Unravel 218.06.2018, Mathias Oertel
Unravel 2

Im Test: Abgekühlte Freundschaft

2015 war das Abenteuer einer liebevoll animierten Figur aus Strickwolle die große Überraschung der E3-Pressekonferenz von Electronic Arts. Sein Name: Unravel. Dass Entwickler Coldwood Interactive still und heimlich an einer Fortsetzung arbeitete, ist nicht einmal überraschend. Doch dass der Titel parallel zur Vorstellung veröffentlicht wird, ist eher selten. Ob die Fortsetzung des Rätsel-Plattformers gelungen ist, verraten wir im Test.

Gemeinsames Abenteuer

War der erste Ausflug von Strickmännchen "Yarny" nach Aussage von Creative Director Martin Sahlin ein Puzzle-Adventure, das erzählerisch von autobiografischen Elementen geprägt war, dreht sich in Unravel 2 (ab 19,98€ bei kaufen) alles um Freundschaft. Und das spiegelt sich auch spielerisch wider. Nachdem Yarny in der Anfangssequenz in einem schweren Sturm aus einem Boot herausgeschleudert wird und sein Faden reißt, wird er ans Ufer gespült. Dort trifft er ein anderes Wollmännchen, das ebenfalls verloren scheint. Die beiden knüpfen ihre Fäden zusammen und müssen die vor ihnen liegenden Gefahren gemeinsam bewältigen. Dementsprechend wurden auch die Umgebungspuzzles auf kooperatives Spiel ausgelegt.

Man ist in Unravel 2 immer zu zweit unterwegs. Das passt perfekt zum Freundschafts-Thema und sorgt spielerisch für einen gelungenen Koop-Modus.
Im Gegensatz zu A Way Out ist es aber keine Pflicht, einen zweiten Spieler auf dem Sofa neben sich zu haben. In Unravel 2 kann man auch als Solospieler die sieben Abschnitte erleben, die unter dem Strich etwa zweieinhalb bis vier Stunden Zeit veranschlagen dürften – in diesem Fall schaltet man einfach zwischen den Figuren um und kann sie sogar miteinander "verknüpfen", damit man schnell vorwärts kommt und nicht permanent hin und her wechseln muss, nachdem man ein paar Schritte gemacht hat. Doch mehr Spaß macht es natürlich mit einem menschlichen Mitspieler. Nicht nur, weil man dann gemeinsam über die Bildsprache diskutiert und versucht, die Bedeutung der häufig verschwommenen Ereignisse in der "menschlichen" Welt zu erfassen, die abseits des Freundschaftsthemas viel Interpretationsspielraum zulassen.  

Kooperativer Puzzlespaß

Nach der Story kann man sich an 20 Herausforderungen versuchen.
Sondern vor allem, weil man gemeinsam überlegen kann, wie man mit die clever eingesetzten sowie simplen, zumeist auf aus dem Vorgänger bekannten Elemente effektiv einsetzen kann, um die Puzzles zu lösen. So kann man weiterhin die Umgebung manipulieren, indem man seinen Faden an vorgesehenen Punkten anbindet und schließlich z.B. per Schwerkraft oder durch Ziehen Schalter betätigt, Äste aus dem Weg räumt usw. Und man darf auch weiterhin an bestimmten, ebenfalls durch Bindfaden markierten Punkten eine Art Trampolin aufbauen, um höher springen zu können oder Gegenstände darüber zu schieben. Neu ist, dass man sich nicht nur von bestimmten Fixpunkten abseilen darf, sondern auch den Partner quasi als Ankerpunkt verwenden kann. Der Kumpel kann übrigens auch bewegliche Gegenstände in Positionen halten oder mit einem darauf bewegen, so dass man die gut platzierten Hindernisse überwinden kann.

Sprungsequenzen, die in den letzten Abschnitten mitunter sehr gutes Timing erfordern, dabei gelegentlich hart an der Frustgrenze entlang schrammen oder Passagen, in denen man abwechselnd schwingen muss, sorgen für zusätzliche Anforderung. Vor allem auch, wenn man gleichzeitig die wenigen, aber dafür sehr gefährlichen Gegner entweder mit einer Figur ablenken oder komplett umgehen muss. Möchte man die 20 Herausforderungen bewältigen, die ihren Namen wirklich verdienen oder sämtliche Leuchtkugeln finden, mit denen man Gemälde freischaltet, die der offenen Erzählung weitere Facetten hinzufügen, ist im Fall des Koop-Spiels nicht nur eine gute Kommunikation, sondern auch Hand-Auge-Koordination gefragt. Die Fähigkeit, auch mal um die Ecke denken zu können, da die Lösung selten so offensichtlich ist wie in den sieben Story-Kapiteln, wird hier ebenfalls häufig abgefragt. Als Belohnung erhält man hier übrigens neue Garn-Figuren, deren Farben und Formen man für sein Duo frei kombinieren kann.

Emotionale Kälte

Das Rätseldesign wurde auf die zwei Figuren und die erforderliche Zusammenarbeit abgestimmt.
Obwohl das Thema Freundschaft definitiv interessant ist und hier von der Überschneidung von Ereignissen der Wollfiguren sowie den recht dramatischen Geschehnissen in der Welt der Menschen profitiert, konnte mich Unravel 2 erzählerisch nicht abholen. Selbst der Kniff mit der Personalisierung der Spielfiguren hat nicht geholfen, mich emotional mit den Protagonisten zu verbinden. Hat Yarni im Vorgänger mit dem ganzen Leid, das ihm teilweise auch von mir als Spieler zugefügt wurde, dafür gesorgt, dass er nicht nur niedlich wirkte, sondern einen gewissen Schutzinstinkt aktivierte, finde ich hier keinen Zugang. Vielleicht, weil ich mich so fühle, dass ich (im Zweifel mit meinem Kumpel) nur noch da bin, um die beiden Freunde mit leicht schützender Hand zu begleiten als sich wirklich für sie verantwortlich zu fühlen. Sprich: Für mich hat sich Yarny sehr subtil von einem "Anknüpfungspunkt" zu "nur" einem weiteren Jump&Run-Helden entwickelt, von denen es mit Lucky, Yooka, Laylee oder Mario schon genügend gibt. Dass mir trotz zahlreicher Andeutungen, die vollkommen gereicht hätten, am Ende eine Toleranz- bzw. Inklusions-Botschaft auf die Netzhaut gehämmert wird, habe ich zusätzlich als störend empfunden.

Auch wenn die Kamera häufig dicht an die Figuren heranrückt, wird eine emotionale Distanz gewahrt.
Wollte ich im Vorgänger in einigen Situationen am liebsten in den Bildschirm greifen und das putzige Wollmännchen aus seiner gefährlichen Umgebung reißen, bin ich bei Unravel 2 "nur" noch Spieler. Aber als solcher weiß ich natürlich weiterhin die sehr ansehnliche Kulisse mit ihren fotorealistischen Elementen zu schätzen. Und ich freue mich sowohl über die akkurate Kollisionsabfrage als auch die sehr direkte Steuerung, die alle Aktionen am Pad sauber umsetzt. Das nimmt mir zwar die Entschuldigung beim Scheitern, das zweifelsfrei bei mir liegt. Doch da die Kontrollpunkte nicht nur automatisch, sondern auch gut gesetzt werden, gibt es keinen Grund, Frust aufzubauen.

Fazit

Nachdem das erste Abenteuer von Yarny mit seiner subtilen emotionalen Inszenierung, cleveren Umgebungsrätseln sowie einer akkuraten Steuerung punkten konnte, verpasst es Unravel 2, das Konzept auf die nächste Stufe zu setzen. Zwar darf man jetzt auch kooperativ versuchen, sowohl die Sprungpassagen als auch die weiterhin intelligenten Puzzles zu lösen. Doch wer den Vorgänger kennt, wird nur selten vor Probleme gestellt, da sich die Rätselstellung nur geringfügig und im Hinblick auf Zusammenarbeit geändert hat. Dies wird allerdings durch die 20 abwechslungsreichen Herausforderungen aufgefangen, die nicht nur Kommunikation und Hand-/Auge-Koordination, sondern auch ein gewisses Um-die-Ecke-denken fordern. Dass das Wollmännchen-Abenteuer für mich nicht so zündet wie der Vorgänger, liegt aber auch an der Geschichte, die mich mit ihrem Freundschaftsthema emotional nicht so abholt wie vor drei Jahren. Hat Unravel einen ganz nah mit Yarny zusammengebracht und verbunden, wird hier eine Distanz gewahrt, die genau diese Verbindung verhindert. Was bleibt, ist aber dennoch ein interessanter Puzzle-Plattformer mit optionaler Koop-Mechanik vor einer sehr stimmungsvollen Kulisse.

Pro

sehr stimmungsvolle Kulisse
akkurate Steuerung, punktgenaue Kollisionsabfrage
20 Herausforderungen
clevere Umgebungsrätsel
vorzugsweise kooperativ zu spielen, aber auch solo möglich
Figuren können angepasst werden

Kontra

eher schwache emotionale Anbindung
hinsichtlich des Rätseldesign keine wesentlichen Fortschritte
gelegentliche Spitzen innerhalb eines ansonsten moderaten Schwierigkeitsgrades

Wertung

PC

Routiniert inszenierter Puzzle-Hüpfer, der komplett kooperativ gespielt werden kann, der aber emotional nicht die Intensität des Vorgängers erreicht.

XboxOne

Routiniert inszenierter Puzzle-Hüpfer, der komplett kooperativ gespielt werden kann, der aber emotional nicht die Intensität des Vorgängers erreicht.

PlayStation4

Routiniert inszenierter Puzzle-Hüpfer, der komplett kooperativ gespielt werden kann, der aber emotional nicht die Intensität des Vorgängers erreicht.

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