The Council11.12.2018, Jörg Luibl
The Council

Im Test: Mantel-und-Psychologie-Abenteuer

Im März hatten Big Bad Wolf (Entwickler) und Focus Home Interactive (Publisher) die erste Episode des erzählerisch überaus kreativen Adventures The Council (ab 2,85€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) für PC, PS4 und One veröffentlicht. Mittlerweile ist die fünfte und letzte Episode des Spiels erschienen, das euch für knapp 30 Euro als Ermittler in das späte 18. Jahrhundert versetzt. Zwischen historischer Prominenz, Intrigen und Geheimorden trifft man in Dialogen zig Entscheidungen, die sich auf das Ende auswirken sollen. Lohnt sich der mysteriöse Trip auf die einsame Insel?

Mutter, wo bist du?

Eigentlich sind Mutter und Sohn als Mitglieder eines Geheimbundes ein eingespieltes Team: Schon im Prolog können sie sich aus einer höchst brisanten Lage befreien, die auch tödlich hätte enden können. Immerhin hocken sie gefesselt vor einem zu allem entschlossenen Entführer. Er verlangt ein Buch, das sie ihm partout nicht aushändigen wollen. In dieser Situation weiß man noch nicht, was so wichtig an dem Schmöker ist, um was es im Großen und Ganzen geht oder wofür der Goldene Orden steht, dem die beiden angehören. All das sorgt aber auch für ein angenehm mysteriöses Krimi- und Rollenspielflair. Denn schon hier kann man über seine Entscheidung erste Konsequenzen spüren: Übernimmt der Sohn die Initiative bei der Befreiung oder lässt er seine Mutter machen? Entscheidet man sich für Letzteres, gewinnt man z.B. die Eigenschaft "Vertrauensvoll" und damit einen Punkt in Psychologie. Das ist der Beginn einer ungewöhnlich interessanten Charakterentwicklung, in der nicht kämpferische, sondern geistige Talente im Vordergrund stehen.

Aber das familiäre Team de Richet wird bald getrennt. Das eigentliche Spiel beginnt damit, dass der junge Franzose Louis

Welche Klasse darf es sein? Detektiv, Okkultist und Dipomat stehen zur Verfügung.
seine Mutter sucht. Sie ist seit einigen Wochen auf einer englischen Insel zu Gast bei einem Sir Mortimer, aber plötzlich verschwunden. Hat man sie etwa ermordet? Versteckt sie sich? Man fühlt sich fast wie in einem Mantel-und-Degen-Film, wenn man im Jahr 1793 am kleinen Hafen landet, die 3D-Kulisse frei in Schulterperspektive rkundet und die ersten Charaktere in einem riesigen Herrenhaus kennen lernt - hinsichtlich der authentischen Mode und repräsentativen Architektur werden Barock und Klassizimus sichtbar. Vor allem das Interieur von den Möbeln bis hin zu den prächtigen Gemälden ist sehr ansehnlich, so dass man sich wie in einem Historienkrimi fühlt. Zwar wirken Mimik sowie Bewegungen etwas steif, außerdem gibt es im Hintergrund manchmal ein leichtes Flackern, aber dafür sind die teilweise prominenten Charaktere sehr gut ausgearbeitet, was Gesichter, Kleidung sowie ihre Biographien betrifft, die man im gut sortierten Menü nachschlagen kann.

Detektiv, Okkultist oder Diplomat?

Wie in einem Rollenspiel kann man sich zu Beginn für eine Klasse entscheiden: Detektiv, Okkultist und Dipomat stehen zur Verfügung. Je nach Wahl ändern sich die Hauptfähigkeiten zum Start, die man noch in Stufen ausbauen kann und die direkten Einfluss auf die eigene Stärke in Dialogen, aber auch auf Aktionen wie Einbruch etc. haben. Der Diplomat versteht sich z.B. auf Politik, Etikette, Sprachen, Ablenkung und Überzeugung, während der Okkultist eher Täuschung, Wissenschaft, Kunst,
Die Charakterentwicklung von Louis de Richet ist angenehm frei und bietet viele Optionen.
Manipulation und Heimlichtuerei bevorzugt und der Detektiv am besten ermittelt und schlussfolgert. Nicht jeder kann z.B. alle Briefe oder lateinische Inschriften entziffern, effizient schmeicheln, überzeugend manipulieren, ein Hilfsmittel für Geheimtinte erkennen oder Schlösser knacken. Und je versierter man in einem Bereich ist, desto weniger Konzentrationspunkte kostet die erfolgreiche Ausführung. Für etwas Arcade-Flair sorgen Tränke, die einem sofort mehr Punkte, einen direkten Erfolg oder Heilung gegen negative Effekte verschaffen.

Durch diese Fähigkeitenproben, die auch verschiedene Stufen verlangen - als Okkultist kann man z.B. nicht sofort jede Art von Kunst einordnen, sondern muss seinen Charakter in diesem Bereich entwickeln, damit Louis beim Betrachten etwas dazu sagt - steigt die situative Spannung und natürlich auch der Wiederspielwert. Schön ist auch, dass man im weiteren Verlauf eine Vielzahl an zusätzlichen Fähigkeiten, auch jene der anderen Klassen, für etwas mehr Punkte erlernen kann. Teilweise auch durch literarische Funde: Findet man z.B. alle Bücher von Diderots berühmter "Encyclopédie", bekommt man in drei Wissensbereichen je einen Pluspunkt. Wer sich ein wenig für diese turbulente Zeit der Französischen Revolution (1793 - 1799) interessiert, wird also auch auf einige authentische Merkmale abseits der Kulisse treffen. Sowohl die Literatur als auch die Konflikte zwischen Staat und Kirche, Monarchisten und Revolutionären werden spürbar.

Kunstgeschichte und Persönlickeiten

Zwar hat man es mit dem Sammeln von überall verstreuten Münzen und dem inflationären Freischalten von über 40 Talenten nach speziellen Leistungen übertrieben - das riecht stark nach "modernen" Zugeständnisse, um Leute dauerhaft mit Erfolgen zu berieseln. Aber dafür gefällt mir sehr gut, dass man sich so viel Zeit für Künstler und Motiv nimmt! In vielen Spielen werden Bilder einfach so an Wände geklatscht, ohne dass es eine Interaktion gibt. Wenn Louis hier eines der vielen Gemälde in den weiten Fluren und prächtigen Sälen betrachtet, wird man durch seine inneren Monologe dazu nebenbei auch kunsthistorisch von Caravaggio bis Michelangelo aufgeklärt - dabei klugscheißt er keine Fakten, sondern sinniert über Motive und Gründe. Hinzu kommt, dass man diese auch in die Rätsel eingebunden hat: Das sind zwar keine all zu schwierigen Kopfnüsse, aber Big

Wer Latein beherrscht, kann die Inschrift am Boden entschlüsseln.
Bad Wolf inszeniert hier wesentlich mehr Anspruch als z.B. Telltale: Man muss mitunter Hinweise auf Bildern richtig deuten oder versteckte Botschaften finden, um korrekte Bibelstellen nachzuschlagen, die dann wiederum zu einem weiteren Puzzlestein führen - da kann man auch mal längere Zeit grübeln. Hier fühlt man sich dann wie in einem klassischen Adventure. Zur Abwechslung trägt zudem bei, dass sich die spielmechanischen Elemente sowie Rätseltypen mit den folgenden Episoden ändern - man wird also immer aufs Neue gefordert.

Was mir zudem gefallen hat, ist die Relevanz der Persönlichkeit des Gegenübers. Jeder Nichtspieler-Charakter, darunter einige exzentrische Figuren, hat bestimmte Immunitäten, so dass ich mit einer Drohung oder einem Kompliment nicht jeden überzeugen kann. Während die Herzogin gegenüber einer logischen Schlussfolgerung immun ist, wirkt sie vielleicht beim Kardinal. Einen Diener kann man manipulieren, während das bei George Washington nicht funktioniert. Und ich muss erstmal herausfinden, wer welche Schwäche hat, so dass ich diese in Dialogen auch ausnutzen kann - all diese Erkenntnisse werden sehr übersichtlich in Dossiers zu jedem Charakter notiert, so dass man immer wieder nachschlagen kann. Setze ich die falsche Strategie ein, werde ich übrigens "erschöpft" und kann nicht sofort wieder insistieren; bin ich erfolgreich, gewinne ich Konzentration hinzu. Letztlich ist das zwar ein mathematisches System, bei dem ich aus einer Multiple-Choice-Auswahl im Kreismenü quasi Lösungen für mehr oder weniger Einsatz freischalte, aber dennoch

Der Diener ist anfällig für die Manipulation - man kann ihn also auch mal schroffer in die psychologische Ecke drängen.
wird mir eine rhetorische Situation suggeriert, zumal auch Kamera und Regie mit ihrem Fokus auf die Gesichter und Gestik für eine psychologische Verstärkung sorgen.

Psychologische Reaktionstests und Konfrontationen

Apropos: Ab und zu kann man bei tickender Uhr auch spezielle Punkte seines Gegenübers näher betrachten, hat dabei z.B. die Wahl zwischen  den Augen oder der Hand, dem Mund oder einer Kette - je nach Wahl bekommt man dann Hinweise darüber, ob derjenige gerade gelogen hat, eitel oder überrascht ist. Zu den kreativen Spielmechaniken gehört auch die Konfrontation: Das sind die für die Story entscheidenden Momente, in denen man in mehreren Phasen eine Situation meistern muss, indem man seinen Gesprächspartner überzeugt - auch das geschieht manchmal unter Zeitdruck. Kann man den rhetorisch versierten Kardinal dazu bringen, dass er einem den Brief der Mutter aushändigt? Dabei entsteht eine kommunikative Dramaturgie: Man darf sich nämlich nur eine bestimmte Zahl an Fehlern erlauben, kann also auch bei kleinen Erfolgen noch scheitern. Manches erinnert entfernt an das von mir sehr geschätzte Spioange-Rollenspiel Alpha Protocol, aber ich finde das Spieldesign hier schlüssiger, obwohl es mitunter auch kleine Logikfehler gibt. Das System ist übrigens nicht gnadenlos, sondern eher verzeihlich, denn man darf manchmal auch per Trail & Error durchprobieren und weiß natürlich nach einem Fehlschlag, was falsch war. Will man sofort erfolgreich sein, profitiert man natürlich, wenn man die Schwächen sowie Immunitäten einigermaßen kennt und genug Konzentrationspunkte hat.

Die Konfrontation gehört zu den Schlüsselmomenten eines Dialogduells.
Zwar ist das unterm Strich ein schematisches System, aber man kann so manche Unbekannte in der Psyche des Gegenübers auch dadurch erraten, dass man den Charakter aufgrund seines bisherigen Auftretens und Verhaltens einfach richtig einschätzt. Sehr schön ist auch, dass man am Ende eines der mehreren Kapitel pro Episode klares Feedback in drei Bereichen dazu bekommt, was man erfolgreich entschieden bzw. entdeckt und vielleicht nicht herausgefunden hat. Ich hatte z.B. nicht alle Hinweise am Anleger gefunden und einen alternativen Weg verpasst, mich mit George Washington zu unterhalten. So kommt es immer wieder zu Aha-Effekten und der Wunsch zum erneuten Spielen wird steigt. Die erste Episode hatte jedenfalls in ihren knapp drei Stunden derart die Neugier geweckt, dass ich die weiteren vier sowie das Ende unbedingt sehen musste - und auch das wirkt sich nach etwa zwölf bis fünfzehn Stunden je nach euren Entscheidungen anders aus.

Fazit

Lust auf ein stilvolles, kommunikatives und angenehm kreatives Adventure? Dann kann ich euch diesen historischen Trip ins 18. Jahrhundert trotz kleiner technischer Defizite wärmstens empfehlen! Man fühlt sich während der zwölf bis fünfzehn Stunden fast wie in einem Mantel-und-Degen-Abenteuer, nur dass nicht mit Klingen, sondern mit Worten gekämpft und gerätselt wird. Und das im weitesten Sinne: Als Detektiv, Politiker oder Okkultist greift man auf unterschiedliche rhetorische, psychologische, sprachliche, akademische oder ermittlungstechnische Fähigkeiten zurück, um das mysteriöse Verschwinden der eigenen Mutter sowie den geheimen Plan dahinter aufzuklären. Das kommunikatiove System erinnert entfernt an das von mir sehr geschätzte Spionage-Rollenspiel Alpha Protocol, aber ist hier noch schlüssiger und vielfältiger designt. Dabei begegnet man während der turbulenten Epoche der Französischen Revolution auch prominenten Gestalten wie George Washington oder Napoleon, deren Stärken und Schwächen man erstmal herausfinden muss. Zwar ist der Sammelkram überflüssig, Mimik und Bewegungen etwas steif, aber dafür entwickelt man fast wie in einem Rollenspiel seinen Charakter, es gibt viele gute Dialoge, aber auch Rätsel und vor allem spürbare Konsequenzen - sowohl nach einem Kapitel als auch am Ende der fünf Episoden. The Council verströmt mit seinem Thema rund um Geheimbünde angenehmes Krimi- und Mystery-Flair und bereichert das Genre um einen interessanten erzählerischen Ansatz. Für mich ist es das beste Spiel von Focus Home Interactive seit dem schleichenden Goblin Styx.

Pro

innovatives Adventure mit Rollenspiel- und Krimi-Flair
mysteriöse Story rund um Geheimbünde
markante Charaktere, darunter Napoleon & Co
ansehnliche 3D-Kulisse, tolle Gemälde
vielseitige kommunikative Interaktion
drei Klassen und individuelle Charakterentwicklung
abwechslungsreiche klassische Rätsel
historischer Hintergrund und authentisches Flair
übersichtliche Menüs und Dossiers
Feedback nach jedem Kapitel
faires automatisches Speichersystem; drei Plätze
deutsche Lokalisierung der Texte

Kontra

steife Mimik und Bewegungen
überflüssiger Sammelkram
technische Defizite wie Clippings etc.
englische Sprachausgabe

Wertung

XboxOne

The Council verströmt mit seinem Thema rund um Geheimbünde angenehmes Krimi- und Mystery-Flair und bereichert das Genre um einen interessanten erzählerischen Ansatz.

PC

The Council verströmt mit seinem Thema rund um Geheimbünde angenehmes Krimi- und Mystery-Flair und bereichert das Genre um einen interessanten erzählerischen Ansatz.

PlayStation4

The Council verströmt mit seinem Thema rund um Geheimbünde angenehmes Krimi- und Mystery-Flair und bereichert das Genre um einen interessanten erzählerischen Ansatz.

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