Esper 223.09.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Knobeln mit Köpfchen

Die ersten VR-Spiele sorgten für überraschende Erkenntnisse: Während klassische Shooter denkbar schlecht zur Technik passen, erleben Knobelspiele eine kleine Renaissance. Ein vielversprechendes Beispiel sind die Telekinese-Experimente in Esper 2, welche wie Portal auf eine intensive Story-Einbettung und viel Humor setzen. Eine exklusive Perle für Oculus Rift? Die Antwort gibt der Test.

Begabtes Versuchskaninchen

Die Ausgangslage erinnert an Titel wie Portal, Antichamber oder das VR-Agentenspiel Omega Agent: Der Spieler findet sich als telekinetisch begabtes Versuchskaninchen in den Labors einer geheimen Organisation wieder, welche das grassierende Phänomen untersuchen soll. Beobachtet von erstaunlich putzig animierten, blinzelnden Überwachungskameras arbeitet man sich durch eine Reihe von Tests: Im Grunde werden meist lediglich leuchtende Bälle und Würfel in die entsprechenden Basisstationen befördert. Das Spiel bettet das Prinzip aber richtig liebenswert in eine Rahmenhandlung ein, welche den Spieler an exotische Orte wie überwucherte Tempelruinen, unter Wasser, in ein Raumschiff oder sogar in wirr transformierende Traumsequenzen befördert. Offenbar hatten die Entwickler nicht das Budget für die Integration menschlicher Figuren - dank eines dramaturgischen Tricks fühlt man sich trotzdem fast wie in einem ausgewachsenen Adventure. Zuerst nehmen die Überwacher der Tests per Sprechanlage Kontakt auf, später meldet sich ein durch die Tempelanlage wuselnder Kollege per Funk. Oder ein mysteriöser Ex-Mitarbeiter mit tiefer Stimme sitzt mit dem Rücken zur Kamera auf seinem großen Chefsessel - ganz wie in alten Agentenfilmen. Später sitzt er in einem kleinen Panzer und deckt den Spieler nicht nur mit sarkastischen Sprüchen über sein mangelndes Talent, sondern auch mit Raketen ein. Die Geschosse muss man natürlich mit Hilfe der Telekinese-Begabung aus der Luft fischen und zum Empfänger zurück lenken.

Was hat es mit dem geheimnisvoll pulsierenden Artefakt auf sich?
Wirklich tiefschürfend wird die Geschichte zwar nicht, sie eröffnet aber einen unterhaltsamen und äußerst humorvollen Einblick hinter die Kulissen der Organisation mit all ihren Animositäten. Auch die Jagd nach einem mysteriösen Artefakt sorgt für Neugier. Dazu kommt eine professionelle deutsche Synchro (wahlweise auch englisch) und ein schwungvoller bis mysteriöser Big-Band-Soundtrack.

Bring sie zum Schweben!

Doch was genau macht man als Spieler eigentlich? Die Antwort ist einfach: In der Ego-Sicht wird man auf einer Art motorisiertem Drehstuhl von einem Raum in den nächsten gebracht – mittels sehr magenschonender Überblendung des Bildes. Mal sitzt man vor dem Aufbau eines Laborversuchs, später z.B. vor einer uralten Tempeltür, die mit Hilfe eines Rätsels verschlossen wurde. Der Schlüssel zum Erfolg sind stets die eigenen Telekinese-Fähigkeiten, die ein sehr einfaches Steuerungsschema bekommen haben. Per Knopfdruck „hält man“ z.B. eine Kugel in der Luft und bewegt sie langsam durch ein Labyrinth. Seitlich gesteuert wird per Headtracking mit feinfühligen Kopfbewegungen, mit Hilfe des Analogsticks bewegt man das Objekt zu sich her oder von der Kamera weg.

Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Befördert man die rechte Kugel per Telekinese nach oben, bewegt sich der Würfel links hinter der durchsichtigen Barriere spiegelverkehrt.
So führt man die Gegenstände behutsam durch transparente Röhren, verschiebt Barrieren mit der Hilfe von Griffen oder setzt abgebröckelte Felsbrocken in ein altes Steingesicht ein. Drehen kann man die Objekte leider nicht. Stattdessen werden sie aber vom Spiel passend ausgerichtet, wen sie sich in der Nähe ihres Ziels befinden - z.B. bei einer Sicherung, mit der der Strom wieder hergestellt wird oder einem riesigen Retro-Server, der problemlos in die schmale Lücke an der Wand passt.

Kleine Rückschläge

Die Puzzles bewegen sich auf einfachem bis fortgeschrittenem Niveau und wurden geschickt miteinander verknüpft: Immer wieder muss man sich umschauen, um z.B. in einer Muschel ein verstecktes Puzzleteil zu finden. In der verwinkelten und zertrümmerten Traum-Kulisse wechselt man mitunter zwischen rund zehn verschiedenen Perspektiven, um ein 3D-Rätsel zu lösen. Hier einen Würfel durch den Tunnel bugsieren – Sichtwechsel – dort die Richtung eines Ventilators umschalten – Sichtwechsel – und schon ist man ein Stückchen weiter nach oben gelangt. Nur manchmal erweist sich die Steuerung als etwas zu fummelig, so dass man es häufiger versuchen muss, als es eigentlich nötig wäre.

Wo bin ich? Im Traum wird es verschwurbelt.
Ab und zu flutscht ein Teil auch schon mal durch eine Wand. Oder man ist im Traumbild verloren, weil die nächste Sequenz durch einen Bug nicht nachlädt. Dank der regelmäßigen Speicherpunkte sind diese Problemchen aber nicht tragisch. Außerdem kann man durch die zwangsläufige leichte VR-Unschärfe schon mal einen wichtigen Schalter übersehen. Schade auch, dass die Kulisse technisch nicht mit dem fantasievollen Design mithalten kann: Aus der Nähe wirken viele Oberflächen grobschlächtig und stumpf, da die Entwickler mit Reflektionen und anderen räumlichen Effekten sehr sparsam waren. Mittlerweile gibt es das Spiel übrigens im Doppelpack mit dem kostenlos beigelegten Vorgänger, dessen Laborversuche eine ganze Ecke simpler und holpriger wirken.

Fazit

Esper 2 gehört wie Portal oder Antichamber zu den Titeln, die mich deutlich intensiver in ihre Welt gezogen haben als ein einfaches Knobelspiel. Obwohl ich im Prinzip nur mit überschaubaren Telekinese-Puzzles konfrontiert wurde, fühlte ich mich dank der gelungenen Story-Einbettung wie auf einem kleinen Abenteuer rund um die Welt. Auch spielerisch können die Experimente überzeugen: Mit der einfach gehaltenen Kopfsteuerung lassen sich die Teile meist präzise durch die Labyrinthe transportieren – nur manchmal pfuschen die Physik-Engine oder ein kleiner Bug dazwischen. Schade, dass der exklusive Oculus-Titel noch nicht auf die geplanten Bewegungs-Controller zurückgreifen kann. Bewegungsintensive Roomscale-Knobler wie Carpe Lucem oder Final Approach fühlen sich daher noch eine Ecke frischer an als Esper 2, bei dem man nur den Kopf bewegt und auf den Controller drückt. Trotzdem steckt in dem Spiel ein dramaturgisch liebevoll umgesetztes Knobel-Highlight für Oculus Rift.

Pro

schön kombinierte Rätsel mit allerlei Röhren, Barrieren und Ventilatoren
präzise Telekinese-Steuerung per Kopf-Tracking
fantasievoll designte, abwechslungsreiche Schauplätze
coole Story-Einbettung mit Verschwörungen und viel trockenem Humor
sehr komfortabel

Kontra

seltene Bugs, Abstürze und Macken der Physik-Engine
Kulissen wirken aus der Nähe hässlich stumpf und klobig

Wertung

VirtualReality

Unterhaltsam kombinierte Telekinese-Puzzles für VR mit gelungener Story-Einbettung

OculusRift

Unterhaltsam kombinierte Telekinese-Puzzles für VR mit gelungener Story-Einbettung

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.