ausspricht - eine direkte Kommunikation mit einer Art Zentrale wie in Firewatch gibt es nicht. Kona spielt in den 70er Jahren im Norden des mehrheitlich französischsprachigen Québec, so dass Mobiltelefone oder Internet nicht helfen. Aus der Egosicht erkundet man entweder im Auto oder zu Fuß die lebensfeindliche Umgebung, während man die Eiseskälte angesichts der tosenden Schneestürme fast spüren kann. Vor allem außerhalb des Autos muss man auf die Temperatur achten, sonst kann man jämmerlich erfrieren - die Übergänge vom Zittern hin zu schlechterer Sicht und Koordination sind gelungen.

Survival und Action light

In diesen kritischen Situationen gilt es Feuer zu machen, indem man Holz, Anzünder und Streichhölzer z.B. an erkalteten Lagerfeuern oder Öfen kombiniert.

Man verbringt viel Zeit im Auto, kann es als Lager nutzen, das Radio einschalten und aktiv fahren. Aber Vorsicht: Dort wärmt man sich nicht auf...
Sinkt nach Erfrierungen oder Wunden Carls Lebensenergie, sorgen Schmerzmittel für Abhilfe; macht der Stress geistige Probleme, hilft auch eine Zigarette. Aber all das klingt dramatischer als es ist: Durch die drei Anzeigen kommt zwar etwas Survival-Flair auf, doch irgendwann hat man so viele Hilfsmittel (mit dem Kofferraum hat man quasi unbegrenzt Platz) und Aufwärmorte, dass man nicht wirklich um sein Überleben kämpfen muss wie etwa in The Long Dark. Auch die vielen Waffen suggerieren letztlich mehr Gefahr als es konkret gibt. Aber gerade dieses Kokettieren mit Horror und Wildnis macht dieses Adventure so interessant.

Das Andeuten statt Ausspielen sorgt für einige angenehm authentische Situationen: Hier stürzen sich die Wölfe nicht blutrünstig auf einen Wanderer, sondern sie fliehen - und erst wenn sie in die Ecke gedrängt werden, wird es gefährlich. Auch dass Bären in Mülltonnen wühlen und ihre Spuren hinterlassen, aber nicht als "Feinde" überall auftauchen, trägt dazu bei, dass man sich wie in einer Wildnis mit "echten" Tieren fühlt. Für Orientierung sorgt eine regionale Karte ebenfalls auf realistische visuelle Art, ohne Schnickschnack wie Questmarker oder Wege zum Ziel, sondern mit einfachem Zoom sowie dem Eintrag neu entdeckter Orte.

Klassische Rätseltugenden

Die spielerischen Herausforderungen bestehen hier selten in der Action, sondern vorwiegend in der Kombinationsgabe und Knobelei in klassischer Point&Click-Manier. Also sammelt man Indizien und Gegenstände, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und Wege an andere Orte freizulegen. Dabei werden mögliche Interaktionen wie etwa zu öffnende Schränke oder Schubladen dezent durch weiße Punkte angezeigt, während fehlende Gegenstände z.B. für den Bau einer Brücke als ergraute Icons dargestellt werden - so weiß man, dass vielleicht Holz oder Hammer erstmal gefunden werden müssen.

So entstehen im Vergleich zum kreativeren Obduction recht einfache, aber angenehm logische Knobelsituationen: Der Einsiedler will mir nur dann seinen warmen Mantel geben, mit dem ich wiederum eine Eishöhle betreten kann, wenn ich ihm hochprozentigen Fusel

Hier ist das Wetter noch in Ordnung, aber schon bald heulen die Blizzards...
besorge. Aber wo kann ich den brauen? Das Schneemobil ist defekt, wo sind die fehlenden Teile und der Schlüssel? Wie komme ich an einen Eimer oben an der Decke eines Schuppens? Wo finde ich Dynamit für die verschüttete Höhle? So erkundet man ein Haus nach dem anderen, wobei die meisten verlassen sind.

Lokales Milieu aus Québec

Trotzdem gibt es abseits nützlicher Gegenstände einiges zu entdecken, denn jeder Bewohner verfügt eine Biografie und jedes Zuhause vermittelt einen Einblick in den Alltag, in dem Liebe, Hass und Wahnsinn deutlich werden. Aber auch die charakteristischen kulturellen und historischen Merkmale des französisch geprägten Québec werden vermittelt: Neben den hölzernen Totems der Cree gibt

Fast jedes Haus birgt eine Geschichte, nützliche Gegenstände und Geheimnisse.
es z.B. viele Hinweise auf den für Kanada ungewöhnlichen starken katholischen Glauben sowie die fanatischen Rebellen, die bis in die 70er Jahre mit Bomben und Attentaten die Unabhängigkeit Québecs forcierten.

Und ganz nebenbei findet man überaus bizarre Hinweise, die den Mordfällen eine übersinnliche Note à la Akte X verleihen. Ähnlich wie in Everybody's Gone to the Rapture versinkt man also nicht nur in einem lokalen Milieu, sondern es gilt auch herauszufinden, wo all die Bewohner hin sind und was es mit den skurrilen Eistoten auf sich hat, die scheinbar mitten in einer Konfrontation erfroren sind, als sie sich gerade retten wollten. Atomversuche? Russen? Geister? Aliens? Sobald Carl diese Toten berührt, kann er einen Blick in ihre Vergangenheit erhaschen und weitere Spuren verfolgen. So entsteht ein investigativer Sog in unwirtlicher, aber auch irgendwie gemütlicher Atmosphäre, untermalt vom Soundtrack der Québecer Folkband CuréLabel.

Technik, Anzeige und Steuerung

Obwohl man viele Waffen von der Axt über die Pistole bis zum Gewehr findet, braucht man sie kaum.
Die über die Unity-Engine inszenierte Kulisse erreicht nicht die Qualität eines The Vanishing of Ethan Carter, aber kann sich trotz schwacher Texturen und sehr nerviger Lade-Unterbrechungen (mitten im Spiel!) auf Konsolen sehen lassen - vor allem die Wettereffekte sind gelungen, aber es gibt z.B. auch Fußspuren im Schnee, außerdem wird trotz plötzlicher unsichtbarer Wände und Sackgassen ein Gefühl von Weite vermittelt. Allerdings wirken die manchmal als grelle Texte eingeblendeten Gedanken Carls auf Tischen, Wänden oder anderem Inventar wie stilistische Fremdkörper. Außerdem kann die Steuerung manchmal zicken, denn abgesehen davon, dass man nur aufrecht oder geduckt gehen bzw. rennen kann, bleibt der Held schon mal an kleineren Erhebungen hängen - das kann dazu führen, dass man zwischen knöchelhohen Brettern verzweifelt einen Ausweg sucht.

Auch das zu modern wirkende Inventarsystem wirkt wie ein Fremdkörper. Zwar sorgen die einblendbaren Kreismenüs für Komfort und schnelle Auswahl, aber die ist ja angesichts der fehlenden Actionmomente selten nötig - da hätte man für mehr Stil statt Funktion sorgen können. Alle gefundenen Gegenstände oder Waffen sind nicht als 3D-Objekte sicht- oder untersuchbar, sondern lediglich als schwarzweiße Symbole erkennbar. Hinzu kommt, dass all die Notizen, Zeichnungen und Dokumente zwar hübsch illsutriert, aber auch sehr lieblos aneinander gereiht werden, so dass man in immer kleinteiligeren Anzeigen des Kreismenüs nach dem Gewünschten suchen muss. Warum hat man sie nicht in das Tagebuch zum Nachschlagen integriert?

Fazit

Kona ist ein sehr stimmungsvolles, überraschend vielfältiges Adventure moderner Schule. Es verknüpft klassische Point&Click-Traditionen mit der Spannung von Survival in der eisigen Wildnis sowie den Erkundungsreizen aktueller Erzählspiele à la Firewatch oder Everybody's Gone to the Rapture. In der Rolle eines Privatdetektives lüftet man nicht nur die Geheimnisse einer mysteriösen lokalen Geschichte und löst klassische Rätsel, sondern muss bei Schneetreiben Auto fahren und in der Wildnis auf seine Gesundheit sowie die Wärme achten, um nicht irgendwo zu erfrieren - ich hab mich manchmal gefühlt wie Sherlock Holmes als Trapper. Auch wenn keiner der Bereiche herausragt, das Überleben letztlich zu leicht ist und es einige technische Macken sowie Inventarzicken gibt, sorgt die gelungene Mischung zusammen mit dem ruhigen Erzähltempo für einen überaus gemütlichen Mystery-Thriller. Kona demonstriert über knapp fünf Stunden richtig gut, wie man Storytelling sowie Interaktion verzahnen kann und vermittelt zudem interessante kulturelle sowie historische Merkmale des französisch geprägten Québec.

Pro

interessante Mystery-Story
angenehm ruhige Regie, guter Erzählrhythmus
Gegenstände finden, kombinieren und einsetzen
Survival-Flair durch Temperatur, Gesundheit etc.
einige Erkundungsreize in Wildnis und Häusern
coole Schneestürme vermitteln Kälte sehr gut
Auto fahren, Fotos machen, Waffen & Dynamit einsetzen
inuitive und authentische Kartenfunktion
historische & kulturelle Merkmale Québecs
Waffeneinsatz ohne Fadenkreuz oder Hilfsmittel
keine überflüssigen Questmarker oder Hinweise
stimmungsvoller Soundtrack der Folkband CuréLabel
deutsche Untertitel und Texte

Kontra

suboptimales Inventardesign, Dokumentenchaos
zickige Kollisionsabfrage, Held bleibt hängen
eingeblendete Texte in Umwelt wirken wie Fremdkörper
viele Aktionen wiederholen sich (Feuer machen etc.)
zu viele Hilfsmittel und Waffen dämpfen Survival-Anspruch
nervige Ladeunterbrechungen (PS4, One)
schwache Texturen en detail
keine deutsche Sprachausgabe

Wertung

PlayStation4

Kona ist ein sehr stimmungsvolles, überraschend vielfältiges Adventure moderner Schule. Es verknüpft klassische Point&Click-Traditionen mit der Spannung von Survival in der eisigen Wildnis sowie den Erkundungsreizen aktueller Erzählspiele.

PC

Kona ist ein sehr stimmungsvolles, überraschend vielfältiges Adventure moderner Schule. Es verknüpft klassische Point&Click-Traditionen mit der Spannung von Survival in der eisigen Wildnis sowie den Erkundungsreizen aktueller Erzählspiele.

XboxOne

Kona ist ein sehr stimmungsvolles, überraschend vielfältiges Adventure moderner Schule. Es verknüpft klassische Point&Click-Traditionen mit der Spannung von Survival in der eisigen Wildnis sowie den Erkundungsreizen aktueller Erzählspiele.

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