Fallout 4: Nuka-World09.09.2016, Dieter Schmidt

Im Test: Joyride mit Handbremse

Die letzte Erweiterung von Fallout 4 ist wie eine einzige Achterbahnfahrt: Es gibt wieder diese herrlich ausgearbeiteten Szenen, in denen der Spieler in einer Art Wildwasserbahn die Geschichte der Nuka-Cola miterlebt, die süffisant die Coca-Cola-Industrie persifliert. Aber dann gibt es auch diese Talfahrten.

Alter Zauber verfliegt nicht

Wer wie ich knapp einhundert Stunden durch das Commonwealth gestreift ist und dann (ohne eine Erweiterung anzurühren)  nach einer derart langen Abstinenz wieder einsteigt, dem fallen sofort all die negativen Dinge auf, die man einfach als gegeben akzeptiert: Mein Begleiter Porter Gage verheddert sich in den kleinsten Zäunen, die ohnehin schon unansehnlichen Gesichtsanimationen werden durch meine neue Overkill-Powerrüstung komplett verdeckt, ständig ruckeln und zuckeln die Gegner über den Bildschirm, ein Bug zwingt mich, einen alten Spielstand zu laden (der Tarzan für Arme Cito stirbt und kann folglich keine Unterhaltung mit mir anfangen). Und dann diese langen Wartezeiten, wenn man zwischen Nuka-World und dem Commonwealth hin und herspringen muss. Aber mit jeder Minute, die man in dem Freizeitpark verbringt, wirkt wieder wie durch Zauberhand diese Fallout-Magie – als ob mir jemand etwas Quantum in meine Cola gekippt hätte.

Das fängt schon mit dem tollen Einstieg an: Ein hilfsbedürftiger Mann bittet mich, seine Familie zu retten. Nach einer Schwebebahnfahrt samt Panoramablick über Nuka-World lande ich direkt in einem Labyrinth voller Fallen, Geschütztürme und einem denkwürdigen Bosskampf. Die Geschichte mit der Familie war nur ein dummer Trick und mein Gegenüber ist der Oberboss dreier Raider-Gangs, die sich in Nuka-World angesiedelt haben. Und schon ist sie wieder da. Diese Magie. Denn der Kampf findet in einer Auto-Scooter-Arena statt und der Schutzanzug des Gangsterführers ist dank eines Metallstabs mit der Decke verbunden. So wird er mit Elektrizität versorgt und heizt mir ordentlich ein. Nach diese „Feuertaufe“ und dem Tod des „Overboss“ nehme ich seine Position ein. 

Story? Raider lesen nicht!

Die Raider-Gruppen unterscheiden sich nur äußerlich und in ihrer Wortwahl - aber nicht inhaltlich.
Und schon ist diese Magie wieder weg. Egal wie ich mich in den folgenden Dialogen anstelle: So richtig viel verändere ich nicht. Es gibt kaum eine Motivationsgrundlage den Raidern zu helfen, nachdem sie mich abschlachten wollten und es folgen auch zum Teil unglaubwürdige Reaktionen, wenn ich verbal dagegen ansteuere. Meine folgende Aufgabe ist ebenso komplex wie die Gehirnwindungen eines Ödland-Raiders auf Jet: Der Freizeitpark hat fünf Gebiete und diese müssen geräumt werden. Allerdings kann man jeder der drei Banden die Areale übertragen und bestimmt somit als Boss über Gunst und Abneigung. Zwar unterscheiden sich die Attitüden und das Äußere der Gangs, aber inhaltlich kann man hier kaum von Fraktionen sprechen, wie man sie etwa aus dem Hauptspiel kennt. Die Jünger sind gewalttätig und brutal, das Rudel ist einfach nur durchgeknallt (leider deren Boss überhaupt nicht) und die Unternehmer sind wohl so etwas wie die Kriminellen von der Wall Street. Zwar ändert sich die Wortwahl, aber schlussendlich ist es eigentlich egal, für welche Gang man sich ins Zeug legt, denn letzten Endes geht es immer gleich blutig aus. 

Fünf Themengebiete

Und dann geht es weiter mit der Achterbahnfahrt der Gefühle – und zwar steil hinauf.  Das „Kiddie Kingdom“ wird von Ghulen belagert, die von einem Zauberer angeführt werden, der über spezielle magische Tricks verfügt. So schreitet man durch eine Theaterbühne, ein Spiegellabyrinth, ein Illusionshaus, bekommt im futuristischen Galactic World eine Vault-Tour präsentiert, während man eine Achterbahnfahrt abwandert und Wachroboter über den Haufen schießt, bekämpft in dem Zoo „Safari Adventures“ eine Klonarmee von Gatorklauen (Mischung aus Alligatoren und Todesklauen), schmunzelt über die Aufnahmen einer militanten Tierschützergruppe und amüsiert sich auf der anfangs erwähnten Fahrt durch die Nuka-Cola-Abfüllanlage.

Die Bereiche des Freizeitparks sind schön designt und das Herzstück der Erweiterung.
Lediglich die Tarzan-Persiflage mit dem NPC Cito und die Westernstadt versinken im Mittelmaß. Neben neuen Gegnern wie Gatorklauen und Blutwürmern erfordert jedes Gebiet eine andere Aufgabenstellung. Und wer den nervigen Cito nicht sterben lässt, obgleich er dich immer wieder angreift (war wohl eher ein Bug) und man ihn von Anfang an eins auf die Rübe geben will, der erhält eine mächtige Nahkampfwaffe. Überhaupt ist der Schwierigkeitsgrad vom Spieler selbst einzustellen. Wer wie ich mit über 250 Stimpaks auf Level 58 die Fahrt beginnt, sollte mindestens auf „sehr schwer“ spielen. Dennoch kam ich vor allen Dingen gegen die mutierten Mirelurks (Nukalurk)  ins Schwitzen.

Joyride ohne Looping

Nach dem Räumen des Gebiets geht es zurück ins Commonwealth, wo repetitive Aufgaben in bekannten Gebieten kaum für Spannung sorgen.
Nach diesen guten zwölf Stunden hat man gerade einmal den ersten Auftrag erledigt und freut sich diebisch über Gang-Rivalitäten, in dem man als Boss ein Gespür für Diplomatie entwickeln muss und in einem riesigen Labyrinth unterhalb von Nuka-World den ganz großen Power-Knopf drückt, der alle Lampen zum Leuchten bringt. Stattdessen sitze ich vor einer kleinen Taschenlampe, die Richtung Commonwealth zeigt. Weder hat meine ungleiche Verteilung der Nuka-World-Areale irgendeine negative Auswirkung noch winken außer ein paar Arenakämpfe weitere größere Entdeckungen in dem Freizeitpark. Stattdessen kann ich für meine drei Banden meine eigenen Siedlungen im Commonwealth überfallen, die ich eh schon mit meinen Minutemen besetzt habe. Was für eine Enttäuschung! Okay, ich verstehe den Ansatz von Bethesda: So jetzt hast du alles aufgebaut, jetzt darfst du die Sandburg auch wieder zerstören, was gar nicht so einfach ist, weil man auf seine eigenen Verteidigungsanlagen trifft, die man dort errichtet hat. Schizophren ist es. Aber auch zugegebener Maßen morbide spaßig – zumindest die erste Siedlung. Wenn man dann andere Siedler erpressen muss, um die Raidersiedlung mit Kronkorken und Ressourcen zu versorgen und man diese dann auch noch gegen andere Raiderbanden verteidigen muss, wird es repetitiv und langweilig. Wer hier alle Aufgaben abklappern will und in bereits abgeschlossene Gebiete erneut eindringt, kann sich endlos austoben. Spaß sieht aber anders aus. 

Fazit

Die Welt von Nuka-World hat trotz nicht vorhandener Geschichte und unsinniger Handlungen einen befriedigenden Geschmack hinterlassen. Die Themengebiete wurden liebevoll designt und auch wenn etwas stumpf in jedem Gebiet unterschiedliche Gegner platziert wurden und man mehr die Wumme als das Köpfchen benutzt, so kann man diesen Ausflug als dummen aber durchaus launigen Ausflug umschreiben – schließlich ist man ja auch ein Raider. Die andere Hälfte der Erweiterung spielt in bekannten Arealen im Commonwealth, die man wieder reinigt. Das kann man sich wirklich getrost sparen, da die Motivation hier rapide abfällt wie der Sitz in einem Freefall-Tower. Diese Achterbahn der Gefühle schwankt zwischen liebevoll animierten Automatrons und dem Niederabllern von Raidern auf einem Containerschiff im Commonwealth, das ich bereits "erledigt" habe. Nuka-World ist wie ein typisches Plakat deutscher Freizeitparks: Hinter der „Wahnsinnsfahrt“ verbirgt sich eine verteuerte Karte und eine befriedigende Attraktion, die dennoch den Körper in Wallung bringt.

Pro

schön designte Themengebiete des Freizeitparks
stimmungsvoller Einstieg
unterschiedliche Aufgaben
gute Bosskämpfe

Kontra

Bugs, ruckelnde Gegner
Dialoge werden durch die Powerrüstung verdeckt
Fraktionen unterscheiden sich nur äußerlich
Story kaum vorhanden und unglaubwürdig
Cito nervt!
Westernstadt ist mau
repetitive Aufgaben im Commonwealth

Wertung

XboxOne

Nuka-World ist wie ein typisches Plakat deutscher Freizeitparks: Hinter der "Wahnsinnsfahrt" verbirgt sich eine verteuerte Karte und eine befriedigende Attraktion, die dennoch den Körper in Wallung bringt.

PlayStation4

Nuka-World ist wie ein typisches Plakat deutscher Freizeitparks: Hinter der "Wahnsinnsfahrt" verbirgt sich eine verteuerte Karte und eine befriedigende Attraktion, die dennoch den Körper in Wallung bringt.

PC

Nuka-World ist wie ein typisches Plakat deutscher Freizeitparks: Hinter der "Wahnsinnsfahrt" verbirgt sich eine verteuerte Karte und eine befriedigende Attraktion, die dennoch den Körper in Wallung bringt.

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