Mark McMorris Infinite Air04.11.2016, Dieter Schmidt
Mark McMorris Infinite Air

Im Test: Schön anzusehen, schlecht zu fahren

Der Kanadier Mark McMorris zählt neben Shaun White zu den absoluten Größen des Sports. Sein Name auf dem Cover verspricht BigAirs, Halfpipes, Rails und Funparks und beschreitet somit einen ganz anderen Weg als Ubisofts Steep. Leider wird das Spiel dem großen Namen überhaupt nicht gerecht, wie der Test zeigt.

Kontrollverlust an den Sticks

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Steuerung von Infinite Air ist eine Lawine, die das gesamte Spiel in die unteren Wertungsebenen abrutschen lässt. Zwar will man an der genialen Flick-It-Steuerung der skate-Teile anschließen, jedoch schafft man es nicht, hier dem Spieler ein Gefühl der totalen Kontrolle zu geben. Und das wäre so unglaublich wichtig. Entweder man verpasst komplette Obstacles oder fährt diese falsch an. Drückt man nach unten, vollführt der Boarder einen Tailpress statt zu bremsen. Hin und wieder klappt das zwar im Tiefschnee,  aber von einer Geschwindigkeitskontrolle kann nicht gesprochen werden, zumal das Carven ebenfalls kaum Auswirkungen besitzt. Hiermit kontrolliert man eigentlich die Geschwindigkeit in einer Kickerline (aufeinanderfolgende Rampen), damit man eben nicht auf dem gefährlichen Knuckle (Rundung zwischen Table und Landung) oder gar hinter der Schräge auf dem Flat landet. Aber das ist egal. Denn in Infinite Air kann man überall landen. Per Nose- und Tailpress kann man zwar fluffig Jibben (kleine Tricks im Flat), warum aber diese Nebensächlichkeit meine Kontrolle über das Brett vernachlässigt, will mir nicht einleuchten. Und wer in den Bergen unterwegs ist, weiß, dass man im echten Leben mit 70 Sachen keine harten Kurven einleiten, sehr wohl aber in ein paar Metern auf 40 runterbremsen und dann gezielt Dinge anfahren kann. Um es im Jargon der Berge zu formulieren: Ich „nail“ nicht annähernd die Dinge, die man in Infinite Air nach jedem Sprung machen kann, dafür verpasse ich im echten Leben aber keine Anfahrten für Rails und Kicker und besitze ein Gefühl der totalen Brettbeherrschung. Dies geht dem Spiel total flöten.

Luftikus der Lüfte

Zwar sehen die Tricks sehr stylisch und gut aus. Leider ist die Steuerung sehr unglücklich.
Zudem kann man Rotationsbewegungen nur schwer auflösen, indem man wie im echten Leben seinen Körper streckt. Und es ist auch egal, wie die Gewichtsverlagerung und die Stellung des Boards bei der Landung aussieht. Da kann man einen Frontside 540 machen, landet mit dem Gewicht zum Hang auf der Backside-Kante und steht das Ding. Oder anders: Es ist gar nicht möglich, einen Rotationstrick zu versemmeln. Auch die Drehbewegungen von Flips können quasi überhaupt nicht gestoppt werden! Wie soll ich denn im Tiefschnee Spaß haben, wenn ich ohne die Landung zu sehen, einen Frontflip auslöse und nicht den Zeitpunkt bei einem 50 Meter Sprung bestimmen kann, wann die Rotation aufhören soll? Ganz zu schweigen, dass schräge Drehbewegungen wie Rodeos und Corks ebenfalls reine Glückssache sind. Hinzu kommt die völlige Überfrachtung der Steuerung, bei der man jeden Trick komplett ohne Drücken der Aktionsknöpfe starten kann – zumindest in der Theorie. Was für eine Fehlentscheidung! Dass das im Gegensatz zu der skate-Reihe alles sehr willkürlich wirkt, was da in der Luft passiert, ist vorprogrammiert. Zudem hat man ernsthaft die normale Steuerung auch für die Half-Pipe benutzt. Dass man in der Vertikalen andere Mechanismen bräuchte, dürfte jedem einleuchten. Hier schaut der Spieler wortwörtlich in die Halb-Röhre.

Eine Will-Kür

Und das ist relevant, wenn man im Herzstück des Spiels Herausforderungen meistern muss, die entweder an bestimmte Tricks, eine hohe Punktzahl oder den Gewin eines Wettbewerbs gekoppelt sind. Saubere Landungen bringen zwar mehr Punkte, aber auch hier ist es ein reines Glücksspiel, was bei der Landung passiert. Wieso kann man das Drehen nicht durch das Loslassen des Analogsticks effektiv verlangsamen und muss eine Taste für die korrekte Landung drücken? Wer dann zu stark verkantet, mault sich. Und schon würde sich die Willkür in Luft auflösen. Aber nicht alles ist schlecht: Denn auf der anderen Seite hat man beim Absprung durchaus eine stimmige Variante gefunden. Ich muss im richtigen Moment die Drehung auslösen, ansonsten krepiert der 720er und wird zu einem  gähnenden 360er.

Bei den Rails hat man zumindest eine akzeptable Lösung gefunden.
Auch bezüglich der Rails hat man eine Magnetlösung gefunden: Je nach Winkel der Anfahrt, kann ich einen Tailpress oder einen normalen Boardslide auslösen. Dabei klebt das Brett einfach am Obstacle. Aber warum kann ich auch in einem 45 Grad-Winkel anfahren und  schaue mir ungläubig den anschließenden 20-Meter-Slide an? Das ist natürlich der miserablen Steuerung geschuldet, denn ansonsten würde man überhaupt nichts an den Rails reißen. Trotzdem kann sich das Spiel nicht zwischen SSX und skate entscheiden: 200 Metersprünge mit einer 2400-Grad-Drehung sind nämlich überhaupt kein Problem für die Titanknie der Boarder. Ferner kann man in der mit Pop-Up-Bäumen übersäten Schneelandschaft auch mit 100 durch Tannenzweige heizen, ohne dass etwas passiert. Nur den Stamm sollte man meiden. Außerdem kann man ein Rodeo auch nach einem halben Salto erst einleiten  und die Rotation bis zu einem gewissen Grad beliebig variieren. Ebenfalls nervig: Wer stürzt, findet sich oftmals auf einer planen Fläche oder gar einem Anstieg wieder. Der Boarder startet dann exakt an der Stelle des Sturzes – und steht dann einfach da und kommt nicht vorwärts. Hier muss man oftmals den gesamten Run abbrechen. 

Ein Editor als Spiel

Mit dem Editor kann man schnell Funparks bauen - leider fehlen auf der anderen Seite dem Spiel die Inhalte.
Warum ich hier nur Absätze über die Steuerung schreibe? Weil das Spiel eigentlich nur ein Editor ist, der zum Vollpreis verkauft wird. Den Herausforderungen liegt zwar ein gutes Kursdesign zu Grunde und man hat sich sichtlich Mühe gegeben, die unterschiedlichen Aspekte von Half-Pipe bis Backcountry in das Spiel zu implementieren, allerdings fehlt hier ein ausgeklügeltes Missionsdesign. Zudem verliert man aufgrund der Steuerung schon nach ein paar Stunden die Lust an den Aufgaben. Ein Story-Modus mit Karriere oder hitzige Rennen als Boardercross hätten hier das Portfolio auflockern können. Infinite Air verlässt sich hauptsächlich einfach auf User-Generated-Content. Mit dem etwas spärlich zu bedienenden Editor, dem eine Vogelperspektive fehlt, lassen sich schnell Kurse samt Terraforming bauen. Die gespeicherten Abfahrten kann man dann in einer Punktejagd abheizen. Spezielle individuelle Herausforderungen, die man seinen Freunden schicken kann, gibt es allerdings nicht.

Fazit

Ich hab mich auf Infinite Air gefreut, denn ich zähle die skate-Titel zu den besten Vertretern des Sportgenres. Leider kann die Steuerung nicht ansatzweise mit der Asphaltvorlage mithalten. Ohne Aktionstasten ruht einfach alles auf wilden Kombinationen, die eine Lotterie in der Luft auslösen, was als Ergebnis rauskommt. Das Auflösen der Rotationsbewegungen verläuft zudem nahezu unkontrolliert. Viel schlimmer ist aber der Kontrollverlust bei Anfahrten: Ich kann zwar 200 Meter-Sprünge mit vierfachen Frontflips auslösen, aber fühle mich bei Anfahrten wie ein Besoffski, der auf der Hütte in ein Glühweintopf gefallen ist. Realismus hin oder her: Ich erwarte hier ein Gefühl der totalen Kontrolle, die ich nach 20 Jahren auf dem Brett besitze und im Spiel überhaupt nicht wiederfinden kann. Damit kippt auch der Editor-Ansatz: Denn neben Herausforderungen mit gutem Kurs-Design warten nur die Strecken anderer Spieler. Keine Story. Keine Rennen. Keine wirklichen Missionen. Das wäre an sich etwas mau, aber nicht weiter schlimm, wenn die Steuerung nicht so schwammig wäre, als hätte SpongeBob sich daran probiert. Dennoch hat das Spiel seine magischen Momente, wenn man durch die Tiefschneelandschaft gleitet und die nächste Wechte als Anlass für einen waghalsigen Sprung nimmt. Hier entfaltet die Unity-Engine eine traumhafte Backcountry-Szenerie. Aber dieser Moment ist kurz. 

Pro

zum Teil schöne Tiefschneelandschaft
Animationen der Tricks sind gelungen
gutes Kursdesign

Kontra

Seitwärtsdrehungen klappen immer
Verkanten wird ignoriert
Katastrophale Geschwindigkeitskontrolle
Schwammige Steuerung
kein Stopp der Rotation bei Flips möglich
Pop-Ups
kaum Spielinhalte, lediglich Herausforderungen

Wertung

PC

Infinite Air will das skate der Snowboardspiele sein, erreicht aber nicht annähernd die Qualität einer Flick-It-Steuerung und bietet darüber hinaus nur ein dürftiges Missionsdesign an.

PlayStation4

Infinite Air will das skate der Snowboardspiele sein, erreicht aber nicht annähernd die Qualität einer Flick-It-Steuerung und bietet darüber hinaus nur ein dürftiges Missionsdesign an.

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