Obscure02.07.2004, Jörg Luibl
Obscure

Im Test:

Survival-Horror aus Frankreich? Das passt so gut zusammen wie Sushi und Sauce hollandaise. Egal ob Silent Hill 3, Resident Evil oder Project Zero - erstklassiger Survival-Horror kommt doch aus Japan! Aber in Lille sieht man das ganz anders: Das Team von Hydravision will mit Obscure (ab 5,95€ bei kaufen) beweisen, dass auch in Europa grauenvoll gute Abenteuer entstehen.

Gespielter Prolog

Irgendwo in einer amerikanischen Kleinstadt. An irgendeiner vernachlässigten Highschool. In der Sporthalle perfektioniert Modell-Athlet Kenny noch fleißig seine Freiwürfe, während sich seine geduschten Kollegen bereits müde verabschieden. Nach ein paar Körben klingelt sein Handy in der Umkleidekabine. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Projektilfeuer im Duett: Was geht bitte in dieser Schule ab?

(PC)

Kenny hat genug für den Abend, hetzt zu seiner Sporttasche, nimmt ab und beruhigt seine Freundin. Ja, er werde gleich da sein. Nein, er wird sich nicht verspäten. Als er auflegt und sein Duschzeug sucht, bemerkt er, dass seine Sachen weg sind. Aber sie waren doch gerade noch da! Wer hat sie gestohlen? Plötzlich schwingt die Hallentür zu, Kenny hetzt genervt hinterher und verliert sich im düsteren Schlund der schulischen Katakomben.

Basketballer vermisst

Obscure lässt euch ohne Tutorial direkt in die Rolle Kennys schlüpfen. Ihr spielt quasi den ganzen Prolog inklusive der Korbwürfe, des Anrufs und der späteren Verfolgung des mysteriösen Räubers, so dass der erlebte Rückblick nahtlos in die eigentliche Story rund um fünf eingeschlossene Schüler übergeht. Die wundern sich nämlich später darüber, dass der Basketball-King nach seinem Training nicht mehr auftaucht.

Die Filme sind sehr gut arrangiert, von gehobener Spielgrafikqualität und wirken dank natürlicher Gestik, Mimik und Dialoge sehr stimmungsvoll.__NEWCOL__Schade ist jedoch, dass man bereits im Prolog etwas zu viel vom Horror hinter den schulischen Kulissen erfährt und gleich einigen Monstren in düsteren Kellern begegnet. Dadurch verschenkt die Dramaturgie bereits zu Beginn ihre Überraschungsjoker, denn jetzt weiß man, was auf einen zukommt.

Schule am Abgrund

Kennys Freunde ahnen jedoch erst, dass sich irgendetwas in ihrer maroden Highschool abspielt: Schon immer hallten seltsame Schreie durch die Flure und seit Jahren kursieren Gerüchte von vermissten Schülern. Natürlich lacht man darüber und reißt die üblichen Alien-Witze, aber als Ken verschwindet, will man der Sache endlich auf den Grund gehen und lässt sich in der Penne einschließen. Als der Hausmeister die letzten Türen verriegelt, schlägt der Puls höher.

Die Zwischensequenzen treiben die Story voran, die leider zu schnell durchschaut ist.

(PS2)

Trotz des in Sachen Regie cleveren, aber dramaturgisch plumpen Einstiegs verströmt Obscure eine gruselige Atmosphäre zwischen jugendlicher Coolness und erwachsenen Schockmomenten. Die Entwickler von Hydravision spielen geschickt mit Elementen aus bekannten Teenie-Horrorfilmen - egal ob "Scream" (1996), "The Blair Witch Project" (1999) oder vor allem "The Faculty" (1998). Einige Situationen kommen einem daher schnell vertraut vor: Das Warten der anderen auf die mutigen Entdecker, die Erleichterung beim Wiedersehen, das gegenseitige Filmen mit blöden Sprüchen, um die eigene Angst zu überspielen, das nervöse Ahnen des Grauens.

Neue Facette der Angst?

Aber kann Obscure atmosphärisch fesseln? Kann der Titel eine neue Facette der Angst entfachen? Ja, aber nur wenn man Survival-Horror light als spielenswerte Erfahrung akzeptiert. Denn im Vergleich zu den Genre-Größen von Konami, Tecmo & Co ist das Abenteuer einfach zu harmlos, zu vorhersehbar: Wer durch die schreckliche Paranoia von Silent Hill 3 oder die brutale Geisterwelt von Project Zero 2 streift, muss starke Nerven und einen Hang zum masochistischen Spielspaß haben. Wer die Schule von Obscure erkundet, muss weder psychische Narben noch Alpträume befürchten, sondern einige Schreckmomente.

Die Lichteffekte sind auf allen Systemen sehr schön anzusehen. Nur fehlt der PS2 manchmal die flirrende Körnigkeit.

(PS2)

Denn es geht schnell, viel zu schnell zur Sache: Schon während der ersten Erkundungen brechen ganze Wände weg, um riesige Mutanten mit verrenkten Gliedmaßen auf euch loszulassen. Das schockiert, lässt einen zusammenzucken und sieht klasse aus, aber erstens erinnern die Gegner sofort an die bizarren Kreaturen aus Silent Hill 3 , und zweitens wird der Story zu plump das Mysteriöse geraubt. Wenn einen Treppenaufgang später dann bleiche Schüler durch die Gänge schlurfen, hat man alle üblichen Verdächtigen zusammen: Mutanten, Monster, Zombies. Durch das zu schnelle Abfeuern von Genre-Klischees verliert die Atmosphäre zu früh an Intensität und das Horror-Erlebnis wird auf ein gescriptetes Schock-Niveau mit mehr Aha- als Wow-Effekten reduziert.

Survival-Horror light

Ist Obscure deshalb schlechterer Survival-Horror? Nein, denn es zeigt zwei innovative Stärken - Figurenwahl & Kooperation. Erstens könnt ihr ständig zwischen einer Hand voll Charaktere mit speziellen Eigenschaften wählen: Da wäre Josh, der als angehender Journalist frühzeitig besondere Objekte entdeckt, die andere erst nach langem Suchen finden. Hinzu kommt Shannon, die als medizinisch Begabte heilen und selber schneller gesunden kann. Oder Kampfmeisterin Ashley, die mit wuchtigem Taek-Won-Do protzt. Schließlich ist noch Hacker Stanley dabei, der Schlösser schneller knackt als jeder andere, bevor später noch eine Überraschung als Verstärkung hinzukommt.__NEWCOL__Zweitens habt ihr immer die Wahl, ob die zweite spielbare Figur von der KI oder einem menschlichen Partner gesteuert wird. Im ersten Fall weist ihr dem computergesteuerten Charakter bestimmte Verhaltensweisen zu, so dass er z.B. automatisch hinter euch her läuft, stehen bleibt, tapfer mitkämpft oder euch bei Rätseln unterstützt – einfach zu handhaben, funktioniert gut. Im zweiten Fall kann ein Freund eine Figur direkt steuern. Der Wechsel läuft komfortabel und ist völlig frei, so dass ihr weder einen neuen Spielstand anlegen noch euch auf eine Figur festlegen müsst. Das ist klasse und sorgt im Team für ein sehr dynamisches Horror-Abenteuer, bei dem jeder flugs in die Haut eines anderen schlüpfen kann.

Komfortable Steuerung

Überhaupt ist wesentlich mehr Komfort angesagt als z.B. im störrischen Resident Evil alter Schule: Wenn euer Partner z.B. zu einem Ausgang hetzt, werdet ihr beim Laden des nächsten Raumes automatisch dorthin versetzt. Das Erkunden im Team wirkt auch akustisch sehr lebendig, da jeder Charakter andere Sprüche von sich gibt und manche sogar hilfreiche Hinweise wie "Hier muss noch irgendetwas sein!" enthalten – das erspart die lästige Zentimetersuche und verhindert, dass wichtige Items übersehen werden.

Das Inventar mit Heiltränken und Gegenständen wird bequem von beiden Spielern genutzt und Waffen lassen sich zügig austauschen, nachladen oder manipulieren. Sehr zeitsparend ist auch der automatische Sprung an den Versammlungsort der anderen: Egal, wo ihr euch befindet, könnt ihr über die Karte direkt dorthin zurück - nur während eines Kampfes nicht. Insgesamt spielt sich Obscure sehr flüssig, ohne nervenden Leerlauf oder besondere Bedienungsmängel.

Noch ist alles idyllisch ruhig...

(Xbox)

Speichern könnt ihr zwar jederzeit, aber immer nur dann, wenn ihr eine CD findet. Hier muss man also gut haushalten, obwohl sie auf dem leichtesten der drei Schwiergkeitsgrade gut verteilt sind. Allerdings hat all der Komfort auch seinen Preis, denn das Spieltempo wird immens erhöht, so dass man nach sechs bis acht Stunden bereits den Abspann sieht. Das ist zwar besser als frustrierender Leerlauf, aber trotzdem etwas zu kurz im Vergleich zu Project Zero & Co.

Kampf & Rätsel

Schade ist, dass man die Kamera nicht drehen oder zoomen kann. Es wird euch immer ein Blickwinkel vorgegeben, so dass man sich beim Betreten unerforschter Räume neu orientieren muss. Nur ab und zu stehen sich die Figuren aufgrund der strengen Kollisionsabfrage im Weg, wenn es in engen Gängen zur Sache geht. Wildes Draufhauen mit dem Baseballschläger kann dann schon mal das Genick des Partners treffen. Und da es keine Lebenspunktebalken gibt, sondern eure Gesundheit nur über den Rumble-Effekt simuliert wird, sollte man beim leisesten Rütteln zum Energy Drink greifen.

Silent Hill? Manche Begegnungen und Räume erinnern stark an Konamis Psychschocker.

(PC)

Die Kämpfe mit Baseballschlägern, Metallstangen, Pistolen und Schrotflinten sind kurz und knackig. Da jeder Feind meist eine Schwachstelle hat, sind sie selbst gegen übergroße Mutanten fair zu meistern. Hinzu kommt eine taktische Note, denn viele Ungeheuer hassen Licht wie die Pest, so dass man sie durch zügiges Einschlagen der Fenster ordentlich rösten kann – im Team ein Heidenspaß. Andere Gegner scheinen ihren schwarzen Schutzschild durch UV-Licht zu verlieren und sind dann verwundbarer für Projektile.

Zwischendurch sorgen kleine Aufgaben für Abwechslung, ohne dabei großes Kopfzerbrechen zu bereiten: Mal gilt es Regalwände geschickt zu verschieben, Accessoires zu finden oder Koordinaten richtig einzugeben. Oder ihr müsst z.B. gegen die Zeit mit einem Pappbecher voller Säure vom Chemieraum in den nächsten Stock hetzen, um dort eine eiserne Kette zu öffnen. Natürlich löst sich der Becher dabei langsam auf…

Knobeln im Duett

Auch Teamarbeit wird belohnt: Zu zweit kann man per Räuberleiter an einen Lüftungsschacht kommen, der wiederum nur mit einem Schraubenschlüssel geöffnet werden kann. Aber wo kann der sein? Hier hilft die interaktive Karte, die ganz à la Silent Hill mit roter Schrift aktualisiert wird, sobald ihr eine geschlossene oder offene Tür entdeckt. Selbst der nächste große Rätselraum wird markiert, so dass der Komfort fast schon in luxuriöse Dimensionen vorstößt - Such- und Lauffrust ist Fehlanzeige!

Licht ins Dunkel: Was verbirgt sich in dieser Truhe?

(PC)

Sehr schön ist auch, dass Gegenstände kombiniert werden können: Aus ein wenig Klebeband, einer Taschenlampe und einer Pistole lässt sich z.B. eine coole Handfeuerwaffe mit Lichtaufsatz zaubern. Mit Draht lassen sich Türen öffnen. __NEWCOL__Zwischen Glanz & Glibber

Gebonerte Flure mit Echtzeit-Spiegelungen, splitternde Getränkeautomaten, fotorealistische Figuren mit coolem Gang - Obscure sieht richtig gut aus und die Umgebung ist erfrischend interaktiv. Auf der Xbox und vor allem dem PC gestochen scharf, auf der PS2 ebenso ansehnlich, nur mit etwas weniger Licht- und Texturpracht. Die Klassenräume zeigen viele Details wie in der Zugluft wehendes Papier, Schulutensilien vom Stift über das Klassenbuch bis hin zum Diaprojektor oder dem Bunsenbrenner. Zwar streift ihr durch statische Hintergründe, aber Stühle bewegen sich bei Kontakt zur Seite und so mancher Schrank lässt sich öffnen. Außerdem sind die Animationen der Protagonisten wesentlich natürlicher als in Resident Evil, denn die Schüler bewegen sich butterweich, können nahtlos per Analogstick in den Spurt wechseln und drehen sich schnell um die eigene Achse.

Allerdings kann die Schule mit ihrer Mensa, der Bibliothek, der Klassenräume, der Lehrerzimmer und der Sporthalle nur mit architektonischer Vielfalt, weniger mit beeindruckender Größe protzen. Im Vergleich zu Silent Hill bewegt man sich hier in engen Grenzen. Dafür gibt`s in Sachen Lichteffekte nichts zu meckern: Schlagt ihr mit dem Baseballschläger Scheiben ein, flutet sofort ein flirrender Sonnenschacht den Raum. Das Highlight ist jedoch die düstere Echtzeitumwandlung der Texturen, wenn ihr auf Monster trefft: Plötzlich verdunkelt sich der Boden, als würde sich schwarzer Schimmel in rasender Geschwindigkeit ausbreiten und die Optik wird leicht verzerrt – klasse!

Trotz dieser guten Ansätze kann die Grafik nicht die bedrückende Atmosphäre eines Silent Hill 3 oder die fotorealistische Texturqualität eines Resident Evil Zero erreichen. Es gibt zwar sehr gute Schockmomente, versiffte Klos und eklige Kellergewölbe, aber auch viele sterile Passagen. Seltsam ist auch, dass die Monster relativ blass bleiben und im Detail nicht so markant erscheinen wie die hervorragenden Verdunklungsmomente.

Lokalisierung & Jugendfreigabe

Musikalisch und akustisch gibt es nichts zu bemängeln. Sowohl der knackige Soundtrack, der mit Songs von Sum 41, Sportfreunde Stiller oder Span aufwartet, aber auch mal orchestral mit wuchtigen Chören auftrumpft, als auch die Geräuschkulisse sind hörenswert. Egal ob entsetzte Schreie oder tiefkehliges Knurren – alles ertönt in guter Dolby Surround-Qualität. Auch die deutsche Sprachausgabe bietet schauspielerisch überzeugende Stimmen.

Ihr müsst für das Abenteuer übrigens nicht 18 Jahre alt sein, wie es die Verpackung anzeigt. Laut Atari handelt es sich dabei um einen Druckfehler, denn die USK spricht auf ihrer Webseite von "ab 16". Keine Jugendfreigabe wäre ohnehin unverständlich: Zwar geht`s ab und zu mal blutig zur Sache, aber weder auf ausuferndem Splatter-Niveau à la Resident Evil noch mit Pseudo-Vergewaltigungsszenen à la Silent Hill . In den USA ist der Titel unter dem Namen "Mortifilia" sogar ab 12 Jahren erhältlich.

Fazit

Silent Hill ist euch zu krank? Resident Evil zu altmodisch? Und Project Zero zu schrecklich? Dann ist Obscure eine lohnenswerte Alternative. Das Team von Hydrovision setzt zwar mit seinem Highschool-Szenario auf bekannte Klischees und kann eher Survival-Horror light als ein wirklich beängstigendes Schockergefühl entfachen, aber dafür spielt sich die Monsterjagd sehr komfortabel: Egal ob Karte, Itemsuche, Laufwege oder Charakterwechsel – Frust ist Fehlanzeige. Die Kämpfe laufen flüssig, die Rätsel sind abwechslungsreich, die Erfolgskurve angenehm. Auch die Grafik stimmt und kann mit ihren Verdunklungseffekten ein kleines Highlight setzen. Und dass man das düstere Abenteuer auch bei freier Figurenwahl bequem zu zweit erleben kann, ist nicht nur innovativ, sondern prädestiniert Obscure zum idealen Partnerspiel. Allerdings fordern der Allround-Service und die strenge Linearität ihren Preis: Viele Knobeleien sind zu leicht, erzählerisch wird wenig Anspruchsvolles geboten, manche Monsterbegegnungen wirken etwas plump und mehr als ein halbes Dutzend Stunden werdet ihr nicht durch die Flure geistern.

Pro

nette Rätsel
interaktive Karte
gute Animationen
kooperativ spielbar
gute deutsche Sprecher
komfortable Steuerung
angenehmer Spielfluss
drei Schwierigkeitsgrade
gute Zwischensequenzen
glaubwürdige Charaktere
klasse Musik- & Soundkulisse
ansehnliche Verdunklungseffekte
unverbrauchtes Highschool-Szenario
Figuren mit unterschiedlichen Fähigkeiten

Kontra

sehr kurz
starre Kamera
plumper Monstereinsatz
sehr lineares Spielprinzip
schnell durchschaute Story
Einstieg verschenkt Spannung
keine Lebenspunktedarstellung
wenig einfallsreiches Gegneraufgebot
eher Survival-Horror light als Psycho-Schocker

Wertung

XBox

Gerade im Multiplayer-Mode verspricht Obscure eine erstklassige Gänsehaut.

PlayStation2

PC

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