Im Test: Traumtänzerin der Virtual Reality
Pirouetten, Arabesque und Jeté
Die Prinzessin soll ein Monster aufhalten, das die Welt zerstört. Das sind die ersten Worte, gesprochen in einer Fantasiesprache, von einer Königin, deren Kleid sich in Millionen Dreiecken aufzulösen scheint. Die Prinzessin macht sich also auf den Weg: Sie springt und überwindet Hindernisse mit einer Rolle über den Boden. Bound ist ein Spiel, dessen Hauptfigur in schwindelerregender Höhe balanciert, versteckte Türen öffnet und einen Weg über zum Teil knifflig arrangierte Plattformen findet – allerdings nicht wie die Helden anderer Abenteuer, sondern mit den Schritten einer Tänzerin. Mit Pirouetten, Arabesque und Jeté.
Ihre Bewegungen wurden von einem Choreografen inszeniert, von einer Ballerina getanzt und von einem Entwicklerstudio aufgenommen, das schon mit Linger in Shadows und Datura die Grenze zwischen dem Betrachten digitaler Plastiken und dem Erleben interaktiver Abenteuer aufbrach. Und auch in Bound ist das Staunen über
Projektion und Immersion
Natürlich spielt es eine große Rolle, dass gerade das Ballett nicht nur dem Ausdruck der Künstler dient, sondern dem Betrachter auch als Projektionsfläche. Es fällt leicht, den überhöhten Gesten einen Sinn zu verleihen – und genau das macht sie als Spiel so stark! Denn wer Ballett nicht nur sieht, sondern selbst tanzt, der wird vom Betrachter zur Hauptfigur.
In jedem der sechs Level tanzt die Prinzessin dabei ganz von selbst, wenn man nur die rechte Schultertaste gedrückt hält. Man kann die Choreografie aber auch mit eigenen Formen unterbrechen, indem man die Tänzerin bewegt oder Dreieck, Kreuz, Viereck oder Kreis drückt. Sogar normale Bewegungen führt die Prinzessin tanzend aus – sowohl aus dem Stand heraus als auch beim schnellen Laufen.
Wie viele Heldinnen springt sie meist über Hindernisse, rollt unter niedrigen Spalten hindurch oder sucht verborgene Zugänge gut versteckten Geheimräumen. Tanzen muss sie allerdings, um Gefahren wie einen Schwarm Papierflugzeuge, auf sie einprasselnde Perlen oder das riesige schreiende Monster abzuwehren.
Wenn Gewöhnliches gefährlich ist
Die Geschichte hinter diesen scheinbar profanen Gefahren wurde häufig erzählt. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die am Strand in ihrem Tagebuch blättert. Dort umreißen Bilder ganz bestimmte Ereignisse ihrer Kindheit, aus denen sie eine Traumwelt erschuf: das Reich der Prinzessin, ihrer Königin und des Monsters. In kurzen Unterbrechungen stellen Momentaufnahmen, die sich wie dreidimensionale Puzzles zusammenfügen, die Geschehnisse der Vergangenheit nach.
Es geschieht nichts Überraschendes. Plastic beschreibt Entwicklungen eines Alltags, der mir teils aus eigenen Erlebnissen, teils aus Berichten, Büchern, Filmen oder anderen Spielen vertraut war. Deshalb war die Traumwelt der Prinzessin, die Notwendigkeit und bittersüße Schönheit ihres fantasievollen Exils, sofort greifbar. Sie ist der plastische Abriss einer Gefühlswelt ohne eine an Hollywood angelehnte Suche nach Erklärungen, Schuldzuweisungen oder einfachen Lösungen.
Fließende Wände...
Und wie bezaubernd schön diese Zuflucht ist! Strukturlose Würfel und Pyramiden sind in ständiger Bewegung, fliegen scheinbar chaotisch im Raum, bevor sie sich beim Näherkommen zu Mauern und Wänden verschieben. Unter der Prinzessin wiegen tausende Würfel auf und ab: Wellen eines abstrakten Ozeans, der den Blick in die Tiefe so lange versperrt, bis die Prinzessin weit genug hinabsteigt. Gut versteckte geheime Räume verbergen sich dort, oft führen verschiedene Wege ans Ziel, keiner wertvoller als ein anderer.
Bewegt man die Kamera in eine Wand, schrumpfen deren „Ziegel“ mit einem sanften Knirschen, bis sie verschwinden. Vom Klavier getragene Synthesizer aus der Feder von Oleg „Heinali“ Shpudeiko strömen wie warme Winde durch die fließenden Gebilde, zerbrechen in Disharmonien, schwellen an, ändern ständig ihre Komposition – im bisher schönsten Konzert des aktuellen Spielejahres.
Und wenn die Prinzessin am Ende eines Szenarios angekommen ist, versetzt Shpudeiko seiner Musik schließlich den entscheidenden Schwung. Die Ballerina tritt dann auf ein langes Tuch, um im erhebenden Finale durch das gesamte Level bis zum Ziel zu surfen.
... und eine stockende Kamera
Doch leider fließen die wundervollen Bewegungen der Tänzerin und ihrer ruhelosen Umgebung durch das Virtual-Reality-Headset betrachtet nicht ganz so flüssig ineinander wie auf dem flachen Bildschirm. Das liegt vor allem daran, dass die Kamera der Figur nicht automatisch folgt. Das ist sinnvoll, weil eine solche Bewegung bei den meisten Spielern schnell Übelkeit auslösen würde!
Der Ersatz ist allerdins kein ausgereifter, denn in der Virtual Reality wechselt man die Kamera wahlweise per Hand. Je nach Richtung des gekippten rechten Analogsticks setzt man sie dabei hinter oder neben die Protagonistin – so nah an sie heran und so tief über den Boden, dass man nur wenig Übersicht über ihre Position innerhalb der nahen Umgebung erhält. Weil die Kameraführung nicht immer schnell genug auf eine vorgefertigte, übersichtliche Ansicht wechselt, blickt man häufig also entweder mit einem übertriebenen Zoom auf die Tänzerin oder sieht sie irgendwo in der Ferne verschwinden.
Schade, dass Plastic keine starren Ansichten nutzt, die höher und in größerer Entfernung vom Geschehen liegen als die des herkömmlichen Spiels: Wo man sich mit der einer Figur folgenden, ständig drehbaren Kamera ohne VR schnell einen Überblick verschafft, geht dieser aus ähnlichen, aber fixen Perspektiven einfach zum Teil verloren. Diese
Die Welt steht nicht Kopf genug
Es ist die Harmonie von Musik, Tanz, Kulisse und Erzählung, die Bound auch mit PlayStation VR auszeichnet. Es ist aber auch ein Spiel, in dem neben der unglücklichen Kamera vor allem eine ungenaue Steuerung für ärgerliche Stürze in die Tiefe sorgt und dem eine echte Herausforderung an Fingerfertigkeit oder die grauen Zellen fehlt. Manche Geheimnisse sind zwar überraschend gut versteckt – man findet dort buchstäbliche Puzzlestücke, auf dass sich in jedem Level das Bild einer weiteren Erinnerung zusammensetzt. Auf dem eigentlichen Pfad kommt die Prinzessin allerdings zügig voran. Dass sie nach einem Fehler sofort an Ort und Stelle wieder auftaucht, ist dem Spielfluss dabei zuträglich. Zumindest Köpfchen könnten manche Situationen aber erfordern, während die Variation der Herausforderungen gerne größere sein dürfte.
Interessant sind Gravitationswechsel, wenn sich die Welt quasi unter den Füßen der Protagonistin dreht: Auf Kugeln läuft sie dann mal quer, mal längs zum Horizont – das spielerisch beste Element! Doch leider schaltet der Bezugspunkt der Gravitation nicht zuverlässig vom Absprungort aufs Ziel um, was hier und da mühselige Wiederholungen erfordert. Plastic setzt das Stilmittel zudem nicht oft genug ein. Dabei bieten sich gerade damit einfallsreiche Kopfnüsse an, die noch dazu hervorragend in die abstrakten Kulissen passen würden.
Fazit
Bound ist für mich das beste Beispiel dafür, dass das Erleben wichtiger sein kann als die Mechanik eines Spiels. Ganz selten war ich so fasziniert von einer Kulisse, so ergriffen von einer Figur. Denn man sieht der Prinzessin nicht nur zu, sondern nimmt Teil an ihrer professionellen Choreografie. Man flieht mit ihr in ein prachtvolles Exil, wo sie im Tanzen Stärke findet, um die Dämonen ihrer Kindheit zu bekämpfen. Die bodenständige Geschichte weckt vertraute Erinnerungen und das interaktive Ballett dient als wirkungsvolle Projektionsfläche eigener Emotionen. Natürlich sind spielerische Schwächen Wermutstropfen in dieser einzigartigen Erfahrung: Die Herausforderung an Kopf oder Fingerfertigkeit könnte ebenso größer sein wie die Abwechslung, die Steuerung eine Idee präziser und auf PlayStation VR geht die Übersicht in manchen der beeindruckenden Panoramen verloren. Nach einem kurzem Ärgern sind diese Schwächen allerdings sowohl auf einem flachen Bildschirm als auch mit VR-Headset immer nur Tropfen auf einem heißen Stein.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Zauberhaftes Erleben einer kleinen, emotional starken Flucht aus dem Alltag.
PlayStationVR
Der Kamera fehlen mitunter übersichtliche Perspektiven - trotzdem ist Bound auch mit PlayStation VR ein bezauberndes Erlebnis.
VirtualReality
Der Kamera fehlen mitunter übersichtliche Perspektiven - trotzdem ist Bound auch mit PlayStation VR ein bezauberndes Erlebnis.
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