Im Test: Das bessere XCOM 2?
Menschen gehen Auserwählte
Auserwählte heißen die titelgebenden Chosen auf Deutsch und es sind mächtige Gegner, die nicht nur den erzählerischen Rahmen erweitern, sondern auch das strategische Manövrieren und die rundentaktischen Gefechte. Die Geschichte ist insgesamt natürlich nicht neu, sie fügt dem bekannten Ablauf aber neue Ereignisse und Filmszenen hinzu. Man beginnt also von vorn, um die Advent genannten Aliens von der Erde zu vertreiben, lernt allerdings neue Feinde, Verbündete und spielerische Möglichkeiten kennen – die titelgebenden drei Auserwählten etwa, von denen jeweils einer in einem bestimmten Teil der Welt gegen XCOM kämpft.
Scheinbar zufällig taucht der entsprechende Antagonist dort in Einsätzen auf und wirbelt mit mächtigen Fähigkeiten jede taktische Planung durcheinander. Die Auserwählten fügen zwar nicht sofort großen Schaden zu, setzen Soldaten aber oft außer Gefecht und stecken ihrerseits eine Menge weg. Nur bestimmte Angriffe oder bestimmte Gegner setzen ihnen so richtig
Und je länger man die Auserwählten auf der Weltkarte gewähren lässt, desto mehr solcher Besonderheiten eignen sie sich an. Abgesehen davon spüren sie die Avenger auf, also das mobile Hauptquartier des Widerstands und fallen irgendwann dort ein.
Dauerfeuer unter Zombie-Horden
Loswerden will man die Auserwählten daher so schnell wie möglich – aber auch deshalb, um ein mögliches Chaos in den Gefechten zu verhindern. Immerhin vernachlässigt man bei ihrem Auftauchen am besten die restlichen Advent-Truppen, um erst einmal die größere Gefahr zu beseitigen und wieder Ordnung in die Positionskämpfe zu bringen. Die schnelle Quasi-Bosse zwingen nämlich zu zahlreichen Positionswechseln, was inmitten eines laufenden Feuergefechts selbstredend gefährlich ist.
Überhaupt sorgt Spieleregisseur Jake Solomon für erhöhte Unruhe im Kampf, indem er XCOM-Soldaten vermehrt dazu zwingt ihre Deckung zu verlassen. Das erreicht er u.a. durch so genannte Verlorene: eine neue Art Gegner, die wie Zombies Freund und Feind angreift. Denn zum einen attackieren die nur aus nächster Nähe, wo Deckung keinen nennenswerten Schutz bietet, zum anderen darf jeder Kämpfer einen weiteren Zug ausführen, wenn er einen Verlorenen tötet.
Theoretisch könnte ein Soldat also sein komplettes Magazin verschießen, nachladen und noch einmal drei oder vier Schüsse abgeben. So wenig die zombiehaften Gegner nämlich einstecken, so zahlreich treten sie auf. Und aufgrund des Zurücksetzens der Aktionsmöglichkeiten kann es eben sinnvoll sein, einen oder zwei Soldaten aus geschützten Positionen aufs offene Feld zu ziehen, falls sie dort deutlich höhere Trefferchancen haben.
„Schnitter“? „Zündler“ eher!
Dieses Aufbrechen des Deckungszwangs verleiht dem Taktieren eine zusätzliche Ebene und verlangt das Eingehen neuer Risiken. Unterhaltsam ist auch das gesteigerte Augenmerk auf Feuer sowie Explosionen. Während feindliche Flammenwerfer nämlich wenig unmittelbaren Schaden anrichten, müssen in Brand gesteckte Soldaten eine Runde lang in Deckung kauern, um die Flammen zu löschen – ich vermute, sie rollen sich dann auf dem Boden. Gönnt man ihnen diese Pause nicht, verlieren sie am Anfang jeder Runde Lebenspunkte.
Sprengkörper gewinnen hingegen durch eine neue Charakterklasse an Bedeutung: die Schnitter bzw. Reaper. Das ist eine von drei neuen Klassen, die nicht nur als Einheiten im Gefecht zur Verfügung stehen, sondern auch als Verbündete auf der
So verleiht man eigenen und feindlichen Kämpfern mehr Gesundheit, verzögert die Geschwindigkeit, mit der das Avatar-Projekt voranschreitet oder verdoppelt das Zeitfenster von Einsätzen mit Rundenbegrenzung. Weltkarte. Eine Besonderheit der Reaper ist dabei ihre Fähigkeit unsichtbar zu bleiben, während das restliche Team längst entdeckt wurde. Selbst wenn sie einen Schuss abgeben, geben sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ihre Position nicht preis.
Eine zweite Besonderheit sind Landminen, die sie wie Granaten werfen und die von einem beliebigen Kämpfer zu einem beliebigen Zeitpunkt durch einen Schuss ausgelöst werden können. Nicht zuletzt können Reaper jedes Auto, jeden Gastank und jeden Treibstoffbehälter in mittleren Umgebung mit nur einem Schuss zur Explosion bringen – das macht sie spätestens dann zu wichtigen Sprengstoffexperten, wenn zwei Feinde an dem unsichtbaren Schnitter vorbeigelaufen sind, um sich neben dem gleichen LKW in Position zu bringen... herrlich!
Helden des Widerstands
Bei den anderen Neuzugängen handelt es sich um Templer, die Gegner passiv schwächen und sie im Nahkampf mit starken Nahkampfangriffen malträtieren, sowie um Scharmützler, die mit einem Greifhaken schnelle Positionswechsel vollziehen und
Die drei neuen Klassen sind mächtige Einheiten, für die man ähnlich wie in einem Rollenspiel stets aus allen bis dahin freigeschalteten Fertigkeiten die gewünschte wählt. Über ein spezielles Training lernen außerdem auch die normalen Soldaten wieder Fähigkeiten, die sonst nur Mitgliedern anderer Klassen zur Verfügung stehen. Mit dieser Möglichkeit baut Solomon einen in Modifikation und schon mit der Erweiterung des Vorgängers eingeführten Variantenreichtum sinnvoll aus.
In War of the Chosen erstellt man sogar Poster seiner „Helden“, für die man wahlweise Perspektive, Hintergrund und Slogan selbst festlegt. Diese Bilder tauchen während der Einsätze auf Anzeigetafeln der Umgebung auf – eine tolle Art, um etwa Gefallene zu ehren, und ein guter Ersatz für die in XCOM 2 weggefallenen Medaillen!
BFF
Auch das System der Erfahrungspunkte ist neu, denn die erhält man jetzt ausdrücklich für gelungene Manöver wie Flankieren oder das Schießen von einer erhöhten Position aus. Doch nicht jeder Soldat lernt so schnell wie seine Kameraden; Erfahrung wird vielmehr mit einem Intelligenzwert multipliziert. Manche Soldaten schickt man also gerne ins Gefecht, andere lässt man lieber als Reserve auf der Avenger.
Doch was, wenn Letztere besonders gut mit vielen ihrer Kollegen harmonieren? Dann bilden sie nämlich schneller freundschaftliche Bande mit einem Kameraden oder einer Kameradin und ein solches Duo verfügt über spezielle Fähigkeiten: Es greift gemeinsam an oder einer verzichtet auf eine Aktion, die daraufhin sein Kumpel ausführen darf. So entstehen schlagkräftige Teams, die man trotz nachteiliger Eigenheiten nicht vernachlässigen sollte.
Neu ist zudem die sinkende Ausdauer aller Kämpfer, was sich vor allem dann bemerkbar macht, wenn man sie in aufeinander folgende Gefechte schickt. Im schlimmsten Fall gehorchen sie manchen Befehlen dann vielleicht nicht oder greifen an, anstatt in Deckung zu verharren. Eine durchdachte Rotation kann ich euch deshalb nur ans Herz legen – ihr wollt nicht, dass eure beste Frau oder euer bester Mann in einer wichtigen Mission plötzlich neben sich steht!
„Los, der schaut grad in die andere Richtung...“
Größere Vielfalt in der Entwicklung also, neue Einheiten und mehr Variation in den Feuergefechten: Macht die umfangreiche Erweiterung alles richtig? Tatsächlich ist die erweiterte taktische Bandbreite klasse. Allerdings bringt sie die Funktionsweise der aktuellen XCOM-Gefechte auch an ihre Grenzen und schiebt sie leider sogar darüber hinaus. Sie verstärkt alte Schwächen, die zuvor leichter verschmerzbar waren.
So empfand ich es in War of the Chosen War erstmals als ernstes Ärgernis, dass feindliche Patrouillen erstens gruppenweise und zweitens genau dann auf anrückende Soldaten aufmerksam werden, wenn die eine unsichtbare Linie überschreiten. Zum einen funktioniert heimliches Vorrücken dadurch nicht: Soldaten werden entdeckt, obwohl sie sich außerhalb gekennzeichneter Überwachungszonen befinden und obwohl sämtliche Feinde in eine andere Richtung schauen. Das war schon immer so – es fällt jetzt allerdings stärker auf, weil das Schleichen durch die lange unsichtbaren Reaper ganz allgemein eine größere Rolle spielt.
Zum anderen wurde aufgrund der häufiger notwendigen Positionswechsel öfter als in der Vergangenheit eine entfernte Patrouille auf meinen Trupp aufmerksam, so dass ich es unvorbereitet mit deutlich mehr Gegnern zu tun bekam. Ein Zurückziehen und gar erneutes Verstecken ist dann ja nicht möglich. Mit anderen Worten: XCOM ist an einem Punkt angelangt, wo manche Gefechte in ein frustrierendes Chaos ausarten, obwohl man lediglich auf die vom Spiel diktierten Gegebenheiten reagiert.
Ärger hinter Türen
Schade, dass Solomon seinen Einheiten nur zusätzliche Fähigkeiten verleiht, anstatt die inzwischen längst überarbeitungswürdige Geländetaktik zu verbessern. Natürlich kann man mit einer Erweiterung nicht das Hauptspiel umkrempeln. Trotzdem fällt das Ungleichgewicht auf.
Bekannte Fehler sind ja weiterhin drin. Ich habe erlebt, dass ein Angreifer eine Soldatin durch eine geschlossene Tür hindurch attackierte, er selbst aber nicht dahinter sichtbar war. Unmöglich scheinende Schüsse durch die Decken mehrerer Stockwerke hindurch wirken zudem heute noch seltsam und die Tatsache, dass Soldaten durch (immerhin zerstörbare) Mauern hindurch schießen, sobald einer ihrer Kameraden dort einen Gegner entdeckt, passt einfach nicht.
Nicht zuletzt bewegen sich einige Feinde sowie gemeinsam mit XCOM kämpfende Rebellen ausgesprochen dämlich, wenn sie scheinbar ziellos vor- und im selben Zug wieder zurücklaufen. Eine glaubwürdigere Dynamik und sinnvolleres KI-Verhalten ist spätestens in einem XCOM 3 eigentlich unabdingbar und hätte auch War of the Chosen mehr als gutgetan!
Operation Agentenschule
Dass Solomon etliche Neuerungen einbringt, anstatt das Fundament anzupassen, ist ohnehin symptomatisch für die Erweiterung – das gilt nämlich auch für die Strategie auf der Weltkarte. Und auch dort sind die Änderungen für sich genommen ausnahmslos gute! Immerhin gibt es jetzt verschiedene Arten von Forschungsprojekten, die die Wissenschaftler entweder schneller oder zu einem deutlich früheren Zeitpunkt innerhalb der Kampagne abschließen, falls man sie umgehend in Auftrag gibt.
Weiterhin schickt man Soldaten auf Einsätze, die man nicht aktiv leitet. Für die ist kein sechsköpfiger Trupp notwendig, sondern mitunter sogar nur ein Agent oder zwei. Die stehen dann ein paar Tage lang nicht für Gefechte zur Verfügung, sammeln aber Erfahrung, erhalten Boni auf vorher angezeigte Fähigkeiten und stärken nicht zuletzt ihre Beziehung.
Jede dieser Operationen erhöht außerdem das Ansehen bei einer der neuen Fraktionen, also den Templern, Schnittern oder Scharmützlern und in Abhängigkeit dieser Beziehung sucht man jeden Monat pro Fraktion einen Bonus heraus. Dazu können geringe Preise auf dem Schwarzmarkt gehören sowie ein Multiplikator für Erfahrungspunkte. Parkt man die Avenger am Hauptquartier einer der Fraktionen, senkt man schließlich die Bauzeit neuer Einrichtungen, lässt Soldaten schneller heilen oder verkürzt die Zeit, in der man Informationen für den Ausbau des Widerstands erhält.
Stapel statt Strategie
Das Herumfliegen der Avenger, um erst hier, dann dort und nur während des Parkens Boni zu genießen oder Ressourcen zu beschaffen, ist dabei ein wesentlicher Bestandteil des Problems: Das strategische Verschieben ist maßlos überladen! Gefühlt ist es ein unüberschaubarer Stapel wichtiger Aufgaben, eine elendig lange To-do-Liste, die man am besten ständig im Kopf behält. Anstatt hauptsächlich und gerne auf mehreren Ebenen dauerhafte Entwicklungen einzuleiten sowie die Marschrichtung gelegentlich an neue Entwicklungen anzupassen, rennt man ständig kleinen Brandherden hinterher.
Ingenieure wechseln alle paar Tage ihren Arbeitsort, Soldaten sind fast immer unterwegs, gerade müde, verletzt oder im Training und will man sie schneller heilen, verzichtet man tagelang auf das Anschaffen elementarer Ressourcen, das Kontaktieren weiterer Widerstandszellen usw.
Ich verstehe, dass sich XCOM 2 um das Treffen schwieriger Entscheidungen dreht. Mit War of the Chosen überzieht Solomon aber das gesunde Maß. Denn mit cleverem Verwalten hat das ständige Hin und Her einfach zu wenig zu tun.
Fazit
Insgesamt macht War of the Chosen aus XCOM 2 kein deutlich schlechteres Spiel. Im Gegenteil sogar: Für sich genommen ist jede Neuerung klasse! Ich mag die mächtigen Reaper, Templer und Scharmützler mit ihren einzigartigen Fähigkeiten z.B. sehr und genieße die größere taktische Vielfalt ebenso wie häufiger auftretende Explosionen sowie die Tatsache, dass meine Soldaten von „Zombie“-Horden dazu gezwungen werden ihre relativ sichere Deckung zu verlassen. Die individuelle Charakterentwicklung erlaubt auch ohne Modifikationen wieder das Trainieren echter Spezialisten, die man in geheimen Operationen weiter ausbildet, mit neuen Startbedingungen passt man die Kampagne an eigene Vorlieben an und Freundschaften unter den Soldaten verstärken die Bindung an sie, während durch das Ermüden mancher Einheiten andere wichtig werden, denen man früher keine Beachtung geschenkt hätte – es steckt so viel Gutes in dieser Erweiterung, dass ich zeitweise sogar über einen Platin-Award nachgedacht habe. Mit fortschreitender Spieldauer wurde aber auch klar, dass das Prinzip XCOM 2 mit den neuen Inhalten überlastet ist. Der Verlauf der Gefechte, ganz besonders das starre KI-Verhalten und die bekannten Fehler beim Erkennen glaubwürdiger Sichtlinien, passen nicht zu der plötzlich überbordenden Anzahl an Fähigkeiten. Manche Gefechte erinnern mich deshalb an chaotische Fantasy-Schlachten, nicht an das überlegte Verschieben taktisch versierter, aber menschlich „kleiner“ Spezialeinheiten. Weil die Kampagne noch immer ebenso spannend ist wie die packenden Gefechte, ist auch diese Version von XCOM 2 eine sehr gute. Weil die aktuelle Entwicklung aber ein Schritt in die falsche Richtung ist, erhält War of the Chosen eine schlechtere Wertung als das Hauptspiel.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Große Erweiterung, die XCOM 2 um zahlreiche gute Neuerungen erweitert - das Prinzip allerdings auch an seine Grenzen führt.
PC
Große Erweiterung, die XCOM 2 um zahlreiche gute Neuerungen erweitert - das Prinzip allerdings auch an seine Grenzen führt.
XboxOne
Große Erweiterung, die XCOM 2 um zahlreiche gute Neuerungen erweitert - das Prinzip allerdings auch an seine Grenzen führt.
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