Im Test: Das Zimmer wird zum Puzzlespiel
Liebe auf den zweiten Blick
Beim ersten Blick in den Steam-Store ließ mich Carpe Lucem noch kalt: Hm, Lichtstrahlen umlenken, das kenne ich doch schon zur Genüge aus Titeln wie Prism oder Lit. Als ich mich durch den Wust anderer Vive-Titel gewühlt hatte, probierte ich das Lichtpuzzle schließlich doch noch aus – und war angenehm überrascht. Klar, auch hier werden nur Lichtstrahlen mit Spiegeln umgelenkt, mit Trenner-Modulen geteilt oder mehrere Farbtöne vermischt, damit sich rote, gelbe und andersfarbige Sensoren aktivieren lassen. Doch schon nach wenigen Sekunden bemerkte ich, wie viel mehr Spaß das Prinzip macht, wenn ich eigenhändig in einem großen Raum an den dreidimensionalen Rätseln herumbasteln kann. Eine wichtige Rolle spielt dabei das präzise Tracking der Vive-Controller - selbst wenn ich mir einen winzigen Spiegel schnappe, um den Lichtstrahl mehrere Meter weit zu einem Sensor in die andere Ecke zu lenken. Ich kann das reflektierende Glasquadrat derart exakt ausrichten, dass der Strahl zentimetergenau am Ziel landet. Beeindruckend!
Sämtliche Werkzeuge sind toll auf die 3D-Rätsel abgestimmt. Die kleinen Laserpointer z.B. lassen sich wie Kerzen an anderen Strahlen „anzünden“: Danach strömt das Licht in der gleichen Farbe aus ihrer Spitze. Da die Werkzeuge frei in der Luft schweben, platziere ich die kleine Lichtquelle so im Raum, dass sie gleich beide roten Blüten trifft. Sie öffnen sich und ein Teil des Rätsels ist gelöst. Jetzt müssen noch zwei violette Blumen zum Erblühen gebracht werden, also kommt ein Farbmischer zum Einsatz. Mit einem Trennmodul leite ich einen Teil eines blauen Strahles zum roten, platziere am Schnittpunkt einen Farbmischer, aus dem schließlich violettes Licht strömt - ich muss es nur noch zur violetten Blume ausrichten.
Einfach mal einen Schritt zurücktreten
Später müssen auch schwarze Löcher umgangen und Barrieren geöffnet werden. Außerdem kommen weitere Gadgets hinzu, die den Weg des Lichtes auf interessante Weise ablenken. Für etwas Auflockerung sorgt der Anfang vieler Levels: Oft muss ich die benötigten Werkzeuge erst einmal mit den passenden Laserstrahlen aus einem farbigen Schild befreien, bevor ich mich der eigentlichen Aufgabe zuwende.
Der sphärische Soundtrack mit sanften Flächen und Flötenklängen sorgt dabei fast schon für meditative Entspannung. Auch das Design wurde ideal auf ruhiges VR-Knobeln abgestimmt. Am nächtlichen Himmel funkeln die Sterne, im Hintergrund wiegen exotische Pflanzen im Wind und manchmal huscht eine geisterhafte transparente Schlange oder ein Adler durch die Kulisse. All das drängt sich aber nicht auf, sondern ist in gedämpften Comic-Farben gehalten. Selbst Denkblockaden können mich nicht aus der Ruhe bringen. Hier kann ich schließlich im wahrsten Sinne des Wortes einen Schritt zurücktreten und das Puzzle aus einigen Metern Entfernung betrachten, um mir von außen eine neue Perspektive zu verschaffen. Manchmal helfen auch ausladende Bewegungen weiter. Wenn ich in die Knie gehe, kann ich einen der Strahlen z.B. unter einem schwarzen Loch entlang leiten. Angenehm ist auch die stets flüssige und technisch saubere Umsetzung der Welt – zumindest auf unserem System mit einer GeForce GTX 980. Zu Fehlern kam es lediglich, wenn das Tracking kurzzeitig abbrach, was bei unserer HTC Vive aber grundsätzlich ab und zu auftritt.
Licht und Schatten
Nicht besonders sauber umgesetzt ist dagegen das kreisförmige Pausenmenü. Klickt nicht zu weit am Rand auf das Touchpad, sonst reagiert der Cursor nicht. Eine andere Schattenseite ist – wie so oft bei Vive-Titeln – der knappe Umfang und das minimalistische Drumherum. Es gibt nur mickrige 27 Rätsel, keine Alternativ-Modi und keinerlei Rahmenhandlung. Ähnlich wie in Fantastic Contraption sind sämtliche Levels von Beginn an frei verfügbar. Warum verzichtet auch Entwickler Hammer Labs auf das Sammeln von Sternen oder ähnlich motivierende Mechaniken? Wenn sich mehrere Levels parallel freischalten ließen, würde man schließlich auch keine VR-Neulinge überfordern. Der Level-Editor wirkt im momentanen Beta-Stadium ebenfalls noch etwas umständlich. Die finale Version soll allerdings nachgereicht werden, mit einsteigerfreundlicher Bedienung und Level-Tausch im Netz. Das Potenzial des Editors wird aber bereits deutlich: Das freie Platzieren und Verschieben im Raum sorgt schon jetzt für ein mächtiges Gefühl.
Fazit
Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet Knobelspiele faszinieren mich auf der HTC Vive momentan am stärksten. Und Carpe Lucem ist der Titel, welcher die Möglichkeiten der Roomscale bisher am saubersten nutzt. Hier versteht jeder auf Anhieb, was zu tun ist und hantiert millimetergenau mit Laserpointern, Spiegeln, Lichtweichen und Farbmischern herum. Einfach mit Hilfe des Triggers nach einem Objekt greifen, es an der richtigen Stelle ausrichten - und schon durchschneidet ein selbstgebautes Gitter aus Lasern die Luft. Alles geht so selbstverständlich von der Hand als hätte man nie etwas anderes gemacht. Anders als in Fantastic Contraption gibt es schließlich keine komplexen Experimente mit der Physik-Engine, die auch mal schief gehen können. Im Gegenzug fallen die Lösungswege natürlich weitaus konservativer aus. Die Entwickler haben sich aber trotzdem schöne Werkzeuge ausgedacht, die das Knobeln in der idyllisch gestalteten Welt zu einer motivierenden und entspannenden Angelegenheit machen. Für einen starken Dämpfer sorgt allerdings wieder mal der Vive-typische Minimalismus: Es gibt nur mickrige 27 Levels, keine Alternativmodi und keine Story. Zudem sind sämtliche Levels von Beginn an frei verfügbar – nicht gerade motivationsfördernd. Wer das in Kauf nimmt, bekommt mit Carpe Lucem trotzdem eine faszinierend räumliche und beinahe schon meditative Knobelerfahrung.
Pro
Kontra
Wertung
VirtualReality
Faszinierend räumliche Licht-Puzzles, welche das Roomscale-Prinzip ideal ausnutzen.
HTCVive
Faszinierend räumliche Licht-Puzzles, welche das Roomscale-Prinzip ideal ausnutzen.
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