Second Sight10.09.2004, Mathias Oertel
Second Sight

Im Test: Psi-Fähigkeiten, massig Action und eine schöne Story. Reicht das, um aus dem Action-Einerlei herauszustechen?

Stealth-Spiele gibt es mittlerweile zuhauf; Third-Person-Action ebenso. Doch Spiele, die diese Elemente mit übersinnlichen Fähigkeiten anreichern, sind rar gesät. Genau gesagt, gibt es derzeit zwei: Midways Psi-Ops (in den USA bereits veröffentlicht, Release hierzulande im Oktober) und Second Sight (ab 2,15€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) von Codemasters, das hier den Vorteil der Erstveröffentlichung genießt. Mit welchen Mitteln das neue Spiel der TimeSplitters-Designer von Free Radical auftrumpft, erfahrt ihr im Test!

John Doe, ähhh… Vattic

Mit dem Namen John Doe werden in Amerika alle Patienten bezeichnet, deren Identität unbekannt ist. Und genau so fühlt sich der Hauptcharakter von Second Sight. Sein Nachname ist zwar Vattic und nicht Doe, aber ansonsten finden sich zahlreiche Parallelen: Geschunden und entstellt wacht John in einem Versuchslabor auf und hat nur auf Grund eines Armbands mit seinem Namen eine Ahnung, wer er überhaupt ist. Doch das ist nicht alles, was verstörend auf ihn wirkt: Er stellt fest, dass er übersinnliche Fähigkeiten besitzt, die anfänglich allerdings nicht die Manipulation von Gegenständen durch pure Gedankenkraft übersteigen. Doch er muss nicht nur zahlreiche neue PSI-Fähigkeiten entdecken und beherrschen, um hinter das Geheimnis seiner Gefangennahme zu kommen. Auch Geschick mit Waffen und im Nahkampf werden gefordert. Und wenn alle Stricke reißen, kann John ja auch noch auf Tauchstation gehen und versuchen, die Gegner durch Schleicheinlagen in die Irre zu führen.

Dank Psi-Fähigkeit kann euch dieser finstere Wissenschaftler nicht sehen.
Klingt bekannt?

Parallelen zum in den USA bereits seit geraumer Zeit erhältlichen Psi-Ops sind zwar deutlich zu erkennen, doch da Second Sight in Deutschland den Vorteil der Erstveröffentlichung hat, wollen wir hier auch nicht auf der Frage herumreiten, wer nun bei wem geklaut hat.

Nach einer kurzen Introsequenz wachen wir mit John Vattic in einem verriegelten Raum auf und werden Zeuge, wie er seine erste PSI-Fähigkeit Telekinese erlernt, womit auch gleichzeitig das Tutorial beginnt.

Der Einstieg in die interessante und spannend erzählte Story ist durchweg gelungen und bildet von Anfang an eine schöne Grundmotivation, sich durch die etwas sterilen Gänge und Räume des geheimen Labors zu schlagen.

John Vattic, das Allheilmittel: auch das Verarzten von Verletzungen gehört zu eurem Reportoire.
Einen interessanten Twist erhält die Geschichte durch gelegentliche Abstecher in John Vattics Vergangenheit: Denn hier seht ihr nicht nur, wie euer Held vor seinen vermeintlichen Folterungen aussah –wie eine Mischung aus einem erwachsenen Harry Potter und Gordon Freeman-, sondern bekommt weitere Einblicke, wieso es zu seinen Veränderungen gekommen ist. Erwähnenswert ist, dass der Spieler niemals mehr weiß, als John Vattic selber und dadurch sehr intensiv in das Abenteuer eingebunden wird.

Schöner Action-Mix

Und damit die Geschichte gut zur Geltung kommt, wird sie von einem abwechslungsreichen Genre-Mix unterstützt. Zwar dreht sich in erster Linie alles um das möglichst geschickte Ausschalten oder Umgehen der Gegner und kleine logische Rätsel, doch die Art und Weise, wie diese Elemente angegangen werden können, stellen zufrieden.

 

Die Psi-Fähigkeiten haben wir ja schon erwähnt: Neben der Telekinese warten auch noch Heilung, Verwirrung (quasi eine Unsichtbarkeitsfunktion), der Psi-Schlag (immens effektiv und in mehreren Stufen verfügbar) und die Projektion (Vattic kann einen Astralkörper bilden, sich mit ihm bewegen und sogar in andere Figuren hineinschlüpfen und diese steuern) auf ihre Entdeckung und den zielsicheren Einsatz.

Die gute alte Zeit: So sieht Vattic in der Vergangenheit aus.
Doch da Vattic auch im Umgang mit Schusswaffen erfahren ist und die Psi-Energie, die ihm zur Verfügung steht, nicht ewig reicht (sich aber selbstständig wieder auflädt), könnt und müsst ihr ab und an auch mit Waffengewalt durch die Abschnitte jagen. Allerdings seid ihr vor allem mit dem John Vattic der Gegenwart in Feuergefechten meist unterlegen, so dass ihr diese Methode hier nur im schlimmsten Fall wählen solltet.

In diesem Zusammenhang sollte noch erwähnt werden, dass ihr keine Chance habt, einen Abschnitt von Gegnern zu leeren – irgendwann sind die Wachen (bzw. ihre Kollegen) wieder im Einsatz.

Die Rätsel, die auf euch warten, bewegen sich anfänglich auf der Genre-typischen "Karte suchen und benutzen"-Ebene, werden aber später durch Aufgaben abgelöst, die eng mit den Psi-Fähigkeiten zu tun haben. Dabei werden die kleine grauen Zellen zwar nur in den seltensten Fällen übermäßig strapaziert, doch als Abwechslung vom Action-Alltag sind diese Einsprengsel gern gesehen.

Doch so viele Möglichkeiten und dementsprechend Freiheiten es auch gibt, um die eher mäßig intelligenten Gegner zu besiegen bzw. in die Irre zu führen, wird man nie das Gefühl los, dass man dem vorgesehenen Weg der Entwickler folgt. Doch dies ist ein Problem, das viele Spiele dieser Art haben, weswegen es nicht sehr stark in der Endwertung zu Buche schlägt.

Wenn alle Stricke reißen, nimmt man sich einfach ein Schutzschild und ballert sich durch die Gegner.
Gelungene Steuerung, gute Physik

Wie man es von einem Free Radical-Spiel erwarten kann, ist die Steuerung auf allen Systemen durchdacht und reagiert sehr gut. Beim Einsatz von Psi-Kräften lassen sich die Ziele genau so einfach und komfortabel durchschalten wie beim Schusswaffengebrauch. Natürlich könnte man argumentieren, dass die äußerst akkurate Zielhilfe das Ausschalten der Gegner etwas zu einfach macht. Doch dieses scheinbare Manko wird durch den immensen Munitionsverbrauch wieder aufgehoben. Abhilfe schafft das manuelle Zielen, das allerdings (ebenfalls eine Eigenheit von Free Radical-Titeln wie TimeSplitters) zu feinfühlig reagiert.

Da ihr zahlreiche Möglichkeiten habt, die Umgebung und Gegner zu manipulieren, hat Free Radical ein überzeugendes Ragdoll-Physiksystem eingebaut. So kann John per Gedankenkraft Gegenstände aufnehmen und sie seinen Gegnern entgegen werfen. Später könnt ihr sogar Personen durch die Luft schleudern, um die Physik haargenau auszutesten. Insgesamt wird allerdings nicht ganz die Qualität von z.B. Havoc erreicht, was den Experimentierspaß und die Genugtuung eines durch die Luft wirbelnden Gegners nicht mindert.

TimeSplitters 2 lässt grüßen

Da man neben Second Sight auch noch an TimeSplitters Future Perfect arbeitet, ist es nicht verwunderlich, dass für die grafische Gestaltung eine Engine verwendet wurde, die auf Teil 2 der Shooter-Serie zu basieren scheint. Die Vorteile sind offensichtlich: schönes Figurendesign, feine Animationen und nette Lichteffekte erfreuen das Auge. Bei den Umgebungen hat man sich allerdings nicht so sehr ins Zeug gelegt: Die Sterilität der Texturen in den Laborräumen kann man noch weitestgehend verzeihen, da Krankenhäuser, Labors usw. immer tiptop sauber sind. Bei den Außenabschnitten, die euch vor allem in den Vergangenheitsabstechern begegnen, sind die Texturen nur guter Durchschnitt.

Schöne Effekte, aber biedere Texturen auf allen Systemen.
Dafür allerdings läuft die Engine auf allen Systemen weitestgehend ruckelfrei. In manchen Momenten gerät der Grafikmotor jedoch unweigerlich ins Stocken, ohne allerdings den Spielverlauf maßgeblich zu beeinflussen. Trotzdem ist dies ein Ärgernis, das in heutigen Zeiten einfach nicht sein darf.

Bei der Kameraführung habt ihr die Wahl: Entweder ihr entscheidet euch für feste Kameraperspektiven im Stile einschlägig bekannter Capcom-Titel oder ihr wählt eine frei justierbare Schulterkamera, die dem üblichen 3D-Action-Standard entspricht. Die Vorteile jeder Perspektive liegen auf der Hand: Mit den festen Positionen wird Filmatmosphäre aufgebaut, wobei allerdings die Übersicht ab und an verloren gehen kann. In der Schulterkamera hingegen habt ihr fast immer alles im Überblick, bekommt aber evtl. nicht ganz so starke Atmosphäre geliefert. Da ihr aber jederzeit umschalten könnt, bleibt es euch überlassen, ob ihr Second Sight als Film oder "herkömmliches" Spiel genießt.

Die grobe Kelle: der Psi-Schlag ist immens effektiv und schleudert die Gegner meterweit zurück.
Gut, aber Englisch

Die Filmatmosphäre, die sich vor allem durch die Geschichte und den ständigen Wechsel von Vergangenheit und Gegenwart ergibt, wird durch die Akustik angemessen unterstützt: Die Sprachausgabe ist zwar nicht lokalisiert worden und wird allen nicht der Sprache Mächtigen nur durch gute deutsche Untertitel vermittelt, doch die Sprecher sind durch die Bank gut ausgewählt und erledigen ihren Job mehr als zufrieden stellend.

Sparsam eingesetzte und gut komponierte Musik sowie jederzeit passende und ebenfalls sehr sauber produzierte Soundeffekte sorgen weiterhin für eine ansprechende akustische Untermalung.

  

Fazit

Dass das Free Radical-Team auch etwas anderes als Ego-Shooter produzieren kann, stellt Second Sight eindrucksvoll unter Beweis. Der Gameplay-Mix aus Stealth, Action und übersinnlichen Fähigkeiten ist zwar seit Psi-Ops nicht mehr bahnbrechend neu, hat aber hierzulande den Vorteil, vor dem Konkurrenten veröffentlicht zu werden. Und mit einem gut balancierten Gameplay, das auch von der mäßigen KI nicht in Gefahr gebracht wird, liefert man eine direkte Kampfansage an das ähnlich gelagerte Spiel aus dem Hause Midway. Grafisch bis auf sporadische Ruckler gut, ausgestattet mit einer weitestgehend überzeugenden Steuerung und angereichert mit einem gut funktionierendem Physiksystem schafft es Second Sight zusammen mit der filmreifen Story schnell ans Pad zu fesseln. Leider währt das Abenteuer nicht all zu lange: Nach gut zehn bis zwölf Stunden ist die Psi-Stealth-Action vorbei, doch über den gesamten Zeitraum wird man überaus ansprechend unterhalten und gefordert.

Pro

gut inszenierte Stealth-Action
PSI-Fähigkeiten
filmreife Story
gut gelöste Steuerung
überzeugendes Physik-System
logische Rätsel
gute Sprachausgabe
interaktive Umgebungen

Kontra

biedere Texturen
sterile Umgebungen
sehr sensibles Manuell-Zielen
ab und an abgehackte Animationen
nur deutsche Untertitel
feste Kamera mit Übersichtsproblemen

Wertung

PlayStation2

GameCube

XBox

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