Jurassic World Alive01.06.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Pokémon GO mit Dinos?

Am 7. Juni startet Jurassic World: Das gefallene Königreich im Kino – schon kurz vorher wollen Rechteinhaber Universal und Mobilspiel-Entwickler Ludia vom Interesse an Dinos und Monstersammelspielen profitieren: Ähnlich wie in Pokémon GO geht man in der realen Welt auf die Jagd und lässt die hübsch animierten Urzeitechsen in der Arena kämpfen. Der ideale Zeitvertreib für die Hitzewelle?

Schießen statt werfen

Wer sich das kostenlose Spiel mit (mannigfaltigen) Mikrotranaktionen herunterlädt, wird schnell Parallelen zu den Vorbildern aus dem Hause Niantic erkennen: Auch Jurassic World Alive nutzt Google Maps, damit man auf der Karte der realen Umgebung auf Monsterhatz gehen und Versorgungsstationen mit frischen Betäubungspfeilen oder virtueller Währung abklappern kann. Hat man ein prähistorisches Biest auf der Karte entdeckt, muss man nur noch nah genug heran gehen und das Jagd-Minispiel kann beginnen. Schön, dass dabei eine Drohne zum Einsatz kommt. Dadurch lassen sich auch knapp hundert Meter entfernte Tiere erwischen. Ein paar Sekunden später sieht man seine Beute aus der Luft und zielt aus der Vogelperspektive mit einem Fadenkreuz auf wechselnde Schwachstellen.

Die unterschiedlichen Echsen tauchen eher zufällig auf der Karte auf. Kurz vor der Kreuzung einer Hybrid-Art verkürzt das Spiel ein wenig den Grind und serviert dem Spieler die benötigten Arten deutlich häufiger.
Zu Beginn fühlt sich das ein wenig träge an, trotzdem ist das Minispiel ein wenig unterhaltsamer als der ungenaue Ballwurf in Pokémon GO. Wenn man erst einmal hunderte von Dinos angegriffen hat, wird es allerdings auch hier fade – zumal die Verfolgung nicht gerade realistisch wirkt. Die Giganten trampeln einfach munter durch stilisierte blaue Gebäude in der Umgebung hindurch. Zudem haben sich die Entwickler nicht einmal die Mühe gemacht, im Minispiel Augmented-Reality-Funktionen einzubauen – wie es besser geht, hat bereits vor neun Jahren Invizimals für die PSP bewiesen. Darin hinterließen die Biester im Kampf sogar perspektivisch korrekte Dellen auf dem abgefilmten Schreibtisch. In Jurassic World lassen sich die Giganten lediglich vor realen Hintergründen fotografieren, um Bilder davon in verknüpften sozialen Netzwerken zu posten.

Chance vertan – schon wieder!

Ich habe ja nicht viel erwartet: Pokémon GO mit schicken Dinosauriern und einem spannenderen Kampfsystem – das wäre genug Motivation für mich gewesen, um wie vor zwei Jahren stundenlang durch Hamburg zu laufen. Entwickler Ludia (entwickelte auch die mobile Aufbaustrategie Jurassic World: The Game ) sieht das leider anders. Das kanadische Team hat ausgerechnet die lokalen Besonderheiten gestrichen, welche die Vorbilder Pokémon GO und Ingress so frisch und anders machten: In den genannten Titeln verteidigte man praktisch seine reale Umgebung: "Wie bitte, es hat sich schon wieder jemand die Arena am Einkaufszentrum unter den Nagel gerissen? Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen!" Mehrmals täglich lief ich zu den Monster-Kampftempeln in der Nachbarschaft (oder zu den Portalen in Ingress), um die Team-Ehre wiederherzustellen. Vor Ort stellte ich dann Mutmaßungen darüber an, bei welchem der herumlungernden Passanten es sich wohl um meinen Rivalen handelte. Auch an fremden Orten legte ich erstaunlich viele Kilometer zurück, um mir z.B. beim Trip an den Ostseestrand viele Wasser-Pokémon zu schnappen.

All das fehlt hier. Es gibt keine lokalen Kampfarenen, keine Lockmodule, mit deren Hilfe man Freunde und Fremde zusammentrommelte und nicht einmal die Sehenswürdigkeiten aus beiden Spielen. Auch in Jurassic World Alive klappert man auf der Google-Karte Nachschub-Container ab – hier handelt es sich allerdings um karge Würfel, die keine Fotos interessanter Orte zeigen.

Nicht besonders stimmungsvoll

Auch an anderer Stelle versucht Ludia gar nicht erst den Anschein zu erwecken, dass man sich wirklich auf der Jagd nach Urzeitkreaturen befindet. Statt sich einzelne Exemplare zu schnappen, sammelt man lediglich ihre DNS-Proben. Hat man genügend zusammen, lassen sich neue Dinosaurier „erstellen“ und später auch neue Kreuzungen züchten. Das ergibt zwar im Kontext der Serie Sinn, trotzdem wird der Sammelinstinkt deutlich schlechter befriedigt als bei Nintendo & Co. Allgemein machen sich die Entwickler wenig Mühe, Stimmung aufzubauen: Das Spieldesign wird sehr stark von der Monetarisierung, seinen aufploppenden Sonderangeboten und Abo-Systemen dominiert. An allen Ecken und Enden wird deutlich wird, dass man hier eigentlich nur Zahlen und abstrakte Ressourcen verschiebt. Das beginnt bei der kargen Rahmenhandlung in Standbildern (immerhin mit Raptoren-Trainer Owen aus dem Film) und zieht sich bis hin zu den Brutkästen: In ihnen lassen sich nicht nur Tier-DNA, sondern auch Geld und Munition ausbrüten – sehr glaubwürdig!

Na endlich: Wenn ein Einiosaurus und ein Nundasuchus sich ganz doll lieb haben, wird daraus ein Einiasuchus.
Am meisten auf die Nerven ging mir aber die Streckung des Fortschritts. bislang war es mir nur möglich, einen einzigen stärkeren Hybriden zu kreuzen - obwohl ich rund eine Woche lang täglich immer mal wieder ein paar Stündchen zum Sammeln vor die Tür ging, den überwältigenden Großteil meiner Kämpfe gewann und sogar rund 13 Euro in Mikrotransaktionen investierte. Die Balken mit der nötigen DNA (und Währung) füllen sich einfach viel zu langsam!

Immerhin ein Lichtblick

Die Online-Kämpfe gestalten sich glücklicherweise etwas motivierender, selbst wenn man nur seine „gewöhnlichen“ Saurier auflevelt, um ihre Energie- und Schadens-Statistiken aufzupäppeln. Es ist zwar schade, dass nur Zufallsgegner vermittelt werden, aber die Rundengefechte unter Zeitdruck werden relativ stark von Taktik geprägt. Wenn man im passenden Moment seine Teammitglieder auswechselt und sein Gegenüber mit Tricks wie Betäubungsattacken oder Zeitschaden unter Druck setzt, lässt sich einiges erreichen – auch gegen einen stärkeren „Trainer“. Die Geschwindigkeit kleiner Räuber, die Panzerung von Triceratops & Co und die rohe Gewalt von Kraftpaketen wie dem T-Rex müssen stets in Betracht gezogen werden, um passende positive Effekte anzubringen oder die des Gegners aufzuheben. Mit Hilfe gesammelter Trophäen steigt man (ziemlich langsam) in höhere Ligen auf, um gleichwertige Gegner vermittelt zu bekommen.

Leider litten die Kämpfe bei uns schon ab der zweiten Arena unter argen technischen Fehlern und Verbindungsabbrüchen, was hier besonders ärgerlich ist: Schließt man das abgestürzte Spiel, wird das wie eine vernichtende Niederlage gewertet und der Trophäen-Rang sinkt. Plötzlich war unsere frisch freigeschaltete Arena wieder gesperrt – sehr motivierend! Auch auf dem Kartenbildschirm scheinen die Server seit gestern immer häufiger unter Bugs und gestiegenen Nutzerzahlen zu leiden. In den ersten Tagen flutschte fast alles problemlos, mittlerweile werden Erinnerung an schlechte Pokémon-GO-Tage wach. Besser präsentieren sich die Artenvielfalt und die grafische Umsetzung: Die detailreiche Gestaltung der zahlreichen Echsen und ihre flüssigen Animationen können sich durchaus sehen lassen, während die nur passablen Hintergründe mit einigen unscharfen Texturen deutlich abfallen. Die eher karge Sounduntermalung mit kurzen Schussgeräuschen und Orchesterfanfaren werden die meisten Spieler vermutlich ohnehin stummschalten.

Fazit

Wieder einmal hat der Rechteinhaber einer großen Marke die Chance versäumt, eine gute oder zumindest passable Alternative zu Pokémon GO zu entwerfen. Warum verzichtet das Spiel auf all die lokalen Aspekte, die im Vorbild (oder in Ingress) für ein frisches, aufregendes Gefühl sorgten? Klar, auch diese Apps besaßen mehr als genug Probleme, aber sie motivierten mich immerhin dazu, stundenlang vor die Tür zu gehen und mein Viertel zu verteidigen. Jurassic World Alive steht im krassen Gegensatz dazu: Seine Mechaniken und unpersönlichen Online-Kämpfe erinnern mich an jeder Ecke daran, dass sich fast das komplette Spieldesign um die Monetarisierung dreht. Die lukrativen „Wale“ sollen schließlich möglichst oft zum Kauf verleitet werden - mit einem quälend langsamen Fortschritt und aufploppenden Sonderangeboten. Hinzu kommen ärgerliche technische Probleme, die sogar den mühsam verdienten Fortschritt zurückwerfen können. Alles in allem eine frustrierende Entwicklung! Ich hoffe darauf, dass künftig endlich mal jemand das Thema mit einem halbwegs brauchbaren Spiel umsetzt. Das Genre solcher Kampf- und Sammelspiele in der realen Welkt bietet schließlich noch eine Menge ungenutztes Potenzial!

Pro

taktische, teils knappe Rundenkämpfe unter Zeitdruck
hübsch designte und animierte Dinosaurier
zahlreiche Arten und mögliche Neuzüchtungen
Drohnen-Einsatz ermöglicht auch Jagd entfernterer Dinos

Kontra

aufregende soziale Aspekte aus Pokémon GO oder Ingress fehlen hier
starker Monetarisierungsfokus sorgt für schrecklich langes Grinden
Bugs und Abstürze hindern den Fortschritt
Jagd-Minispiel auf Dauer fade
Dinos laufen bei der Jagd durch Häuser
keine Augmented-Reality-Funktionen
so gut wie keine Story-Einbettung

Wertung

Android

Die von Fehlern geplagte Dino-Jagd verzichtet auf spannende lokale Aspekte aus Pokémon GO und ersetzt sie mit fader Fleißarbeit sowie passablen Online-Kämpfen.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Käufe sind ein zentraler Bestandteil des Spieldesigns.
  • Der Shop ist ein penetranter Bestandteil der Menüs oder Benutzerführung.
  • Man wird genötigt die Spielzeit über Käufe verkürzen, Pay-to-Shortcut.
  • Man wird genötigt sich Vorteile über Käufe im Online-Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, Pay-to-win.
  • Käufe werden durch Zufallsfaktoren zum Glücksspiel.
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