SUPERHOT VR15.12.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Das beste "echte" VR-Spiel?

Das polnische Superhot-Team lässt einen Science-Fiction-Traum wahr werden: Im Zeitlupen-Shooter Superhot VR (ab 8,75€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) taucht man fast so stylish durch die Kugeln wie Neo in der Matrix. Ist dies das intensivste Erlebnis für Oculus' neue Bewegungs-Controller Touch? Diese Frage beantworten wir im Test.

Ab in die Matrix!

Zunächst war ich sauer darüber, dass Facebook wieder einmal den Geldbeutel geöffnet hat, um Superhot VR zunächst Oculus-exklusiv zu machen. Es gab schließlich schon eine vielversprechende Fan-Demo für die HTC Vive, das Prinzip wirkt wie gemacht für das Roomscale-Konzept, bei dem man durch den kompletten Raum schießt und boxt. Doch während des Spiels hat sich meine Skepsis ähnlich schnell aufgelöst wie die Köpfe meiner Widersacher, die nach einem gut platzierten Faustschlag in tausend Teile zersplittern. Die Entwickler haben das Konzept mit einigen Tricks erstaunlich gut auf die kleinere Fläche abgestimmt. Anders als im klassischen PC-Original bewegt man sich kaum noch durch die Areale, sondern wird meist in der Mitte eines Bereichs von den gesichtslosen roten Schlägertruppen überfallen. Immer wieder finde ich mich in einer brenzligen Situation wieder und muss mich mit geschickter Nutzung der Waffen und anderer herumliegender Gegenstände aus dem Schlamassel kämpfen.

Fast schon unheimlich präzise: Wenn man durch das "Nasenloch" der Oculus Rift schielt, sieht man, wie exakt die virtuellen Hände an den realen Armen anschließen.
Der Clou ist nach wie vor, dass die Zeit nur dann verstreicht, wenn ich mich bewege: Zunächst lasse ich kurz den Blick durch die komplette Halle schweifen, in der mehrere Gegner die Waffe gegen mich erheben. Durch meine Kopfbewegung ist schon ein wenig Zeit verstrichen, so dass die ersten Kugeln bereits durch die Luft gleiten. Also mache ich eine Schritt nach links und beuge mich noch ein Stück nach unten, um eine Pistole vom Tisch aufzuheben und gleichzeitig unter zwei Projektilen abzutauchen – wuuuusch! Jetzt ist die Zeit meiner Rache gekommen: Ich ziele auf die Widersacher (was sich mit den gelungenen Bewegungs-Controllern Touch sehr präzise gestaltet) und drücke drei mal ab. Zwei Geschosse treffen ihr Ziel, der dritte Gegner schlägt einen Haken und rettet sich hinter eine Säule der surreal weißen, stilisierten Fabrikhalle. Trotz der einfach gehaltenen Grafik erweist sich die Umsetzung wieder als sehr stilsicher, zumal sich das Beschleunigen und Abbremsen der Zeit an einem futuristisch wabernden Rauschen erkennen lässt. Auch das Zersplittern der roten Schergen klingt schön surreal.

Mit Fäusten, Projektilen und allem, was so herumsteht

Als meine Pistole leer ist, schleudere ich sie einfach dorthin, wo der Gegner gleich seine Nase hinter der Säule hervorstrecken müsste. Und tatsächlich: Das Wurfgeschoss trifft sein Ziel, lässt den Roten zusammensacken und schleudert mir sogar noch seine Flinte herüber. Besten Dank auch! Die gefächerten Schrotkugeln kann ich prima gebrauchen, da über mir bereits ein Grüppchen weiterer Kämpfer die Treppe hinunter läuft und mich gerade aufs Korn nehmen wollte. Schaffen die Schläger es nah an mich heran, ist es besonders cool, mit einem schnellen Fausthieb zuzuschlagen. Einfach die Trigger am ringförmigen Controller drücken und blitzschnell nach vorne schlagen. So natürlich fühlte sich ein Hieb in einem Computerspiel noch nie an! Die Attacke wirkt mit Bewegungs-Controllern in den kleineren Arealen allerdings schon ein wenig zu mächtig. Zum Glück ging während meiner Boxattacken niemand neben mir durchs Büro.

Neo wäre neidisch...
Faszinierend genau (und ebenfalls etwas zu stark) ist auch die Möglichkeit, mit aufgehobenen Messern Projektile in der Luft zu zerschneiden und so unschädlich zu machen. Die Gänge der Levels wurden übrigens eine ganze Ecke schmaler gestaltet, um den Kampf besser auf die Bedienung mit den Touch-Controllern abzustimmen. Da in VR die Größenverhältnisse anders wirken, fühlten sich Testspieler nicht so schnell eingeengt wie am Monitor. Die Levels führen den Spieler durch den typischen Mix aus Industriekulissen: Mal erinnern die Loft-Schießereien an John Woos „Face Off“, später wird man auf einem Hochhausdach von Scharfschützen aus einem Helicopter überrascht. Mittendrin gibt es fast immer kleine Kommoden, Säulen oder Treppen, die sich als Deckung nutzen lassen.

Selbstdisziplin eines Ninjas

Dazwischen liegt allerhand kleines Gerümpel herum, welches sich bei Munitionsknappheit als Wurfgeschoss missbrauchen lässt - man erkennt es an der schwarzen Einfärbung. Hocke ich eingekesselt hinterm Tresen, schnappe ich mir einfach eine Flasche oder ein Cocktailglas, um es mit Wucht um die Ecke auf einen Widersacher zu schleudern, so dass der in sich zusammensackt und mir danach frei Haus seine Waffe entgegenschleudert, mit denen ich die nächsten Säbel-Samurais unschädlich mache. Zudem kommt auch eine Spezialfähigkeit hinzu, mit der man entfernte Gegner effektiver bekämpfen kann. Schade, dass man nicht noch mehr Tricks lernt oder auf mehr Gegnertypen trifft als die generischen Rotlinge. Meist bleibt der Schwierigkeitsgrad eher moderat, in den späteren Levels wird es durch immer größere Gegnermassen aber mitunter richtig schweißtreibend. Immer wieder schlage ich mich in Deckung, um auch nicht den kleinsten Fehler zu begehen oder einen Widersacher von rechts zu übersehen. Leiste ich mir doch einen Schnitzer, geht es schließlich zurück zum Anfang des Raumes, in dem ich die vorherigen Abschnitte dann noch einmal erledigen muss. Die Wiederholungen nerven mitunter, sorgen aber auch für einen angenehmen Nervenkitzel durch die benötigte Selbstdisziplin.

Eine Bloody Mary, bitte!
Offenbar wollten die Entwickler damit auch die Spielzeit strecken, welche sich etwa zwischen zwei und zweieinhalb Stunden bewegt. Im Gegensatz zum PC-Vorbild gibt es keinerlei Wiederspielwert durch Wiederholungen oder weltweite Bestzeiten. Stattdessen stand ich am Ende des Spiels ziemlich verdutzt da und hätte am liebsten noch weitergespielt, in welcher Form auch immer. Es fühlt sich fast schon an wie kalter Entzug, weil die kurze aber intensive Zeit zuvor einen derart starken Suchtfaktor entfaltet. Schön auch, wie stilsicher die Action das Rundherum eingebunden ist. Eine echte Story wie im ersten Superhot fehlt zwar, trotzdem finde ich mich auch hier in einer coolen Hacker-Umgebung nebst virtuellem VR-Headset wieder und muss ab und zu überraschende Entscheidungen, um im Menü weiterzukommen. Ab und zu hört man aus einem Chat auch interessante Ausführungen der Entwickler über Spieldesign und spielpolitische Probleme wie der Sammel-Overkill anderer Titel.

Fazit

Als ich mit Superhot VR fertig war, musste ich kurz nachdenken, wie das „normale“ Spiel früher eigentlich ohne die Touch-Controller funktioniert hat. Das stylishe Durch-die Kugeln-Tauchen passt derart gut zu räumlichem VR, dass das Prinzip sofort in Fleisch und Blut übergeht. Ein paar präzise Schüsse, dann ducke ich mich wie in einem Actionfilm unter den Kugeln und entwaffne einen Schergen mit einem blitzschnellen Fausthieb - ein erstaunlich mächtiges Spielgefühl! Das Beste am Konzept ist aber, dass ich dank der Zeitlupe persönlich das Tempo vorgebe, kurze Pausen zum Ausknobeln der besten Route einlegen kann und dadurch keine zu extremen Bewegungen starten muss – anders als beim Roomscale-Spiel Raw Data, das mir schon mal einen gewaltigen Muskelkater beschert hat. Das Spiel ist auch ein Beweis dafür, wie wichtig in VR ein passendes Spieldesign und die Abstimmung der Mechaniken ist: Offenbar waren eine ganze Reihe von Veränderungen nötig, bis es so gut flutschte. Das einzige gravierende Problem ist wieder einmal der knappe Umfang: Nach gut zwei Stunden steht man völlig aufgeputscht vor der Endsequenz und weiß nicht so recht, was man plötzlich mit der faden Realität anfangen soll. Die Levels lassen sich dann zwar gezielt anwählen, davon abgesehen herrscht aber tote Hose. Ich hoffe auf einen Nachfolger mit mehr Spezialfähigkeiten, weiteren Mechaniken und vor allem Bonus-Modi wie Speedruns mit weltweiten Bestenlisten sowie Ghosts zum Herunterladen. All das könnte dem Erlebnis deutlich mehr Fleisch verpassen. Doch auch in seiner aktuellen minimalistischen Fassung ist Superhot VR ein Ausnahmespiel, das sich kein Besitzer von Oculus Touch entgehen lassen sollte!

Pro

coole Spielidee
nahezu perfekt auf die präzisen Oculus-Touch-Controller zugeschnitten
Extra-Mechaniken wie Entwaffnung passen bestens
gelungenes minimalistisches Retro-Design
wechselnde KI-Strategien sorgen für Spannung
schöne philosophische Einbettung in Hacker-Kulisse
flirrende Soundeffekte machen die stufenlose Zeitlupe noch surrealer

Kontra

Story-Modus nur gut zwei Stunden kurz
lediglich ein Gegnertyp
nur eine Spezialfähigkeit
keine Zusatzmodi, Bestenlisten oder soziale Features

Wertung

OculusRift

Die saucoole Zeitlupenmechanik wurde perfekt auf die Bewegungscontroller zugeschnitten und schafft das bisher mitreißendste VR-Erlebnis! Der geringe Umfang befördert den Spieler allerdings abrupt zurück in die Realität.

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