Tethered28.10.2016, Alice Wilczynski
Tethered

Im Test: Göttersimulation in der virtuellen Welt

Während Peter Molyneux 1989 mit Populous den Grundstein für die Göttersimulation legte, ist es in den letzten Jahren leider sehr ruhig um das Spielprinzip geworden. Immerhin können Spieler mit Reus nun auch auf Konsolen Zivilisationen durch Manipulation der Umgebung kontrollieren. Die britischen Entwickler von Secret Sorcery wagen mit Tethered ebenfalls den Versuch, dem Genre auf PlayStation VR erneut Leben einzuhauchen. Ob das Organisieren von Ressourcen und putzigen Wesen auch in der virtuellen Realität unterhält, lest ihr im Test.

Mittendrin statt nur dabei

Umringt von Wolken und Sonnenschein befinde ich mich inmitten einer idyllischen Insel. Wenn ich das schreibe, meine ich das auch so. Dank der VR-Brille steht direkt vor meiner Nase ein plätschernder Wasserfall. Ich kann von Wolke zu Wolke springen, um die Spielwelt von allen Seiten zu betrachten. Und noch nie sahen grünes Gras und bunte Blumen so frisch und farbenfroh aus, wie in der virtuellen Welt. Plötzlich saust ein Ei vom Himmel und mein Arbeitstag als Herrscher der Insel beginnt. Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Man erschafft möglichst viele

Durch die VR-Brille befindet man sich inmitten des Geschehens.
Inselbewohner und lässt sie arbeiten, um die vorgegeben Anzahl an Punkten zu erwirtschaften. Im Detail zeigen sich allerdings einige unterhaltsame Faktoren.

Brüten, Sammeln, Punkten

Gesteuert werden alle Vorgänge in Tethered, indem man in die gewünschte Richtung blickt. Ein See soll eingefroren werden? Blick auf die Schnee-Wolke, mit der X-Taste bestätigen, ein Blick auf den See und erneut bestätigen. Schon bewegt sich die Wolke und ermöglicht durch das Einfrieren des Sees neue Routen für die Inselbewohner. Das Tracking ist gut und ich konnte das Spiel auch für längere Zeit ohne Übelkeitsgefühl spielen. Die Gremlin-artigen Wesen namens Peeps haben keinerlei eigenen Antrieb, sind jedoch für alles in der Spielwelt verantwortlich. Nachdem mein erster Inselbewohner geschlüpft ist, lasse ich ihn das von Wurzeln überwucherte Zentrum der Spielwelt öffnen. Dort befindet sich ein leuchtender Totempfahl und vier Speicher für die essentiellen Rohstoffe Nahrung, Stein, Metall und Holz. Zunächst sollte man sich schleunigst um die Beschaffung von Nahrung kümmern, da die Bewohner sehr schnell hungrig werden. Teilt man einem Wesen zu lange keine Arbeit zu, verzweifelt es und stürzt sich laut schreiend von der Klippe.  Blick auf den Peep, Blick auf ein paar Pilze und schon ist der emsige Arbeiter durch eine blaue Linie mit dem Objekt der Begierde verbunden.

Diese optische

Die Peeps sind zwar niedlich, müssen aber rund um die Uhr mit Aufträgen versorgt werden.
Kennzeichnung ist sehr praktisch, da es im Spielverlauf sehr bald nur so von Peeps wimmelt und sehr viele Arbeitsaufträge parallel ablaufen. Zu tun gibt es jede Menge. Gerade zu Beginn macht es tierischen Spaß alle Möglichkeiten zu entdecken und zu bestaunen wie alles in der virtuellen Realität zum Leben erwacht. Schnell stellt sich auch ein gewisser Suchtfaktor ein. Mit jeder neuen Insel will man besser, schneller, effizienter werden. Nach und nach erscheinen Artefakte in Form von Büchern in der Spielwelt, die den Bau von wichtigen Gebäuden ermöglichen, die wiederum mit den richtigen Ressourcen weiter spezialisiert werden können. Sehr schade ist allerdings, dass man nicht selbst entscheiden kann, wann beispielsweise die Taverne, ein Acker, oder der Wachturm erscheinen. Zwar werden die Gebäude in jedem Level in unterschiedlicher Reihenfolge freigeschaltet, viel strategischer Freiraum bleibt jedoch nicht. Besonders nervig ist, dass man nicht bestimmen kann, wo ein Gebäude entsteht. Manchmal konnte ich einen Tempel, der Holz-Ressourcen als Antrieb nutzt, nur auf der komplett anderen Seite des Waldes bauen. So wurden meine Arbeiter gezwungen, jedes Mal extrem lange Wege auf sich zu nehmen, da jede Ressource einzeln zum Ziel getragen wird. Zu gerne hätte ich außerdem probiert, mich vorrangig als Bauer mit zahlreichen Feldern oder als Kriegsherr mit strategisch platzierten Wachtürmen und Kasernen durchzuschlagen. So muss man sich jedoch zu sehr an die vorgegeben Abläufe des Spiels halten, was auf Dauer den Spaß mindert.

Stimmungsvolles VR-Gewusel

Neben dem Abbau von Ressourcen ist das strategische Platzieren von Gebäuden wichtig.
Nach einiger Zeit schlängeln sich etliche blaue Linien über die schwebende Insel. Während der eine Kürbisse erntet, schuftet der andere in der Mine. Werden Peeps zu Kämpfern oder Minenarbeitern befördert, beten sie zunächst vor dem Totempfahl, um sich dann riesig über ihren neuen Wikingerhelm oder ihre Kerze auf dem Kopf zu freuen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese recht simplen Vorgänge auf dem PC schrecklich langweilig wären. In der virtuellen Realität fühlt man sich allerdings tatsächlich für seine Wesen verantwortlich. Beim Spielen habe ich mich sogar manchmal dabei erwischt, wie schnell man zum fiesen Grobian wird: „Was?! Hier wird nicht gefaulenzt. Los geh gefälligst Holz abbauen!“. Hinzu kommt, dass alles aussieht wie ein sehr agiles Diorama. Jede Aktion bringt blaue Kugeln namens  „Spirit Energy“, die mit der Viereck-Taste eingesaugt werden müssen, um die Balance der Insel wieder herzustellen und die verrotteten Teile der Spielwelt  wieder in saftigem Grün erstrahlen zu lassen. Hat man ein Level nach etwa 30 bis 50 Minuten beendet, wird bewertet, wie gut man sich um sein Volk gekümmert hat, wie schnell man war, oder wie akkurat man Spirit Energy eingesaugt hat. Anhand einer Highscore-Liste kann man seine Bewertung dann mit anderen Spielern vergleichen. Ich persönlich fand es jedoch nicht motivierend, einen Level erneut zu spielen, um meine Zeit zu verbessern. Da es keine Möglichkeit gibt, die Vorgänge zu beschleunigen und sie sich irgendwann nur noch wiederholen, ist man meist froh, den Totempfahl endlich mit der benötigten Anzahl von blauen Kugeln befüllt zu haben.

Das Spiel mit dem Wetter

Neben dem klassischen Ressourcen-Management spielt auch das Wetter eine wichtige Rolle. Der Tag- und Nachtwechsel wird sehr atmosphärisch dargestellt, wenn sich der Himmel zur Nacht langsam rosa färbt, oder am Morgen die ersten Sonnenstrahlen erscheinen. Auch der tolle Soundtrack von Kenny Young, bekannt für die Musik von Tearaway und Little Big Planet, unterstützt dieses Naturschauspiel.

Auch die Wetterwolken müssen strategisch miteinander kombiniert werden, um Vorteile zu erhalten.
Es gibt vier verschiedene Wolken, die nur für eine bestimmte Zeit vorhanden sind. Will man z.B. Kürbisse auf einem Feld anbauen, muss man dieses zunächst mit Sonnenlicht bestrahlen. Entscheidet man sich für diese Aktion, steht die Sonne erst nach einiger Wartezeit zur Verfügung und kann nicht für andere Aktionen genutzt werden. So ist es beispielsweise möglich, die Sonne mit einer Regenwolke zu kombinieren um einen Regenbogen zu erschaffen, der verzweifelte Peeps wieder glücklich stimmt. Auch hier muss man strategisch vorgehen und wichtige Entscheidungen treffen. Möchte man möglichst viele Peeps  glücklich stimmen, um ihr Überleben zu sichern, oder sich eher auf den Abbau bestimmter Ressourcen konzentrieren, um Spirit Energy zu erhalten? Oft kommt es zu verzwickten Situationen, denn unglückliche Peeps sind suizidgefährdet. Gleichzeitig möchte man möglichst schnell an Spirit Energy kommen, um das Spiel zu gewinnen. Dies schafft man jedoch nur, wenn genügend Peeps vorhanden sind. Mit der Zeit lernt man jedoch, welche Aktionen essentiell sind, so dass strategische Ablaufe spätestens ab Level vier in eher anspruchslose Routinen abdriften.

Nachts kommen die Killerwürmer

Besonders wichtig ist die Kombination aus Regen und Wind, die eine Sturmwolke erschafft. Mit dieser können Feinde mit einem Blitzschlag ausgelöscht werden. Denn nachts wird die Spielwelt von stacheligen Würmern, den Grubs, heimgesucht, die Ressourcen wegfressen

Nachts wird die Spielwelt von verfressenen Würmern heimgesucht.
und Inselbewohner angreifen. Gerade in den späteren der insgesamt dreizehn Level muss man häufig von Wolke zu Wolke springen, um einen Überblick zu bekommen, von welcher Seite die zahlreichen Grubs auf die Insel kriechen. Hat man im Vorfeld keine Peeps zu Kämpfern ausgebildet, ist die Gefahr relativ groß, dass sie beim Kampf draufgehen. Ein Kampfsystem ist nicht vorhanden, es gibt nur den Befehl „Töte den Wurm!“.

Ärgerlich ist hier, dass man kämpfende Bewohner nicht stoppen kann, wenn sich ihre Lebenspunkte dem Ende zuneigen. Während die Steuerung im Spielverlauf sehr gut funktioniert und alle Vorgänge stets flüssig ablaufen, zeigen sich im Kampfgewusel nervige Schwächen. Stehen mehrere Bewohner und Feinde an einem Ort, ist es sehr fummelig Befehle zu verteilen, da die Wesen  nicht richtig anvisiert werden können. Was dazu führen kann, dass jemand nur wegen der fehlerhaften Steuerung stirbt.

An der Frusttoleranz kratzt manchmal auch das absolut dämliche Verhalten der Peeps. Obwohl Feinde mit mehreren Wesen angegriffen werden können, kommt nie ein Bewohner von alleine auf die Idee,  seinem sterbenden Kollegen mit der Keule auszuhelfen - selbst wenn er direkt daneben steht.  Auch beim Ressourcen-Abbau kommt Frust auf:  Ein Peep, dem ich fünf Mal aufgetragen habe Holz zu sammeln, kommt niemals auf die Idee damit weiter zu machen, sondern steht dumm in der Gegend rum und bringt sich im schlimmsten Fall auch noch beleidigt um, weil er nichts zu tun hat. Einerseits macht der Druck Spaß, stets ein Auge auf seine Bewohner haben zu müssen. Andererseits wäre es oft sehr viel angenehmer, gewisse Aufträge automatisch ablaufen lassen zu können.

Kein Spiel für lange VR-Nächte

Zu schnell werden spannende Aktionen zu langwierigen Routinen.
Nach der ersten Faszination wurde meine Motivation, mich in weitere Level zu stürzen, leider sehr gering. Dies liegt vor allem daran, dass sich nur die optische Gestaltung der Spielwelt ändert. Alles andere bleibt gleich. Es gibt zwar immer größere Areale, die das Micro-Management um einiges kniffliger und hektischer machen. Gleichzeitig muss man aber auch immer mehr Spirit Energy sammeln, um ein Level abzuschließen. Das heißt erneut die immer gleichen Ressourcen und Gebäude bauen. Alle Abläufe, die man irgendwann routiniert beherrscht, abspulen und warten und warten und warten. Wirklich nervig ist die fehlende Speicherfunktion innerhalb eines Abschnitts. Selbst wenn man irgendwann müde wird, oder unter der Brille anfängt zu schwitzen, muss man die Partie durchziehen, sonst ist jeder Fortschritt dahin.

Der Reiz des Spielens in der virtuellen Realität besteht vor allem aus dem Bestaunen der hübschen Kulisse und den Vorgängen. Kennt man diese jedoch aus dem Effeff, langweilt man sich auch auf der VR-Insel irgendwann. Ich habe fest damit gerechnet, dass die Level sich verändern, je weiter ich komme. Leider ist dies nicht der Fall.

Fazit

Tethered ist eine äußerst putzige, aber auch relativ simple Göttersimulation. Während das Bestaunen der Spielwelt vor allem zu Beginn in der virtuellen Realität zu beeindrucken weiß, mindern die eingeschränkten strategischen Möglichkeiten irgendwann den Spielspaß. Die 13 Level unterscheiden sich leider nur von ihrer geographischen Anordnung. Es gibt keine frischen Aufträge, Ressourcen, oder Herausforderungen. Wer buntes Gewusel mit putzigen Wesen und simplem Micro-Managment in VR ausprobieren würde, ist bei Tethered gut aufgehoben. Strategiefans werden nur sehr selten gefordert und dürften die umfangreichen Möglichkeiten eines Populous oder Black & White vermissen.

Pro

tolles Mittendrin-Gefühl durch das VR-Headset...
Micro-Managment der Bewohner, Ressourcen und Gebäude weiß zunächst zu begeistern...
atmosphärische Level mit unterschiedlicher Größe und Design
strategisches Spiel mit dem Wetter

Kontra

...das durch das immer gleiche Spielprinzip irgendwann an Faszination verliert
...wird dann allerdings zur langweiligen Routine
keine Speicherfunktion
Inselbewohner sind im Kampf schwer anzuvisieren und müssen stets Aufträge erhalten, um zu agieren

Wertung

PlayStationVR

Putzige Göttersimulation in virtueller Welt, der es leider an strategischer Tiefe und Langzeitmotivation fehlt.

VirtualReality

Putzige Göttersimulation in virtueller Welt, der es leider an strategischer Tiefe und Langzeitmotivation fehlt.

PlayStation4

Putzige Göttersimulation in virtueller Welt, der es leider an strategischer Tiefe und Langzeitmotivation fehlt.

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