Die Säulen der Erde09.08.2017, Jan Wöbbeking

Im Test: Daedalics erster spielbarer Roman

Drei Jahre nachdem der Verlag Bastei Lübbe bei Daedalic einstieg, trägt die erste große Kooperation Früchte: Mit Ken Folletts mittelalterliche Romanserie Die Säulen der Erde versucht sich auch der Hamburger Adventure-Hersteller am Telltale-Konzept mit seinem erzählerischen Fokus. Können die bedrückenden Schicksalsgeschichten mehr mitreißen als die neuerdings schwächelnde Konkurrenz aus Kalifornien?

Finstere Aussichten

Daedalic betitelt Die Säulen der Erde bewusst als „interaktiven Roman“, der in drei Teilen veröffentlicht wird: Käufer der am 15. August erscheinenden Staffel bekommen „Buch“ 2 und 3 später durch Updates nachgereicht. Große Überraschungen dürften für Kenner des Vorbilds ausfallen, denn der Ausgang der Geschichte soll nicht angetastet werden. Sie hangelt sich an der Handlung des Vorbilds entlang und lässt dem Spieler nur bei Details Wahlfreiheiten, die z.B. über das Schicksal von Nebenfiguren entscheiden. Ein Mönchs-Prior zwischen den Fronten von Krieg und Intrigen, eine Architektenfamilie, die alles verloren hat und eine aussätzige Mutter, die ihr Kind im Wald aufzieht: Schon die Wahl der Protagonisten lässt erahnen, dass es sich bei Die Säulen der Erde nicht gerade um leichtfüßige Unterhaltung handelt.

Nachdem Tom Builders Familie auf die Aussätzigen Jack und Ellen trifft, machen sie sich gemeinsam auf den Weg.
Während die Geschichte immer wieder zwischen den Grüppchen wechselt und sich die Handlungsfäden langsam kreuzen, wird allerdings klar, dass die Protagonisten nicht die einzigen sind, die unter den harten Bedingungen im mittelalterlichen England des 12. Jahrhunderts zu leiden haben. Viele müssen hungern, die Arbeitslage ist schlecht und die für die Geschichte wichtige Priorei in Kingsbridge stagniert unter jahrelanger Misswirtschaft eines schwachen Oberhaupts, das durch zwielichtige Umstände ums Leben kam. Zu allem Überfluss droht ein Bürgerkrieg, da nicht nur die Kirche, sondern auch egoistische Intriganten nach dem Tod des englischen Königs Heinrich nach der Macht streben.

Schleppender Einstieg

Klingt nach schwerer Kost, oder? Ist es auch: Vor allem zu Beginn schleppt sich die Geschichte zäh voran, da man als Neuling schnell von der Vielzahl unbekannter Namen und Akteure erschlagen wird. Die Entwickler und Ken Follett haben sich keinen Gefallen damit getan, das Spiel derart sperrig zu eröffnen. Nach einer im wahrsten Sinne schweren Geburt im verschneiten Wald wird das ausgesetzte Baby vom Bruder des warmherzigen Klostervorstehers Philip gerettet. Mal schlüpft man in Philips Rolle, der sich schon bei seinem Besuch in der großen Mutterpriorei im fiktiven Kingsbridge mit vielen schweren Gesprächen, Entscheidungen und Anfeindungen auseinandersetzen muss. Anderswo steuert man den Vater Tom Builder, der als Architekt an seinen hohen Ansprüchen gescheitert ist und die obdachlose Familie durchbringen muss.

Der junge Jack besitzt trotz fehlender Erfahrung auch soziales Feingefühl. Als er in einem Gespräch mit Toms frustriertem Sohn nachbohrt, erfährt er, dass dieser sich nicht von seinem Vater ernstgenommen fühlt.
Vielleicht hätte man zu Beginn die Dramaturgie für das Spiel ein wenig umstellen sollen, um dem ebenfalls spielbaren Jungen Jack mehr Zeit einzuräumen. Da er als Ausgestoßener abgeschottet von der Zivilisation mit seiner Mutter im Wald aufwuchs, entdeckt er die Wirren der Geschichte nämlich ähnlich unerfahren wie jemand, der den Roman noch nicht gelesen hat. Trotz einem Mangel an Erfahrung ist er durchaus aufgeweckt und wissbegierig und erlegt zu Beginn sogar mit Hilfe seiner Schleuder sein erstes Reh. Die Jagd läuft wie andere Aktionen auch mit einem kleinen Geschicklichkeitstest ab. Er erinnert eher an eine Beschäftigungstherapie als an Spieldesign: Ein paar mal im passenden Moment aufs Knöpfchen drücken – und schon klappt der Zwillenschuss oder der Diebstahl einer kleinen Hähnchenkeule, mit der man bei zwei Rittern Eindruck schinden will.

Fokus auf die Geschichte

Die auf das Gamepad zugeschnittene Steuerung verrichtet seinen Dienst meist ordentlich, wirkt aber nicht ganz so ausgefeilt wie in anderen Titeln von Daedalic. Der Übergang zu angrenzenden Bildschirmen gestaltet sich etwas umständlich, zumal die Figuren manchmal unter seltsamen Zuckungen leiden. Ein wenig gestört hat mich auch der Umstand, dass man manche Erkenntnisse nicht direkt im Dialog ansprechen kann, sondern die entsprechende Idee erst wie einen Gegenstand aus dem Inventar holen muss. Meist kommt man allerdings durch Abklappern der Umgebung und einfache Kombinationsgabe auf die Lösung, so dass auch Einsteiger nicht lange auf die Fortführung der Geschichte warten müssen.

Die simplen Reaktionstests sind nicht gerade spannend.
Wer möchte, darf alternativ auch mit der Maus auf Orte und Objekte klicken. Gegen Frust beim Suchen hilft eine Hotspot-Anzeige. Hinweise fehlen hier (von Notizen abgesehen), sind aber auch nicht wirklich nötig. Der Mangel an Rätselanspruch wirft natürlich die Frage auf, ob es sich überhaupt noch um ein Spiel handelt. Falls man Serien wie Batman: The Telltale Series als solches empfindet, lautet die Antwort „ja“. Im Laufe der ersten Episode streut das Team rund um Mathias Kempke (Night of the Rabbit) ähnlich viele (oder besser gesagt ähnlich wenige) kleine Rätsel ein wie in aktuellen Telltale-Serien. Die Erzählung sowie die zahlreichen kleinen Dialog-Entscheidungen spielen aber auch hier eine viel größere Rolle.

Steigerung in der zweiten Hälfte

Die Aufgaben sind aber immerhin glaubwürdig in die Geschichte eingeflochten und treiben die Handlung voran. Nach ein paar Stunden stellt sich glücklicherweise ein besserer Spielfluss ein, wenn man erst einmal die Hauptakteure kennt und ihre Motivationen besser einschätzen kann. Tom Builder z.B. träumt seit jeher davon, eine Kathedrale zu bauen. Dieser Wunsch hat ihn allerdings schon einmal ins Verderben gestürzt, weil er in schweren Zeiten attraktive Angebote ausgeschlagen hat, an anderen Bauwerken zu arbeiten. Immer wieder hadert er mit seinen hohen Zielen, weil er ihnen nicht das Wohl seiner Familie opfern möchte. Dank Jacks sympathischer Persönlichkeit macht es mit ihm am meisten Spaß, die Umgebung zu erforschen. Bein Herumstöbern in fremden Angelegenheiten stößt er relativ häufig auf wichtige Hinweise – z.B., wenn er mit Tom und seiner Familie unterwegs ist und nach einer Arbeit für seinen neuen Versorger sucht.

Auf der Jobsuche...kurz nachdem die Prinzessin einen Heiratsantrag prominent hat platzen lassen.
In den Befestigungen einer Burg findet er schnell Schwachstellen wie eine ungeschützte Holztür zum Keller. Anderswo muss er erst die Scherzfrage eines geschwätzigen, versoffenen Ritters lösen, damit er ihm einen Hinweis auf den baufälligen Brunnen gibt. Dessen Zerstörung könnte schließlich für ein Ende der erwarteten Belagerung sorgen. Der Trick am Dialog: Da der Ritter ihn bittet, sein „Geheimnis“ zu bewahren, muss man einfach schweigen statt zu antworten. Andere Personen wie der hinterlistig anmutende Subprior Remigius mögen es dagegen gar nicht, wenn man einfach die kleine Sanduhr ablaufen lässt: Sie interpretieren die Stille als Schwäche.

Etwas zu hölzern?

Vor allem im Umfeld des Klosters klingen die Dialoge etwas zu hölzern und hochgestochen. Das passt natürlich zum Schauplatz, trotzdem würde ich erwarten, dass sich selbst Mönche zu jener Zeit etwas lockerer miteinander unterhalten haben. Durch den eher abgeschotteten Klosteralltag müssten sie sich schließlich gegenseitig schon ziemlich genau kennen. Nur ab und zu schleicht sich hier und da ein schmutziger Witz ein, z.B. wenn respektlose Novizen über ihre imaginären Sexabenteuer diskutieren. Der in vielen anderen Daedalic-Spielen eingeflochtene Humor fehlt diesmal aber fast komplett.

Vorsprechen beim Bischoff: Die deutschen Dialoge wurden professionell vertont.
Sobald sich Philip ein wenig an die Lage herangetastet und einen Einblick in die politischen Hintergründe erlangt hat, werden seine Abschnitte aber zu den interessantesten Passagen der ersten Episode. Er muss einige schwerwiegende Entscheidungen treffen, bei denen selbst ein Prior mit seiner Autorität ab und zu ins Stottern kommt. Als er von seinem Bruder erfährt, dass ein Krieg droht, macht er sich auf zum Bischoff Waleran Bigod, um ihm einen wichtigen Brief zu überbringen. War es richtig, dem Bischoff vom drohenden Umsturz zu erzählen? Philip will dem Klerus schließlich ebenfalls zu mehr Macht verhelfen. Sein Antrieb ist allerdings mehr Stabilität und Frieden im Lande – bei einigen anderen machtgierigen Akteuren ist er sich in diesem Punkt nicht so sicher. Zudem sorgt sein Wirken auch in der heruntergewirtschafteten Mutterpriorei für Probleme: Nach dem mysteriösen Tod des letzten Priors wäre es für Philip nur konsequent, seine Führungsqualitäten als neues Oberhaupt des Klosters zu nutzen.

Ansehnliche Animationen

Doch auch dort scheint er mit Subprior Remigius einen Gegenspieler zu haben. Seine Entscheidungen wirken sich wie bereits erwähnt nur bedingt auf die Handlung aus: Verpfeift er z.B. einen faulen, stehlenden Novizen aus Kingsbridge, wird der später derart vom übertrieben brutalen Oberhaupt geschlagen, dass er kurzerhand aus dem Kloster flüchtet. Aber auch einige von der Geschichte vorhergesehene brutale Konsequenzen stellen Philip und seine Glaubensbrüder später vor schwere Aufgaben und sorgen oft für Gewissenbisse. Visuell wirkt die Umsetzung des Szenarios gelungen: Die Kulissen versprühen zwar nicht die magisch angehauchte Detailverliebtheit von The Whispered World. Die finsteren Zeichnungen spiegeln aber die bedrückende Stimmung wider, zumal die Figuren auch relativ viele Animationsphasen zeigen. Die ruhige Musik hält sich passend dazu meist im Hintergrund.

Fazit

Puh - das war ein schwerfälliger Einstieg in Ken Folletts mittelalterliche Welt. Vor allem den Anfang hätte man mit etwas mehr Mut zu erzählerischer Freiheit deutlich besser ans Adventure-Medium anpassen können, indem man sich z.B. stärker auf den kleinen Jack konzentriert hätte. Er entdeckt die notleidende Welt und ihre zahlreichen Machtspiele schließlich mit ähnlich wenigen Vorkenntnissen wie ich. Vielleicht kommen Kenner der Vorlage besser ins Spiel, aber ich musste mich erst einmal durch einen trägen Einstieg mit ungewohnt gestelzten Formulierungen quälen, bis vor allem Philips Teil der Geschichte doch noch mein Interesse wecken konnte. Er ist die Stimme der Vernunft zwischen den großen Mächten, die sich gegeneinander verschworen haben und die Herrschaft an sich reißen wollen. Auch Jacks Erkundungstouren sind durchaus unterhaltsam, obwohl man dabei keinen Rätselanspruch erwarten sollte. Stattdessen gibt es nur leichte Puzzles und überschaubare Aufgaben, die aber immerhin sinnvoll in die Handlung eingebettet wurden. Alles in allem also nur ein durchwachsener Start, der immerhin interessante Fragen für die kommenden zwei Episoden aufwirft.

Pro

interessante Machtspiele und Verwicklungen
viele feine Animationsphasen
finstere Stimmung wird gut eingefangen
ordentlicher Episodenumfang mit rund acht Spielstunden
gelungene deutsche Vertonung

Kontra

sperriger Einstieg
nur sehr leichte Rätsel
Dialoge wirken manchmal übertrieben gestelzt
kleine Macken bei Steuerung und Bildübergängen

Wertung

PC

Schleppender Einstieg in Ken Folletts spielbaren mittelalterlichen Roman, dessen Akteure und Machtverhältnisse erst später interessante Fragen aufwerfen.

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