Im Test: Erinnerungsgemälde
Fast vereinte Feinde
Zu den elegantesten Regiemomenten dieses historischen Adventures gehören Szenen wie diese: Der deutsche Soldat Kurt hört gerade in einem unterirdischen Stollen mit einem Stethoskop die Besprechung der britischen Offiziere über ihm ab, die den nächsten Angriff planen, was alle nervös macht. Dann schwebt die Kamera weiter nach oben und man übernimmt die Rolle des kanadischen Soldaten Harry, der an der Oberfläche als Fotograf des Heeres unterwegs ist. Die beiden zunächst nur getrennt spielbaren Protagonisten sind zwar ab November 1916 als Feinde auf unterschiedlichen Seiten der Front aktiv, aber treffen hier schon fast zusammen. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie mal aufeinander schießen würden, denn die beiden sind alles andere als Hurra-Patrioten. Die Entwickler bauen auch innerhalb dieser Charaktere nicht die typischen Feindbilder auf, dämonisieren also keinen Deutschen in Pickelhaube, sondern wollen den Menschen darunter zeigen.
Zaghaftes Anti-Kriegsspiel
Das ist eine interessante Ausgangslage, zumal die prominenten Sprecher wie Eliah Wood und Sebastian Koch hervorragende Arbeit leisten, indem sie Harry und Kurt lebendig werden lassen - der eine jugendlich naiv, der andere nachdenklicher und reifer. Es gibt zwar nur englischen Originalton mit Untertiteln, aber es wird zwischendurch auch Deutsch gesprochen; leider nicht konsequent, denn Kurt ist manchmal Englisch zu hören. Die orchestrale Untermalung stammt von keinem Geringeren als Oliver Derivière: Der renommierte französische Komponist hat schon für Vampyr, Remember Me, Obscure oder Alone in the Dark die Musik entworfen und steuert hier
Es gibt also viel zu tun! Ich hatte aber über lange Phasen das Gefühl, dass ich künstlich beschäftigt werden soll: Man sammelt hier was, verschiebt da was, schießt Fotos, muss mal kleine Rätsel lösen, etwas abholen und wegbringen, in Deckung zum nächsten Graben huschen, im Takt mit der Musik spielen - aber fast alles bleibt auf Minispielniveau. Zwar ist zumindest die thematische Vielfalt lobenswert und der Anspruch höher als z.B. bei typischen Telltale-Abenteuern, aber einiges wirkt arg konstruiert oder statisch. Da besorgt man Zigaretten, weil ein Symbol beim Händler sie anzeigt, aber kaum legt man sie dorthin, passiert...nichts. Etwas besser wird es allerdings, wenn man Harry und Kurt zusammen spielt.
Kooperative Feinde
Zwar wirkt es komplett übertrieben, dass der Deutsche ein "I am Harry" nicht verstehen soll, aber diese Darstellung der Verständigungsprobleme soll natürlich auch zeigen, dass nicht die Worte, sondern die Taten beide davon überzeugen, gute Menschen zu sein - man fühlt sich fast an "Enemy Mine" (Geliebter Feind, 1985) von Wolfgang Petersen erinnert. Außerdem gilt es zumindest mal, die Charaktere geschickt zu wechseln, damit z.B. der Schlüsselträger an die Tür kommt; und es kommen kooperative Aktionen hinzu, in denen der eine den Hebel bedient und der andere in den Aufzug steigt. Obwohl das also den spielerischen Unterhaltungswert erhöht, gibt es weiter ärgerliche Inkonsequenzen oder kleine Bugs: Da soll man Sprengstoff zu einer porösen Mauer fahren, aber nach dem offensichtlichen Weichenwechsel kann man die Lore nicht mehr bedienen? Nicht nur die beiden sind spielbar, es gibt auch Passagen, in denen man mit einer Katze einem Vogel hinterher jagt, und so eine Speisekammer findet; auch der Piepmatz ist spielbar. All das sorgt für charmante Perspektivwechsel, aber eben auch für ein etwas kindliches Flair in der ernsten Thematik.
Hinzu kommen jedoch einige interessante Ansätze, die auf lange Sicht motivieren: Die Wahl der Foto-Motive, die Harry nach Hause schickt, wirkt sich z.B. auf die Antwort seiner Julia aus. Und Kurt kann die Briefe an seine achtjährige Tochter auf mehrere Arten schreiben, kann die
Valiant Hearts lässt grüßen
Trotzdem empfinde ich das ästhetisch gelungene Artdesign mit seinem Impressionismus inhaltlich kontraproduktiv. Ich fühle mich fast wie in einem Gemälde von Claude Monet (1840-1926), wenn ich durch diese flüchtig verschwommene Welt der Farbtupfer spaziere. Ja, das soll auch so sein, aber aber die Kulisse trägt mit ihrem freundlichen Stil, der harte Konturen verwischt, nicht gerade dazu bei, die Schrecken dieses Krieges aufzuzeigen - das Idyllische und Malerische überwiegt. Obwohl es auch sehr ernste Szenen wie die Erschießung eines gefangenen Soldaten oder das Stürmen durch Schützengräben bei Opfern links und rechts gibt, wirken diese emotional nicht stark genug, weil z.B. Trümmer, Blut & Co wie Konfetti aussehen. Und damit scheitert man an einem wesentlichen Aspekt dieses Ansatzes, weil man auf diese Art eher pädagogisch wertvoll als dramaturgisch schonungslos inszeniert. Manchmal fühlte ich mich fast wie in einem interaktiven
Diese hässliche Fratze des Ersten Weltkrieges wurde schon 2007 in The Darkness gezeigt, als alptraumhafte Form der Hölle. Und selbst wenn man nicht so explizit draufhalten will, hätte man die Story wesentlich bedrückender inszenieren können: Man denke an das gelungene Anti-Kriegsspiel This War Of Mine. Hier fühle ich mich eher an den halbgaren Ansatz des gut gemeinten, aber ebenfalls zahnlosen Comic-Adventures Valiant Hearts: The Great War von Ubisoft erinnert. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass dieses Spiel von der britischen Filmproduktionsgesellschaft Aardman (Wallace & Gromit, Shaun das Schaf) sowie dem französischen Studio DigixArt entwickelt wurde, das 2015 von Yoan Fanise gegründet wurde - er arbeitete zuvor bei Ubisoft an Valiant Hearts.
Fazit
11-11: Memories Retold ist ein gut gemeintes Erinnerungsgemälde, aber über weite Strecken kein packendes Anti-Kriegsspiel. Obwohl Eliah Wood und Sebastian Koch als Sprecher überzeugen und die Regie einige elegante Überleitungen in petto hat, die die Nähe der Feinde wunderbar aufzeigen, will der emotionale Funke nicht überspringen. Der erzählerische Ansatz ist interessant, denn zwei ganz unterschiedliche Charaktere werden spielbar gemacht, man wechselt quasi zwischen Feinden - und beide werden immer tiefer in diesen Krieg verwickelt. Auf dem Weg dorthin hört man, was einfache Soldaten davon halten und beginnt zwischen Schützengräben und Familientrauer das tragische Ausmaß dieser "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" zu erahnen - hier wird nicht das Soldatische heroisiert, sondern das Menschliche thematisiert. Aber ich hätte das Grauen dieses Krieges noch deutlicher spüren müssen! Zu zaghaft ist die Inszenierung, zu idyllisch das impressionistische Design mit seinen Farbtupfern, als dass ich emotional so ergriffen werden würde wie z.B. in This War Of Mine. Über allem weht ähnlich wie bei Valiant Hearts ein Hauch von pädagogisch wertvoll. Aber auch diese Geschichte hat starke Momente, die einen nachdenklich stimmen, zumal nicht nur die kooperativen Aktionen sowie tierische Begleiter für Abwechslung sorgen, sondern man je nach Entscheidungen ein anderes Ende erlebt. Leider gibt es einige Inkonsequenzen im statischen Design und die meisten interaktiven Anforderungen befinden sich auf Minispielniveau. Trotzdem sind einige Rätsel anspruchsvoller als etwa das, was Telltale zuletzt angeboten hat. Unterm Strich sorgt weniger die Spielmechanik, sondern vor allem die Thematik dafür, dass man ein angenehm ungewöhnliches historisches Adventure erlebt.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Das ist ein spielbares Erinnerungsgemälde an den Ersten Weltkrieg. Der Anspruch ist gering und für ein packendes Anti-Kriegsspiel fehlt mir die Schonungslosigkeit, aber dafür gibt es kooperative Szenen und mehrere Enden.
PC
Das ist ein spielbares Erinnerungsgemälde an den Ersten Weltkrieg. Der Anspruch ist gering und für ein packendes Anti-Kriegsspiel fehlt mir die Schonungslosigkeit, aber dafür gibt es kooperative Szenen und mehrere Enden.
XboxOne
Das ist ein spielbares Erinnerungsgemälde an den Ersten Weltkrieg. Der Anspruch ist gering und für ein packendes Anti-Kriegsspiel fehlt mir die Schonungslosigkeit, aber dafür gibt es kooperative Szenen und mehrere Enden.
Echtgeldtransaktionen
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- Bandai Namco Entertainment Europe wird in Kooperation mit War Child UK einen Charity-DLC für vier Euro veröffentlichen. Die Einnahmen aus dem DLC sollen an die gemeinnützige Organisation, die Kindern in Kriegsgebieten helfen will, gespendet werden.
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