Wilson's Heart05.05.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: Herzlos

Schon bei seiner Veröffentlichung ist Wilson’s Heart eigentlich veraltet – und damit meine ich nicht die schwarz-weißen Kulissen des Krankenhauses, in dem Robert Wilson anno 1940 aufwacht. Überholt ist vielmehr das Bewegungsmodell, genauer gesagt die Tatsache, dass man dauerhaft am Platz steht. Ist der Horrortrip trotzdem eine Reise wert? Für unseren Test sind wir mit Oculus Rift und Touch auf Zeitreise gegangen.

Wilson greift ein

Warum Wilson stehend gefesselt aufwacht, weiß man erst nicht. Er war auf eine Operation vorbereitet, durchgeführt wurde sie aber noch nicht. Das jedenfalls denkt der Patient und befreit sich von seinen Fesseln, in dem er kleine Bolzen aus den Gurten an seinen Unterarmen zieht. Die Mauer des großen Saals ist zum Teil zerstört, Betten und Boden sind mit Blut verschmiert, Klemmbretter erklären die Steuerung, wenn man einzelne Seiten von unten nach oben blättert – cool!

In einer Art Badezimmer ziehe ich Wilson zwei Saugnäpfe von den Schläfen, später öffne ich schwere Türen nur, indem ich beide Hände benutze und es wird sogar Bösewichte geben, gegen die ich mich mit beiden Fäusten wehre: Obwohl manche Aktionen, wie das Schließen einer gerade geöffneten Truhe, nicht vorgesehen sind, überträgt Twisted Pixel das buchstäbliche Eingreifen mit Oculus Touch ganz hervorragend in die Virtual Reality. Ein Umriss zeigt mir

Was in dem verwüsteten Krankenhaus passiert ist, weiß Wilson anfangs nicht. Der VR-Grusel profitiert dabei von durchdachten Interaktionsmöglichkeiten.
dabei stets an, wo sich meine realen Hände befinden, falls sie von den gelegentlich vorgefertigten Animationen abweichen. So kann ich meine Bewegungen den im Spiel dargestellten Interaktionen anpassen, was das gedankliche Abtauchen in die virtuelle Welt erleichtert.

Alt, aber gut

Gleich zu Beginn gelingt den Entwicklern (Splosion Man, LocoCycle) dabei hervorragendes Gruselkino, das mit subtiler Musik, leisen Geräuschen und clever platzierten Schreckmomenten eine dicke Gänsehaut erzeugt. Ich will keinen dieser gelungenen Augenblicke vorwegnehmen, doch der Horror ist vor allem deshalb gut, weil er mit der Erwartungshaltung spielt, anstatt vorhersehbare Schrecksekunden zu drapieren.

Dabei stört es nicht einmal, dass man Wilson nur von einer festen Position zur nächsten teleportiert. Zum einen sieht man den entsprechenden Markierungen nämlich an, in welche Richtung er dann blicken wird, was die Orientierung stark erleichtert. Zum anderen befinden sich alle Positionen an logischen Wegpunkten, so dass Wilsons „Bewegung“ glaubhaft wirkt. Es gibt längst überlegene Alternativen zu diesem VR-Beamen – es funktioniert hier aber ganz ausgezeichnet.

Zu schnell werden die Kreaturen der Finsternis allerdings zu zahnlosen Bösewichten, die sich noch dazu spielend leicht besiegen lassen.

Karikatur statt Fratze

Trotzdem kann Twisted Pixel die große anfängliche Spannung nicht halten. Im Gegenteil: Sie flacht erstaunlich stark ab. Warum? Es liegt vor allem an den Gefahren, die irgendwann keine geheimnisvollen Stimmen und Fratzen mehr sind, sondern erschreckend harmlos wirkende Karikaturen.

Die Wesen lauern ja schon bald nicht mehr im geheimnisvollen Dunkeln, sondern greifen Wilson einfach an. Man steht den Kreaturen dann meist in sicherer Entfernung gegenüber, während die ihre immer gleichen Angriffsschleifen ständig wiederholen. Zu allem Überfluss erfordert es fast kein Geschick, in großen Zeitfenstern die einzig möglichen wirkungsvollen Aktionen auszuführen – trotzdem dauern die Kämpfe doppelt und dreimal so lange wie sie sollten.

Immerhin blockt man ankommende Angriffe mit beiden Händen ab, teilt Fausthiebe aus, wirft Geschosse auf die Kreaturen und gelegentlich greift eine Kreatur tatsächlich unverhofft an oder taucht dort auf, wo man sie nicht vermutet. Das sind gelungene Höhepunkte – ab dem zweiten Drittel aber leider Ausnahmen.

In der Ruhe liegt die Kraft… und große Langeweile

Dass die Spannung nachlässt, liegt auch daran, dass in ruhigen Szenen keinerlei Gefahr herrscht. Was im Schatten lauert, lauert so lange im Schatten, bis Wilson das entsprechende Rätsel gelöst hat. Es schleichen keine Kreaturen durch die Gänge des Sanatoriums, die er vielleicht unbehelligt vorbeilassen muss, und selbst auf die Stilmittel, mit denen Twisted Pixel in den ersten Minuten so zielsicher das Gefühl einer ständigen Bedrohung hervorruft, verzichten die Spielemacher später zum größten Teil.

Dabei demonstrieren sie selbst, welche Dynamik in einem Spiel mit starren Positionswechseln liegen kann. Als Wilson an einem Schlüsselbund nämlich den richtigen Schlüssel finden musste, während hinter ihm ein Monster immer näherkam, schoss mein Blutdruck deutlich in die Höhe – eine großartige Szene!

Maschinenmensch

Wilsons wichtigstes Werkzeug ist sein künstliches Herz.

Doch selbst beim Lösen der Rätsel ist das Starre häufiger Teil des Konzepts, als dass es durch überraschende Entwicklungen Schwung erhält. Man wühlt nämlich nicht in Wilsons Taschen, um vielleicht den richtigen Gegenstand zu finden; stattdessen zeigt das Programm immer das zu gebrauchende Objekt an. Wenigstens hier hätte man den Spielern eine größere Freiheit einräumen können.

Ärgerlich ist das besonders bei dem titelgebenden Herzen des Patienten, denn das ist kein gewöhnliches. Vielmehr trägt Wilson ein künstliches Objekt an dessen Stelle, das er herausnehmen kann, um dessen verschiedenen Funktionen zu nutzen. So schaltet es durch einen Impuls elektrische Lampen an, fliegt wie ein Bumerang durch den Raum und arbeitet wie ein großer Magnet.

Man darf den Mechanismus aber nicht jederzeit in die Hand nehmen! Diese Möglichkeit gibt es nur in ganz bestimmten Situationen, die noch dazu so selten sind und meist direkt auf das Entdecken einer neuen Fähigkeit folgen, dass nie die Frage aufkommt, wie man den zentralen Gegenstand des Spiels kreativ verwenden könnte.

Je deutlicher sich die Angreifer zeigen, desto weniger Eindruck schinden sie.

Stehend schlecht

Abschließend noch eine Sache, die die Entwickler vielleicht einfach übersehen haben: Dass man sich nicht einmal in einem Umkreis von wenigstens ein paar Schritten bewegen kann, ohne dass das Bild verschleiert wird, das Programm also ein Verlassen des spielbaren Bereichs anzeigt, ist beim aktuellen Stand der VR-Technologie und ihrer Spiele einfach nicht zeitgemäß.

Das ständige Am-Fleck-Stehen verhindert nicht nur ein höheres Maß an Immersion, es ist spätestens in den zwei, drei längeren Dialogen mit anderen Überlebenden vor allem körperlich so anstrengend, dass ich nur deshalb häufige Pausen einlegen musste.

Fazit

Es ist jammerschade, dass der in seinen ersten Minuten so stimmungsvolle Horror-Thriller letztlich sein Ziel verfehlt! So eindrucksvoll der Ausflug ins Jahr 1940 sowohl erzählerisch als auch spielerisch beginnt, so schnell versackt er in einem spannungsarmen „Herumlaufen, Aufsammeln und Benutzen“, dem gute Rätsel ebenso fehlen wie spannende Kämpfe. Denn selbst die Kreaturen der Finsternis sind keine Herausforderung, weil man stets zum richtigen Zeitpunkt nur die eine richtige Aktion ausführen muss. So ist Wilson’s Heart vor allem eines: die beeindruckende Demonstration dessen, wie gut Horror in VR funktionieren kann – und eine verpasste Chance, die Stärken dieser Demo in einem kompletten Spiel zu entfalten.

Pro

dichte Atmosphäre mit gelungenen Gänsehautmomenten
einfaches, übelkeitsfreies Fortbewegen über feste Positionen
überwiegend überzeugendes physisches Interagieren mit Umgebung

Kontra

kein freies Benutzen von Gegenständen, sondern Einsatz vorgegebener Objekte
anspruchslose und viel zu lange Kämpfe gegen Monster
nahezu keine Dynamik in der Umgebung, Situationen ändern sich nur selten
praktisch kein Bewegen im Raum; dauerhaftes Stehen ist körperlich belastend
kleine Schrift in optionalen Comics und Zeitungen kaum lesbar

Wertung

VirtualReality

Ein oberflächliches Adventure mit langweiligen Kämpfen stört die dichte Atmosphäre - nur in wenigen Szenen erzeugt der Horror-Trip Gänsehaut.

OculusRift

Ein oberflächliches Adventure mit langweiligen Kämpfen stört die dichte Atmosphäre - nur in wenigen, dann aber starken Szenen erzeugt der Horror-Trip Gänsehaut.

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