HTC Vive Pro09.05.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Ein lohnenswertes Upgrade?

Wir liefern das beste Premium-Erlebnis, das derzeit auf dem Markt verfügbar ist: Mit diesem Versprechen richtet sich HTC einmal mehr an VR-Enthusiasten, Geschäftskunden und betuchte Spieler. Wir haben überprüft, ob sich das Headset Vive Pro in Punkto Bildqualität und Komfort tatsächlich stark genug von der Konkurrenz abhebt.

Nicht gerade ein Schnäppchen

Preislich liegt die Vive Pro auf jeden Fall im Highend-Bereich: Stattliche 879 Euro werden für das Headset fällig , für das Besitzer der älteren „Standard-Vive“ einfach ihr altes Tracking-System und die alten Bewegungs-Controller weiternutzen können. Wer die an die Wand montierten Würfel noch nicht besitzt, muss sogar 1.178 Euro investieren, um ein Bundle mit Tracking 1.0 und Controllern zu erhalten. Nicht gerade billig also, wenn man die Alternativen betrachtet: Die Standard-Vive kostet im Komplett-Bundle nur noch 599 Euro, Oculus Rift und PSVR in entsprechenden Paketen sogar nur je 450 Euro (im Mobil-Bereich wird es natürlich noch deutlich günstiger). Das Tracking-System der Vive hat allerdings nach wie vor einen klaren Vorteil bei der Immersion in mittelgroßen Räumen: Bei keinem anderen System fühlt man sich so glaubhaft in eine virtuelle Welt versetzt wie hier.

Statt den zwei alten, 3,8 Zoll großen OLED-Displays mit jeweils 1.080 × 1.200 Pixeln (insgesamt 2.160 × 1.200) nutzt die Vive Pro zwei 3,5-Zoll-AMOLED-Exemplare mit je 1.440 × 1.600 Bildpunkten (insgesamt 2.880 × 1.600). Das Sichtfeld bleibt mit rund 110 Grad gleich.
Bereits wenn man durch den virtuellen „Käfig“ mit seinen Schutzgittern am Rand spaziert, wird klar, dass dieses Mittendrin-Gefühl von der gestiegenen Auflösung profitiert. Die neuen AMOLED-Screens sind der Star des neuen Premium-Modells der Vive. Ob man die fein beleuchteten und räumlich glänzenden Controller vor die Augen hält oder kleinere Schriftblöcke im Hintergrund liest: Die gestiegene Gesamtauflösung macht sich auf Anhieb positiv bemerkbar. Eine 4K-Auflösung (3.840 × 2.160) wird noch nicht erreicht, die 2.880 x 1.600 Pixel der Vive Pro entsprechen allerdings einer Steigerung der Auflösung von 78% gegenüber dem alten Modell mit 2.160 × 1.200 Pixeln. iFixit (via roadtovr.com ) hat das neue Gehäuse auseinandergenommen und darin Samsungs Display „AMS350MU04“ entdeckt, das bereits im Headset „Samsung Odyssey VR“ verbaut sein soll, welches Microsofts Mixed-VR-Plattform unterstützt. Auch Facebooks autarkes Budget-Headset Oculus Go bewegt sich mit 2.560 x 1.440 Pixeln in einem ähnlichen Bereich - dort wird allerdings lediglich ein günstiger LCD-Schirm verbaut.

Tod dem Fliegengitter?

In der Vive Pro gibt weiterhin ein deutlich sichtbares Pixelraster, es drängt sich aber etwas weniger auf. Die empfundene Verbesserung beim „Fliegengitter“ liegt im Direktvergleich gar nicht so weit vorm PSVR-Screen mit seinen clever versetzten Subpixeln. VR-Veteranen wissen aber, wie froh man unterm Headset auch über solch einen leichten Gewinn an Schärfe ist. Dadurch gibt es einfach weniger Störfaktoren, die den Spieler an die „reelle Realität“ erinnern. Eines dieser Probleme machte sich schon in der Standard-Vive bemerkbar: Da HTC nach wie vor Fresnel-Linsen einsetzt, werden manchmal ihre Ring-Struktur und störendes Leuchten sichtbar.

Paradox: Mit einem Gewicht von stattlichen 1.018 Gramm (alte Vive: 766 Gramm) ist die Vive Pro ein echtes Schwergewicht. Die Last wird aber derart gut verteilt, dass es auf Dauer deutlich bequemer bleibt als bei anderen Headsets.
Vor allem bei starken Kontrasten sieht man plötzlich einen Schimmer vorm Bild, der an helle Lichtstrahlen („God Rays“) erinnert. Das kann z.B. ein hell leuchtender Streifen vor schwarzem Hintergrund sein. Das Sichtfeld bleibt mit 110 Grad gleich, bei der Leuchtkraft und der restlichen Bildqualität sind uns ebenfalls keine signifikanten Unterschiede zum Vorgänger aufgefallen. Geradezu begeistert sind wir vom gestiegenen Komfort: Wenn man erst einmal die Vive Pro aufhatte, wirken die alten Headsets danach erstaunlich unbequem. Sogar das toll designte Gehäuse der PlayStation VR muss sich geschlagen geben. Die Vive Pro wiegt mit ihren 1.018 Gramm zwar mehr als die Konkurrenz, das Gewicht wird über den Halterungsbügel aber toll verteilt und ausbalanciert. Einfach die Front ans Gesicht drücken, den Bügel am Hinterkopf nach unten klappen und dann noch die neuen seitlichen Ohrhörer an die Ohren drücken. Klack, klack, klack, fertig – und schon bemerkt man, wie viel bequemer die dicken abgerundeten Polster auf dem Kopf aufliegen.

Überaus ergonomisch

Fixiert wird das Gebilde nicht nur mit dem bekannten Kopfband, sondern auch mit einem Drehrädchen am Hinterkopf. Vor allem in längeren Spiel-Sessions ist es deutlich angenehmer, dass das Gewicht den Kopf nicht so sehr nach vorne zieht und das Headset weniger wie ein Fremdkörper wirkt. Die clever ausgetüftelte Kabelführung rund um die Bügel schützt derweil vor Schäden bei ruckartigen Bewegungen und sorgt für ein freieres Spielgefühl, weil die Strippe weiter hinten herunterhängt und gefühlt nicht mehr so am Kopf „zerrt“. Wer kabellos spielen will, muss auf den einzeln erhältlichen „VIVE Wireless Adapter“ der Partnerfirma DisplayLink warten, für den noch kein Preis feststeht. Laut eines ersten Testberichts funkt er auf Kabelniveau (Wi-Fi-Standard IEEE 802.11ad, 60-Gigahertz-Band, 4K-Übertragung bei 90 Hz und höher möglich). Er soll aber ähnlich kompliziert im Aufbau sein wie Tpcasts Drahtlosadapter für die „normale“ Vive (zum Test).

Das kleine Rädchen zur Fixierung am Hinterkopf hat HTC sich von Sony abgeschaut und es verfeinert. Eine ähnliche Halterung mit Kopfhörern ist übrigens auch für die alte Vive erhältlich - unter dem Namen "Deluxe Audio Strap".
Auch Brillenträger scheinen mit der Vive Pro das bequemste Erlebnis zu bekommen: Nachdem Kollege Eike die Front per Knopfdruck ein wenig ausgefahren hatte, passte sein mittelgroßes Gestell noch besser unter die „Haube“ als beim bisherigen Brillenträger-Favoriten PSVR. Ein Wermutstropfen ist die Hitze-Entwicklung: Nach rund einer Stunde Betrieb wird es vor allem auf der Oberseite ähnlich warm wie bei einem gut ausgelasteten Smartphone. Glücklicherweise wird ein Großteil davon aber nach außen abgeführt, so dass es unter der Haube nur bedingt wärmer wird. Obwohl die Sonne unsere Büros in den letzten Tagen ordentlich aufgeheizt hat, kam ich nicht wirklich ins Schwitzen - im Gegensatz zu PSVR, bei dem sich unter der Stirnauflage aus glattem Plastik schon einmal Tröpfchen bilden, wenn man eine Glatze hat.

Technische Nicklichkeiten

Die Änderungen an der Hardware bringen ein paar weitere Besonderheiten mit sich, die Besitzer der älteren Vive im Hinterkopf behalten sollten. Neuerdings reicht kein USB-2.0-Kabel mehr, sondern man muss das beiliegende 3.0-Exemplar an einer entsprechend schnellen Buchse benutzen. Außerdem fällt der HDMI-Port weg: Die kleine Verbindungsbox zum PC bietet neuerdings nur noch einen Display-Port-Anschluss (1.2 oder höher). Für unseren kleineren Rechner neben dem VR-Spielfeld mussten wir erst einmal ein relativ exotisches Kabel (Mini-DP auf Mini-DP) beschaffen: In dieser Konstellation gab es beim Start manchmal Fehlermeldungen, so dass wir das Headset neu starten mussten, bevor die Spiel-Session losgehen könnte.

Bitte lächeln: Dank der zwei Frontkameras sieht man mit der Vive Pro auf dem Schädel noch bescheuerter aus.
Keine Probleme gab es an einem anderen Rechner, an dem wir einfach das beiliegende Display-Port-Kabel nutzen konnten (Mini-DP an der Box auf DP am PC). Auch in dieser Konstellation kann sich allerdings bemerkbar machen, dass die höhere Auflösung die Grafikkarte stärker beansprucht. Grafisch schlichtere Spiele wie Arcade Saga oder Audioshield liefen auch mit der minimal notwendigen GeForce GTX 970 perfekt (zu den Systemvoraussetzungen ). Bei anspruchsvolleren Kulissen wie in Farhome oder The Invisible Hours mussten wir die Grafik-Optionen aber stark herunterregeln, das Supersampling weglassen oder zur GTX 980 wechseln, um noch flüssig spielen zu können. Selbst bei Steams Overlay-Menü schien der Rechner manchmal überfordert zu sein und begann zu ruckeln.

VR für die Ohren

Positiv ist natürlich der neue Ein-/Ausschalter am Verbindungskästchen. Die zwei Kameras in der Front kamen in unserem Testbetrieb noch nicht zum Einsatz: Sie könnten laut HTC künftig einmal Objekte im Raum erfassen oder Handbewegungen tracken. Wir haben bislang nur eine davon für das bekannte kleine „Fenster in die reale Welt“ benutzt: Damit kann man z.B. nachschauen, wer gerade durchs Büro huscht, ohne das Headset abzunehmen.

Größenvergleich von links nach rechts: Die Vive Pro, die Standard-Vive und die Oculus Rift.
Die eingebauten Kopfhörer lassen sich schön an die Ohren drücken. Selbst, wenn sie einmal nicht ganz so nah anliegen wie klassische Ohrhörer, bieten sie einen schön klaren Klang mit neutral ausgesteuerten Frequenzen. Alternativ lassen sie sich auch abmontieren, um die eigenen Lieblingskopfhörer zu nutzen. Ich möchte das bequeme Aufsetzen des kom pletten Headsets aber nicht mehr missen. Ein Mikro ist ebenfalls eingebaut.Ein Versäumnis ist natürlich, dass bislang noch immer keine Nachfolger der klassischen Vive-Controller erhältlich ist. Die bekannten Stäbe werden in Roomscale-Spielen nach wie vor tadellos getrackt, sind aber bei weitem nicht so ergonomisch und immersiv wie beim Konkurrenz-System Oculus Touch von Facebook. Für die Zukunft geplant sind u.a. Valves Knuckle-Controller – und auch HTC selbst experimentierte offenbar mit ergonomischeren Exemplaren .

Fazit

Evolution statt Revolution: Bei kaum einem Stück Hardware passt diese Phrase so gut wie bei der HTC Vive Pro. Gefühlt handelt es sich nur um einen leichten Anstieg der Auflösung, so dass das Ergebnis nicht allzu weit vor dem PSVR-Screen mit seinen geschickt versetzten Subpixeln liegt. Doch selbst solch ein kleiner Qualitätssprung ist in der virtuellen Realität viel wert, weil das „Fliegengitter“ etwas kleiner wird und sich weniger in den Vordergrund drängt. Je weniger Dinge den Spieler an die reale Welt erinnern, desto besser – und genau dabei hilft auch die ergonomische Passform. In punkto Bequemlichkeit hat die Vive Pro mit ihren dicken Schaumstoffpolstern und ihrem toll ausbalancierten Gewicht meinen bisherigen Favoriten PSVR abgelöst! Wenn ich nicht aufs Geld schauen müsste, hätte ich mir die Vive Pro auch schon privat zugelegt – plus einen entsprechend flotten Spiele-PC (und eine größere Wohnung mit Roomscale-VR-Zimmer). Zum aktuellen, sehr hoch angesetzten Preis ist das Gerät aber eher etwas für gut betuchte Spieler oder VR-Enthusiasten, die ein möglichst gutes Erlebnis mit dem bewährten Vive-Tracking aus ihrem PC kitzeln wollen. All diese Investitionen ändern natürlich nichts daran, dass PSVR und Oculus Rift einen attraktiveren Katalog exklusiver Spiele bieten. Außerdem sollten Interessierte vorher abwägen, ob ihr PC genügend Power und die passenden Anschlüsse mitbringt.

Einschätzung: gut

Wertung

VirtualReality

Die gestiegene Auflösung und ein ergonomischer Sitz machen die Vive Pro zum bisher komfortabelsten VR-Headset - der Abstand zur Konkurrenz hält sich aber in Grenzen.

HTCVive

Die gestiegene Auflösung und ein ergonomischer Sitz machen die Vive Pro zum bisher komfortabelsten VR-Headset - der Abstand zur Konkurrenz hält sich aber in Grenzen.

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