Täglich grüßt das Weltuntergangsmurmeltier
Der geistige Nachfolger zu
Stories: The Path of Destinies (
Wertung: 78%) versetzt den Spieler in eine verhängnisvolle Zeitschleife: In der Rolle des Harbingers (einem Vorboten des Weltuntergangs) muss man nicht nur den Mord an der Gottlosen Priesterin aufklären – ihr Tod ist auch der Schlüssel dafür, den nahenden Weltuntergang zu verhindern. Doch man hat nur einen Tag Zeit, um mit einem von vier in Frage kommenden Verdächtigen Hinweise und ggf. Motivation herauszufinden, bevor die "Leere" zuschlägt und die Welt vernichtet. Die Hexe, die einen zu Hilfe gerufen hat, kann allerdings den zwangsläufigen Tod des Harbinger wieder ungeschehen machen. Während die Figuren allesamt keine Ahnung haben, dass sie ihren Untergang ständig aufs Neue erleben, kommt nur der Spieler mit seinem Wissen, das er sich über die drei bis vier Stationen erarbeitet hat, der Auflösung Stück für Stück und Tag für Tag näher.
Omensight inszeniert nicht nur spannende Kämpfe vor schicker Comic-Kulisse. Auch die Inszenierung der Geschichte zeigt viel Potenzial.
Ähnlich wie bei Path of Destinies inszeniert Spearhead dabei ein erzählerisches Experiment mit Elementen aus dem Action-Rollenspiel. Denn egal ob man mit einem rachsüchtigen Bären, einer verantwortungsbewussten Katzen-Generälin, einem machthungrigen Imperator oder einer musikalischen Revolutions-Maus loszieht, wird man immer feindlichen Gruppierungen begegnen, die man konfrontieren muss. Das Kampfsystem ist dabei ebenso simpel wie eingängig: Es gibt einen starken sowie einen schwachen Schlag, die kombiniert werden können, um so z.B. temporäre Betäubung hervorzurufen. Zusätzlich kann man ausweichen, um mit gutem Timing einen direkten Konter zu setzen. Die Energie, die man durch kontinuierliches Kämpfen sammelt, kann man durch einen längeren Druck auf die Angriffstasten in besonders verheerenden Attacken entladen. Abgerundet wird das System durch aufladbare Angriffe des „Tagespartners“, der abseits dieser Kommandos recht kompetent mit einem kämpft. Zusätzliche Fähigkeiten werden mit einem Figurenaufstieg des Harbinger bzw. durch das Ausgeben von Kristallen ermöglicht, die man allerdings auch für Aufwertungen oder das permanente Verkürzen der Abkühlzeiten verwenden kann. Damit erreicht man zwar bei weitem nicht den Umfang oder Tiefgang von einschlägigen Action-Rollenspielen, bietet damit aber genug Optionen, um sich den Gegnern stellen zu können.
Wenig Schauplätze, viel Überraschung
Nach jedem "Weltuntergang" kann man über die Geschehnisse nachdenken und Erfahrung sowie Kristalle in Upgrades investieren.
Obwohl sich das Geschehen auf im Wesentlichen eine Hand voll Schauplätze konzentriert, kommt es nur selten zu Abnutzungserscheinungen. Denn nach jedem Tag und den daraus gewonnenen Erkenntnissen, die man auch in einer ordentlichen Übersicht einsehen kann, um seine Theorien über den Mord zu erstellen, verändert sich die Welt ein wenig. Hier ist eine Anordnung der Gegner anders, dort sind neue Wege verfügbar, da man gelernt hat, eines der vielfarbigen Siegel zu öffnen. Dann wiederum sorgen die veränderten Dialoge (leider ohne Einflussmöglichkeit) dafür, dass sich die Geschichte und damit auch der Abschnitt oder die Gegnerauswahl anders entwickelt. Dabei kann man frei entscheiden, mit welchem der vier Co-Protagonisten man loszieht. Und dennoch ist die damit suggerierte Freiheit eher begrenzt. Auch die Hoffnung, dass sich die Stränge anders entwickeln, wenn man mit den Figuren in einer anderen Reihenfolge loszieht, löst sich schnell auf. Es macht keinen Unterschied, ob man erst mit Figur A, dann mit C und schließlich mit B geht oder sich zuerst für D, dann B und C entscheidet. Die neuen Erkenntnisse führen erst dann zu signifikanten Änderungen, wenn man bestimmte Schlüsselpunkte erreicht hat, die man danach auch per Telepathie mit den anderen Figuren teilen und damit ihre Handlungen beeinflussen kann. Und das tritt erst ein, wenn man über mehrere Akte hinweg mit jedem unterwegs war.
Man trifft auf interessante sowie vielschichtige Figuren wie z.B. die stimmgewaltige Ratten-Revolutionärin Ratika.
Dass man nicht mehr Möglichkeiten hat, die Handlung zu beeinflussen, ist ebenso schade wie die fehlenden Bezüge der einzelnen Mini-Geschichten untereinander. Und dennoch macht es Spaß, den Spuren zu folgen. Einige Figuren werden mit neuen Funden, Beweisen und Gesprächen in einem anderen Licht dargestellt, nur um im nächsten Erzählabschnitt eine weitere Kehrtwendung durchzumachen. Nichts ist wie es scheint und bis man das Verbrechen aufgeklärt hat, gibt es innerhalb dieser Fantasy-Welt ein paar durchaus glaubwürdig inszenierte sowie clevere Wendungen. Und die sorgen zusätzlich dafür, dass man gerne einen neuen Tag in Angriff nimmt, da man nie weiß, mit was für einem Twist die Geschichte am Ende um die Ecke kommt. Hier wirkt es sich spürbar aus, dass mit Nadim Boukhira (Stories) und Chris Avellone (Planescape Torment, Pillars of Eternity) erfahrene Autoren am Skript saßen. Dass ein Tag je nach Kampfintensität und Gegneraufkommen zumeist nur zwischen 20 und 30 Minuten dauert (bis man zur finalen Aufklärung gelangt, kann man gut und gerne zehn bis zwölf Stunden einplanen), hilft ebenfalls, sich für einen weiteren Murmeltiertag zu entscheiden – man weiß, dass man nicht stundenlang gebunden ist. Schade ist allerdings, dass Spearhead es ähnlich wie bei Stories nicht geschafft hat, die technischen Probleme auszubügeln. Das bunte Comicdesign ist weiterhin zweifellos schick, doch die sporadischen Ruckler sollten zwei Jahre nach Path of Destinies der Vergangenheit angehören.