UEFA EURO 200410.05.2004, Jörg Luibl
UEFA EURO 2004

Im Test:

Die EM rückt näher und bringt Fußballherzen in Wallung: Figo! Totti! Zidane! Da sollte der offizielle Kick zum Turnier doch der ideale Einheizer sein, oder? Ist er aber nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man schon FIFA 2004 besitzt. Wir haben EAs lizenzschwere Portugalreise zum Vollpreis gebucht und kamen ernüchtert zurück.

Portugal, wir kommen!

Kern des Spiels ist der EM-Modus, in dem ihr eines von 51 Teams zum Finale in Lissabon führen könnt. Allerdings beginnt man bereits im August 2002 mit der Vorbereitung, so dass zunächst Freundschafts- und Qualifikationsspiele gegen Fußballzwerge wie die Färöer auf dem Programm stehen.

Aber warum kann ich nicht sofort in ein knackig vorbereitetes EM-Turnier ohne quälend lange Vorrunde starten? Das muss man erst selbst mit dem Turnier-Editor bewerkstelligen – schade. So muss man halt erst zum Pannentest nach Rumänien...

England beim Foto-Shooting: Beckham und Scholes wurden gestochen scharf getroffen. (Xbox)

Sehr schön ist, dass die gegnerische Mannschaft kurz mit ihrer Taktik wie z.B. "zurückgezogene Abwehr" bei den Bulgaren sowie den gefährlichsten Spielern vorgestellt wird.

Und da die Profis alle dynamische Moralwerte haben, die entweder durch Siege und Tore in die Höhe schnellen oder aufgrund Pressekritik, Ersatzbank oder Niederlage abfallen, kommt hier auf lange Sicht Auswechslungen eine große Rolle zu. Denn ein bis in die Haarspitzen motivierter Stürmer hat erstens weitaus mehr Killerinstinkt als sein deprimiertes Pendant, und ist zweitens weniger verletzungsanfällig. Ihr könnt aber auch aufstrebende Stars wie Außenverteidiger Hinkel durch gezielte Einsätze motivieren.

EM-Reise mit Pannen

Doch diese an sich interessante Trainerkomponente hat auch ihre Schönheitsfehler. Denn mal abgesehen vom wirklich spartanischen Menüdesign, stellen sich schnell weitere Fragen: Warum kann ich in der Halbzeit weder die Moral- noch die Erschöpfungswerte der Spieler sehen? Warum wird die neue Aufstellung nicht beibehalten? Ich muss quasi vor jedem Spiel erneut bestimmen, wer in den Kader kommt, wer auf der Ersatzbank sitzt – angesichts der knapp zwei Jahre bis zum Finale ist das alles andere als komfortabel.

Viel schwerer wiegt jedoch, dass der Weg zur EM sowohl von den Fans in den Stadien als auch von der allgemeinen Atmosphäre her immer gleich gut begleitet wird: die Ränge sind immer rappelvoll, die Gesänge immer begeistert.

              __NEWCOL__Selbst wenn das Turnier in Portugal endlich beginnt, sind kaum Unterschiede zu einem regnerischen Testspiel gegen Albanien auszumachen. Hier hätte man einfach mehr Dramatik in Form von steigender Zuschauereuphorie, aktuellen Zeitungsartikeln, passenden Interviews oder Zwischensequenzen aufbauen müssen, um auf eine Fieberkurve zu kommen. Gerade für ein offizielles EM-Spiel bleibt der Spannungsbogen einfach zu flach.

Turniere im Eigenbau

Falls ihr den Pokal mit eurem Team erobert haben solltet, lassen sich theoretisch alle möglichen Turnier-Varianten mit dem Editor kreieren. Und über die Option Dreamteam könnt ihr auch Mannschaften nach Wahl zusammenstellen - hier vermisst man allerdings ebenfalls vorbereitete Teams.

Auch der neue Situationseditor, mit dem ihr z.B. in der 80. Minute in eine knappe 3:2-Partie   einsteigen könnt, verliert schnell seinen Reiz. Erstens muss man alles selber vorgeben, zweitens gibts keine Belohnungen. Wie schön wäre hier eine Kampagne mit immer härteren Herausforderungen gewesen! Da hört sich das System von Club Football 2005 besser an, wo man sich gezielt in Klassikern   wie z.B. dem WM-Finale von 1990 beweisen muss.

Ansonsten gibt es nur noch Freundschaftsspiele sowie das Ecken-, Freistoß- oder freie Training. Bestimmte Übungsaufgaben à la Pro Evolution Soccer 3 sucht man hier vergeblich. Und die Karriere, die noch in FIFA Football 2004 möglich war, ist ebenso dem Rotstift zum Opfer gefallen wie der Online-Modus der PS2; auch die Xbox bleibt offline.

Auch Ballack und Ramelow sehen ihren Vorbildern verblüffend ähnlich - nur im Hintergrund zeigen sich ab und an weniger schöne Texturen. (PC)

Altbekanntes Spielgefühl

Trotzdem bewahrt sich EA auch mit diesem EM-Update den zweiten Platz in der virtuellen Fußballwelt: Vor Club Football und This is Football 2004 , deutlich hinter Konamis Klassekick. Aber einzig und allein die zehn neuen Bewegungen wie das fiese Tunnel oder spezielle Dribblings, die ansehnlichen Flugkopfbälle oder die spektakulären Fallrückzieher heben diesen Titel von FIFA 2004 ab. Vor allem die Starspieler wurden sehr gut in Szene gesetzt, sind deutlich schneller, zweikampfstärker und können jetzt gezielt über den Goalie lupfen – aber das sind eher kosmetische Neuerungen.

              

Zähes Aufbauspiel

Krachende Torschüsse, glänzend animierte Torhüter, schöne Dribblings, tolle Freistöße - ja, UEFA EURO 2004 (ab 19,95€ bei kaufen) macht Spaß. Aber: Insgesamt wirkt der Spielaufbau immer noch zu pomadig - da fehlt der Pfeffer eines antizipierenden und rasanteren Offensivverhaltens, denn auch das Sprinten mit dem Ball ist zu uneffektiv.  Das führt zu regelrechten Kurzpassorgien im Mittelfeld.  Zusammen mit der vorbildlich agierenden, aber im Vergleich zur Stürmer-KI viel zu guten Defensiv-KI entstehen daher kaum packende Flankenläufe. Und beim Druck auf L1 wird sofort ein zweiter Abwehrspieler zum Ball führenden Angreifer schickt, der meist todsicher ausputzt.

Sony-Stottern: Obwohl auch auf der PS2 schöne Lichteffekte & Animationen zu sehen sind, ruckelt es während des Kicks gewaltig. (PS2)

Einzig die gewöhnungsbedürftige, weil unterbrechende und wenig intuitive Off the-Ball Kontrolle schafft da Abhilfe, denn dann zoomt die Kamera etwas weiter weg und man kann zwischen drei markierten Spielern wählen, denen man den Ball flach oder hoch zuspielen kann. Ansonsten sind gerade lange Bälle in die Tiefe des Raumes Glückssache, denn man hat diesmal keinen Radar mehr! Das ist fatal, denn so ist man meist blind, was die Bewegung der eigenen Spitzen oder Flügelläufer angeht.

Das Menüdesign ist eher spartanisch als edel. Leider muss man beim Wechsel vor jedem Spiel erneut Hand anlegen. ( Xbox)

Außerdem hat immer wieder das Gefühl, dass man die Profis nicht punktgenau kontrolliert, da Knopfdrücke penibel gespeichert werden und beim Passen immer eine leichte Verzögerung zu bemerken ist. Die Steuerung wirkt einfach noch zu schwammig – auch bei den Dribblings über den rechten Analogstick. Und schließlich holt einen die durchwachsene Ballphysik wieder auf den Boden der unrealistischen Tatsachen: Auf der einen Seite gibt es raketengleiche Kraftschüsse aus dem Stand, auf der anderen Seite schlafen die Flankenbälle beim Flug fast ein. Hier fehlt einfach die Schärfe, damit das Leder auch mal mit Schmackes in den Rücken der Abwehr jagt. Für FIFA Football 2005 gibt es noch genug zu tun...

        __NEWCOL__Mach das Gequassel aus!

In Sachen Kommentar hat EA diesmal kein glückliches Händchen gehabt: Das Duo Steffen Simon und Monika Lierhaus geht einem trotz vieler solider Statements einfach zu schnell mit seinen unpassenden, unfreiwillig komischen oder einfach abstrusen Äußerungen auf den Fußballnerv – man flüchtet sich schon nach wenigen Matches ins Optionsmenü zum Abschalten. Wie haben damals noch Poschmann & Co brilliert? Das war definitiv ein akustischer Rückschritt, der gerade angesichts des hochkarätigen Turniers enttäuscht.

Präsentations-Stillstand

Hat man den Quatsch-Hahn jedoch abgedreht, dominiert wieder das, was EAs Kick so auszeichnet: die famose Kulisse. Zwar steigert sie sich nicht dynamisch auf der Reise Richtung Portugal, aber sie bietet immer noch ein höheres grafisches Niveau als Pro Evolution Soccer 3 . Egal ob Fangesänge, Stadionarchitektur, Flutlichtschimmer, fotorealistische Gesichter oder erschreckend natürlich inszenierte Rudelbildung – das Auge wird bestens bedient.

Allerdings wurde man das auch schon vor einem halben Jahr mit FIFA Football 2004 . Und im direkten Vergleich ist die Optik nicht wesentlich verbessert worden: Immer noch stören manche Clippingfehler und hässliche Pappaufsteller bei Standards oder Wiederholungen.

Flugkopfball ins Netz? Die neuen Bewegungen bieten den ein oder anderen Hingucker. (Xbox)

PS2 überfordert?

Und diesmal hat die Pracht auch noch einen besonders hohen Preis: Vor allem auf der PS2 stören nicht nur die langen Ladezeiten, sondern auch das gewaltige Ruckeln - diese Umsetzung ist schlichtweg misslungen. Da ist es vielleicht sogar aus technischer Sicht besser, dass der Online-Modus ganz weggefallen ist. Aus Käufersicht sind das jedoch klare Defizite, die gegen die Sony-Variante sprechen. Ihr solltet euch also entweder die grafisch überlegene Xbox-Fassung oder die PC-Variante zulegen, die mit entsprechender Hardware noch einen weiteren Tick Schärfe und Partikelfreude herauskitzeln kann.

        

Fazit

Der Fußballurlaub in Portugal ist nicht mehr als ein durchwachsenes FIFA 2004-Update zum Vollpreis - inklusive neuer Stadien, Moralwerte und Animationen. Das Spielgefühl ist trotz einem Flugkopfball hier und einem Fallrückzieher da immer noch dasselbe. Und das Fehlen des Radars raubt dem Spielaufbau sogar die Orientierung - ein großer Minuspunkt. Und was bringt mir das an sich interessante Moralsystem, wenn es dem offiziellen EM-Spiel an der packenden Präsentation mangelt? Die Sprecher laden nach zwei Matches zum Abschalten ein, die Kulisse zeigt keinen Spannungsbogen, richtige Turnierstimmung mit Euphoriekurve ist Fehlanzeige. Auch die Menüpräsentation und der Komfort lassen Wünsche offen – man muss zu viel manuell herumbasteln. Was hat man also davon, wenn man kein FIFA 2004 besitzt und sich für UEFA EURO 2004 entscheidet? Am meisten profitieren Xbox-Kicker: Sie bekommen das spielerisch und optisch beste Fußballspiel, das derzeit für Microsofts Konsole zu haben ist. Was bekommen PC-Spieler, wenn sie zuschlagen? Sie erhalten das spielerisch zweitbeste und optisch beste Fußballspiel, das derzeit für den Rechner zu haben ist. Und was bringt PS2-Spielern der Trip nach Portugal? Jede Menge Ruckler und kein Online-Modus mehr – das spricht klar gegen die Sonyvariante.

Pro

offizielle Lizenz
dynamische Spielermoral
zehn neue Tricks & Bewegungen
EM inkl. Qualifikation nachspielen
Stärken von FIFA 2004

Kontra

öde Menüs
kein Radar mehr
starke Ruckler (PS2)
grausame Kommentare
kein neues Spielgefühl
lange Ladezeiten (PS2)
kein Online-Modus mehr (PS2)
mangelnde Turnier-Atmosphäre
viel manuelles Nacharbeiten nötig
Schwächen von FIFA 2004

Wertung

PlayStation2

Ihr macht Deutschland zum Europameister!

PC

XBox

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