The American Dream16.03.2018, Mathias Oertel
The American Dream

Im Test: Bitterböse Ballersatire

Auf den ersten Blick könnte The American Dream (ab 27,41€ bei kaufen) ein VR-Spiel sein, das von der amerikanischen National Rifle Assiciation in Auftrag gegeben wurde. Doch hinter der Glorifizierung des Rechts auf Waffenbesitz in den USA steckt ein australisches Indie-Team. Und das nutzt die Chance, um eine bitterböse Satire auf das amerikanische Lebensgefühl zu inszenieren. Ob dabei auch das spielerische Element nicht zu kurz kommt, klären wir im Test.

Das ultimative Werkzeug

In The American Dream werden Waffen für alle Lebenslagen verwendet. Zum Füttern von Babys oder dem Wechseln der Windeln. Zum Kochen. Als Besteck anstelle von Messer, Gabel und Löffel. Zum Säubern von Wäsche oder dem Reinigen von Autos. Für Gartenarbeit. Zum Angeln. Bei der Geburtshilfe. Zum Öffnen von Getränke-Dosen. Beim Sex. Um Jagd auf Kommunisten zu machen. Und natürlich sind sie in der merkwürdigen Welt, die die Australier von Samurai Punk zeichnen, auch bei der Arbeit unerlässlich. Sei es nun, um Burger auf dem Grill zu wenden oder um Löcher in Bagles zu schießen. Es wird von Anfang an kein Zweifel daran gelassen, dass sich das ungewöhnliche VR-Abenteuer nicht ernstnimmt.

Ein Job, den man in The American Dream geht: Bagle-Bäcker. Genauer gesagt, ist man für die Löcher in den Backwaren zuständig.
Alles andere wäre angesichts der aktuellen politischen Situation in den USA auch starker Tobak und mit seinen aktuellen Bezügen kaum zu ertragen. So aber versteht sich The American Dream mit teils subtilen, häufiger aber sehr direkten Seitenhieben als Advokat pro Waffenkontrolle. Immerhin wurden in Australien nach einer Tragödie Mitte der 90er Jahre die Gesetze massiv verschärft und hunderttausende Knarren verschrottet. Dementsprechend wirkt die Kernaussage glaubwürdig: Samurai Punk scheint zu wissen, wovon sie reden. Und vor allem, wie sie den Spieler als Zuschauer erreichen können.

Zwischen Ballerbude und Erzählepos

Als Teilnehmer einer Art Rundfahrt durch ein interaktives Museum zum Thema „The American Dream“ oder auch: ‚Waffen und ihr Nutzen für Gesellschaft und Familie‘ befindet man sich die ganze Zeit über in einem Wagen einer Einschienenbahn, dessen Bewegung ähnlich wie der Lore in Until Dawn: Rush of Blood vorgegeben ist.

Das Artdesign ist sehr gut und hilft, die "Heile Welt" zu karikieren.
Im Vergleich zu den mitunter achterbahnhaften Fahrten im Horror-Shooter ist hier alles sehr langsam und beschaulich, so dass selbst bei empfindlichen VR-Mägen kein flaues Gefühl entstehen sollte – mit Ausnahme vielleicht der sich leicht drehenden Ladesequenzen, bevor man durch die Tür des nächsten Kapitels fährt. Ein steter Begleiter in jedem Zimmer ist der Golden Retriever Buddy, genauer gesagt: eine Statue, deren Stimme über einen Lautsprecher mit einem spricht und die sich als absurder Reiseführer versteht. Ein weiterer Unterschied zu Rush of Blood: Hier nehmen Sequenzen, in denen man mit Waffen wild um sich ballern kann, maximal drei Fünftel der insgesamt geschätzt etwa drei bis vier Stunden langen Spielzeit ein, die sich auf 22 Kapitel verteilt.  

Den Rest der Zeit verbringt man u.a. damit, Buddy zuzuhören (der auch vor modernen Anspielungen, z.B. auf Videospiele nicht halt macht), sich Propagandafilme der American Rifle Association anzuschauen und die Kulisse in sich aufzusaugen. Die ist zwar auf den ersten Blick nicht besonders aufwändig. Doch die Entscheidung, den Spieler als Passagier durch weitgehend realistisch gestaltete Räume zu schicken, in denen auf Holz geklebte Figuren im Stile von Film- oder Werbeplakaten der 50er Jahre als Sinnbild der ach so heilen Welt mit einem interagieren oder kommunizieren, war ein Glücksgriff. Nicht nur, weil er leicht an das erinnert, was Bethesda mit Fallout 4 zu neuen Ufern geführt hat. Sondern auch, weil es ungemein hilft, die Karikatur des amerikanischen Lebensstils in ein überzogenes Licht zu setzen. Andererseits gibt es trotz dieser Abstraktion eine enorme Immersion, sobald man diese Spielwelt akzeptiert hat – was bei mir bereits nach wenigen Minuten der Fall war.

Immersive Minispielballereien

Bleispritzen sind natürlich auch die besten Rasenmäher oder Heckenscheren.
Denn von Beginn der Reise an, die einen vom Kleinkindalter über die Jugend bis hin zum Erwachsensein und der eigenen Elternschaft durch entscheidende Episoden des Durchschnittslebens führt, wird man sehr stark in die Geschehnisse eingebunden. Man hat jederzeit in der rechten und linken Hand eine oder mehrere Waffen, die allerdings von The American Dream vorgegeben werden. Die meiste Zeit ist man zwei Pistolen unterwegs. Von Zeit zu Zeit werden diese aber durch Repetier-, Sturm oder Scharfschützengewehre, eine Pumpgun (mit absurder Überhitzungsfunktion) oder Schnellfeuerpistolen ersetzt. Je nachdem, was das jeweilige Kapitel für Aufgabenstellungen bereithält, die in meist simplen, aber durch die Bank unterhaltsam Minispiel-Ballereien umgesetzt werden. Dass man so stark in das Geschehen gezogen wird und manchmal sogar den omnipräsenten Stuhl vergisst, in dem man sitzt, ist bemerkenswert und hätte ich diesem simpel gestrickt scheinenden VR-Experiment nicht zugetraut. Doch zum einen funktioniert die Bewegungserkennung bzw. Zielerfassung auf allen Systemen akkurat – mit leichten, aber nicht die Wertung beeinflussenden Abstrichen bei PlayStation VR, bei dem es abhängig von der Konfiguration zu leicht verziehenden Momenten in den Außenbereichen der Kameraerfassung kommen kann.

Selbst gesellschaftliche Treffen wie z.B. Tanzveranstaltungen sind ohne Waffen nicht möglich.
Und zum anderen sorgt die stets aktive, sowie gut gelungene Nachlademechanik dafür, dass man Stück für Stück in die Welt gezogen wird. Hat man das Magazin leer geschossen, kann man rechts und links auf den Armlehnen des Fahrsessels einen Knopf drücken. Jetzt wird ein neues Magazin herausgeschossen, das man nun mit der Knarre auffangen muss, damit es eingeführt wird. Auch die Pump-Bewegungen bei der Schrotflinte, das Bewegen des Verschlusses bei Repetiergewehren usw. wurde alles so inszeniert, dass man als Spieler sofort Teil der Spielwelt wird, bis das Nachladen beinahe so selbstverständlich funktioniert wie das Atmen. Und von dem Moment an kann man sich noch stärker auf den Humor einlassen, der von Schenkelklopfern über Schmunzler bis hin zu Situationen, in denen einem das Lachen beinahe im Hals stecken bleibt, während man „Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?“ denkt, ein breites Spektrum an Themen und Witz abdeckt. Bei der mechanischen  Qualitätssicherung sind allerdings einige Bugs durchgerutscht. Der schwerwiegendste davon war ein Fortschrittstrigger, der nicht ausgelöst wurde, so dass man am Anfang einer Szene stecken bleiben kann. Dank sehr großzügiger Kontrollpunkte hat ein Neustart das Problem behoben. Es dauerte allerdings ein paar Minuten, bis mir bewusst wurde, dass die Wartezeit nicht Bestandteil des amerikanischen Traumes war - ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Spielwelt einen in den Bann ziehen kann.

Fazit

Mechanisch sind die Baller-Minispiele, denen man in The American Dream begegnet, allenfalls durchschnittlich. Doch dieses VR-Experiment ist mehr als die Summe seiner Einzelteile, zu denen auch ein beträchtlicher Erzählanteil gehört. Denn was anfangs wie von der National Rifle Association in Auftrag gegebenes Promo-Material wirkt, entpuppt sich alsbald als bitterböse Satire mit zielsicher gesetzten Pointen und Anspielungen, die auch Videospiele nicht außen vor lassen. Das australische Team von Samurai Punk lässt kein gutes Haar am Waffenwahn, der in dieser vollkommen überzogenen Darstellung des amerikanischen Lebenstraumes in alle Bereiche des gesellschaftlichen und familiären Daseins eingreift und zum Allheilmittel wird. Hier werden Burger mit Waffengewalt auf dem Grill gewendet, die Löcher in Bagles geschossen oder Fische mit einem Repetiergewehr gefangen. Hochzeitsringe werden auf den Lauf einer Pumpgun gesteckt und selbst Sex ist ohne die Knarren nicht mehr vorstellbar. Gelegentlich schrammt der Humor zwar scharf an der Grenze des guten (oder schlechten) Geschmacks entlang, wird aber immer im entscheidenden Moment eingebremst, bevor er diese überschreitet. Das gelungene Artdesign mit seinem „Heile-Welt“-Aussehen, das von Kino und Werbung der 50er Jahre inspiriert wurde, tut sein Übriges, um einen in diese absurde Welt zu ziehen. In dieser Form machen VR-Erzählexperimente einen Heidenspaß.

Pro

satirische Ballerbude mit hohem Erzählanteil
akkurate Bewegungs- und Zielerkennung
sehr gute englische Sprachausgabe
gelungener, sehr breit gestreuter Humor
starkes Artdesign

Kontra

simple Minispiele ohne mechanische Überraschungen
kleinere Bugs
Humor mitunter sehr grenzwertig

Wertung

OculusRift

Bitterböse Gesellschaftssatire in VR, die simple Baller-Minispiele mit einem starken Artdesign und viel Erzählung mischt.

HTCVive

Bitterböse Gesellschaftssatire in VR, die simple Baller-Minispiele mit einem starken Artdesign und viel Erzählung mischt.

VirtualReality

Bitterböse Gesellschaftssatire in VR, die simple Baller-Minispiele mit einem starken Artdesign und viel Erzählung mischt.

PlayStationVR

Bitterböse Gesellschaftssatire in VR, die simple Baller-Minispiele mit einem starken Artdesign und viel Erzählung mischt.

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